2012
25/01/2013AKTUELLES : Mexiko – verschiedene Figuren des chiapanekischen Schachs werden bewegt
24/02/2013Für Chiapas war das Jahr 2012 in vielerlei Hinsicht ein Jahr des Übergangs. Am 1. Juli wurden in dem Bundesstaat zum ersten Mal staatliche und lokale Wahlen gleichzeitig abgehalten (Gouverneur, 40 Abgeordnete und 122 Ratshäuser).
Nach einem kontroversen Wahlverlauf trat der PRI-Kandidat, Enrique Peña Nieto, im Dezember das Amt des Präsidenten der Republik an, was Proteste und stundenlange Unruhen in Mexiko-Stadt, mit einem Saldo von 105 Verletzten (29 schwer) und Dutzenden Verhaftungen, auslöste. Bereits zuvor hatten Familienangehörige von verschwundenen Personen und Gewaltopfer im ganzen Land protestiert, um die dramatischen Auswirkungen des vom abtretenden Präsidenten, Felipe Calderón, geführten Kampfes gegen das organisierte Verbrechen anzuprangern. Während seiner Amtszeit wurden mehr als 70.000 Menschen ermordet.
Auch der neue Gouverneur von Chiapas, Manuel Velasco Coello (PRI-PVEM-PANAL), gab im Dezember Anlass zu Protesten. Er hatte die Wahlen im Juli mit weitem Vorsprung (mehr als 70% der gültigen Stimmen) gewonnen. Die Koalition PRI-Verde gewann außerdem die lokalen Wahlen in 90 von 122 Munizipien.
Bei seinem Amtsantritt kündigte Velasco Coello Sparmaßnahmen angesichts der Haushaltsverschulung an, die die Vorgängerregierung hinterlassen hatte. Darin waren Kürzungen der Gehälter von hochrangigen Beamten vorgesehen, den Gouverneur selbst eingeschlossen. Velasco Coello sprach auch von den politischen und kulturellen Errungenschaften der EZLN und der Juntas de Buen Gobierno (dt.: Räte der guten Regierung). Außerdem versprach er, eine bürgerliche, plurale und integrative Regierungskoalition aufzustellen, besetzte in den folgenden Wochen allerdings nur wenige Posten neu und fuhr weitestgehend mit dem Personal des ehemaligen Gouverneurs fort. Mitte Dezember stellten Menschenrechtsorganisationen die Ernennung des neues Ministers für öffentliche Sicherheit in Frage, da er „verantwortlich für willkürliche Verhaftungen, übermäßigen und unangebrachten Einsatz von Sicherheitskräften, Manipulation, Drohungen, Folter und andere Menschenrechtsverletzungen“ sein soll.
In Chiapas traten Ende September auch die neugewählten Bürgermeister ihre Ämter an, was in Motozintla, Chicomuselo, Bejucal de Ocampo, Frontera Comalapa, Mazapa de Madero, Cintalapa, Tila und Las Rosas zu Gewaltakten führte. Eine weitere Reihe von Konflikten und Straßenblockaden ereignete sich aus Protest gegen die scheidenden Munizipsregierungen in Villacorzo, San Juan Chamula und Teopisca.
Auf der anderen Seite marschierten am 21. Dezember tausende indigene Unterstützer der EZLN in fünf Städten in Chiapas (San Cristóbal de Las Casas, Ocosingo, Altamirano, Palenque, und Las Margaritas). Pro Stadt wurde jeweils von 6.000 bis 10.000 Teilnehmern berichtet. Im Kommuniqué der Kommandantur wird auf das rigorose Schweigen während der Aktion verwiesen, mit den Worten: „Habt ihr das gehört? So klingt eure Welt, die einstürzt. Und unsere, die wiederaufersteht“.
Bereits einen Tag zuvor hatte es Gerüchte um eine mögliche Mobilisierung der Zapatisten gegeben und die Regierung des Bundesstaates hatte vier Häftlinge, davon zwei Unterstützer der EZLN, freigelassen, um zur „Entspannung der Lage“ beizutragen und das Klima „der Toleranz und des Friedens“ zu stärken. In diesem Sinne wurde auch ein Haftbefehl gegen einen weiteren Unterstützer aus Toniná aufgehoben, über dessen Fall sich bereits die Junta de Buen Gobierno von La Garrucha Anfang Dezember geäußert hatte. Die bundesstaatliche Regierung brachte außerdem „einen minimalen Kommunikationsmechanismus“ mit den Juntas de Buen Gobierno ins Spiel, als Mittel zur Prävention und Lösung von Konflikten.
Zum Jahresende äußerten sich sowohl die bundesstaatliche als auch die staatliche Regierung über die Mobilisierung der EZLN. Der Innenminister erklärte: „Sie kennen uns noch nicht, also handeln Sie nicht überstürzt. Präsident Enrique Peña Nieto hegt ein umfassendes Engagement für die indigenen Völker“.
Am 30. Dezember, kurz vor dem 19. Jahrestag des bewaffneten Aufstandes von 1994, veröffentlichte die EZLN ein Kommuniqué und zwei Briefe, adressiert an „wen auch immer es da oben betrifft“ und an Luis H. Álvarez (PAN), den ehemaligen Koordinator des Dialogs für den Frieden in Chiapas und Ex-Kommissar für die Entwicklung der indigenen Völker. In diesen Schreiben werden die politischen Parteien, die staatliche Regierung (sowohl die ehemalige als auch die aktuelle) sowie die bundesstaatlichen und Munizipsregierungen heftig kritisiert und es wird erklärt, sie alle wären bei dem Versuch, den zapatistischen Widerstand zu schwächen, gescheitert. Im Kommuniqué wird außerdem eine neue Reihe von Aktionen seitens der EZLN angekündigt.
Die sozialen Konflikte nahmen 2012 indes nicht ab. Im Laufe des Jahres stieg die Zahl der öffentlichen Klagen seitens aller Juntas de Buen Gobierno an. Sie beruhten auf Konflikten zwischen Unterstützern der EZLN und Mitgliedern anderer sozialer Organisationen oder politischer Parteien, entweder aufgrund von landwirtschaftlichen Angelegenheiten oder territorialer Kontrolle. Der wahrscheinlich schwerwiegendste Fall ereignete sich in der Ortschaft Nuevo Poblado Comandante Abel, im Munizip von Sabanilla, in der nördlichen Zone von Chiapas. Die Junta de Buen Gobierno von Roberto Barrios gab bekannt, dass am 6. September eine Gruppe von 55 bewaffneten, maskierten und in Militäruniform gekleideten PRI-Anhängern auf ein Grundstück von zapatistischen Unterstützern eindrang und zwei Tage später die Vertreibung von 83 Personen herbeiführte. Die Junta de Buen Gobierno von Roberto Barrios prangerte die direkte Beteiligung des Regierungssekretärs, Noé Castañón, an der Planung und Entfachung der Eskalation der Gewalt in der Zone an.
Im Hochland von Chiapas klagte im Oktober die Organisation „Sociedad Civil Las Abejas“ (dt.: „Zivilgesellschaft Die Bienen“) über eine Reaktivierung der paramilitärischen Gruppen im Munizip Chenalhó, wie sie auch in der nördlichen Zone des Bundesstaates zu beobachten war. Sie erklärte, dass die massive Freilassung der Schuldigen an dem Massaker von Acteal, die seit August 2009 erfolgte, „in großem Maße diesen erneuten Zusammenschluss begünstigt hat. Nun zeigen sie sich im Schulterschluss mit denjenigen, die nicht verurteilt wurden, mit Schusswaffen auf den Landstraßen, in den Bergen, auf dem Weg zu den Mais- und Kaffeeplantagen“.
Die Rückkehr der PRI ins Präsidentschaftsamt, sowie in Koalition an die Macht im Bundesstaat, schürte vielerorts die Angst, die Geschichte würde sich wiederholen und vielen sozialen Kämpfen gegen die Straflosigkeit der Weg noch weiter versperrt werden. Im September gestand das Department of State der USA dem ehemaligen Präsidenten Ernesto Zedillo diplomatische Immunität angesichts des bevorstehenden Urteils über seine Verantwortung für das Massaker von Acteal (1997) zu. Das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas (CDHFBC) äußerte, diese Entscheidung sei ein Versuch, „nicht nur eine Person, sondern eine ganze Strategie zur Aufstandsbekämpfung zu decken, die gegen die indigenen Gemeinden in Chiapas angewandt wurde, deren ausführende Kraft das mexikanische Militär und Berater die Amtskollegen in den USA waren“.