2014
23/01/2015AKTUELLES: Der Fall Ayotzinapa hält die Behörden in Schach
21/02/2015Die Verschleppung von 43 Studenten der Escuela Normal Rural de Ayotzinapa in Guerrero im September brachte eine Umkehr in der Wahrnehmung Mexikos durch die internationale Gemeinschaft. Ähnlich wie beim zapatistischen Aufstand 1994 wurden die Geschehnisse einerseits einstimmig verurteilt und andererseits wurde darauf hingewiesen, dass es sich dabei nicht um Einzelfälle handele. Zum Ende des Jahres hin berichtete die internationale Presse, die zuvor meistens lobende Worte für die Regierung unter Enrique Peña Nieto fand, zunehmend kritisch über die Situation im Land.
Auf die Menschenrechtskrise, die durch Ayotzinapa offenbart wurde, haben zivile Organisationen schon lange hingewiesen. Sie prangerten an, dass „die humanitäre Krise, der das Land, ausgehend von den Zeugenberichten und Anzeigen über verschleppte, ermordete, vertriebene, gefolterte oder verletzte Personen, gegenübersteht, von der Regierung ignoriert, beschönigt, versteckt, simuliert und in manipulierten Statistiken heruntergespielt worden ist“. Außerdem würden sich „die Bemühungen der Regierung darauf konzentrieren, den „mexikanischen Moment“ des vermeintlichen Fortschritts und Wohlstandes zu vermitteln.“
Obwohl Anfang des Jahres der 20. Jahrestag des Aufstandes der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) durchaus mediale Aufmerksamkeit erhielt, verschwand die Thematik des ungelösten bewaffneten Konfliktes in Chiapas beinahe vollständig von der politischen Agenda. Im August veröffentlichte das Centro de Derechos Humanos Fray Bartolomé de Las Casas (CDHFBC) den Bericht „Die Aufstandsbekämpfung in Chiapas geht weiter“, in dem es heißt: „In den letzten Monaten hat sich der ungelöste, bewaffnete, interne Konflikt in Chiapas durch kontinuierliche Aggressionen gegen die Unterstützungsbasis der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (BAEZLN) charakterisiert. Dabei wird der Staat mitunter von anderen regionalen Organisationen unterstützt.“
Zu den schwerwiegendsten Vorfällen zählen die folgenden: Im Januar verübten etwa 300 Mitglieder der Unabhängigen Zentrale der Landarbeiter und Campesinos (CIOAC) im Ejido 10 de Abril, im autonomen Munizip 17 de Noviembre, im Caracol Morelia, eine schwere Attacke auf Unterstützer der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (BAEZLN). Die Zapatisten erbaten Hilfe vom Krankenhaus San Carlos in Altamirano, doch die Angreifer ließen den Krankenwagen zwei Stunden lang nicht passieren, attackierten und entkleideten die darin befindlichen Nonnen und beschlagnahmten das Fahrzeug sowie einen Laster. Am 2. Mai griffen Mitglieder der Parteien PVEM (dt.: Grüne Ökologische Partei Mexikos) und PAN (dt.: Partei der Nationalen Aktion) sowie der Historischen Unabhängigen Zentrale der Landarbeiter und Campesinos (CIOAC-H) im Ejido La Realidad, Munizip Las Margaritas und Sitz eines zapatistischen Caracols, BAEZLN an. Dabei starb der zapatistische Unterstützer José Luis Solís López alias Galeano. Im August wurden BAEZLN aus dem Autonomen Rebellischen Zapatistischen Munizip (MAREZ) San Manuel des Caracols La Garrucha, offizielles Munizip von Ocosingo, vertrieben.
Im Juni klagte das Centro de Derechos Humanos Fray Bartolomé de Las Casas über eine Reihe von Überwachungs- und Belästigungsvorfällen gegen eigene Mitarbeiter und Mitglieder anderer ziviler Organisationen. Ein solcher Fall fand ausgerechnet zu dem Zeitpunkt statt, als nach den Aggressionen im Mai eine Solidaritätskaravane nach La Realidad aufgestellt wurde.
Trotz dieser Angriffe verlor die EZLN nicht ihre Tatkraft: Am 24. Mai versammelten sich mehr als 4.000 Milizionäre der BAEZLN, Mitglieder der EZLN-Kommandatur und hunderte von Angehörigen nationaler und internationaler Organisationen in der Gemeinde La Realidad zu Ehren von José Luis Solís López, „Galeano“. Gleichzeitig verkündete Subcomandante Insurgente Marcos seinen Rücktritt und erklärte, dass seine Figur nichts weiter als ein Narrenkostüm gewesen sei, um die mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, was im Interesse der EZLN gelegen habe. Nun aber werde diese „Farce des Subcomandanten“ nicht mehr benötigt. Diese Entscheidung ist im Rhamen einer Reihe von internen Veränderungen zu betrachten, die die Bewegung in eine rein indigene Richtung lenken soll: „Der Wechsel an der Spitze geschieht weder aus Krankheit oder Tod noch aus internen Streitigkeiten oder zur Säuberung. Es ist vielmehr ein logischer Schritt im Zuge der internen Umwälzungen, die die EZLN im Begriff ist durchzuführen (…). Doch einige Experten verkennen andere Wechsel: den der Klasse – vom intellektuellen Gesprächspartner zum indigenen Bauern; oder den der Rasse: von der Führung der Mestizen zu einer ausschließlich indigenen.“
Im August fand der Erste Austausch der Zapatistischen und Ursprünglichen Völker Mexikos in La Realidad statt. Daran nahmen etwa 1.300 delegierte Zapatist_innen und mehr als 300 indigene Repräsentanten des Congreso Nacional Indígena (CNI) teil. Man verurteilte die unterschiedlichen Arten von Beraubung an den indigenen Völkern im Land und erklärte: „Heute sagen wir den Mächtigen, den Unternehmen und den schlechten Regierungen, angeführt durch das kriminelle Oberhaupt der Paramilitärs, Enrique Peña Nieto, dass wir uns nicht ergeben, dass wir uns nicht verkaufen und nicht nachgeben.“ Von Dezember bis Januar fand weiterhin das „Erste weltweite Festival der Wiederstände und Rebellionen gegen den Kapitalismus“ in unterschiedlichen Bundesstaaten und zum Schluss auch in Chiapas statt. Am 31. Dezember erklärte Subcomandante Insurgente Moisés, dass „momentan Wahrheit und Gerechtigkeit für Ayotzinapa an erster Stelle stehen“, da es „am meisten Schmerz und Emörung verursacht, dass die 43 nicht bei uns sind“. Die EZLN hatte den Familien und Kommillitonen der Vermissten Raum in ihrem Festival gegeben.
Ein weiteres gravierendes Problem bleibt die Straflosigkeit: Im Oktober wurde die Berufung von zehn Personen, die den ehemaligen Präsidenten Mexikos, Ernesto Zedillo Ponce de León (1994-2000), für das Massaker von Acteal (1997) vor dem Obersten Gerichtshof der Verinigten Staaten angeklagt hatten, abgewiesen. Im November wurden drei Personen, die für dieses Massaker inhaftiert waren, freigelassen. Somit verbüßen momentan nur noch zwei Personen eine Haftstrafe für dieses Verbrechen. Die Massaker von Acteal und Viejo Velasco (Munizip von Ocosingo, 2006) sowie die Gewalt in der nördlichen Zone (1995-2000) wurden als Fälle vor dem Ständigen Völkertribunal (TPP: Tribunal Permanente de los Pueblos) vorgebracht, welches in diesem Jahr mit einem Urteil gegen Mexiko schloss.
Ein anderes allgegenwärtiges Thema ist die Vertreibung. Obwohl die aus Colonia Puebla, Munizip von Chenalhó, vertriebenen Familien im April nach Hause zurückkehrten, wurde dieser Umstand als „Rückkehr ohne Gerechtigkeit“ bezeichnet. Andere Fälle stellen die der Flüchtlinge von Banavil (Munizip von Tenejapa) und von Aurora Ermita (Pueblo Nuevo Solistahuacán) dar, die öffentlich über ihre momentanen Lebensbedingungen, Straflosigkeit und fehlende Reaktionen seitens der Autoritäten klagten.
Schließlich wurde im Januar im Rahmen der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag des Indigenen Kongresses von 1974, in San Cristóbal de Las Casas der Congreso Diocesano Pastoral de la Madre Tierra (dt.: Kongress des Bistums der Mutter Erde) gefeiert, der vielen Klagen über Land und Territorium in Chiapas Raum gab. Unter anderem wurde beschlossen, die Bergbaubetriebe (welche z.B. in Chicomuselo weiter vorstoßen) und die Regierungspolitik, die negative Auswirkungen auf die Gemeinden haben, aufzuhalten. Grund für Mobilisierungen und Ziel von Angriffen war 2014 z.B. die Opposition zum Bau der Autobahn zwischen San Cristóbal de Las Casas und Palenque. Zwei andere Fälle wurden im Naturreservat „Montes Azules“ und im Ejido von San Sebastián Bachajón, wo sich der Eingang zu den Wasserfällen „Agua Azul“ befindet, bekannt.