GEGENWÄRTIG : Mexiko 2008, Stehen stürmische Zeiten bevor?
29/02/2008AKTUELLE: Mexiko – Mangel und Armut, die größten Sorgen
29/08/2008Zwischen Februar und April begann in mehreren Gefängnissen in Chiapas und einem in Tabasco ein Gefangenenprotest von historischem Ausmaß, in welchem die Gefangenen, die für sich den Status von politischen Häftlingen beanspruchten, ihre sofortige Freilassung forderten. Der Protest, der sich in Form eines unbefristeten (also bis zum Erreichen der Freilassung) Hungerstreiks beziehungsweise Fastens äußerte, wurde weitläufig unterstützt durch die Angehörigen der Insassen aber auch durch zahlreiche soziale Organisationen, die ihrer Solidarität mit den Gefangenen durch verschiedene Formen Ausdruck verliehen. So kamen Solidaritätsbekundungen sowohl aus anderen mexikanischen Bundesstaaten als auch aus dem Ausland.
Der Protest nahm seinen Anfang mit Zacario Hernández Hernández, einem Mitglied der katholischen Organisation „Gläubiges Volk“ (Pueblo Creyente). Seit 2003 ist Hernández Gefangener im „Zentrum zur sozialen Wiederanpassung“ (CERESO) Nummer 14, besser bekannt als „El Amate“, und trat am 12. Februar diesen Jahres in einen unbefristeten Hungerstreik, um damit seiner Forderung nach Freilassung Ausdruck zu verleihen. Zwei weitere Häftlinge, die ebenfalls im Zusammenhang mit dem selben Fall („Tres Cruces“) einsitzen, unterstützten ihn in seinem Vorhaben durch Fasten und Gebet. Am 25 März traten sie schließlich dem völligen Hungerstreik bei.
In Solidarität mit ihren Forderungen begann das „Gläubige Volk“ der Diozöse San Cristóbal am 19. Februar sich zu mobilisieren rief zu einer Pilgerfahrt zur Befreiung der ungerechtfertigt Eingesperrten auf, an welcher sich mehrere tausend Personen beteiligten.
13 weitere Insassen des CERESO 14 schlossen sich zwischen dem 25 und dem 26 Februar dem Hungerstreik an. Sieben von diesen sind Mitglieder der Organisation „Die Stimme von Amate (La Voz del Amate – eine Anhängerorgansisation der „Anderen Kampagne“), vier betrachten sich als zapatistische Aktivisten und eine weitere Person ist Mitglied der „Unabhängigen Zentrale der bäuerlich-landwirtschaftlichen Arbeiter (Central Independiente Oberera Agrícola y Campesina – CIOAC). Zwei weitere inhaftierte Mitglieder der „Stimme von Amate“ und ein Mitglied der CIOAC begannen mit Fasten.
Schnell breitete sich der Protest über weitere Gefängnisse des Bundesstaates aus und weitere Häftlinge schlossen sich ihm zwischen dem 4. und dem 10. April an: im CERESO 5 von San Cristóbal de Las Casas begaben sich 9 inhaftierte Mitglieder der Organisation „Stimme des Flachlands“ (Voz de los Llanos), ebenfalls im Verband der „Anderen Kampagne“ organisiert, in den Hungerstreik und sechs weitere Häftlinge der selben Organisation als auch eine Gefangene der „Gemeinde von Busilja“ begannen zu fasten. Im CERESO 17 von Playas de Catazajá im Norden des Staates Chiapas traten 8 Inhaftierte, unter ihnen zapatistische Aktivisten als solche der „Partei der demokratischen Revolution“ (PRD), ebenfalls in einen Hungerstreik. Am 24. März begannen schließlich zwei aus dem Norden Chiapas‘ stammende Häftlinge, die als zapatistische Aktivisten anerkannt sind und im öffentlichen Kommunalgefängnis von Tacotalpa im Bundesstaat Tabasco einsitzen, ebenfalls mit Fasten und Gebet.
Die Mehrheit der Streikenden sind Indigene, der überwiegende Teil von ihnen Tseltales und Tsotsiles, und einige haben bereits mehr als 10 Jahre Gefangenschaft hinter sich. Alle gaben an, unter falschen Anschuldigungen willkürlich verhaftet worden zu sein, unter Mißachtung ihrer verbürgten Rechte und aus Gründen, die maßgeblich mit ihren politischen und/oder sozialen Tätigkeiten zu tun haben.
Ein erster Erfolg des Protestes stellte sich mit der Freilassung von Zacario Hernández Hernández ein, die zusammen mit der von vier anderen in „El Amate“ inhaftierten erfolgte. Zum Zeitpunkt seiner Freilassung hatte er bereits 35 Tage im Hungerstreik verbracht. Die chiapanekische Regierung erklärte daraufhin, dass es „in Chiapas keine politisch Verfolgten“ gebe “ und jene Fälle, in denen dies in der Vergangenheit vorgekommen sein möge, werden einer erneuten Überprüfung unterzogen, um die vermeintliche Schuld der Betreffenden entweder zu erhärten oder auszuschließen“. Später verkündete die selbe Regierung, dass 360 Verfahrensakten auf Grundlage des „Gesetzes Urteilsaussetzung“ zur Überprüfung durch den „Interinstitutionalen Tisch“ anstünden.
Zeitgleich zum Protest in den Haftanstalten begaben sich Angehörige und Freunde der Hungerstreikenden am 24. März nach Tuxtla Gutiérrez, um dort vor dem Regierungspalast ein „Sit-in“ abzuhalten und ihrer Forderung nach einer Freilassung der Inhaftierten Nachdruck zu verleihen. Sie betonten, dass das „Sit-in“ aufrecht erhalten werde, bis alle Gefangen freigelassen wären.
Am 31. März, nach einem im Regierungspalast organisierten medialen Großereignis, wurden 137 Personen aus verschieden Haftanstalten des Bundesstaates entlassen, darunter 30 Personen, die sich am Hungerstreik oder dem Gebetsfasten in den „Zentren zur sozialen Wiederanpassung“ Nr. 5, 14 und 17 beteiligt hatten. Damit verblieben noch 13 Inhaftierte im Hungerstreik und zwei im Protestfasten.
Die Freigelassenen gaben nach ihrer Entlassung eine Presseerklärung ab, die besagt: „wir sind politische Gefangene und Gefangene für unser Gewissen, denn die Regierung mit ihren ungerechten Gesetzen hat uns Verbrechen bezichtigt, die wir nicht begangen haben und dies tat sie, weil wir Menschen sind die sich sehr wohl organisieren um für die gerechten Belange unserer Völker zu kämpfen“.
Mittels einer am 4. April veröffentlichten Karte drückte der ehemalige Bischof von San Cristóbal de Las Casas und Präsident des Menschenrechtszentrums „Fray Bartolomé de Las Casas“ (FrayBa), Obispo Emérito Samuel Ruiz García, seine Besorgnis über den Gesundheitszustand der Hungerstreikenden, woraufhin die Gefangenen ihren Protest aussetzten und ebenso das „Sit-in“ vor dem Regierungspalast sich auflöste. Weiterhin versicherte Samuel Ruiz, dass das besagte Menschenrechtszentrum den Prozess der Revision, zu welchem sich die Regierung verpflichtet hat, begleiten werde.
Die beiden Chiapaneken Ángel Concepción Pérez Gutiérrez und Francisco Pérez Vázquez, welche im öffentlichen Kommunalgefängnis von Tacotalpa in Tabasco einsitzen und dort am 21. April mit einem Hungerstreik begannen, wurden am 24. April in das CERESO 12 in Yajalón in Chiapas verlegt. Die Regierung von Chiapas versprach weiterhin, ihren Fall, der seit ihrer beider Verhaftung am 9. Juli 1996 von Irregularitäten geprägt war, einer erneuten Prüfung zu unterziehen.
In einem Interview mit SIPAZ unterstrich Diego Cadenas, Anwalt und Direktor der Abteilung für Verteidigung bei FrayBa, die Existenz gravierender Mängel im vorhandenen Rechtssystem, welche es den Behörden unter anderem erlaubten, Menschen willkürlich und/oder aus politischen Gründen heraus zu verhaften. Diese Mängel beinhalten: die Notwendigkeit, dass ein gerichtlich Belangter durch einen zugelassenen Rechtsanwalt verteidigt wird und nicht, wie bisher der Fall, durch irgendeine Vertrauensperson (eine durch die Verfassung vorgesehene Möglichkeit); fehlender Zugang zu einem Übersetzer für die Personen, deren erste Sprache nicht Spanisch ist, wie es mit der indigenen Bevölkerung der Fall ist; und die Notwendigkeit, den „Grundsatz der Unmittelbarkeit“ aufzuheben, der einem ersten Geständnis erhöhte Beweiskraft zu spricht, obwohl es hinreichend Beschwerden gibt, dass eben jene Geständnis unter Anwendung von Folter erreicht würden1.
Verallgemeinernd läßt sich feststellen, so wie es zahlreiche Menschenrechtseinrichtungen, unter ihnen auch die Interamerikanische Kommission der Menschenrechte, bereits getan haben, dass das Fehlen von Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit beziehungsweise Unparteilichkeit im Rechtssystem Verzerrungen, Mißbräuche und Manipulationen hervorbringt1. In diesem Sinne fehlen bislang noch konkrete strukturelle Reformvorschläge von Seiten der Regierung, welche geeignet wären, diese schwerwiegenden Mängel zu beseitigen.