2005
30/12/2005ANALYSE : Mexiko, Beginn der Kampagnen – vorbereitet, fertig, los.
31/01/2006Während eines Besuchs in Chiapas im Januar 2005 sagte der Präsident Vicente Fox, dass die EZLN ein Thema sei, das „praktisch in der Vergangenheit liegt, und dass alle nach vorne schauen.“ Diese Worte machten deutlich, dass die EZLN nicht mehr das Hauptproblem der Regierung war, welche inzwischen mehr mit den Vorbereitungen auf die Wahl beschäftigt ist. Darüber hinaus scheinen die zunehmende Macht des Drogengeschäfts und andere Amtsgeschäfte für die Fox-Administration dringender zu sein.
Auch im Januar gab es vor der Amtsübernahme der im letzten Oktober gewählten Bezirksautoritäten in mehreren Bezirken, wie Oxchuc, Tila und Sabanilla, Demonstrationen, Straßenblockaden und Auseinandersetzungen. In Tila, im Norden von Chiapas, verkündeten sowohl die PRI (Partei der Institutionellen Revolution) wie auch die Allianz aus PRD (Partei der Demokratischen Revolution) und PT (Partei der Arbeit) den Sieg nach den Bezirkswahlen von 2004. In letzter Instanz sprach das Wahltribunal den Sieg der PRI zu. Am 15. Februar wurde die Mahnwache, welche die Opposition gegenüber dem Regierungspalast eingerichtet hatte, gewaltsam aufgehoben. An dieser Operation waren mindestens achthundert Polizeikräfte beteiligt. 54 Personen wurden festgenommen. Der Priester von Tila warnte, dass sich die Spannungen in der Region durch die postelektoralen Probleme und die Reaktivierung der paramilitärischen Gruppe „Paz y Justicia“ ohnehin erneut verstärkt haben.
Im Februar machte das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas eine Anklage über Menschenrechtsverletzungen im Norden öffentlich, welche es im Oktober 2004 bei der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte eingereicht hatte. Diese Anklageschrift wandte sich gegen die andauernde Straflosigkeit, den Nährboden neuer Konflikte: Die paramilitärischen Strukturen wurden weder demontiert noch entwaffnet, die materiell und intellektuell Verantwortlichen wurden nicht sanktioniert, die Opfer wurden nicht entschädigt. In den Tagen nach der Räumung wurde Samuel Sánchez Sánchez, Gründer und Anführer von „Paz y Justicia“, festgenommen. Seine Festnahme beurteilte das Menschenrechtszentrum als „zu spät und ungenügend“.
Auf nationaler Ebene entschied das Abgeordnetenhaus am 7. April, die Immunität des Regierungschefs des Bundesdistriktes von Mexiko, Andrés Manuel Lopez Obrador, aufzuheben und ihn seines Amtes zu entheben, damit er aufgrund eines mutmaßlichen Amtsmissbrauches vor Gericht gestellt werden kann. Diese Maßnahme wurde als politische Aktion eingestuft, welche das Ziel hatte, López Obrador, den Führer der PRD und Favorit in den Umfragen, von den nächsten Präsidentschaftswahlen auszuschließen. Gleichzeitig wurde auch die Rolle, die Vicente Fox und seine Partei, die PAN, in diesem Prozess spielten, wie auch jene der PRI, hinterfragt. Mitte April wurde das Amtsenthebungsverfahren aufgrund des starken Drucks von Seiten des Volkes nicht fortgesetzt.
Am 20. Juni rief die EZLN Alarmstufe Rot aus, was die Schließung der autonomen zivilen Strukturen (Caracoles) und die Einquartierung der aufständigen Zapatisten zur Folge hatte. Gleichzeitig wurden die Kontakte zwischen den zivilen zapatistischen Strukturen und den Regierungsinstitutionen von Chiapas abgebrochen.
Wenig vor der Ausrufung von Alarmstufe Rot kam es in Chiapas zu ungewohnten Verschiebungen von Militär- und Polizeistützpunkten, Vorkommnisse, wie sie sich seit 2001 nicht mehr ereignet hatten. Auch am 20. Juni informierte das Verteidigungssekretariat darüber, dass eine Operation durchgeführt worden sei, bei der 44 Marihuanafelder in zapatistischem Gebiet zerstört worden seien. Bald wurde jedoch deutlich, dass die erwähnte Operation außerhalb des „Konfliktgebietes“ stattfand und in Bezirken, die keine zapatistische Präsenz aufweisen. Das Regierungssekretariat musste die Verbindung dementieren.
Nach der Ausrufung von Alarmstufe Rot die am 11. Juli aufgehoben wurde, wurden verschiedene Kommuniqués veröffentlicht:
- Ankündigung der internen politischen und militärischen Umstrukturierung der EZLN;
- Erläuterung, dass Alarmstufe Rot eine „Präventivmaßnahme“ darstellte, um eine interne Beratung zu ermöglichen (dies bezieht sich auf eine Militäroffensive, die sich im Februar 1995 ereignete, als die EZLN eine Beratung in ihren Gemeinden durchführte. Diese hatte das Ziel, zapatistische KommandantInnen festzunehmen);
- Information darüber, dass die EZLN während der Konsultation der Gemeindeversammlungen entschieden hat, eine „neue politische Initiative nationalen und internationalen Charakters“ zu lancieren, welche in der Sechsten Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald erläutert werden würde (die ‚Sechste‘).
Die „Sechste“ schlägt die Bildung einer neuen „breiten Front“ vor, welche durch eine Reise durch das ganze Land initiiert wird.Auf dieser Reise wird man versuchen, Allianzen mit politischen und sozialen Gruppen, Indigenen, ArbeiterInnen, BäuerInnen, StudentInnen zu vertiefen. Es wird darum gehen, gemeinsam ein „nationales Programm des Kampfes zu erstellen, ein Programm jedoch, das dezidiert links, d.h. antikapitalistisch“ sei und in Richtung einer neuen Verfassung gehe. Außerdem wird in der „Sechsten“ vorgeschlagen, ein so genanntes „Intergalaktisches Treffen“ zu organisieren, wie es 1996 in La Realidad stattfand.
Während die wichtigsten Parteien interne Abstimmungen abhielten, um ihre Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen zu bestimmen, lancierte die EZLN die ‚Andere Kampagne‘. Sie brach ihre Beziehungen zu den erwähnten Parteien ab. Nach dem, was die Zapatisten den legislativen „Verrat“ aus dem Jahr 2001 nennen, als der Kongress eine Verfassungsreform annahm, welche von den Abkommen von San Andrés abwich, konstatierte sie, dass es mit der „Obrigkeit„, d.h. mit den politischen Parteien und Institutionen, nun nichts mehr zu diskutieren gäbe. Diese Positionierung der „Sechsten“ in Bezug auf die Parteien, führte zu Auseinandersetzungen und verursachte zum Teil auch den Abbruch von Beziehungen. Gemäß der EZLN ist die Position, den „weniger Schlechten“ zu wählen, keine Option. Dennoch ist die „Sechste“ aber kein Aufruf zum Wahlboykott.
Im Hinblick auf die Krise, in der die repräsentative Demokratie steckt, und als Bruch mit der Institutionalisierung, schlägt der Zapatismus mehr als eine Strategie, nämlich eine Methodologie vor, welche auf dem Zuhören basiert und von unten aufgebaut wird, durch jene von unten und für jene von unten: die Andere Kampagne. Verschiedene Treffen zwischen der EZLN und der Zivilbevölkerung wurden in Chiapas im August und September durchgeführt, um den Aufbruch der Anderen Kampagne und die Reise der Delegation durch das ganze Land vorzubereiten. Zur ersten Plenarsitzung kamen 2069 Personen in das Caracol La Garrucha.