1995
03/02/20001959-1993
1959: Der Lehrer Genaro Vázquez Rojas gründet die Bürgervereinigung Guerrero’s (ACG) um gegen die niedrigen Preise zu kämpfen, welche die nordamerikanischen Unternehmen beim Kauf der Kopra (Mark der Kokosnuss, von welchem das Öl gewonnen wird) und für andere landwirtschaftliche Produkte zahlen. Wenig später bildet Genaro Vázquez Rojas die unabhängige Bauerngewerkschaft – eine landwirtschaftliche Organisation auf nationaler Ebene – sowie die Acción Cívica Nacional Revolucionaria (ACNR).
11. November 1966: Genaro Vázquez Rojas wird von der Polizei an den Türen der Unabhängigen Bauerngewerkschaft in Mexiko-Stadt festgenommen und nach Chilpancingo, Hauptstadt von Guerrero, überführt. Er wird beschuldigt, die Studierendenbewegung gegen die Regierung zu organisieren.
Ein anderer Lehrer, Lucio Cabañas Barrientos, versucht in Atoyac (Costa Grande) über die Partei der Armen (PDLP), die Bevölkerung politisch zu organisieren. Die Partei der Armen ist eine Art Studenten- und Bauernbewegung im Kampf gegen die Großgrundbesitzer, welche die Bauern ausbeuten. Im Unterricht ermutigt der Landlehrer seine SchülerInnen am Aufbau eines neuen Regimes mitzuwirken, in welchem die Reichen keinen Platz haben und die Fabriken enteignet und den ArbeiterInnen überlassen werden sollen. Außerdem schlägt er Finanz-, Rechts-, Bildungs-, und Sozialreformen vor, die das Wohl der ArbeiterInnen, der Bauern und der Frauen in den Mittelpunkt stellen und empfiehlt einen Wechsel der Abhängigkeitspolitik Mexikos von den USA. Dies alles hat seine zeitweilige Ausweisung aus dem Staat an eine Schule in Durango zur Folge, bevor er Dank des Drucks seiner SchülerInnen wieder zurückkehren kann.
18. Mai 1967: Eltern der SchülerInnen sowie Teile des Personals einer Schule in Atoyac, angeführt von Lucio Cabañas, organisieren eine Kundgebung, in der sie den Rücktritt einiger LehrerInnen fordern, welche die Schule spalten. Die DemonstrantInnen beschließen, die Schule zu besetzen. Die Regierung geht sehr restriktiv gegen die Demonstration vor: Die Staatspolizei und einige Auftragsmörder, welche im Dienst der Kaziken der Region stehen, schießen auf die DemonstrantInnen. Fünf Menschen kommen ums Leben und Dutzende werden verletzt. Seit diesem Tag hält sich Lucio Cabañas Barrientos in den Bergen auf, um von dort aus gegen die Regierung zu kämpfen.
Während der folgenden Jahre operiert Lucio Cabañas Barrientos an der Küste Guerreros. Seine „Gerechtigkeitsvertretenden Bauernbrigaden“ („Brigadas Campesinas Justicieras“) greifen Bataillone des mexikanischen Heeres und Polizeieinheiten an, rauben Banken aus und entführen Großgrundbesitzer, Viehzüchter und Händler. Sie stellen sich immer gegen die lokale Regierung. Lucio Cabañas wird zu einem der Hauptregierungsgegner und aus diesem Grund ständig von der mexikanischen Armee gesucht.
22. April 1968: Der Gefangene Genaro Vázquez Rojas wird von einem bewaffneten Kommando, welches aus seinen Kollegen besteht, aus dem Gefängnis befreit. Von da an kämpft er bewaffnet aus dem Untergrund.
2. Februar 1972: Genaro Vázquez Rojas stirbt bei einem Autounfall in Folge einer Verfolgungsjagd auf der Landstraße Mexiko – Morelia. Er war 35 Jahre alt.
30. Mai 1974: Die Partei der Armen von Lucio Cabañas Barrientos entführt den Senator der PRI und Präsidentschaftskandidaten Rubén Figueroa Figueroa, um auf die Regierung Druck auszuüben. Hundert Tage später, am 8. September, wird er gegen eine Kaution von 50 Millionen Pesos frei gelassen.
Wenig später fliehen Lucio Cabañas Barrientos und seine Männer in den Landkreis Tecpan de Galeana. Der damalige Sekretär des Verteidigungsministeriums, Hermenegildo Cuenca Díaz, setzt mehr als fünftausend Soldaten gegen ihn an. Eine erste Konfrontation mit den Soldaten findet am 11. Oktober 1974 auf dem Berg Achotla statt. Lucio schafft es, mit drei Verletzungen am linken Bein zu entkommen. Die mexikanische Armee verliert ihn mehrere Wochen aus den Augen. Am 30. November spüren die Soldaten die Rebellen dank eines Verräters jedoch wieder auf. Lucio verzeichnet 17 Verluste, kann jedoch erneut zusammen mit drei seiner Gefolgsmänner fliehen.
Der Kommandant der XXVII Einheit, General Eliseo Jiménez Ruiz, nimmt im Dorf Guayabito vier Mädchen zwischen 16 und 20 Jahren als Geiseln und droht, sie zu foltern, zu vergewaltigen und umzubringen, wenn ihm niemand den Aufenthaltsort des Guerilleros mitteilt. Am darauf folgenden Tag verrät der Gemeindevorsitzende von Guayabito dem General, wo sich Lucio Cabañas aufhält.
2. Dezember 1974: Truppen der Fuerzas de Tarea umzingeln Lucio Cabañas in El Ototal und töten ihn dort mit einem Schuss ins Gesicht und mehreren in den Rücken.
Die Partei der Armen, von Lucio Cabañas Barrientos gegründet, überlebt bis 1989. Danach schließt sie sich mit anderen Untergrundgruppen zusammen, welche im Jahr 1995 in die Revolutionäre Volksarmee (EPR), die Revolutionäre Armee des Aufständischen Volkes (ERPI) und die Bewaffneten Revolutionären Kräfte des Volkes (FARP) münden.
1975-1976: Der von der Partei der Armen entführte Senator Rubén Figueroa Figueroa wird zum Gouverneur des Staates Guerrero gewählt. Der Gouverneur unterhält nahe Beziehungen mit Miguel Nazar Haro, der 1976 als Vorsitzender der Föderativen Sicherheitsdirektion (DFS) fungiert, einem Organismus, der für seine unmenschlichen polizeilichen Methoden bekannt ist und erzwungenes Verschwinden, Genozid und Folter zu verantworten hat. Nazar Haro wird als Gründer der paramilitärischen Gruppe, der sogenannten Weißen Brigade oder Sonderbrigade angesehen. Diese Gruppe besteht aus Soldaten und Agenten, welche in verschiedenen Einheiten die mexikanische Guerilla bekämpfen, indem sie Menschen festnehmen, foltern, verschwinden lassen und hinrichten. Sie wirkt während der 70er bis Anfang der 80er Jahre. Im Bericht der Nationalen Menschenrechtskommission (CNDH) über den „Schmutzigen Krieg“ erscheint Nazar Haro als eine der unerbittlichsten Personen im Kampf gegen die Guerilla. Menschenrechtsorganisationen und Organisationen von Familienangehörigen Verschwundener beschuldigen die paramilitärische Gruppe, an der Beseitigung von 1200 Personen in Mexiko beteiligt zu sein. Nazar Haro und der General Mario Arturo Acosta Chaparro (Staatsdirektor der Polizei und des Verkehrs sowie Mitglied der DFS und der Weißen Brigade) sind die Hauptangeklagten in Sachen erzwungenes Verschwindenlassen, Folter und Hinrichtungen im Staat Guerrero.
1979: die Kommunistische Partei Mexikos (PCM) gewinnt mit dem Lehrer Othón Salazar die Wahlen in Alcozauca de Guerrero, einem armen indigenen Landkreis im Gebiet La Montaña. Es ist der erste Landkreis in ganz Mexiko, der von der Opposition regiert wird. Dieser Erfolg ist legendär in einer Zeit, die von ständiger Verfolgung der Regierungsgegner gekennzeichnet ist. Die Kommunisten machen es sich zur Aufgabe, die Bevölkerung von La Montaña zu organisieren, indem sie die Verfassung des Volksrates von La Montaña (CPM) einberufen. Man spricht von der „Roten Montaña“.
1989: Die PRD etabliert sich im Bundesstaat Guerrero. In zehn Bezirksversammlungen vereinigen sich verschiedene Oppositionsorganisationen und –parteien. Von da an steigen die Wählerstimmen für diese Partei stetig und die PRD erobert immer mehr Landkreise.
1990: Anfang der 90er Jahre wird die indigene Bewegung in Guerrero immer stärker. Am 21. Oktober wird der Rat der Nahua-Völker vom Alto Balsas (CPNAB) gegründet. Dieser vereint einen breiten Sektor der Autoritäten aus den Dörfern der Region, Gemeinderäte sowie Verantwortliche der Gemeinschafts- und Gemeindegüter. Die führenden Personen des Rates besuchen die indigenen Dörfer des Staates und ersuchen um Unterstützung bei verschiedenen Bereichen der mexikanischen Gesellschaft.
September 1991: Der Guerrensische Rat 500 Jahre indigener, schwarzer und populärer Widerstand (CG500ARI) wird mit dem Ziel gegründet, die kontinentale Kampagne der Gegenfeier zum fünfhundertjährigen Gedenken der Eroberung zu koordinieren. Es geht darum, in verschiedenen Staaten der Republik indigene Räte zu gründen. Die Arbeit des Rats setzt sich jedoch nur in Guerrero nach der Gegengedenkfeier fort.
Im Jahr 1992 ruft die Pfarrgemeinde von Santa Cruz El Rincón, Landkreis Malinaltepec (Montaña), die Dörfer zusammen, um ein erstes Treffen zur Analyse der Bedürfnisse und Lebensbedingungen der indigenen Dörfer der Region Costa-Montaña durchzuführen. Während eines Jahres versammeln sich Gemeinderäte, Kantoren, Katecheten, Kirchendiener und Verantwortliche der Gemeinschaftsgüter. Daraus wird drei Jahre später die Gemeindepolizei hervorgehen. Der Pater Mario Campos Hernández, Pfarrer von Santa Cruz El Rincón, ist einer der Initiatoren des Projekts.
2. – 12. Oktober 1992: Der „Marsch für Würde und Widerstand der indigenen Völker“ findet statt. Dieser führt von Chilpancingo (Hauptstadt von Guerrero) zum Hauptplatz von Mexiko-Stadt. Diese Aktion ist Teil der Mobilisierungen gegen die Gedenkfeierlichkeiten zum fünfhundertsten Jahrestag des sogenannten „Treffens zweier Welten“ sowie um 500 Jahre Widerstand der indigenen Völker zu feiern.
Während der Amtszeit von José Francisco Ruiz Massieu (von 1987 bis 1993) werden zweihundert Mitglieder der PRD ermordet. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission (IAKMR) legt eine Empfehlung vor, welche die Verletzungen von Menschenwürde durch zivile und militärische Sicherheitskräfte während dieser Regierungszeit aufzeigt. Speziell angeklagt wird General Heriberto Salinas Altés, Kommandant der neunten Militärregion, damals mit Sitz in Acapulco.
Die letzten Tage der Amtszeit von José Francisco Ruiz Massieu und die ersten von Rubén Figueroa Alcocer sind besonders gewalttätig. Am 9. Februar 1993 werden 24 Bauern mit Hochkaliberwaffen in der Nähe der Gemeinde Huautla (Montaña) ermordet. Die Regierung erklärt, diese Massenermordung sei aufgrund von Familienstreitereien im Rahmen des Drogenhandels erfolgt. Vier Monate später, am 5. Juni 1993 betreten 170 Polizisten die Gemeinde Yolotla, die etwa dreihundert EinwohnerInnen zählt, um die vermeintlichen Verantwortlichen für die Tötungen vom 9. Februar zu finden. Sie provozieren eine Konfrontation, die mehr als sechs Stunden andauert. Diese hat zwei tote Bauern, mehrere durch Schüsse und Schläge verletzte Frauen und Männer, niedergebrannte und geplünderte Häuser sowie 14 Festnahmen zur Folge. Zehn Bauern werden zu dreißig Jahren Gefängnis verurteilt, obwohl sie beweisen können, dass sie an den Vorfällen nicht beteiligt waren.
Mit Rubén Figueroa Alcocer steigt die Zahl der aus politischen Gründen Ermordeten. Die Landkreiswahlen im Oktober 1993 sind besonders gewalttätig. Sechs Menschen verlieren ihr Leben und vier verschwinden. Alle Opfer hatten enge Beziehungen zur PRD. In allen Fällen stellt die Regierung die Opfer als Verbrecher, Guerilleros oder Drogenhändler dar oder rechtfertigt die Ermordungen mit persönlichen oder familiären Problemen.