ANALYSE : Mexiko, wenig ermutigende Perspektiven
30/12/20082008
02/01/20092008
1. Januar: Das Agrarkapitel des Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) tritt in Kraft. Damit werden Importe von Grundnahrungsmitteln wie Bohnen und Mais sowie Milchprodukte und Speiseöl von der Steuer befreit.
31. Januar: Die Nationale Front zur Verteidigung der mexikanischen Landwirtschaft organisiert gemeinsam mit sozialen und gewerkschaftlichen Organisationen eine große Demonstration, um die Neuverhandlung des NAFTA zu fordern. Sie wird als einer der größten Proteste Mexikos gegen diesen Vertrag bezeichnet. Die DemonstrantInnen bezeichnen das Inkrafttreten des Agrarkapitels als „Gnadenschuss“ für die mexikanische Landwirtschaft.
Anfang Februar: Die Vorsitzende der Vertretung des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Louise Arbour, besucht Mexiko.
9. Februar: Die Internationale Zivile Kommission zur Beobachtung der Menschenrechte (CCIODH) veröffentlicht ihre vorläufigen Ergebnisse und Empfehlungen, die sie während eines 6-tägigen Aufenthalts in Chiapas zusammengetragen hat.
19. Februar: Mehr als 10.000 Indigenas aus Chiapas, welche als Pueblo Creyente die Basis der 50 Kirchengemeinden von San Cristóbal de Las Casas repräsentieren, pilgern für die Freilassung der politischen Gefangenen.
Februar – April: Zwischen Februar und April beginnt in mehreren Gefängnissen von Chiapas und Tabasco ein Protest, der sich in Hungerstreiks äußert. Er wird von Gefangenen geführt, die sich als politische Gefangene bezeichnen und so ihre sofortige Freilassung fordern. Sie erreichen die Freilassung von über 100 Personen aus verschiedenen Gefängnissen in Chiapas.
6. März: Zustimmung des Senats zur Strafrechtsreform Dies schließt einige Verbesserungen wie die mündliche Urteilsverkündung in Anwesenheit der Angeklagten sowie die Änderung des Angeklageverfahrens (hin zum Prinzip der Unschuldsvermutung bis zum Nachweis einer Straftat) ein.
13. März: Die Untersuchungskommission des Obersten Gerichtshofs (SCJN) beendet ihre erste Ermittlungsphase über die Ereignisse 2006 in Atenco und bestätigt in der Planung der Operation „mögliche schwere Verletzungen“ der Grundrechte sowie Fehler bei der Koordinierung von Polizeibefehlen „auf höchster Ebene“. Dies führte zum Tod von zwei und zur Verhaftung von 207 Personen.
16. März: Interne Wahlen für den nationalen Vorsitz der PRD. Zwei Kandidaten treten gegeneinander an: Alejandro Encinas, der López Obrador nahesteht, sowie Jesús Ortega, der die sogenannte Neue Linke repräsentiert. Es werden viele Unregelmäßigkeiten gemeldet und die Wahlergebnisse werden monatelang zurückgehalten, bis schließlich Mitte November das Wahlgericht Ortega den Sieg zuspricht.
31. März: Die Regierung von Chiapas lässt 137 Personen aus verschiedenen Haftanstalten des Bundesstaates frei. Dutzende von Gefangenen hatten in den vergangenen Wochen einen Hungerstreik begonnen.
April: Das Innenministerium entscheidet, die 1994 gegründete Koordinationsstelle für den Dialog in Chiapas aus Gründen der Sparsamkeit und aufgrund fehlender Notwendigkeit zu schließen.
9. April: Felipe Calderón präsentiert dem Parlament eine Energiereform, welche den Erdölsektor als wichtigste Einkommensquelle des Landes beleben soll. Dazu sollen der staatlichen Erdölgesellschaft PEMEX mehr Ressourcen zugesprochen werden. Dies schließt Veränderungen ein, welche die private Beteiligung an allen Produktionsprozessen erlauben.
10. April: Beginn eines Widerstandsprozesses gegen die mögliche Energiereform. Die Mehrzahl der Abgeordneten der „Breiten Progressiven Front“ besetzen die Tribüne des Parlaments mit der Forderung, dass eine wirkliche Debatte über die Zukunft des mexikanischen Erdöls geführt werde. Die „Bewegung zur Verteidigung des Erdöls“ beginnt mit Widerstandsaktionen auf den Straßen.
Ende April: Die Revolutionäre Volksarmee (EPR; eine bewaffnete Gruppe, die aus der vor vier Jahrzehnten aufgekommenen Guerilla im Süden Mexikos entstanden ist) ruft mehrere mexikanische Persönlichkeiten auf, eine Vermittlungskommission zu bilden. Diese soll einen Dialog zwischen der mexikanischen Regierung und der EPR ermöglichen, um zwei ihrer Mitglieder lebend wieder zu finden, die seit Mai 2007 verschwunden sind. Die Regierung willigt schließlich ein, sich im Mai mit der Vermittlungskommission zu treffen.
27. April: Mindestens 500 Polizisten dringen gewaltsam in die Gemeinde Cruztón, Landkreis Venustiano Carranza in Chiapas ein.
22. Mai: Ungefähr 100 Soldaten der mexikanischen Armee dringen in die Gemeinden Laguna Verde, 28 de Junio, Guadalupe la Cuchilla und San José la Grandeza ein. Diese sind Teil der Bauernorganisation Emiliano Zapata – Region Venustiano Carranza (OCEZ-RC).
Anfang Mai: Amérigo Incalcaterra, Vertreter des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte in Mexiko tritt, vermutlich aufgrund des Drucks von Seiten der mexikanischen Regierung, von seinem Amt zurück. Verschiedene mexikanische Menschenrechtsorganisationen bitten die Regierung um Aufklärung dieses Sachverhalts, bekommen jedoch keine Antwort.
28. Mai: Amnesty International klagt an, dass Felipe Calderón in den 18 Monaten seiner Amtszeit „noch kein Engagement gezeigt hat, um den Schutz der Menschenrechte zu verbessern“, was „besorgniserregend“ sei.
Ende Mai: Die zivile Organisation Las Abejas klagt an, dass der für den Fall Acteal zuständige Staatsanwalt, Noé Maza Albores, ihrer Führung mit Gefängnis gedroht hat, wenn sie ihre öffentlichen Anklagen nicht beenden, die an jedem 22. des Monats im Gedenken an das Massaker von 45 Indigenas am 22. Dezember 1997 stattfinden.
2. Juni: Die beiden zapatistischen Gefangenen Ángel Concepción Pérez Gutiérrez und Francisco Pérez Vázquez werden aus der staatlichen Justizvollzugsanstalt (CERSS) Nr. 14 in Yajalon, Chiapas, entlassen.
4. Juni: Militär und Polizei dringen in die umliegenden Gemeinden des zapatistischen Caracols La Garrucha sowie in die Gemeinden der Unterstützungsbasen der EZLN, Hermenegildo Galeana und San Alejandro ein.
26. Juni: Der Senat der USA bewilligt die erste Etappe der Initiative Mérida. Die Endversion beinhaltet 400 Millionen Dollar für Mexiko im Jahr 2008 für Schulungen im Kampf gegen den Drogenhandel, zur Unterstützung der Justizreform und zur Aufrüstung.
28. Juni: In Villahermosa, Tabasco, endet der Zehnte Gipfel der Staats- und Regierungschefs des Mecanismo de Diálogo y Concertación de Tuxtla. Die anwesenden RegierungsvertreterInnen ratifizieren die Ziele des Plans Puebla Panamá, der zum Plan Mesoamérica umbenannt wurde. Die Abschlusserklärung verweist wiederholt auf den Kampf gegen die organisierte Kriminalität und die Zustimmung zu der von den USA finanzierten Initiative Mérida.
23. Juli: Polizisten der Staatspolizei greifen Bauern der Gemeinde Cruztón, Landkreis Venustiano Carranza, sowie BeobachterInnen der Anderen Kampagne an.
24. Juli: 7 Häftlinge der Gefangenenorganisationen Die Stimme von El Amate und Die Stimme von Los Llanos werden von der chiapanekischen Regierung freigelassen, nachdem ihre Unschuld bewiesen wurde.
27. Juli: Der Nationale Demokratische Kongress (CND) und die FAP führen eine öffentliche Volksbefragung über die Energiereform in 9 Bundesstaaten sowie in der Hauptstadt durch. Daran beteiligen sich mehr als eineinhalb Millionen Personen, von denen sich etwas mehr als 80% gegen die von der Exekutiven vorgestellte Initiative aussprechen.
Ende Juli: Ungefähr 300 Aktivisten, überwiegend aus Europa, kommen nach Chiapas, um das, was sie als Teil eines Kriegsszenariums bezeichnen, zu beobachten und anzuklagen.
21. August: Die Bundesregierung präsentiert das Nationale Abkommen für Sicherheit, Legalität und Justiz, das mit einem 75 Punkte-Programm polizeiliche Einrichtungen und die Justiz säubern und stärken will.
29. August: Im mexikanischen Bundesanzeiger (Diario Oficial de la Federación) wird das neue Nationale Menschenrechtsprogramm 2008-2012 veröffentlicht. Zivile Organisationen bezeichnen es als „ein Katalog der guten Absichten“.
September: Als Teil der periodischen Überprüfung der Menschenrechte (EPU), welcher sich alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen unterziehen, präsentieren hundert mexikanische NROs einen Sonderbericht, in dem sie anklagen, dass „Mexiko […] seine internationalen Verpflichtungen nicht erfüllt [hat], denn die Folterungen, das gewaltsame Verschwinden von Personen, die außergerichtlichen Hinrichtungen, die Einschränkung der Meinungsfreiheit sowie die Straflosigkeit gehen weiter“. Der mexikanische Staat wird Ende November seinen eigenen Bericht vorstellen.
15. September: Im Rahmen der Feiern zum Unabhängigkeitstag ereignen sich zwei Explosionen in Morelia, Michoacán, mit 7 Toten und 132 Verletzten. Damit verstärkt und verbreitet sich das allgemeine Gefühl der Unsicherheit.
16. September: Die EZLN ruft zum Beginn einer neuen Mobilisierungskampagne für die Freilassung von 13 Personen auf, die noch immer aufgrund der Ereignisse in San Salvador Atenco im Mai 2006 im Gefängnis sitzen. Sie wurden jeweils zu mehr als 30 Jahren bzw. im Fall der Anführer der Volksfront zur Verteidigung des Landes, zu 112 Jahren Haft verurteilt.
Oktober: Beginn der „Operation Säuberung“, welche das Eindringen der Drogenhändler bis in die höchsten Ebenen der Regierung belegt.
3. Oktober: Eine gewaltsame Operation von Staats- und Bundespolizisten fordert sechs Tote (laut Zeugenaussagen der EinwohnerInnen vier von ihnen hingerichtet), 17 Verletzte und 36 Verhaftete. Fast alle kommen aus dem Ejido Miguel Hidalgo, Landkreis Trinitaria, Chiapas. Am 7. September hatten die BewohnerInnen die gegenüber ihrer Gemeinde liegenden Maya-Ruinen von Chincultik mit dem Ziel besetzt, die Verwaltung dieser archäologischen Stätte selbst zu übernehmen. Angesichts der Antwort der Regierung von Chiapas nach diesen Ereignissen erklärt die Internationale Zivile Beobachterkommission für Menschenrechte (CCIODH), dies sei ein Beispiel für die Regierungspolitik, soziale Proteste zu kriminalisieren. Der Staat überträgt die Verantwortung für die Verhandlungen und die politische Lösung auf die Konflikte und versucht, sich durch Entschädigungszahlungen seiner institutionellen Verantwortung zu entziehen.
13. Oktober: Mexiko konkretisiert eine strategische Partnerschaft mit der Europäischen Union, welche die gemeinsame Arbeit in Themengebieten wie Klimawandel, organisierte Kriminalität, Armutsbekämpfung, Menschenrechte und Migration ermöglichen soll.
15. Oktober: Marcelino Díaz González, Mitglied der Gefangenenorganisation „Die Stimme von El Amate“ (Teil der Anderen Kampagne) wird freigelassen.
23. Oktober: Nach 8-monatiger Verhandlung wird eine Energiereform vom mexikanischen Parlament verabschiedet.
29. Oktober: Der Rat der Guten Regierung (JBG) von Oventik beklagt eine Reihe von Angriffen gegen Mitglieder des autonomen zapatistischen Landkreiss San Pedro Polho.
4. November: Innenminister Juan Camilo Mouriño und der ehemalige Leiter der Unterstaatsanwaltschaft für Ermittlungen im Bereich des organisierten Verbrechens (SIEDO), José Luis Vasconcelos, kommen bei einem Flugzeugabsturz in Mexiko-Stadt ums Leben. Mit ihnen sterben zwei der Hauptverantwortlichen der Bundesregierung im Kampf gegen den Drogenhandel. Auch wenn die offizielle Version keinerlei Beweise für ein Attentat bestätigt, hält sich in der Öffentlichkeit jedoch bis heute hartnäckig der Verdacht eines Sabotageakts.
12. November: Die Häuser von zwei Mitgliedern der Nationalen Kampffront für den Sozialismus (FNLS) werden mit richterlicher Genehmigung durchsucht.
13. November: Das Lateinamerikanische Treffen für Wahrheit und Gerechtigkeit findet in der Gemeinde Acteal, Landkreis Chenalhó, statt.
22. November: Las Abejas verbreiten eine Meldung, in der sie neue Versuche anklagen, die Bevölkerung von Chenalho durch Projekte zu spalten oder zu kooptieren.
Ende November: Das Bundesparlament bewilligt einen Etat für den Bereich Sicherheit, welcher 35 % über dem des Vorjahres liegt, fast doppelt so hoch wie die vorgesehenen Ausgaben für soziale Entwicklung im Jahr 2009.
Letzte Dezemberwoche 2008 und Anfang Januar 2009: Beginn des Ersten Festivals der Würdigen Wut, einberufen von der EZLN, gefeiert in Mexiko-Stadt und in Chiapas.