SU 4 – Gesundheitsversorgung
06/02/2012SU 6 – Natürliche Ressourcen
06/02/2012SU 5 – Land
Das Land: Gegensätzliche Vorstellungen
Die mit Land und Boden verbundenen Vorstellungen sind bei der indigenen Bevölkerung unterschiedlich von denen der mestizischen. Die indigenen Gemeinden betrachten es als etwas ganzheitliches („Mutter Erde“), heilig und kollektiv, etwas, das nicht verkauft werden kann. In Mexiko sind vor allem so genannte Ejidos und Tierras comunales als kollektive Form des Landbesitzes verbreitet:
- Ejidos: Jedes Mitglied eines Ejidos bekommt ein Stück Land zugesprochen. Alle Entscheidungen, die das gesamte Land des Ejidos betreffen, können nur in Versammlungen aller Ejidatarios getroffen werden.
- Tierras comunales: Das Land gehört allen Angehörigen einer Gemeinde. Folglich werden alle daraus hervorgebrachten Güter unter allen aufgeteilt.
In Guerrero befinden sich 56.9% der gesamten Fläche des bewirtschafteten Landes unter folgender Verwaltung:
- 1.514.459 Hektar sind Ejido-Ländereien (44,6%).
- 417.445 Hektar sind Gemeindeländereien (12,3%).
Quelle : INEGI 2007
Die Vision der indigenen Bevölkerung vom Land kollidiert ebenfalls mit der merkantilistischen Vision: das Land wurde durch das aktuelle Wirtschaftssystem einzig auf seine materielle Dimension reduziert und unter dem Schutz des Gesetzes zerstückelt. Das Konzept des Privateigentums entstand und daraus folgten viele landwirtschaftliche Probleme.
Quelle: Agenda Estatal para el Desarrollo y la Autonomía de los Pueblos Indígenas de Guerrero, Tlachinollan A.C.; Mai 2005
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Gesetzgebung über das Land: Zerstückelung und Privatisierung
Der Gemeinschaftsbesitz des Landes wurde in verschiedenen Momenten der mexikanischen Geschichte angegriffen. Am Ende des Unabhängigkeitskrieges (1856) verboten die Enteignungsgesetze den Gemeinschaftsbesitz, ordneten die Verteilung des Gemeinschaftslandes an und es wurde die Ausstellung von Privateigentumstiteln erlaubt. So kam es, dass in den Regionen Costa Chica und Montaña die Großgrundbesitzer die besten Landstücke aufkauften und sich Besitztitel aneigneten, indem sie diese den lokalen Kaziken abkauften, ohne die Gemeinden zu berücksichtigen.
Auch wenn es die indigenen Völker schafften, Teile ihres Landes nach der mexikanischen Revolution zurückzugewinnen, erlaubte die Verfassungsreform des Artikels 27 im Jahr 1992 erneut die Privatisierung des Landes. Aus dieser Reform entstanden das Programm zur Zertifizierung von Ejidorechten (PROCEDE) und das Programm zur Zertifizierung von Gemeinschaftsrechten (PROCECOM).
Viele Organisationen haben PROCEDE und PROCECOM für die Spaltungen in den Gemeinden und Ejidos verantwortlich gemacht, zumal diese den Verkauf gemeinschaftlichen Landbesitzes und damit dessen Konzentration in privater Hand begünstigen. So bekommen z.B. die BewohnerInnen von Ejidos Kredite, wenn sie sich am PROCEDE beteiligen. Dabei müssen sie jedoch ihre Landtitel als Bürgschaft hinterlassen, die sie verlieren, sofern sie den Kredit nicht abbezahlen können. Zudem müssen sie Grundstücksteuer sowohl für ihr Ackerland als auch das Grundstück ihres Hauses bezahlen, wenn sie das PROCEDE annehmen. Deshalb betrachten viele das Programm als neoliberales Werkzeug, das sich gegen die Kleinbauern richtet, weil es zur Privatisierung der Ländereien führt.
Quelle: YORAIL MAYA 4, Juni 2002.
Ein weiterer Kritikpunkt war die Form, in der das Programm „vorgeschlagen“ wurde. 1993, als es eingeführt wurde, war die Beteiligung daran freiwillig. Es wurden Beschwerden bekannt, dass die Staatsanwaltschaft für Agrarangelegenheiten versuchte, das PROCEDE durch Druck und Erpressung der Gemeindevorsteher in allen Ejidos und Tierras comunales durchzuführen, in der Form, dass die Gemeindevorsteher die Aufgabe übernehmen sollten, in ihren Dörfern über das Programm zu informieren und die Leute von dessen Vorteilen zu überzeugen. Damit schien es, als hätten die Bauern selbst in freien Stücken entschieden, das Land zu privatisieren und die entsprechenden Konsequenzen auf sich genommen. Verschiedentlich wurde die Annahme des Programms zur Bedingung dafür gemacht, an weiteren Programmen zur Unterstützung der ländlichen Bevölkerung, wie z.B. PROCAMPO, teilnehmen zu können.
Quellen: Agenda Estatal para el Desarrollo y la Autonomía de los Pueblos Indígenas de Guerrero, Tlachinollan A.C., Mai 2005; Foro Estatal „Nuestra Palabra hecha camino“, Tlachinollan, 3 y 4 de junio de 2005.
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Agrarkonflikte
Anfang 2010 verkündete Roxana Mora Patino vom Landwirtschaftssekretariat der Regierung, dass in Guerrero 50 Agrarkonflikte bestehen. 20 von diesen Fällen werden als „Brennpunkte“ betrachtet, d.h. als Konfliktherde mit einem hohen Risiko, dass sie in bewaffnete Konflikte ausarten. Die Rate an Toten, Verletzten und Gefangenen aufgrund von Agrarkonflikten ist bereits sehr hoch in Guerrero.
Die Agrarkonflikte entstehen:
- aufgrund von Mangel an Land.;
- infolge juristischer Ambivalenzen und Gesetzeslücken im Bereich der Landrechte und Landtitel seit Jahrzehnten, teilweise Jahrhunderten existieren.;
- weil sich Landtitel überschneiden, was Folge von den Agrarbehörden veränderter Dokumente ist.;
- aufgrund von Unstimmigkeiten über die Gebietsgrenzen;
- durch Aufkaufen und illegales Besetzen von Weiden und Wäldern durch Holzfäller und Viehzüchter, welche den Schutz und die Unterstützung der Behörden genießen.;
- weil die Behörden unangemessen oder nicht rechtzeitig reagieren, um diese Konflikte zu lösen.
Als Folge der Agrarkonflikte, vor allem der lang andauernden, betont das Menschenrechtszentrum Tlachinollan in seinem Bericht XVI „Kämpfen, um die Gerechtigkeit ans Licht zu bringen“ (2011): „Es gibt Agrarkonflikte, die mittlerweile zwei bis sechs Jahre andauern, was zu Zermürbung in der Gemeinde führt und die organisatorischen Fähigkeiten der Bevölkerung mindert. Anstatt sich mit Themen bezüglich der Weiterentwicklung ihrer Dörfer zu beschäftigen oder sich um die Verteidigung ihres Territoriums gegenüber den Bedrohungen des Bergbaus zu kümmern, müssen BeraterInnen, Reisen oder von der Regierung angeordnete Umsiedlungen bezahlt werden. Alle Energie und alle Fähigkeiten, die diese Dörfer besitzen, fallen dem Agrarkonflikt zum Opfer und versagen bei dem Versuch diesen zu lösen.“
Zu den „Brennpunkten“ wird beispielsweise der Landkreis Zirándaro, in dem Gebiet der Tierra Caliente gezählt, in dem sich die Gemeinden San Pedro und Garzas mit der Gemeinde Puerto Grande um ein 2 500 Hektar großes Landstück streiten. Des Weiteren fanden Konfrontationen im Grenzgebiet von Oaxaca und Guerrero (Costa Chica) statt, bei denen BewoherInnen aus Jicaral de Tovar (Oaxaca) und aus Jicayán (Guerrero) um Landbesitz streiten. Ein weiterer Konflikt besteht in Marquelia, dort handelt es sich um Streitigkeiten zwischen drei Gruppen um 300 Hektar Land.