FOKUS : Mythos und Realität der Agrarfrage in Chiapas
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27/12/2002FOKUS : Nationaler Kongress für den Frieden: die Zivilgesellschaft lädt Chiapas mit neuer Energie
Vom 5. bis 7. Juli fand in San Cristóbal de las Casas, Chiapas, ein nationaler Kongress für den Frieden mit Gerechtigkeit und Würde statt, an dem sich mehr als 1000 Personen (Indígenas sowie Nicht-Indígenas) aus mehr als 285 Organisationen aus 23 Bundesstaaten und 13 Ländern beteiligten.
Ziel des Kongresses war, die Zivilgesellschaft erneut zu ermuntern, als Initiatorin von Vorschlägen zur Lösung des Konflikts in Chiapas aufzutreten, mit einem Schwerpunkt auf der Verteidigung der Abkommen von San Andres zu indigenen Rechten und Kultur.
Aus diesem Ansatz ergab sich, daß schwerpunktmässig zu drei Themen gearbeitet wurde: als erstes der bewaffnete Konflikt in Mexiko, seine Konsequenzen und der Friedensprozess, als zweites das Thema Demokratie und Rechte der indigenen Bevölkerung; als drittes alternative wirtschaftliche Entwicklung der indigenen Gemeinden, Bezirke und Völker. Ein viertes Thema, bzw. die Achse um die sich die anderen drei Themen drehten, war die Erzeugung von alternativen zivilen Möglichkeiten, sich auf nationaler sowie internationaler Ebene auszusprechen und zu beteiligen, um einen Frieden mit Gerechtigkeit und Würde zu erreichen.
Zeitpunkt und Gründe für den Kongreß
Aufgerufen hatte Samuel Ruiz – emeritierter Bischof von San Cristóbal de las Casas – gemeinsam mit anderen Persönlichkeiten und Mitgliedern der ehemaligen Comision Nacional de Intermediación (Nationale Vermittlungskommission Conai), dem sich dann andere zivile, intellektuelle Organisationen und Repräsentanten verschiedenster sozialer Gruppierungen anschlossen. Entstanden war die Idee während einer Reihe von Treffen in Mexiko Stadt, die zum Ziel hatten, den Boden für einem neuen Impuls für den Frieden zu bereiten.
Laut Miguel Alvarez von SERAPAZ (Unterstützung und Anleitung für den Frieden) „besteht ein weiterer Grund für die Entstehung des Kongresses darin, dass auf kurze Sicht nicht absehbar ist, wie der Dialog wieder aufgenommen werden könnte…aus der Zivilgesellschaft heraus muss wieder Aufmerksamkeit auf den Konflikt in Chiapas gelenkt werden, da sich dieser augenblicklich in Augen vieler auf Probleme innerhalb der Gemeinden beschränkt. (Hoy 4/7/02)
Nach Meinung von Felipe Toussaint von der Kommission zur Unterstützung kommunitärer Einheit und Versöhnung (CORECO) und Mitorganisator des Kongresses, hat nach den grossen Initiativen der Jahre 94-96 die öffentliche Mobilisierung zugunsten einer friedlichen Lösung in Chiapas stark nachgelassen.
Das Massaker von Acteal 1997 löste bedeutende Reaktionen aus, aber 1998 nach den Schlägen gegen die autonomen Gemeinden fiel sie in sich zusammen. Die Wahlen von 2000 trugen das ihrige dazu bei, die Zivilgesellschaft zu spalten, nichtsdestotrotz gab es Anfang 2001, als die Zapatisten nach DF marschierten, bedeutende Mobilisierungen.
Dennoch haben der Rückzug und das lange Schweigen der zapatistischen Führung nach der Annahme der indigenen Reform (die von den Acuerdos de San Andres abweicht) zu einem Stillstand geführt, der sich aller Wahrscheinlichkeit nach fortsetzen wird, bis das oberste Gericht (SCJN) eine Entscheidung über die gegen das Gesetz vorgelegten Rechtsmittel fällt. In dieser entscheidenden Phase, so Toussaint, „war es wichtig, daß die Zivilgesellschaft sagt: hier sind wir und wir haben die Absicht, weiter am Friedensprozess zu arbeiten, als Akteure, die am Friedensprozess beteiligt sein müssen“.
Gonzalo Ituarte, ehemaliges Mitglied der CONAI, meint dazu: „Die Regierung Fox hat zur Zeit weder ein Verständnis des Konflikts noch des Friedensprozesses, noch der indigenen Problematik und seiner tiefer liegenden Ursachen… Im Augenblick sind keine Kräfte mehr verfügbar und in Chiapas polarisiert sich die Lage, und das soziale Netz zerbricht. Mit dem Frieden, von dem Fox auf seinen Auslandsreisen spricht, ist anscheinend nur das Schweigen der Waffen gemeint und es scheint nicht angekommen zu sein, daß der Konflikt weiter besteht, daß die Armee in ihren Positionen verbleibt, die EZLN weiter bewaffnet ist, die Kriegserklärung weiter Gültigkeit hat und das Problem der Paramilitärs ebenfalls weiter besteht. Solange die Verantwortlichen aus Politik, Wirtschaft und der Armee, unter deren Schutz diese Gruppen entstanden sind, nicht bestraft werden, ist es schwer zu glauben, daß auch nur die minimalen Bedingungen für Friedensgespräche gegeben sind.
Abwesenheit, Schweigen und Streit
Die Organisatoren verschickten auch an die EZLN einen Brief, um sie über die Durchführung des Kongresses aufmerksam zu machen und um ihre Unterstützung zu bitten, die zapatistischen Basen teilnehmen zu lassen; ebenfalls erklärten sie, daß es nicht ihre Absicht sei, Druck auszuüben, daß die EZLN ihre derzeitige Strategie ändere. Die EZLN hat sich dann aber weder für noch gegen den Kongreß ausgesprochen, obwohl die Beteiligung von Sympathisanten und zapatistischen Unterstützern unübersehbar war. Toussaint erklärte dazu: „Evtl. war das Interesse der EZLN, zu sehen, welche Ergebnisse der Kongreß bringt und wieviele Leute sich beteiligen. Und zu sehen, ob die Zivilgesellschaft weiterhin fähig ist, sich zu mobilisieren oder nicht, weil die EZLN sich von Beginn an – als die „Gewehre schwiegen“, wie sie sagen – und eine politische und verhandelte Lösung des Konflikts gesucht wurde, auf die Zivilgesellschaft stützten wollte.“
Die Regierung Mexikos und die Regierung von Chiapas schienen dem Kongreß zunächst wohlwollend gegenüber zu stehen. So erklärte der Regierungssekretär Santiago Creel,:“ ich hoffe die Debatten in San Cristóbal de las Casas tragen dazu bei und bereichern die Reflexionen und Diskussionen über ein Thema, das analysiert werden muß, das ständiger Reflexion bedarf“ (Diario de Chiapas, 5/7/02). Der Regierungssekretär von Chiapas Emilio Zebadua sagte: „sicherlich wird klarer werden, was sie (die TeilnehmerInnen) für nötig halten, damit die EZLN ihr Schweigen bricht und ein Zeichen sendet, das die Rückkehr zum Dialog ermöglicht. (expreso, 11/7/02).
Dennoch gab es in den Tagen vor der Eröffnung zunehmend Spannungen. In einer Pressekonferenz drückten die Veranstalter ihre Besorgnis darüber aus, daß die Regierung von Chiapas „versucht diese Leistung der Zivilgesellschaft zu vereinnahmen, indem sie sie so darstellt, als wäre sie aus gemeinsamen Kräften heraus entstanden, oder versucht sich die Initiativen, die von diesem Kongreß ausgehen, auf die eigene Fahne zu schreiben. Außer sich abzugrenzen, machten sie klar, es nicht zulassen zu wollen, daß die Regierung von Chiapas Druck auf den Kongreß ausübt, um über diesen Umweg Druck auf die Zapatisten auszuüben.
Obwohl dann auch Regierungsfunktionäre als Beobachter oder Teilnehmer anwesend waren, fragte der Gouverneur von Chiapas Salazar schon wenige Tage nach dem Kongreß: „Sie machen sich was vor, es sind Wahnsinnige, die glauben, in Chiapas ließe sich ein Prozeß der Versöhnung in Opposition zur Regierung konstruieren, genauso wenig wie ein Prozeß, der die Regierung außer Acht läßt sowie einer, der die Regierung zu isolieren versucht“. „Das waren Friedensvorschläge in der Sprache des Krieges, Vorschläge der Versöhnung, die die Regierung isolieren“. (Expreso, 11/7/02).
Nach Meinung von Toussaint, „vergißt Pablo Salazar, daß diese rganisationen, die ihm auf die eine oder andere Weise geholfen haben, an die Macht zu kommen, gleichzeitig ihrer Position treu blieben, gegenüber den Regierungsinstanzen autonom zu handeln, um weiterhin mobilisieren zu können und weiterhin mit Sektoren im Austausch zu bleiben, die in Opposition zur Regierung stehen. (.) Der Friedensprozeß liegt in der Verantwortung aller, alle haben ihre Funktion, und wir, die Zivilgesellschaft, haben unsere Funktion und wir sind nicht darauf angewiesen, zu warten, daß die Regierung uns sagt, was wir tun sollen“.
Erreichtes, Perspektiven und Fragen
In quantitativer Hinsicht war der Kongreß ein voller Erfolg. Der Historiker Andrés Aubry bezeichnete den Kongreß als einen Baustein für den Frieden: die Beteiligung von mehr als 1000 Personen aus allen Sektoren war ein Beweis, daß die Zivilgesellschaft nicht passiv ist. „Die Menschen reagierten auf diesen Kongreß, kamen von überall her und das in großer Zahl (.) (der Kongreß) zeigt, daß die sogenannte Zivilgesellschaft reagieren wird, wenn es zu einem Notfall kommt„ (Expreso, 10/7/02).
Laut Felipe Toussaint war ebenfalls ein Erfolg, daß über die Verteidigung der Abkommen von San Andres hinaus viel Arbeit geleistet wurde, sich zu anderen Themen wie z.B. den Wirtschaftsaspekten zu artikulieren (insbesondere der Kampf gegen den Plan Puebla Panama und gegen das ALCA) sowie ebenfalls zu Initiativen aus anderen Sektoren.
Die TeilnehmerInnen beschlossen, die Ergebnisse des Kongresses den Richtern der SCJN zu übergeben (am 14 Juli) und einen weiteren Kongreß in sechs Monaten zu organisieren, evtl. im Bundesstaat Guerrero, um den nationalen Charakter des Prozesses zu unterstreichen.
Über die erste Begeisterung und den offensichtlichen Erfolg der Veranstaltung hinaus, bleiben Fragen über die Zukunft dieser Initiative, vor allem in Bezug auf seine Wirkung auf die politischen Handlungsträger und auf die Kontinuität der eingeschlagenen Richtung. Viel wird davon abhängen, ob die Organisationen fähig sind, gemeinsame Strategien zu formulieren, um die Beschlüsse in die Tat umzusetzen; vor allem in der Etappe nach dem Beschluß des SCJN.
Die wichtigsten Entscheidungen
Die Ergebnisse der 3 Arbeitsgruppen lassen sich in 11 Punkten usammenfassen:
- daran arbeiten, daß alle zivilen Kräften sich daran orientieren, Bedingungen für den Frieden zu schaffen, die die Menschenrechte respektieren und die die Demokratie aufbauen.
- auf die Erfüllung der Abkommen von San Andrés zu beharren, aufbauend auf der Forderung nach Erfüllung der drei Bedingungen der EZLN
- im Kampf gegen die Militarisierung und Paramilitarisierung die zivile Beteiligung und Beobachtung stärken, für die Freiheit der politischen Gefangenen und Schaffung der Bedingungen für eine Rückkehr der Vertriebenen.
- gleichermaßen Frauen und Männer in alle Prozesse und Projekte einbeziehen, die den Aufbau des Friedens begünstigen.
- den Ernst des Kriegszustands und der Konflikte, wie auch die Notwendigkeiten für einen echten Frieden auf nationalen Niveau öffentlich machen.
- den Prozeß der Autonomie und des Widerstands der Indigenen Völker stärken.
- Prozesse der Vereinigung mit und der Beteiligung der Zivilgesellschaft auslösen, um den Frieden und die Demokratie aufzubauen.
- politische Werte verbreiten, die auf dem Prinzip von befehlend gehorchen aufbauen und die kulturelle Vielfalt respektieren.
- die Beteiligung der mexikanischen Zivilgesellschaft im kontinentalen und internationalen Kampf und gegen neoliberale Globalisierungsprojekte wie das Freihandelsabkommen (TLCAN/ NAFTA), den Plan Puebla Panamá (PPP), das amerikanische Freihandelsabkommen (ALCA/ FTAA) forcieren.
- den Kampf gegen die Privatisierungen stärken, die in Artikel 123 der Verfassung enthaltenen Rechte der Arbeiter verteidigen und den ursprünglichen Charakter des Artikels 27 (Ejodo-Gesetz) wiedererlangen.
- wirtschaftliche Alternativen erzeugen, die die Autonomie sowie die biologische und kulturelle Vielfalt fördern.