FOKUS: Die vierte …militärische?… Transformation
21/12/2020Aktivitäten von SIPAZ (von Mitte August bis Mitte November 2020)
21/12/2020„Die indigene Theologie ist eine permanente Begegnung gewesen, die tiefe Wurzel der Völker zu berühren, zu entdecken, dass wir mit dem Volk gehen. Es ist das tiefste der Völker zu berühren. Die indigene Theologie ist die Präsenz der Völker. Die indigene Theologie leistet Widerstand, ist Weg, spricht Gebete, die Zuruf sind, ist Saat: ich säe mich in der Erde, im Wasser, auf der Anhöhe, in den Bergen… das Gebet ist zutiefst verwandelnd.“
I m ersten Monat des nächsten Jahres jährt sich der Todestag des Bischofs Samuel Ruiz García (1924-1911) zum zehnten Mal. Er war anerkannter Verteidiger der Rechte der indigenen Völker Mexikos und Lateinamerikas. Außerdem ist er als j’Tatik Samuel bekannt (was Vater in Tzeltal bedeutet), er ist- wahrscheinlich- der Bischof, der das, was häufig indigene Theologie genannt wird, am meisten gefördert hat.
Die indigene Theologie ist eine Strömung der Theologie, die interreligiöse und ökumenische Ausdrücke hat. Sie charakterisiert sich dadurch, dass sie die Gedanken und den Glauben der tausendjährigen Religionen der indigenen Völker wiederherstellt und anerkennt.
Pedro Gutiérrez Jiménez, Petul, Maya- Tzeltal, des Instituts für interkulturelle Studien und Forschung (Inesin) in Chiapas erklärt, dass wir alle eine spirituelle Erfahrung haben, welche sich in der gesamten Menschheitsgeschichte widerspiegelt: seit der Zeit der Nomaden bis zu den sesshaften Zivilisationen, kann die Gegenwärtigkeit einer Spiritualität beobachtet werden, auch wenn unterschiedliche Namen verwendet werden und auf verschiedene Rituale und Bilder zurückgegriffen wird. Im Fall von Chiapas versucht die indigene Theologie, den Glauben der Maya-Völker mit dem christlichen Glauben zu verbinden, insbesondere mit dem katholischen Glauben.
Der Glauben der Maya und die Spiritualität der ursprünglichen Völker beschäftigen sich mit einer Vielzahl von Themen wie der Liebe und dem Respekt gegenüber Mutter Erde, die Suche nach menschlicher und sozialer Harmonie, Gerechtigkeit durch gemeinschaftliche Übereinkünfte und die Suche nach Alternativen für des lekil kuxlejal (das gute Leben). Die indigene Spiritualität manifestiert sich auf unterschiedliche Arten: Rituale und Zeremonien mit Kerzen, Kräuter und Weihrauch, zum Beispiel in Höllen und Quellen; den Gebrauch indigener Sprachen und Tänze; das Gebet an indigenen Altären, die „das Alles“ symbolisieren: die Zeit und den Raum, die Menschheit und die Spiritualität, den Himmel und die Erden, das Leben und den Tod, den Norden und den Süden… Die indigene Theologie erkennt die befreiende Kraft und den spirituellen Reichtum der ursprünglichen Völker, die zuvor von der Kirche verteufelt wurden. Um jetzt das Nachdenken darüber zu ermöglichen, stellt sie die alten heiligen Texte wieder her, wie beispielsweise das Popol Vuh.
Schon vor der Eroberung Mexikos vor 500 Jahren, hatten die ursprünglichen Völker ihre Spiritualität (und haben diese aufrechterhalten). Dazu gehört der Glaube, dass jede Spiritualität in ihre eigenen Altäre integriert werden kann, solange sie mit der Absicht der Bereicherung kommt, was im Gegensatz zur Zerstörung der Eroberer steht, die für viele Jahre die Spiritualität und das Wissen der indigenen Völker zerstören und die westliche Kultur durchsetzen wollten.
Im Laufe der Jahre haben Kirchenmitglieder und Laien die befreiende Kraft der tausendjährigen Kulturen und die Zukunftsalternativen, die in ihrer Lebens- und Gotteserfahrung liegen, erkannt. Die indigene Theologie ermutigt die Völker in ihrer störrischen Hoffnung auf „eine andere mögliche Welt“.
Nach und nach öffneten sich die Türen der lateinamerikanischen Theologie der Diversität auf dem Kontinent. Parallel dazu kamen Sorgen über die wirtschaftliche, politische und soziale Marginalisierung auf, die die indigenen Völker überlebten, zusätzlich zu der drohenden Enteignung und Auslöschung durch die fortschreitenden großen Projekte der kapitalistischen Welt in ihren Territorien. In diesem Rahmen entstand die Pastorale der Indigenen, der indigenen Theologie und der einheimischen Kirchen, deren Entstehung mit indigenen Kämpfen für ihre kollektiven Rechte, ihre freie Selbstbestimmung, ihre Autonomie und ihre Selbstverwaltung koinzidiert.
Im Februar 1991, etwa 20 Jahre nachdem zahlreiche Bischöfe, zu denen auch J’Tatik Samuel gehörte, die Notwendigkeit eines Dialogs zwischen der christlichen Spiritualität und der der ursprünglichen Völker sahen, fand das erste kontinentale Treffen der indigenen Theologie- der doppelten Spiritualität- in Chiapas statt. Mit der Zeit wurden der Argwohn und die Vorurteile überwunden, die die Inkulturation und Aneignung der katholischen Kirche anfangs erschwert hatten. Es ist wichtig zu betonen, dass diese Fortschritte der indigenen Theologie Früchte kollektiven Handelns indigener Pfarrgemeinden, einheimischer Anführer und der Sache der Indigenen nahestehender Kirchendiener waren.
Bevor er ging, organisierte Samuel Ruiz García einen weitreichenden Prozess der Erarbeitung einer dritten Synode der Diözese, was die indigene Theologie zu einer der „sechs Pfeiler“ ebendieser machte. In diesem Text ratifizierte die Kirche ihre Verpflichtung sich weiterhin als eine „einheimische, befreiende, evangelisierende, dienende Kirche in Kommunion mit Gott und unter Führung des Heiligen Geistes“ zu verfestigen.
In Chiapas, 20 Jahre nachdem J’Tatik Samuel seinen Dienst als Bischof beendete, setzt die Diözese ihr Engagement in diesem Bereich fort, indem sie einen Dialog zwischen gegenwärtigen Evangelisierungsprozessen und dem Wissen der ursprünglichen Völker herstellt.
Die Arbeit ausgehend von der indigenen Theologie wurde auch vom Papst Franziskus anerkannt, als er 2016 Mexiko und Chiapas besuchte. In San Cristóbal de las Casas präsentierte er ein Dekret, dass die Nutzung der indigenen Sprachen in Messen und bei anderen Feiern autorisiert, eine symbolische, aber überaus relevante Geste.
„Zu akzeptieren, Teil dieser Diözese zu sein, bedeutet die indigene Theologie zu akzeptieren. Die indigene Theologie ist ein Schatz der Diözese und der Kirche, sie ist keine Aufbürdung. Sie muss in unseren Herzen sein, lernend und teilend“, erkannte der aktuelle Bischof Don Rodrigo Aguilar an.