2003
02/01/2004AKTUELLE SITUATION : Mexiko-Chiapas, Regierungsberichte
30/09/2004ANALYSE II : Zinacantán: blumen und blicke begleiten die rückkehr der vertriebenen zapatisten
Die Vorfälle von Gewalt
Am vergangenen 10. April gerieten zapatistische Unterstützungsbasen der Region Altos in Chiapas in einen Hinterhalt durch Mitglieder der Partei der Demokratischen Revolution (PRD), die aus Zinacantán stammen, einem Landkreis der Tzotzil in den Altos nahe bei San Cristóbal de Las Casas.
An diesem Tag gedachten die Zapatisten mit einer Demonstration dem Tod des Bauernführers Emiliano Zapata, von dem sie den Namen und den Kampf für „Land und Freiheit“ übernommen haben. Im Laufe dieser friedlichen Demonstration brachten sie auch in einem Akt der Solidarität den Zapatisten der Gemeinde Jech´vó Wasser, die seit dem vergangenen 9. Dezember auf Anordnung von Mitgliedern der PRD von Zinacantán ohne Versorgung dessen waren. Darüber hinaus forderten sie von ihnen ein, mittels einer Kooperation, die mit der Beteiligung der traditionellen Ämter verbunden sein soll, zusammenzuarbeiten.
Als sie von diesem Akt zurückkehrten, blockierten Anhänger der PRD den Weg und griffen sie mit Steinen, Knüppeln und einigen Gewehrschüssen an. Mit dem Resultat von 35 Verletzten und mehr als 500 Menschen, die aufgrund der Angst vor neuen Angriffen aus ihren Gemeinden flüchteten. Es handelt sich hierbei um die größte Agression, welche die zapatistischen Unterstützungsbasen seit dem bewaffneten Aufstand von 1994 erlitten haben. Die Junta de Buen Gobierno (Rat der guten Regierung) von Oventik, die autonomen zapatistischen Autoritäten dieser Region, veröffentlichten verschiedene Kommuniqués, in denen sie die Vorfälle verurteilten, über die Verwundeten informierten und die Liste der Verantwortlichen der besagten Angriffe übergaben. Sie klagten die PRD an, „sich auf den Krieg der schlechten Regierung gegen die indigene Bevölkerung eingelassen zu haben.“
Das nationale Führungsgremium der PRD erklärte, dass der Hinterhalt mit einem Problem der Wasserversorgung zu tun hatte und nicht der Sichtweise bezüglich eines Problems der PRD mit den Zapatisten entspricht. Der Regierungssprecher Santiago Creel und der Gouverneur von Chiapas, Pablo Salazar, bestätigten auf die gleiche Art und Weise, dass es sich um einen Konflikt zwischen Landkreisen, hervorgerufen durch das Thema Wasser, handelte.
Rückkehr ohne Gerechtigkeit
Wochen später kündigten die zapatistischen Autoritäten die Rückkehr der vertriebenen Familien an, obwohl die Verantwortlichen der Angriffe noch nicht bestraft worden waren. Am Sonntag den 25. April riefen sie die nationale und internationale Zivilgesellschaft zusammen, eine Karawane zu organisieren, um die Rückkehr zu begleiten und erbaten die Einrichtung von zivilen Friedenscamps in den Gemeinden, um zukünftige Angriffe zu vermeiden.
Es kamen auch um die 200 zapatistische Unterstützungsbasen mit ihren Gesichtsmasken, aus den anderen Landkreisen der Altos:
„Wir sind bis hierhin mit dem Ziel gekommen, unsere „compañeros und compañeras“ zu begleiten, die seit dem 10. April der Situation ausgesetzt sind, vertrieben worden zu sein. Aber am heutigen Tag sind wir gekommen, diese „compañeros und compañeras“ in ihre Herkunftsgemeinden zurückkehren zu lassen, und hier zu bleiben, da hier ihr zu Hause ist, hier ihre Gemeinde ist und niemand das Recht hat, sie weder zu belästigen noch sie aus ihrer eigenen Gemeinde zu vertreiben; sie sind Zapatisten und werden weiterhin Zapatisten sein.“
(am Anfang und am Ende der Karawane durch sie verlesenes Kommuniqué)
Wir begannen die Strecke auf der Landstraße nach Tuxtla (die Hauptstadt des Staates Chiapas) bis zu dem Ort zu dem die Vertriebenen geflohen sind. Menschen blieben verblüfft am Rand der Landstraße stehen und betrachteten die große Anzahl an Autos und Bussen, welche die Maskierten begleiteten. Sie zählten mehr als zwanzig Fahrzeuge und 100 Personen, nationale und internationale Zivilgesellschaft, Presse und Menschenrechtsanwälte mit inbegriffen. Der Weg wurde auch durch Mitglieder der Regierung von Chiapas, der öffentlichen Sicherheitskräfte, des Geheimdienstes und einem Helikopter „begleitet„.
Zuerst erreichte mensch die Gemeinde Jech´vó, in der die Anspannung deutlich spürbar war. Aus den Bussen stiegen die Familien aus, die dort bleiben sollten, und erhielten von Menschen der Zivilgesellschaft Sträuße weißer Blumen. Die Frauen, Kinder und Männer stiegen mit ihren Rucksäcken und dem geringen Eigentum, den sie seit dem Morgen des Angriffs bei sich trugen, aus. Die Kinder schauten ängstlich und neugierig, dabei kaum den Grund ihres im Mittelpunktstehens zu begreifen und warum zehn Kameras sie von oben filmten und ihnen die Anonymität, welche die Kindheit erfordert, stahlen.
In dieser ersten Gemeinde verlasen die zapatistischen Repräsentanten auf dem zentralen Platz ein Kommuniqué, in dem sie Respekt für ihr Projekt des Lebens einforderten:
„Wir wollen den Brüdern, die keine Zapatisten sind, oder denjenigen, die verschiedenen politischen Parteien angehören, noch einmal sagen: Wir, die Zapatisten, wollen nicht gegen unsere indigenen Brüder aus der gleichen Gegend und des gleichen Landkreises kämpfen. Wir belästigen niemanden, wir verletzen niemanden; wir Zapatisten respektieren alle ohne Unterscheidung der Organisation, der Partei oder der Religion. Aber wir wollen auch, dass ihr uns respektiert, dass ihr unseren Kampf und unseren Widerstand respektiert. Unser Kampf richtet sich nicht gegen unsere armen Brüder; unser Kampf hat ein gerechtes Motiv, welches Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit für alle heißt.“
Sie bedankten sich auch bei den Mitgliedern der nationalen und internationalen Zivilgesellschaft für ihre Anwesendheit. Einige von ihnen blieben auch als Beobachter dort, um mögliche Agressionen zu verhindern. Für die Rückkehrer stellt diese Begleitung von Personen, die sie nicht einmal kennen, einen potentiellen Schutz und ihre Sicht eine Anklage dar.
Währendessen beobachteten sie mehrere Einheiten der Polizei, die ihre blauen Uniformen trugen, mit einer Art Pose, die sehr einschüchternd wirkte. In den folgenden Gemeinden liess die Anspannung nach. Insgesamt kehrten 35 Familien nach Jech´vó, 19 nach Elambó Alto, 33 nach Elambó Bajo und 15 in die Gemeinde Apaz zurück.
Was steht in diesem Konflikt auf dem Spiel?
Der Bezirkspräsident der PRD aus Zinacantán, den die Zapatisten als Anstifter der Angriffe gegen sie verantwortlich gemacht haben, kontrollierte auch die Karawane. Es handelt sich bei ihm um einen Menschen aus Zinacantán mit starkem politischen und ökonomischen Einfluss in der Region. Er dominiert das Transportwesen der Kleinbusse, die täglich nach Tuxtla fahren. Er und seine Anhänger standen die gesamte Zeit auf einer Kreuzung der Landstraße nach Tuxtla, von wo aus sie die Karawane ankommend, San Cristóbal verlassend und dorthin zurückkehrend beobachteten.
Die Zapatisten brechen aus seiner politischen und wirtschaftlichen Kontrolle aus. Sie haben ihre eigenen autonomen Autoritäten und ihr eigenes politisches Projekt, das sowohl mit dem System der offiziellen Regierung als auch mit den traditionellen Kaziken, die während Dekaden diese Ländereien beherrscht haben, bricht.
Der Konflikt in diesen Gemeinden von Zinacantán ist nicht gelöst. Auch Zustände, die eine Rückkehr ohne Probleme garantieren würden, existieren nicht, jedoch kennen die Zapatisten, genau wie andere indigene Organisationen des Staates, die Bedeutung der Vertreibung, die Bedeutung davon, nicht ihre Felder bearbeiten zu können (die Aussaat von Mais), den Verlust ihrer Tiere und die Zerstörung ihrer Ländereien. Niemand würde ein neues „Polhó“ wollen, ein autonomer zapatistischer Landkreis, der sich im Widerstand befindet, in Chenalhó (konstitutioneller Landkreis der Region Altos) gelegen ist und momentan von ungefähr 5000 Vertriebenen bewohnt wird, als Konsequenz des heftigen Konflikts, der in diesem Bezirk 1997 entfesselt worden ist.
Die Altos sind eines der Gebiete, in dem die Strategien der Aufstandsbekämpfung angewendet worden sind, die im Laufe von Jahren diesen sogenannten „Krieg der niederen Intensität“ charakterisiert haben, wie mit der Gründung von paramilitärischen Gruppen, die sich aus Indígenas zusammensetzten, die der PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution, einer Partei, die bis ins Jahr 2000 mehr als 70 Jahre lang die Bundes-, Landes- und Bezirksämter kontrollierte) angehörten und aus den selben Gemeinden stammten.
In Chenalhó endete die Eskalation der Gewalt in dem Massaker von Acteal vom 22. Dezember 1997, bei dem 45 Indígenas, die der zivilgesellschaftlichen Organisation der „Las Abejas“ angehörten, umkamen. Daher muss betont werden, dass der Präsident und der Vizepräsident der Abejas die Rückkehr der Zapatisten von Zinacantán begleiteten. Sie verstehen den Schmerz der jahrelangen Entwurzelung und den Geschmack der Rückkehr ohne Gerechtigkeit sehr gut.
Viele durchlebten durch die Vorfälle von Zinacantán wieder die Angst und die Unsicherheit, die Acteal erzeugte, und haben beide Geschehen miteinander verglichen. Es gibt Unterschiede. Um die Vorfälle von Zinacantán zu verstehen, muss mensch bedenken, dass wir ein soziales Netz antreffen, das 10 Jahre lang einen umfassenden Krieg erlitten hat, der durch Zersetzung und Polarisierung der Gemeinden charakterisiert war. Heute sind die Konflikte von den basalen Fragen ausgehend entfacht, wie z.B. der Bezahlung von Strom und Wasser sowie der Erbauung von Landstraßen. Dies stellt aber nur die Spitze des Eisberges dar. Die Essenz des Konfliktes beruht auf der Unfähigkeit, den Unterschied im Hinblick auf das Thema der Macht zu respektieren und der Schwierigkeit, zu erlauben, dass die indigenen Bevölkerungsgruppen über sich selbst bestimmen und selbst entscheiden, wie ihre Erziehung, ihre Regierung, ihr Gesundheitswesen und ihre Produktion zu organisieren sei.
Die Rückkehr passt nicht in die Uniformität. Die Vielfalt bedeutet eine Herausforderung auf allen Ebenen, und in diesem Gebiet stellt sie für die Zapatisten und dem Rest der sozialen und politischen Organisationen den Samen dar, der gepflegt werden muss, um weiterhin weiße Blumen der Hoffnung wachsen zu lassen, welche die Farbe des interkulturellen Lebens wieder entdecken.
Bis heute wurden die Verantwortlichen der Aggressionen nicht verhaftet. Die Anspannung hat dazu geführt, dass „campamentistas“ weiterhin in den Gemeinden Zinacantáns, in denen der Konflikt ausgebrochen ist, bleiben. In besagten Gemeinden ist das Wasser nicht nur knapp, sondern das Wenige, das es gibt, ist nicht sauber und verursacht Magen- und Hautkrankheiten.