2006
01/01/2007AKTUELLE : Mexico – Neue Regierung, alte Probleme
30/03/20072006
14. Juni 2006: Der gewaltsame Angriff auf das Protestcamp, das die Sektion 22 der SNTE seit dem 22. Mai im historischen Zentrum von Oaxaca aufgeschlagen hatte, endet mit 4 Toten und 92 Verletzten.
17.-21. Juni 2006: Angesichts der Repression und unter Beteiligung breiter gesellschaftlicher Schichten, die über die LehrerInnengewerkschaft hinausgeht, entsteht die Volksversammlung der Völker Oaxacas (APPO).
Juli 2006: Unter dem Einfluss der APPO setzen verschiedene Bewegungen in beinahe 30 Landkreisen eigene Landräte ein. Sie erkennen die gewählten Landräte nicht mehr an, die in großer Mehrheit der PRI angehören.
16. und 17. August 2006: An dem Nationalen Forum „Demokratie und Regierungsfähigkeit in Oaxaca schaffen“ beteiligen sich 1.500 Personen aus allen Regionen des Bundesstaates. Im Wesentlichen geht es darum, die Lage zu analysieren und alternative Lösungen vorzuschlagen.
30. August 2006: Sechs vorgebliche Guerillagruppen drohen in einem Manifest mit „militanten Aktionen“, sollte die Regierung des Bundesstaates und die mexikanische Regierung die Volksbewegung mit Gewalt unterdrücken. Einige Analysten gehen davon aus, dass dieses Schreiben von der Regierung des Bundesstaates als Propaganda verfasst wurde, um auf diese Weise repressive Aktionen sowie die Militarisierung der Sierra Norte rechtfertigen zu können.
4. – 8. September 2006: Das „Netzwerk für Menschenrechte Oaxaca“ (RODH) und das „Nationale Netzwerk Alle Rechte für Alle“ führen eine zivile Beobachtungsmission in Oaxaca durch. Bestehend aus 16 lokalen, nationalen und internationalen Organisationen, darunter auch SIPAZ, besucht die Delegation Oaxaca-Stadt und einige weitere Landkreise, mit dem Ziel, eine Bestandsaufnahme der Situation im Bundesstaat Oaxaca zu machen und Vergehen gegen die Menschenrechte zu dokumentieren.
September 2006: Es beginnen Verhandlungen zwischen dem mexikanischem Innenministerium, der APPO und der Sektion 22 der LehrerInnengewerkschaft, ohne das nennenswerte Fortschritte erreicht werden: Die APPO und die LehrerInnen bestehen weiter auf der für sie nicht verhandelbaren Forderung nach einem Rücktritt von Ulises Ruiz, während das Innenministerium lieber „eine tiefgründige Transformation der Bundesstaatsregierung“ vorschlägt, ohne den Gouverneur abzusetzen.
4. Oktober 2006: Im Innenministerium findet ein Treffen statt, bei dem ein „Pakt für die Regierbarkeit, den Frieden und die Entwicklung in Oaxaca“ beschlossen werden soll. Zum Abschluss des besagten Paktes kommt es jedoch nicht.
12 Oktober 2006: Start einer Initiative von BürgerInnen für den Dialog, den Frieden, die Demokratie und die Gerechtigkeit in Oaxaca unter der Teilnahme von ungefähr 2.000 Personen. Die Erklärung von Santo Domingo wird verabschiedet und es bilden sich sechs Arbeitsgruppen:
- Arbeitsgruppe: Neue Demokratie und Regierbarkeit (die politische Krise)
- Arbeitsgruppe: Soziales und solidarisches Wirtschaften (die wirtschaftliche Krise)
- Arbeitsgruppe: Erneuerung der Bildung (die Krise der Bildung)
- Arbeitsgruppe: Harmonie, Gerechtigkeit und soziales Gleichgewicht (die soziale Krise)
- Arbeitsgruppe: Historisches, kulturelles und natürliches Erbe in Oaxaca
- Arbeitsgruppe: Medien, die der Bevölkerung dienen
27. Oktober 2006: Bei einer Reihe von Gewalttaten sterben vier Menschen (darunter auch ein US-amerikanischer Journalist, Bradley Will) und viele weitere werden an verschiedenen Punkten von Oaxaca-Stadt verletzt. Nach Angaben von lokalen Menschenrechtsorganisationen gibt es sowohl Beweise dafür, dass lokale Polizisten beteiligt waren, als auch Beweise dafür, dass Gruppen beteiligt waren, die von der bundesstaatlichen Regierung organisiert, trainiert und bewaffnet werden, um gewalttätige Aktionen gegen Oppositionsbewegungen auszuführen.
29. Oktober 2006: Die mexikanische Regierung schickt die Bundespolizei (PFP) nach Oaxaca. In den Morgenstunden dringt die PFP in die Stadt ein und nimmt bis zur Nacht den Zócalo, zentraler Platz der Stadt, ein.
30. Oktober 2006: Ulises Ruiz beharrt auf der Position, dass seine Suspendierung „weder zur Debatte steht noch eine Lösung für die politische Krise im Bundesstaat wäre“. Im Plenum des Bundesparlaments wird später – ohne die Stimmen von PRI und PVEM – eine Erklärung verabschiedet, die den Gouverneur Ulises Ruiz dazu auffordert, entweder um seine Beurlaubung zu bitten oder zurück zu treten. Die Regierung in Oaxaca reagiert sofort und reicht eine Verfassungsklage ein, da das Bundesparlament mit der Erklärung seine Kompetenzen überschritten habe.
Der Senat, der bisher eine Auflösung der Regierung in Oaxaca abgelehnt hatte, bittet Ulises Ruiz nun einstimmig (auch mit den Stimmen der PRI) „seine Entscheidung, nicht zurück zu treten, noch einmal zu überdenken und so zur Wiederherstellung der Regierbarkeit, der Normalität und des Friedens beizutragen“. Alle Beteiligten wurden ausnahmslos dazu aufgerufen, sich für die Befriedung des Bundesstaates einzusetzen.
2. November 2006: Der Einmarsch der PFP markiert einen Einschnitt im Konflikt in Oaxaca, ohne jedoch zu einer umfassenden Lösung zu führen. Seit dem 2. November gibt es gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern der APPO und der PFP in der Umgebung des Universitätscampus von Oaxaca, am heftigsten sind die Auseinandersetzungen um die Kontrolle von Radio Universidad.
6. November 2006: Guerillagruppen verüben mehrere Bombenanschläge in Mexiko-Stadt. Sie greifen Banken, das Wahlgericht und ein Büro der PRI an. Sie rechtfertigen ihre Aktionen als Protest gegen den Wahlbetrug und gegen die Repression in Oaxaca und Atenco.
Im Laufe der darauf folgenden Woche verstärkt die APPO ihre Aktionen und ruft zu einer „erneuten Generaloffensive“ auf. Sie organisiert erneut Großdemonstrationen (mit zehntausenden TeilnehmerInnen) und verlangt die Amtsenthebung von Ulises Ruiz und den Rückzug der Bundestruppen. Es kommt zu Solidaritätsbekundungen mit der APPO in verschiedenen Städten Europas, Nordamerikas, Südamerikas sowie auch in Mexiko-Stadt. Trotzdem entscheidet sich das Innenministerium, Ulises Ruiz Zeit zu geben und bittet die Öffentlichkeit darum, ihm die Möglichkeit zu geben, seinen „Versöhnungsplan“ vorzulegen.
13. November 2006: Die APPO präsentiert ihren Aktionsplan, der vorsieht, einen Rat aus 250 Mitgliedern zu gründen, die Barrikaden wieder aufzubauen, öffentliche Gebäude erneut zu besetzen und die Amtsübernahme durch Calderón am 1. Dezember zu verhindern, wenn Ulises Ruiz nicht vorher abgetreten ist.
25. November 2006: Es kommt zu Zusammenstößen zwischen der PFP und Mitgliedern der APPO, die auf dem Weg ins historische Zentrum von Oaxaca-Stadt waren. Dabei gibt es mehr als 140 Verletzte, drei davon Journalisten, 140 Verhaftete sowie zahlreiche Brände in öffentlichen und privaten Gebäuden und etliche angezündete Autos.
27. November 2006: Mitglieder der APPO, die während der Auseinandersetzungen mit der Bundespolizei am 25. November festgenommen wurden, werden aus der Haftanstalt Miahuatlán in Oaxaca in die Haftanstalt San José del Rincón in Nayarit verlegt. Andere Aktivisten werden in das Hochsicherheitsgefängnis in Matamoros im Bundesstaat Tamaulipas gebracht. Diese beiden Gefängnisse sind beide über 1.000 Kilometer von Oaxaca-Stadt entfernt.
1. Dezember 2006: Die Amtseinführung von Felipe Calderón Hinojosa zum Präsidenten Mexikos erfolgt in einem Klima der Anspannung und Konfrontation im von Sicherheitskräften strengstens bewachten Bundesparlament. In Oaxaca wird zu einer Demonstration aufgerufen, an der sich rund 5.000 Personen beteiligten.
4. Dezember 2006: Flavio Sosa, einer der 264 Ratsmitglieder der APPO und drei weitere Anführer werden in Mexiko Stadt verhaftet. Ein Bundesrichter hatte Haftbefehl gegen sie wegen Aufstands, Straßenblockaden und Aufrufs zur Gewalt erlassen hatte. Der Anführer der APPO wird in das Hochsicherheitsgefängnis Altiplano in Almoloya de Juárez im Bundesstaat Mexiko gebracht.
16. Dezember 2006: Die PFP zieht sich aus dem historischen Zentrum von Oaxaca-Stadt zurück. Die Polizei des Bundesstaates übernimmt die Kontrolle.
17. Dezember 2006: 43 Personen, die von der PFP verhaftet worden waren und in der Haftanstalt mittlerer Sicherheitsstufe von San José del Rincón im Bundesstaat Nayarit inhaftiert waren, werden frei gelassen.
18. Dezember 2006: Die nationale Menschenrechtskommission (CNDH) legt ihren vorläufigen Bericht über die gewalttätigen Vorfälle in Oaxaca vor. Laut der Kommission „besteht im Bundesstaat, und dort vor allem in der Hauptstadt, der Konflikt weiter, sodass die Voraussetzungen für die Gültigkeit und die Einhaltung der Grundrechte nicht gegeben sind“. Die 1.211 bei der CNDH eingegangenen Klagen beziehen sich auf „den vermeintlich unverhältnismäßigen Einsatz der Sicherheitskräfte, willkürliche Verhaftungen, die Isolierung von Gefangenen, das Verschwindenlassen von Personen, Sachschäden, Körperverletzungen, Drohungen und illegale Hausdurchsuchungen“. Die Bilanz des Konflikts seit Juni aus Sicht der CNDH: 349 Verhaftete, 370 Verletzte und 20 Tote.
22. Dezember 2006: In Oaxaca wird die Sektion 59 der Lehrergewerkschaft von Gegnern der Sektion 22 und ihrer „andauernden Mobilisierungen und Streiks“ gegründet. Allem Anschein nach hat sie Verbindungen zu der polemischen Gewerkschaftsführerin Elba Ester Gordillo (einer ehemaligen Generalsekretärin der PRI, die 2006 aus der Partei ausgeschlossen wurde).