2001
02/01/2002ZUSAMMENFASSUNG : Empfohlene Aktionen
28/06/2002AKTUELLE : Menschenrechte in Mexiko, Derzeitige Entwicklungen
Im Dezember 2001 brachte Präsident Fox eine Initiative zur Ratifizierung des Statuts des Internationalen Gerichtshofs, der über Fälle von Menschenrechtsverletzungen urteilt, in den Senat ein. Außerdem kündigte das Innenministerium die Schaffung eines interministeriellen Komitees an, das von Generalstaatsanwaltschaft (PGR), dem Ministerium für öffentliche Sicherheit und dem Verteidigungsministerium gebildet wird, und das Maßnahmen zum Schutz von MenschenrechtsaktivistInnen umsetzen soll. Zugleich segnete der Senat fünf internationale Abkommen zur Bestrafung von Menschenrechtsverletzungen ab.
Am 7. Februar wurde General José Francisco Gallardo aufgrund einer Strafminderung aus der Haft entlassen, nachdem er mehr als acht Jahre wegen seinem Vorschlag, in der mexikanischen Armee das Amt eines Menschenrechtsbeauftragten zu schaffen, im Gefängnis verbracht hatte. Menschenrechtsorganisationen wiesen darauf hin, daß der mexikanische Staat die Empfehlungen der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) nur teilweise umgesetzt hat, da eine Beendigung der Anfeindungen und Verfolgung des Generals, die Ermittlung und Bestrafung der für die ungerechtfertigte Inhaftierung Gallardos Verantwortlichen und eine angemessene Wiedergutmachung noch ausstehen. Der Soldat seinerseits bekräftigte seinen Willen, den juristischen Kampf für die Anerkennung seiner völligen Unschuld sowie die Schaffung des Amtes eines Menschenrechtsbeauftragten der Armee fortzusetzen.
Andererseits haben nationale wie internationale Menschenrechtsorganisationen weiterhin Grund zur Besorgnis. Im Dezember veröffentlichte amnesty international einen Bericht, in dem es heißt, in Mexiko würden MenschenrechtsaktivistInnen wie „Kriminelle oder Subversive“ behandelt und seien entwürdigenden Formen der Verfolgung ausgesetzt, was – wie im Falle Digna Ochoas – bis hin zu Mord gehe. Auch die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte kritisierte nach einer Beobachtungsmission im Dezember die Situation der ökonomischen, sozialen und kulturellen Rechte sowie die rechtliche Situation der indigenen Bevölkerung. Im Januar lobte Human Rights Watch in einem Bericht die „großen Veränderungen“ in der Haltung der mexikanischen Regierung bezüglich der Menschenrechte, warnte aber auch, daß noch „bedeutende Fortschritte“ nötig seien, um die Übergriffe durch Armeeangehörige zu beenden und diese dem Zugriff durch das Gesetz zu unterwerfen.
Ebenfalls im Dezember bezeichnete es das Menschenrechtszentrum Miguel Agustín Pro (Centro PRODH) bei seiner Beurteilung des ersten Regierungsjahres von Vicente Fox als besorgniserregend, daß es noch immer keine staatliche Menschenrechtspolitik gebe und daß die ergriffenen Maßnahmen durch die Sorge um das internationale Ansehen Mexiko motiviert seien. Es unterstrich, daß die strukturellen Probleme noch gar nicht angegangen worden seien und daß Straflosigkeit und die Tendenz, zivile Kompetenzbereiche zu militarisieren, weiter andauerten.
Vier Monate nach der Ermordung Digna Ochoas ist der Fall weiterhin ungelöst. Angesichts des Mangels an Fortschritten und der Schwierigkeiten, die sich ergeben haben, wechselte der Oberstaatsanwalt von México D.F., Bernardo Batíz, die gesamte Ermittlungskommission aus und betraute mit ihrer Leitung den Staatsanwalt für Straf- und Menschenrechtssachen Renato Sales. Doch auch so beklagte das Centro PRODH noch Ende Januar den Mangel an Kooperation bei der Untersuchung von seiten des Verteidigungsministeriums und anderer Bundesbehörden. Unterdessen hat die von der CIDH angebotene Unterstützung durch Entsendung eines Experten, der die Ermittlungskommission beraten soll, noch keine konkreten Formen angenommen.
Nach dem Bericht, den die Nationale Menschenrechtskommission Ende November vorlegte, halten die Forderungen von Seiten der Zivilgesellschaft nach einer umfassenden Aufklärung des Massakers von Tlatelolco im Oktober 1968 und der Fälle der Verschwundenen im sogenannten „schmutzigen Krieg“ der Siebziger und Achtziger Jahre an. Für letztere wurde eine Sonderkommission der Staatsanwaltschaft unter Vorsitz von Ignacio Carrillo Prieto gegründet. Im Dezember wurden offizielle Dokumente der Generalstaatsanwaltschaft bekannt, die Festnahmen und Fälle von Verschwundenen im Jahre 1968 belegen und somit die offizielle Version nach mehr als drei Jahrzehnten widerlegen.
Während des ersten Amtsjahrs der neuen Regierung in Chiapas hat das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas 45 Fälle von Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Wenngleich dies eine bedeutsame Verringerung gegenüber den Vorgängerregierungen darstellt, hat es dem Zentrum zufolge keine überzeugenden Reaktionen auf diese Anzeigen gegeben. In einem Spezialbericht beklagte die Organisation außerdem, daß die Polizei weiterhin Folter, Morddrohungen, Raub und Autoritätsmißbrauch gegen die indigene Bevölkerung praktiziere, und forderte den Gouverneur auf, seinen Plan für die grundlegende Reform des Justizsystems und seine Menschenrechtspolitik offenzulegen. Im Januar kündigte die Regierung an, daß sie die mutmaßlichen Übergriffe seitens der Bundesstaatspolizei während der Befreiung von fünf Regierungsfunktionären am 27. Juli letzten Jahres im Bezirk Marqués de Comillas untersuchen wird.
Ebenfalls im Januar erhielt Pedro Raúl López Hernández, Präsident der Menschenrechtskommission des Bundesstaates, Morddrohungen, außerdem wurden sein Haus und sein Fahrzeug beschossen. Er ist sicher, Opfer der Verfolgung durch Regierungsfunktionäre zu sein. Gouverneur Pablo Salazar wies die Anschuldigungen zurück, verurteilte die Aggression und forderte die Nationale Menschenrechtskommission (CNDH) und die Generalstaatsanwaltschaft auf, den Fall aufzuklären. Sowohl die CNDH als auch die CIDH forderten die Bundesregierung auf, sofortige Maßnahmen zum Schutz von López Hernández und seiner Familie zu ergreifen.
Tatsachen, die dem offiziellen Diskurs widersprechen
Im Dezember sagte Fox, Mexiko gehöre bereits zur „ausgewählten Gruppe derjenigen Staaten, die die Globalisierung und die Entwicklung der Menschheit anführen“. Paradoxerweise verkündete er einen Monat später, daß dieses Jahr 250 Kleinregionen mit starker Marginalisierung und Migration der Armut entkommen werden. Der Minister für Arbeit und Soziales versicherte seinerseits, daß die Wirtschaft dieses Jahr um 1,7% wachsen werde und daß man 300.000 Arbeitsplätze schaffen werde. Außerdem kündigte Fox an, das Ziel des Landwirtschaftsprogramms für die nächsten fünf Jahre sei die Überwindung der Kultur der Unterstützungszahlungen und des Paternalismus, an deren Stelle Hilfsmaßnahmen zur Schaffung von Agrarindustrien und Kapital für die Produktion treten sollen.
Landwirtschaftsminister Javier Usabiaga versicherte, die ländlichen Gebiete „müßten sich an die neuen Regeln des ökonomischen Spiels anpassen“. Die Opposition hingegen beharrt darauf, daß die aktuelle Krise Argentiniens „das Scheitern des neoliberalen Modells in Lateinamerika demonstriert“ und ein Alarmsignal für Fox sei, wenn Mexiko vermeiden wolle, durch das Befolgen der verfehlten „Rezepte“ des Internationalen Währungsfonds in die gleiche Situation zu geraten.
Nach Daten des statistischen Berichts des Jahres 2000 weist Chiapas den höchsten Grad an Marginalisierung im ganzen Land auf: 93,16% der Bezirke des Staates sind von „hoher“ oder „sehr hoher“ Marginalisierung betroffen, was neben den indigenen Gebieten auch für solche mit mestizischer Bevölkerung gilt. Im Januar versicherte das Ministerium für soziale Entwicklung, daß es Chiapas mit 400 Millionen Pesos für ein Dutzend Entwicklungsprojekte fördern werde (im Jahr 2001 betrug die Summe 360 Millionen Pesos).
Chiapas: „Nervöser Frieden“
Im Januar besuchte der emeritierte Präsident der Päpstlichen Räte für Gerechtigkeit und Frieden, Kardinal Roger Etchegaray, Chiapas. Bei einem Treffen mit Präsident Fox sagte Etchegaray: „Das Problem in Chiapas ist real, es ist ein schweres Problem, doch es ist auch ein symbolisches Problem, in dem Sinne, daß es grundsätzlich die gleichen sozialen Probleme in allen Gegenden Mexikos gibt. Genauer gesagt, die Probleme der Armut und der Respektierung der Würde des Menschen, jedes Menschen.“ Außerdem sagte er, der „nervöse Frieden“, in dem Chiapas lebe, mache dem Papst große Sorgen.
Auf der Ebene der Gemeinden entstehen immer neue Konflikte. In verschiedenen Bezirken der Selva und der Zona Norte gibt es immer mehr Anzeigen von Schikanierungen, Drohungen, Entführungen und Attentaten, und die autonomen Bezirke beklagen sich weiterhin über verstärkte Überflüge und Militärpatrouillen rund um ihre Gemeinden. Außerdem dauern die durch die letzten Wahlen entstandenen Konflikte in verschiedenen Bezirken des Bundesstaates an. Im Dezember kündigte der Staatssekretär der Bundesstaatsregierung die Bildung einer neuen Einheit für Einsätze in der Aufstandsbekämpfung in der Zona Sierra an.
Andererseits unterzeichneten am 27. Januar 20 soziale, politische und religiöse Gruppen in der Zona Norte – darunter jedoch nicht Paz y Justicia – ein Abkommen, in dem sie sich verpflichten, bewaffnete Angriffe und Aggressionen gegen EZLN-Sympathisanten zu unterbinden. Im Bezirk Chenalhó ratifizierten der neue PRI-Bürgermeister und das neue Direktorium der pazifistischen Organisation Las Abejas das Abkommen gegen Aggression, das am 24. August des letzten Jahres im Rahmen der Rückkehr der Abejas in ihre Gemeinden unterzeichnet worden war. Die Generalstaatsanwaltschaft ihrerseits leitete eine Untersuchung gegen verschiedene ehemalige Funktionäre der Bezirksverwaltung ein – darunter auch der ehemalige Bürgermeister Antonio Perez Arías -, weil sie im November 2000 eine Operation gegen Paramilitärs in Los Chorros vereitelten.
Am 15. Februar gab die Regierung die Festnahme von Diego Vázquez, dem zum Chol-Volk gehörenden Anführer der paramilitärischen Organisation Paz y Justicia, wegen mehrerer zwischen 1995 und 1997 begangener Gewaltverbrechen bekannt. Die Operation wurde von der Staatspolizei unter Leitung des zuständigen Staatsanwaltes in der Gemeinde El Limar (Zona Norte) durchgeführt, nachdem am Tag zuvor ein Friedensabkommen zwischen EZLN- und Paz-y-Justicia-Sympathisanten, das durch Vermittlung der Bundesstaatsregierung zustande gekommen war, unterzeichnet worden war. Vázquez hatte sich geweigert, das Abkommen, das die Wiedereröffnung des katholischen Gotteshauses des Ortes vorsieht, zu unterzeichnen. Wie die Autoritäten bekräftigten, entspreche die Festnahme des paramilitärischen Anführers der „Überzeugung der Regierung, daß die Versöhnungsabkommen keine Garantiescheine für Straflosigkeit seien, und daß die Gerechtigkeit dorthin reichen werde, wo dies erforderlich sei“.
Erste Fortschritte im Kampf gegen die Korruption
In 266 durchgeführten Rechnungsprüfungen über das letze Amtsjahr des ehemaligen Gouverneurs Roberto Albores wurden Fehlbeträge von 2,54 Milliarden Pesos in der chiapanekischen Staatskasse entdeckt, was zur Einleitung von 1.023 Disziplinarverfahren und 43 Strafverfahren gegen ehemalige Funktionäre führte. Librado de Torre Gonzalez, Minister für Ackerbau und Viehzucht in der Regierung von Albores, wurde am 19. Dezember festgenommen; ihm werden Bildung einer kriminellen Vereinigung, Unterschlagung, Betrug, Autoritätsmißbrauch und Amtsanmaßung vorgeworfen. Er ist der vierte Funktionär der letzten Regierung, der seit den Rechnungsprüfungen festgenommen wurde.
Auf Bundesebene dokumentieren die im Januar eingeleiteten Ermittlungen wegen des Mißbrauchs von mehr als einer Milliarde Pesos der staatlichen Erdölgesellschaft PEMEX für den Präsidentschaftswahlkampf der PRI im Jahr 2000 erstmalig in aller Deutlichkeit die Finanzierung der ehemaligen Staatspartei durch die öffentlichen Kassen