Aktivitäten von SIPAZ (Mitte November 2022 bis Mitte Februar 2023)
03/05/2023FOKUS: Megaprojekte im Südostens Mexikos; Widerstand der indigenen Gemeinden zur Verteidigung von Territorien und dem Leben
11/07/2023
I m März diesen Jahres, veröffentlichte Amnesty International seinen jährlichen Artikel, in welchem die Menschenrechtskrise in Mexiko erörtert wird und unterstreicht das Fehlen von Maßnahmen der Regierung zur Lösung dieses Problems.
Der Artikel informierte, dass in 2022, die Nationale Menschenrechtskommission (CNDH) 476 Beschwerden gegen die Nationalgarde (GN) erhielt und 404 gegen das Ministerium für Nationale Verteidigung (Sedena) wegen Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Tötungen, gewaltsamem Verschwindenlassen und willkürlichen Inhaftierungen. Er betonte, dass weiterhin ein übermäßiger Einsatz öffentlicher Gewalt zu beobachten sei. Darüber hinaus wies er darauf hin, dass die Nationalgarde im vergangenen Jahr 227 Gebiete besetzt hat, die normalerweise unter die Zuständigkeit ziviler Behörden fallen, von denen 148 (65,1 %) nichts mit der öffentlichen Sicherheit zu tun hatten.
Um diesen Trend zu bremsen, hat der Oberste Gerichtshof der Nation (SCJN) im April die operative und administrative Übertragung der Nationalgarde (GN) auf das Sekretariat für Nationale Verteidigung (Sedena) für verfassungswidrig erklärt, da die GN damit ihren zivilen polizeilichen Befehlscharakter verlieren würde. Diese Übertragung war vom Kongress im September 2022 genehmigt worden. Der SCJN entschied außerdem, dass die Exekutive bis zum 1. Januar 2024 Zeit hat, die Garde wieder dem Sekretariat für Sicherheit und Bürgerschutz zu unterstellen. Seit dieser Entscheidung hat Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO) die Minister des Obersten Gerichtshofs scharf angegriffen. Er teilte mit, dass er im September 2024 einen Vorschlag für eine Verfassungsreform vorlegen werde, die es ermöglichen würde, die GN dem Militär zu unterstellen.
Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte in Mexiko, Volker Türk, forderte seinerseits die Behörden auf, dem Urteil des Obersten Gerichtshofs nachzukommen. Er wies erneut darauf hin, wie wichtig es sei, den zivilen Charakter der GN „im Einklang mit der mexikanischen Verfassung und den internationalen Menschenrechtsstandards“ zu gewährleisten. Dies bedeutet, dass „die Streitkräfte nur in Ausnahmefällen, in Unterordnung unter die zivilen Behörden und stets unter der wirksamen Aufsicht unabhängiger ziviler Stellen“ eingesetzt werden sollten.
Einer der neuen Bereiche, in welchem das mexikanische Militär eine große Präsenz aufweist ist der Bau, die Abschirmung und die Nutzung von Megaprojekten, die von der Bundesregierung gefördert werden, indem sie Äußerungen von Nichtkonformität gegenüber diesen Projekten unterbindet.
Im März fand jedoch auf der Halbinsel Yucatan eine Anhörung des Internationalen Gerichtshofs für die Rechte der Natur statt, bei der es „um den falsch betitelten Maya-Zug ging, ein Megaprojekt für den Schienenverkehr, das die Ökosysteme und Gemeinden der Maya ernsthaft gefährdet“. Betroffene Gemeinden und Expert*innen verwiesen unter anderem auf die Rodung von ungefähr 9 Millionen Bäumen, das Wachstum der Agrarindustrie, die direkten Auswirkungen auf das Wasser des Ökosystems der Halbinsel, die Verletzung der Escazú- Vereinbarungen bezüglich zum Umweltschutz und die Privatisierung und Teilung der Gemeindeterritorien. „Wir fordern die sofortige Entmilitarisierung der Gebiete, wir richten einen dringenden Appell an den Staat, an alle Menschenrechtsorganisationen in Mexiko und an regionale und internationale Organisationen (…) um das Leben all derer zu gewähren die den Maya-Zug und die damit verknüpften Projekte anzweifeln“, so das Gericht, das angesichts der Warnung vor Ökozid und Ethnozid die sofortige Einstellung des Maya-Zugs forderte.
Was die Bergbauunternehmen betrifft, so wurden im Mai im Amtsblatt der Föderation (Diario Oficial de la Federación) Reformen des Bergbaugesetzes, des nationalen Wassergesetzes, des Gesetzes über das ökologische Gleichgewicht und des Umweltschutzgesetzes veröffentlicht. Darin wird festgelegt, dass Konzessionen von nun an maximal 80 Jahre gültig sein werden (statt der 100 Jahre des reformierten Gesetzes). Im Rahmen der erzielten Fortschritte wird die Erteilung von Bergbaukonzessionen in Naturschutzgebieten, in denen die Bevölkerung gefährdet ist, und in Gebieten ohne Wasserverfügbarkeit verboten. Außerdem wurde die Bevorzugung des Bergbaus gegenüber anderen Landnutzungen abgeschafft. Das mexikanische Netzwerk der vom Bergbau betroffenen Menschen (REMA) stellte die verabschiedeten Gesetze jedoch in Frage, da es ihrer Ansicht nach nicht nur darum ging, „die rechtlichen Bedingungen anzupassen, um den Bergbau zu einem ‚besser geführten‘ oder ‚gerechteren‘ Geschäft zu machen“. Es betonte, dass „jede Reform des Bergbaugesetzes, die nicht das Verbot und die geplante Schließung dieser schädlichen Tätigkeit im Lande vorschlägt (…) eine Simulation ist, die nur die Ausweitung des Bergbaumodells weiter legitimieren und fördern wird„.
Verschlechterung der Sicherheitslage für Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen hält an
Im März veröffentlichte Artikel 19 seinen jährlichen Bericht „Stimmen gegen die Ungleichheit“. Es wurde festgehalten, dass „die Regierung in den letzten vier Jahren , sich selbst als „Veränderer“ bezeichnete, aber das Panorama der freien Meinungsäußerung eine deutliche Verschlechterung erfahren hat“. Im Jahr 2022, registrierte die Organisation „696 Angriffe gegen die Presse (…)- Die 12 Morde, die im vergangenen Jahr verzeichnet wurden, besiegelten auch das tödlichste Jahr für die Presse zusammen mit dem Jahr 2017.“ 42,53% der Angriffe wurden durch Behörden verübt. Außerdem, dokumentierte Artikel 19, dass „die Exekutive bei mindestens 176 Gelegenheiten stigmatisierende Kommentare gegenüber den Medien, Journalist*innen und sogar Organisationen der Zivilgesellschaft abgab“. Der Bericht äußert auch „Bedenken hinsichtlich der Militarisierung des Landes und der Undurchsichtigkeit der Streitkräfte, insbesondere im Hinblick auf Spionage als Instrument der Einschüchterung und Drohungen gegen Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen“. Die Straflosigkeit ist ein weiterer Bereich, der Anlass zur Sorge gibt: „Von 2010 (…) bis Dezember 2022 wurden von insgesamt 1592 Ermittlungen wegen Verbrechen gegen Journalist*innen nur 32 Urteile verhängt“.
Im April veröffentlichte, Front Line Defenders ihren Bericht von dem Jahr 2022, welcher 45 Morde von Menschenrechtsverteidiger*innen in Mexiko aufweist. Im selben Monat, gab das mexikanische Zentrum der Umweltrechte (Cemda) zur Kenntnis, dass im letzten Jahr mindestens 24 Umweltrechtsverteidiger*innen ermordet wurden. Mit diesen tragischen Ereignissen sind seit Beginn der Regierung von Präsident AMLO insgesamt 82 Umweltschützer*innen getötet worden. Von den 582 dokumentierten Angriffen richteten sich 56 % gegen Angehörige indigener Gemeinden und ähnlicher Gemeinschaften. Guerrero, gefolgt von Chihuahua und Oaxaca, waren die Bundesstaaten mit den meisten tödlichen Angriffen. 45% Prozent der Angriffe wurden von Behörden verübt. Auf das organisierte Verbrechen entfielen 13 % der Fälle, während in 21 % der Fälle die Täter unbekannt sind.
Migration: eine weitere „Tragödie“
Im März wurde in den Gebäuden des Nationalen Instituts für Migration (INM) in Cuidad Juárez ein Feuer gelegt, eine Stadt an der Grenze zu den Vereinigten Staaten. Das Feuer hinterließ 40 Tote. AMLO sagte, dass die Migrant*innen, die zuvor wegen angeblicher öffentlicher Ausschreitungen festgenommen worden waren, beschlossen hätten, aus Protest Matten zu verbrennen, als sie dachten, sie würden abgeschoben werden. UN-Generalsekretär António Guterres forderte eine gründliche Untersuchung, während das US-Außenministerium warnte, dass „diese Tragödie eine herzzerreißende Erinnerung an die Risiken ist, denen Migrant*innen und Geflüchtete auf der ganzen Welt ausgesetzt sind“. Refugees International erklärte, dass „das Nationale Institut für Migration [INM] eine lange Geschichte der Misshandlung von Migrant*innen in Mexiko hat, und eine größere Rechenschaftspflicht für diese Misshandlungen hätte diese Tragödie verhindern können“.
Im April, demonstrierten ungefähr viertausend Migrant*innen aus Zentral-, Südamerika und anderen Ländern auf einem „Kreuzweg“, um „den Leidensweg der Migranten in Mexiko sichtbar zu machen“. Zu den Forderungen der Wallfahrt, zählten die Entmilitarisierung des INM, die Verurteilung der Schuldigen am gewaltsamen Tod von 40 Migrant*innen in Ciudad Juárez und des INM-Kommissars Francisco Garduño sowie die Schließung der „Migrant*innengefängnisse“.
Die Suche nach Alternativen in Mitten des Unglücks
Trotz der düsteren Aussicht, versuchen verschiedene Sektoren weiterhin Alternativen aufzubauen. Im März fand die nationale Friedenskonferenz statt, welche durch 206 Organisationen, Kollektive und Universitäten einberufen wurde, bei welcher die Teilnehmer*innen ihre Sorgen und Vorschläge im Hinblick auf den Gewaltkontext teilten. „Dies ist die dringende Aufgabe eines von Gewalt geplagten Landes: die Isolation zu durchbrechen und diejenigen zu vereinen, die unter der Gewalt leiden und ihr trotz allem Widerstand leisten. Das ist kein Wahlkampfprogramm und kann es auch nicht sein. Es ist eine Aufgabe für Gruppen und Organisationen, die vielleicht, hoffentlich, beginnen werden, sich gegenseitig anzuerkennen und zu umarmen“, erklärte Mauricio Merino, Leiter von Nosotrxs und einer der Hauptinitiatoren dieser Initiative.
Während der Monate April und Mai, initiierten verschiedene Organisationen der indigenen Gemeinden, von denen die Mehrheit ebenfalls Teil des Nationalen Kongress für Indigene (CNI) ist, eine nationale und internationale Karawane „El Sur resiste“ in Pijijapan, in Chiapas, um sich in den von ihnen verteidigten Gebieten zu treffen und ihre Kämpfe zu vereinen. Nach Oaxaca ging es weiter durch Veracruz, Tabasco, Yucatán, Quintana Roo und Campeche. Die Reise endete in San Cristóbal de las Casas, Chiapas, wo ein internationales Treffen mit Vertreter*innenn anderer indigener Gemeinschaften aus Mexiko und dem Kontinent stattfand (siehe Fokus).
Im April riefen die mexikanische Bischofskonferenz (CEM), die Gesellschaft Jesu in Mexiko und die Konferenz der Höheren Ordensoberen in Mexiko (CIRM) zu einem Nationalen Dialog für den Frieden auf, der im September in Puebla stattfinden soll, um eine nationale Friedensagenda zu erarbeiten. Sie erklärten, dass „es an der Zeit ist, Fachleute zusammenzurufen, die besten lokalen Praktiken kennenzulernen, den Opfern, der indigenen Bevölkerung und den Migrant*innen zuzuhören und diejenigen zu berücksichtigen, denen es gelungen ist, die Kriminalitätsrate in den Gebieten niedrig zu halten: die Kirchen„.
CHIAPAS: Beschwerden häufen sich, da die Gewalt in allen Bereichen zunimmt
Im April, teilten die Bischöfe aus der Diözese aus San Cristobál de Las Casas ihre „Besorgnis über den sozialen Zusammenbruch, der durch die weit verbreitete Gewalt zunimmt“ mit. Als besorgniserregende Punkte nannten sie „den Streit um das Territorium, der dem sozialen Gefüge von Tag zu Tag mehr schadet, die exzessive Ausbeutung der natürlichen Ressourcen (Wiederaufnahme des Bergbaus; illegaler Verkauf von Holz, Steinmaterial, Benzin usw.), die Manipulation und Ausplünderung der Würde unserer Völker, die psychologische Kriegsführung, den Frauenmord, die Untergrabung der Stärke der Gemeinschaft, die Kriminalisierung der Kämpfe und des friedlichen Widerstands sowie der pastoralen Aktivitäten unserer Diözese“. Die Diözese wies auch auf „die starke Straflosigkeit, die im Staat herrscht, die Zunahme von Unsicherheit und Gewalt durch kriminelle Zellen, das politisch-juristische System, das Menschenrechtsverteidiger*innen kriminalisiert, den fehlenden Zugang zu einer vollwertigen Justiz, die Unterwanderung der Menschen bei gottesdienstlichen Handlungen und bei Versammlungen von Diener*innen Gottes, die Fabrikation von Verbrechen, das mangelnde Interesse der Behörden am Wiederaufbau des sozialen Gefüges“ hin.
Im selben Sinne, teilten ebenfalls Indigenous People Rights International (IPRI) und Front Line Defenders ihre Schlüsse mit, die sie aus ihrer Reise nach Chiapas gegen Ende März, zogen. Sie erklärten, sie hätten „ein klares Muster der Kriminalisierung indigener Aktivist*innen festgestellt, die sich für Umweltrechte, Territorium, Autonomie und Selbstbestimmung einsetzen“. Ebenso beobachteten sie „den Mangel an dauerhaften Lösungen für die Agrar- und Territorialkonflikte in den Gemeinden, was weiterhin ein hohes Risiko für die Verteidiger*innen darstellt und die Zersetzung des sozialen Gefüges fortsetzt (…) dies wurde durch die derzeitige Situation der Landenteignung im Zusammenhang mit der Militarisierung der Region und dem Kampf um die territoriale Kontrolle, beobachtet (…) und durch Gruppen des organisierten Verbrechens noch verschärft“. Andererseits stellten sie mit Besorgnis fest, dass „die Behörden nicht rechtzeitig eingegriffen“ haben, „da sich die bewaffneten Gruppen immer weiter ausbreiten und diversifizieren, was eine komplexe Situation verschlimmert hat, die durch den Paramilitarismus der 1990er Jahre und die anhaltende Straflosigkeit entstanden ist“.
Im Mai präsentierte das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas seinen Bericht „Chiapas, eine Katastrophe. Zwischen krimineller Gewalt und staatlicher Komplizenschaft“. „Wir befinden uns mitten in einem Kontext der Kontinuität allgemeiner Gewalt, von Kriegen, die die Menschheit verletzen. In Chiapas spiegelt sich dies in einer tiefen und bemerkenswerten Interaktion zwischen organisierter Kriminalität, bewaffneten Gruppen und offensichtlichen Verbindungen zu Regierungen und Unternehmen wider. Deren Auswirkungen reproduzieren systematische Menschenrechtsverletzungen in einem Kontext, in dem der Staat (…) angesichts der gegenwärtigen allgemeinen Gewalt und der historisch bedingten Straflosigkeit auf mehreren Ebenen tatenlos zusieht und duldet“, heißt es in dem Bericht.
Auch der Touristenort San Cristóbal de Las Casas bildete in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Im April wies eine Gruppe von etwa 50 vermummten, bewaffneten und uniformierten Männern in einem in den sozialen Netzwerken verbreiteten Video darauf hin, dass San Cristóbal, Chamula und Betania frei sind und dass sie keine Kartelle in dieser Gegend haben wollen. Sie wiesen darauf hin, dass sie bereits Wache halten und dass sie als Selbstverteidigungsgruppen „auf den Frieden aufpassen und ihn bewahren werden“. „Alle Anführer, die sich verkauft haben, sind bereits ausfindig gemacht worden, und wir wissen, wer sie sind. Hört also auf, das organisierte Verbrechen zu unterstützen, oder ihr werdet die Konsequenzen tragen müssen“, sagten sie.
Mitte April wurde Gerónimo Ruiz López ermordet, welcher der Anführer einer der Gruppen des Handwerkermarktes Santo Domingo war, und der zusammen mit seinem Cousin Narcizo Ruiz die Vereinigung der traditionellen Marktverkäufer von San Cristóbal de las Casas (ALMETRACH) leitete, die angeblich mit der als „Motonetos“ bekannten Gruppe in Verbindung steht. Mehr als acht Stunden lang wurden aus verschiedenen Teilen der Stadt Mobilisierungen bewaffneter Personen und Schüsse gemeldet. Es wurde auch von brennenden Häusern, Blockaden in einigen Straßen und der Ermordung von zwei Personen berichtet.
Kurz darauf, protestierten 25 Organisationen der Zivilgesellschaft und Netzwerke in „tiefer Besorgnis“ gegenüber „der sich verschlimmernden Gewalt“ in San Cristobál de Las Casas, welche mit der zunehmenden Präsenz von bewaffneten Gruppen zusammenhängt. Eine Situation, in der „es offensichtlich ist, dass De-facto-Mächte sie durch Terrorakte nutzen, um die Bevölkerung und strategische Gebiete für die legale und illegale Wirtschaft der organisierten Kriminalität zu kontrollieren“. Sie bedauerten, dass der Gemeindepräsident von San Cristóbal de Las Casas nach den Ereignissen „eine diskriminierende Botschaft gegen Indigene und Jugendliche aus der Peripherie, die er für die Gewalt verantwortlich machte, verbreitete und damit Stigmatisierung und Kriminalisierung förderte“. Sie warnten auch davor, dass es „verschiedene Anzeichen für Absprachen, Verharmlosung oder Untätigkeit [seitens der Behörden] gibt, die das Risiko und die Schutzlosigkeit der Opfer und der Gesellschaft im Allgemeinen erhöhen“. Sie forderten den mexikanischen Staat auf, „Alternativen aus der Gesellschaft zu entwickeln, um einen dauerhaften Frieden zu schaffen“.
OAXACA: Der Isthmus, Hauptbrennpunkt
In den letzten Monaten haben Gemeinden, Organisationen und Aktivist*innen die Kriminalisierung und die Drohungen gegen „die indigenen Männer und Frauen des Isthmus von Tehuantepec, die für ihre Rechte kämpfen und sich in der Gegend von Mogoñe Viejo, Gemeinde San Juan Guichicovi, Oaxaca, mobilisiert haben und wiederholt von Teilen des Marineministeriums schikaniert wurden“, im Rahmen ihres Kampfes gegen den Transisthmischen Korridor, die Industrieparks und für die Verteidigung ihres Territoriums angeprangert. Sie äußerten sich insbesondere besorgt über die Sicherheit und Unversehrtheit von Carlos Beas Torres, dem Vorsitzenden der Union der indigenen Gemeinschaften der nördlichen Zone des Isthmus (Ucizoni), der von Journalist*innen als „Verantwortlicher für die Mobilisierungen und für die Verbindung seiner Organisation zum organisierten Verbrechen“ bezeichnet wurde.
Im April wurde der Umweltschützer und Gemeindevertreter der Gemeinde 20 de Noviembre El Morro, Gemeinde San Francisco Ixhuatán, Félix Vicente Cruz, ermordet. Das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UNHCHR) in Mexiko betonte, dass er der zweite Umweltschützer ist, der in San Francisco Ixhuatán ermordet wurde, von dem es Kenntnis hat. Ucizoni hob die von Vicente Cruz geleistete Arbeit zur Verteidigung von Land und Territorium im Isthmus hervor, insbesondere seine Beteiligung an Aktionen gegen hohe Stromtarife und die Ablehnung des Projekts des Transisthmischen Korridors. Ebenso, betonte die Versammlung der indigenen Dörfer des Isthmus in Verteidigung von Land und Territorium, dass „dieser Akt der Gewalt gegen diejenigen von uns, die Land, Territorium und Rechte verteidigen, im Zusammenhang mit der Durchsetzung des Interozeanischen Korridors geschieht, zum Nachteil der Organisationen, die sich gegen die Auferlegung, Enteignung, Plünderung, Verseuchung und den Tod unserer natürlichen Ressourcen und unseres Territoriums wehren, die dieses Projekt für den Isthmus mit sich bringen wird.“
In anderen besorgniserregenden Bereichen prangerte „Consorcio Oaxaca“ im April an, dass „fast fünf Monate nach der Amtsübernahme von Salomón Jara Cruz die Frauenmorde in Oaxaca weiter zunehmen, und das bei völliger Straflosigkeit, institutioneller Gleichgültigkeit und unter dem Schutz der Exekutive des Bundesstaates, die mit ihrem Versäumnis als amtierender Gouverneur eine staatliche Politik fortsetzt, die nicht nur die Frauen vergisst und erneut viktimisiert, sondern auch die geschlechtsspezifische Gewalt vertuscht“. Die Organisation dokumentierte, dass seit dem 1. Dezember bis zum heutigen Tag „mindestens 50 Morde an Frauen registriert wurden“.
Im Mai forderte Consorcio Oaxaca die Regierung des Bundesstaates auf, die Meinungsfreiheit in Oaxaca zu gewährleisten, dem Bundesstaat mit der fünfthöchsten Zahl von Morden an Journalist*innen und der zweithöchsten Zahl von Morden an Menschenrechtsverteidiger*innen. Sie wiesen darauf hin, dass Oaxaca die zweithöchste Zahl von Personen aufweist, die in den föderalen Schutzmechanismus des Landes aufgenommen wurden, nämlich insgesamt 155 Personen: 131 Menschenrechtsverteidiger*innen und 24 Journalist*innen. Die Rolle der Regierung des Bundesstaates Oaxaca hat zu ihrer Stigmatisierung und Verwundbarkeit beigetragen, anstatt ihnen zu helfen. Consorcio verurteilte insbesondere die Tatsache, dass „die staatliche Verwaltung öffentliche Erklärungen abgibt, die die Ausübung des Journalismus untergraben„.
GUERRERO: „Scheitern der Wahrheit“
Im Februar, präsentierte das Menschenrechtszentrum des Berges Tlachinollan seinen Bericht „43: das Scheitern der Wahrheit“, im Bezug auf den Fall der Zwangsentführung der 43 Studierenden der ländlichen Hochschule in Ayotzinapa im Jahr 2014. Der Direktor von Tlachinollan, Abel Barrera, erklärte, dass die Menschenrechtskrise in Guerrero am deutlichsten zu spüren sei: „Bedauerlicherweise scheitert die Wahrheit. In den letzten Monaten hat es eine Richtungsänderung gegeben (…) es fehlt an politischem Willen seitens der Behörden, an Engagement seitens der Generalstaatsanwaltschaft, die Ermittlungen zu vertiefen, und seitens der Eliten der mexikanischen Armee, alle Informationen im Zusammenhang mit dem Verschwinden der 43 zu liefern. Wir sehen, dass es eine Zurückhaltung gibt, es gibt bereits Berichte des Unterstaatssekretärs für Menschenrechte und des GIEI, die mehr Elemente der Verantwortung liefern, die auf die Armee als mutmaßlichen Täter hinweisen (…). Die Türen bleiben jedoch verschlossen“.
Obwohl „das zentrale Thema dieses Buches das gewaltsame Verschwindenlassen in Guerrero ist, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart“, spricht der Bericht auch andere Themen an. An erster Stelle steht die Gewalt, denn „wir sehen eine Ausbreitung der organisierten Verbrecherbanden und eine Schwächung der Sicherheitsinstitutionen, um nicht zu sagen einen Rückzug, der verhindert, dass der Bevölkerung Sicherheit garantiert werden kann. In den sieben Regionen des Staates gibt es mehr als 22 Gruppen des organisierten Verbrechens, die die Macht in Bezug auf Territorium und Präsenz in den Gemeinden an sich reißen.“
Ähnlich wie im Fall Ayotzinapa protestierten im Februar, am Tag der Armee in Mexiko, Angehörige von Opfern des Schmutzigen Krieges vor den Einrichtungen des sechsten Pionierbataillons in Chilpancingo. Ihre Forderungen: dass die mexikanische Luftwaffe die Namen und die Anzahl der Personen veröffentlicht, die bei den Todesflügen im Rahmen der Repression ins Meer geworfen wurden, und dass diejenigen, die diese Aktionen angeordnet haben, die ihrer Meinung nach zum Verschwinden von mehr als 600 Personen geführt haben, bestraft werden. Sie forderten auch die Entlassung des derzeitigen Generalstaatsanwalts der Republik, Alejandro Gertz Manero. Sie erklärten, dass „die Ermittlungen zu den Ereignissen bis heute nicht vorankommen, weil der Verteidigungsminister dies verhindert und die noch lebenden kriminellen Soldaten schützt“.
Als hoffnungstragender Teil, wurde im März ein Angehöriger der mexikanischen Armee zu 20 Jahren Haft verurteilt, weil er vor 21 Jahren Inés Fernández Ortega, eine indigene Frau aus der Gemeinde Ayutla de los Libres, gefoltert, vergewaltigt, beraubt und bestohlen hatte. Im Jahr 2010 verurteilte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte den mexikanischen Staat und verpflichtete ihn, die Verantwortlichen zu bestrafen und volle Wiedergutmachung zu leisten. Ein kleiner Sieg, wenn man bedenkt, dass Inés und ihre Familie während all dieser Jahre Opfer von Drohungen und Repressalien waren, einschließlich der Ermordung ihrer Schwester, ein Fall, der bis heute ungestraft geblieben ist.
Des Weiteren fand im April in San Luis Acatlán eine Versammlung des regionalen Rates der Agrarbehörden der Territorialverteidigung (CRAADET) statt. Sie beschloss, Genehmigungen zu verweigern, die die Prospektion, Exploration und Ausbeutung von Bergbaukonzessionen ermöglichen könnten. Das mexikanische Netzwerk der vom Bergbau betroffenen Menschen (Rema) betonte, dass die Bevölkerung der Montaña und Costa Chica seit 10 Jahren einen Dialog führen, um ihr Territorium kollektiv zu verteidigen, im Gegensatz zu den von der Regierung organisierten „falschen Zustimmungsprozessen“, bei denen innerhalb von vier Stunden Entscheidungen getroffen werden, die „das Leben der Gemeinden für immer verändern“. Es erinnerte daran, dass in Guerrero fünf Minen in Betrieb sind, 12 Kartelle involviert sind und mindestens 35.000 Menschen durch Streitigkeiten im Bergbau vertrieben wurden.