2010
03/01/2011AKTUELLES : Nationale Mobilisierung gegen die Gewalt
29/04/2011Die Veröffentlichung vertraulicher Telegramme des US-Außenministeriums durch WikiLeaks (eine Internetseite, die als vertraulich eingestufte Informationen veröffentlicht) erfuhr weltweit außergewöhnlichen Widerhall und war Anlass vielfältiger Reaktionen auf internationalem Parkett. Im Bezug auf Mexiko sorgte die Veröffentlichungen für gewisse Diskussionen, aber statt neue Informationen zu liefern, bestätigten sie vor allem Vermutungen, die schon vorher im Umlauf waren – vor allem bezüglich der umstrittenen Strategie zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens. Andererseits schaffte es Mexiko, sich im internationalen Rahmen als Gastgeber der UN-Klimakonferenz (COP-16) in Cancún im Dezember 2010 aufgrund der wider Erwarten erzielten Einigung in ein positives Licht zu rücken. Nichtsdestotrotz wiesen kritische Stimmen, die sich gegen die COP-16 richteten, darauf hin, dass ein nachhaltiger Wandel in der Produktionsweise von Nahrungsmittel dringend geboten ist, um schwerwiegende und irreparable Schäden für die Menschheit abzuwenden.
Ein Hauptinteresse der Medien bleibt die allgegenwärtige Gewalt, die Mexiko seit vielen Jahren erleidet und die verursacht wurde durch die Auseinandersetzung um die Kontrolle von Routen und Umschlagplätzen zwischen Gruppen des organisierten Verbrechens sowie durch den frontalen Angriff, den die Bundesregierung gegen diese ausrief. Derweil beginnt die mexikanische Gesellschaft, sich an diese Gewalt in Besorgnis erregender Weise zu gewöhnen. Anfang Februar wies Subcomandante Insurgente Marcos, der Befehlshaber der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN), in einem Brief mit dem Titel „Über die Kriege“ darauf hin, dass die Bundesregierung den Krieg, den sie dem organisierten Verbrechen erklärt hat, nicht gewinnen kann und dass man durch diesen „dabei ist, das gesellschaftliche Gefüge in fast dem gesamten Staatsgebiet zu zerstören“. Mit Hinweis auf die Waffenindustrie meinte er, dass der einzige Akteur, der diesen Krieg gewinne, die USA seien, da sie vom Bedarf an Waffen in Mexiko (sowohl von Seiten des mexikanischen Militärs als auch von Seiten des organisierten Verbrechens) profitiere, und da sie gleichzeitig von der geopolitischen Umstrukturierung durch den Krieg begünstigt werde.
In diesem schwierigen Umfeld sind kritische Stimmen moralischer Autorität notwendiger und wichtiger, um dem Machtmissbrauch entgegenzuwirken. Eine dieser Stimmen verstummte für immer: Am 24. Januar verstarb Don Samuel Ruiz García, ehemaliger Bischof von San Cristóbal de Las Casas. Sein Tod wurde von der Zivilgesellschaft beklagt, aber paradoxer Weise auch von der mexikanischen politischen Elite und der katholischen Obrigkeit, die beide mehr als einmal seinen Postionen und Handlungen ihren Widerstand entgegengesetzt haben. Zwei der bewaffneten Gruppen im Land, das Revolutionäre Volksheer (EPR) und die EZLN, veröffentlichten aufgrund seines Todes eine Erklärung. Das EPR dankte für seine Teilnahme an der Vermittlungskommission zur Klärung des Verbleibs zweier seiner KämpferInnen, Edmundo Reyes Amaya und Gabriel Alberto Cruz Sánchez. Die EZLN erinnerte an die Belästigungen, die Drohungen und ein Attentat, die der ehemalige Bischof erdulden musste, weil er die Rolle des Vermittlers zwischen den Zapatistas und der Bundesregierung angenommen hatte. Sie würdigte sein Wirken zugunsten der indigenen Gemeinden und dankte: „In der EZLN, halten wir, KatholikInnen und Nicht- KatholikInnen, Gläubige und Nicht-Gläubige, heute nicht nur die Erinnerung an Don Samuel Ruiz García in Ehren. Sondern vor allem ziehen wir den Hut vor dem konsequenten Eintreten der ChristInnen und Gläubigen in Chiapas, in Mexiko und in der Welt, die nicht komplizenhaft schwiegen angesichts der Ungerechtigkeit, die nicht untätig blieben angesichts des Krieges. […] Don Samuel geht, aber es bleiben viel Andere, die in und mit ihrem christlich-katholischen Glauben für eine gerechtere, freiere und demokratischere Welt auf Erden kämpfen, dass heißt, für eine bessere Welt.“
Anfang 2011 war die EZLN in verschiedenen mexikanischen und internationalen Medien Thema: Ihr wurde aufgrund einer Erklärung eines angeblichen Mitglieds dieser Bewegung die Entführung von Diego Fernández de Cevallos zugeschrieben, dem Präsidentschaftskandidaten der Partei der Nationalen Aktion (PAN) von 1994 und mehrmaligem Senator für diese Partei. In einem Dementi, das von EZLN-Vertrauten unterzeichnet wurde, warnen diese, dass es die zapatistischen Gemeinden sein werden, die durch diese Versionen am meisten betroffen sind und diejenige, welche die stärksten Belästigungen dadurch erleiden müssten.
Die Menschenrechte in Mexiko im internationaler Blickfeld
Die Sorge internationaler Organisationen um die Menschenrechtslage in Mexiko bleibt. Im November 2010 stellte das Büro des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Menschenrechte in Mexiko eine Aktualisierung seines Berichts über die Situation der Menschenrechts-VerteidigerInnen im Land vor. In diesem sind Chihuahua, Oaxaca, Guerrero und Chiapas die Staaten mit der höchsten Anzahl an Anzeigen. Javier Hernández Valencia, Vertreter dieser Institution, warnte, dass Mexiko eine kritische Phase durchmache, da das Gewaltniveau die Behörden vor ernste Herausforderungen stelle, was die öffentliche Sicherheit und den Schutz der Bevölkerung angehe.
Ebenfalls unerledigt ist für Mexiko die Erfüllung der Auflagen, die dem Land vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (IAGMR) wegen der Verletzung von Menschenrechten aufgegeben wurden. Im Fall, der als „Baumwollfeld“ (Ciudad Juárez, Chihuahua) bekannt wurde, wo 2001 mehre Frauen ermordet wurden, war der mexikanische Staat 2009 durch den IAGMR verurteilt worden.
Am 10. Dezember 2011, ein Jahr nach der Urteilsverkündung, informierte das mexikanische Außenministerium über die Fortschritte bei der Umsetzung des Urteils. Diese wurden von der Strafverteidigerin in diesem Falles in Frage gestellt. Ebenso wurde vom mexikanischen Staat das Urteil im Fall Inés Fernández und Valentina Rosendo noch nicht befolgt, zwei Meph’aa-Indigena aus der Region La Montaña (Guerrero), die von Angehörigen der mexikanischen Armee vergewaltigt wurde.
Im Dezember 2010 war ebenfalls ein Jahr vergangen seit dem Urteilsspruch des IAGMR im Fall von Rosendo Radilla, Aktivist aus den 1970er Jahren und Opfer von gewaltsamem „Verschwindenlassens„. An diesem Jahrestag klagten verschiedene zivil-gesellschaftliche Organisationen an, dass diese Praxis weiterhin gängige Politik sei. Es bleibt noch zu erwähnen, dass in den letzten Jahren die Praxis der sogenannten „Levantones“ ohne Lösegeldforderungen („Verschwindenlassen“ durch das organisierte Verbrechen ohne gesellschaftliche oder politische Motive) aufgekommen ist. Mittlerweile umfasst dies während der laufenden Amtszeit von Präsident Calderón (seit 2006) mindestens 500 Fälle.
Die Verfassungsreform bezüglich der Menschenrechte ist auf dem Weg
Nationale und internationale Organisationen haben ihre Ablehnung der herrschenden Straflosigkeit im Bezug auf die hohen Zahlen von Femiziden (Mord an Frauen aufgrund ihrer Identität als Frauen) im Land geäußert. Die Morde an Marisela Escobedo am 18. Dezember und an Susana Chávez am 5. Januar, beide in Ciudad Juárez (Chihuahua), sorgten für ein heftiges Medienecho, hervorgerufen durch den Umstand, dass beide Frauen bekannte Aktivistinnen waren, die dafür kämpften, eben solche Fälle aufzuklären. Aber dieses Problem beschränkt sich nicht auf Nord-Mexiko, sondern umfasst das gesamte Land: So wurden etwa im Bundesstaat Mexiko seit 2005 922 Frauenmorde erfasst. Die lokalen Behörden versuchen jedoch weiterhin, die öffentliche Aufmerksamkeit abzulenken, indem sie die Opfer beschuldigt, sich risikoreichen Situationen ausgesetzt zu haben.
Nachdem es seit einigen Monaten Thema im Gesetzgebungsprozess war, stimmte Mitte Dezember 2010 die Abgeordnetenkammer dem Entwurf zur Verfassungsreform im Bereich der Menschenrechte zu. Noch aber steht die Entscheidung des Senats hierzu aus und auch die Parlamente der Bundesstaaten müssen der Reform noch zustimmen, damit sie in Kraft treten kann. Eine der umstrittensten Aspekte war der Vorschlag, der Nationalen Menschenrechtskommission (CNDH) Ermittlungsbefugnisse im Fall von Menschenrechtsverletzungen zu übertragen. Laut des verabschiedeten Entwurfes soll dem Beirat der CNDH das Recht übertragen werden, schwere Verletzungen zu untersuchen, ohne dass diese in eine Ermittlungsbehörde verwandelt wird. Eine andere von der Reform vorgesehenen Veränderungen ist das Verbot jeglicher Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierungen. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie Amnesty International Mexiko lobten, dass die Verabschiedung der Reform Rechtslücken beseitigen würde und die Einhaltung der Menschenrechte effizienter garantieren könne. Amnesty International Mexiko sieht in der Reform einen wichtigen Schritt dazu, dass die nationale Gesetzgebung internationalen Normen in dieser Frage entspreche. Jedoch äußerte sie Sorge bezüglich der eingeschränkten Definition gültiger Asylgründe.
Guerrero: Neuer Beginn mit neuem Gouverneur?
Am vergangenen 30. Januar fanden im Bundesstaat Guerrero die Gouverneurs- und lokalen Kongress-Wahlen statt. Ángel Aguirre Rivero, der Kandidat von „Guerrero vereint uns“, eine Koalition aus der Partei der demokratischen Revolution (PRD; Partido de la Revolución Democrática), der Partei der Arbeit (PT; Partido del Trabajo) und der Partei Convergencia, wurde zum Sieger erklärt, obwohl Manuel Añorve Baños, der Kandidat des Bündnisses „Bessere Zeiten für Guerrero“, aus PRI, der Partei Neue Allianz (Panal; Partido Nueva Alianza) und der Grünen Partei Mexikos (PVEM; Partido Verde Ecologista de México), in der Wahlnacht ebenfalls den Sieg für sich in Anspruch nahm. Der Kandidat der PAN zog sich wenige Tage vor den Wahlen aus dem Wahlkampf zurück und die Führungsspitze der PAN warb für die Wahl von Aguirre Rivero, was eine de-facto-Koalition von PRD, PT, Convergencia und PAN bedeutete.
Das Klima vor der Wahl war geprägt von Gewalt, „Verschwindenlassen„, der Veröffentlichung von Telefonaten und Spannungen. Aguirre Rivero und Añorve Baños beklagten sich über die Weitergabe von Meldungen in verschiedenen Medien, die darauf zielten, den Konkurrenten in Verruf zu bringen. In einem kurz vor den Wahlen veröffentlichten Bericht beklagte das Menschenrechtszentrum der Region Montaña „Tlachinollan„, dass der Wahlausgang sich in einem durch die Gewalt des organisierten Verbrechens und den Handlungen der Parteien „vergifteten Klima“ entscheiden werde, die darauf abzielten „Angst und ein Klima gesellschaftlicher Instabilität zu erzeugen„. Aufgrund des Klimas der Unsicherheit wurden während der Wahl 7.500 Polizisten eingesetzt und es kam am Wahltag nur zu kleineren Vorfällen.
In der letzten Zeit haben sich die verschiedenen sozialen Organisationen Guerreros erneut widrigen Bedingungen ausgesetzt gesehen: Am 5. November informierte das Minenunternehmen Hochschild Mexiko die Gemeinschaftspolizei – Regionale Koordination der GemeindevorsteherInnen (PC-CRAC, eine autonome Polizei und Verwaltungsstruktur, die in Teilen Guerreros existiert, Anm. des Übers.) von San Luis Acatlán (Costa Chica), dass sie die Erlaubnis des nationalen Statistikinstituts INEGI besäßen, Aufklärungs-Tiefflüge zu unternehmen, um Mineralien aufzuspüren, die sie abbauen könnten. Anfang Januar beklagte die CRAC-PC, dass die Untersuchungen durch die Unternehmen weitergehen, ohne dass die betroffenen Gemeinden dies erlaubt hätten. Derweil ist gegen drei Mitglieder von Radio Ñomndaa weiterhin ein Verfahren anhängig, vorgeblich wegen der Teilnahme an einer Entführung. Trotz der gerichtlichen Entscheidung, gegen die Berufung eingelegt wurde, feierte das freie Radio im Dezember im autonomen Landkreis Suljaa‘ (Xochistlahuaca) sein sechstes Jubiläum.
Auch der Fall des Staudamms La Parota und des Widerstandes gegen diesen ließ erneut die Wellen hoch schlagen: Das staatliche Elektrizitätunternehmen CFE (Comisión Federal de Electricidad) ließ den Streit erneut ausbrechen, indem sie den Bundeskongress im Etat für 2011 um Mittel in Höhe von mehr als 4,2 Billionen Pesos ersuchte, die den Bau des Staudamms ermöglichen würden. Zu Beginn des Jahres entschied der Rat der Gemeinden gegen La Parota (CECOP; Consejo de Ejidos y Comunidades Opositoras a La Parota), das Protestcamp in La Parotilla wieder aufzunehmen, um die CFE am Zugang zu dem Gebiet zu hindern, in dem beabsichtigt wird das Staudamm-Projekt zu errichten.
Oaxaca: Gewalt nach den Wahlen und Erwartungen
Eine der unmittelbaren Herausforderungen der neuen Regierung unter Gabino Cué Monteagudo ist es, die Gewalt sozialer und politischer Natur zu stoppen, die es in der letzten Zeit in Oaxaca gegeben hat. Am 25. Januar wurde der Vorsitzende der „Cardenistischen Demokratischen KleinbäuerInnen-Gewerkschaft“ (CCCD; Central Campesina Cardenista Democrática) des Bundesstaates, Renato Cruz Morales, und sein Leibwächter, Santos Lagunas, ermordet. Cruz Morales war am 16. August 2006 für seine Teilnahme an der Versammlung der Bevölkerung Oaxacas (APPO; Asamblea Popular de los Pueblos de Oaxaca) verhaftet worden. Als Teil der Gewalt nach der Wahl wurde am 13. Januar der Landrat von Santiago Amoltepec, Luis Jiménez Mata, umgebracht.
Wie es scheint, hat sich die Situation im Bezug auf die Belästigungen, die Menschenrechts-VerteidigerInnen und APPO-AktivistInnen seit dem gesellschaftlichen Konflikt 2006/2007 erleiden mussten, auch nach dem Regierungswechsel nicht verändert. Am 11. Januar erhielt Alba Cruz, Anwältin und Menschenrechtsverteidigerin, neue Drohungen. Diese stehen im Zusammenhang mit ihrer Arbeit als Anwältin von Opfern in Fällen der Groß-Demonstrationen und den polizeilichen Übergriffe, die sich 2006 im Bundesstaat ereigneten. Am 31. Januar erhielt der Sohn von Marcelino Coache, Edgar Coache Verano, eine Morddrohung. Diese jüngste Drohung ist die letzte einer Serie von Einschüchterungen und Hetze gegen den oaxaquenischen Polit-Aktivisten Marcelino Coache und seiner Familie, die schon vorher Morddrohungen erhalten hatten, ohne dass man deren Herkunft aufklären konnte oder die Verantwortlichen juristisch belangt hätte.
Die Situation von MigrantInnen, die auf ihrem Weg in die USA durch Mexiko kommen, hat in der jüngsten Zeit ebenfalls eine hohe mediale Aufmerksamkeit erhalten. Von MigrantInnen und AktivistInnen für deren Anliegen wurde Anfang Januar die Karawane „Schritt für Schritt Richtung Frieden“ durchgeführt. Diese beabsichtigte auf die Gefahren und Risiken aufmerksam zu machen, denen MigrantInnen vor allem von Seiten des organisierten Verbrechens beziehungsweise durch Misshandlungen durch die Nationale Migrationsbehörde ausgesetzt sind. Der Pfarrer von Ixtepec (Oaxaca), Alejandro Solalinde Guerra, Direktor der Herberge „Hermanos en el Camino“, forderte von den mexikanischen Behörden, diesen besseren Schutz zu gewähren. Aufgrund seiner Unterstützung für MigrantInnen erhielt Pater Solalinde Morddrohungen des organisierten Verbrechens.
Chiapas: Konstante Sorgen
Das Risiko, dem Menschenrechts-VerteidigerInnen in Chiapas ausgesetzt sind, erreichte Ende 2010 einen neuen Höhepunkt. Am 24. November beklagte das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas (CDHFBC) neue Ereignisse, die sich in San Cristóbal de Las Casas ereignet haben und die das Leben und die Unversehrtheit von Margarita Martínez Martínez ebenso wie der MitarbeiterInnen des CDHFBC gefährden. Diese Situation zwang den Internationalen Friedensdienst (SIPAZ) dazu, die Ausnahmeentscheidung zu treffen, die VerteidigerInnen des CDHFBC zu begleiten. Trotz der geäußerten Sorge nationaler und internationaler zivilgesellschaftlicher Organisationen gehen die Einschüchterungen im Umkreis der Menschenrechtsorganisation weiter. Am 17. Dezember 2010 beklagte diese öffentlich, dass zwei externe MitarbeiterInnen „Ziel von Überwachung und Belästigungen bei unterschiedlichen Vorkommnissen in San Cristóbal de Las Casas waren.“
Die latente Spannung, die es seit zwei Jahren in der Region von Agua Azul gibt, eskalierte Anfang 2011 erneut. Am Nachmittag des 2. Februar führte ein Zusammenstoß zwischen Indigenas der „Anderen Kampagne“ und einer Gruppe priistischer Indígenas, die sich um die Kontrolle einer Mautstelle am Touristenzentrum der Wasserfälle von Agua Azul im Landkreis Chilón streiten, zu einem Toten auf Seiten der Priisten und zu mindestens zwei Verletzten. Die Staatsanwaltschaft des Bundesstaates (PGJE) nahm 117 AnhängerInnen der „Anderen Kampagne“ im Landkreis Chilón fest, von denen 107 zwei Tage später wieder freigelassen wurden. In einer Sondermeldung prangerte das CDHFBC an, dass ihr Recht auf ein ordentliches Verfahren missachtet wurde. Gegen die restlichen zehn Festgenommenen wurde ein formeller Haftbefehl erlassen. Die Regierung des Bundesstaates initiierte am 6. Februar einen Runden Tisch, ohne dass die Anhänger der „Anderen Kampagne“ teilnahmen. Es bleibt noch zu erwähnen, dass der Zusammenstoß nach dem Besuch des Präsidenten Calderón im Bundesstaat stattfand, den dieser aus Anlass des „Jahres des Tourismus“ unternahm, das die Bundesregierung für 2011 ausgerufen hat. Die touristischen archäologischen und Natur-Attraktionen von Chiapas sind seit einigen Jahren Konfliktpunkt zwischen GegnerInnen, AnhängerInnen und AkteurInnen der Entwicklungsprojekte der Bundesregierung, die mit in- und ausländischem privatem Kapital finanziert werden.
Im Rahmen der Politik der chiapanekischen Regierung sind die sogenannten Ciudades Rurales Sustentables (Nachhaltige Land-Städte; CRS) eine weitere Konfliktquelle. Von der Regierung unter Juan Sabines Guerrero stark befördert, werden diese von den Gemeinde in den Regionen, in denen sie gebaut werden sollen, abgelehnt. Seit mehreren Monaten spricht sich die Organisation Las Abejas (dt. „Die Bienen“) gegen die CRS aus. Am 19. November 2010 führte ein breites Spektrum von KatholikInnen aus 11 Landkreisen des chiapanekischen Hochlandes einen Pilgermarsch in San Cristóbal de las Casas durch, um ihren Widerstand gegen die Land-Städte, die Bergwerksarbeiten und den Bau von Staudämmen zu äußern – Projekte, die sie als „Projekte des Todes“ ansehen. Während der Messe, die den Pilgermarsch abschloss, versprach der Weihbischof Enrique Díaz Díaz den TeilnehmerInnen die Unterstützung der Diözese und bat die Behörden, dass sie die Meinung der Indígenas und der Gemeinden berücksichtigen, bevor sie Bauwerke errichten oder Projekte in Gang setzen, die diese betreffen.
Die Abejas, die Organisation der Überlebenden und Familien der Opfer des Massakers von Acteal vom 22. Dezember 1997, begingen im Dezember 2010 mit dem Treffen „Gegen die Aufstandsbekämpfung und Abhängigkeit den Widerstand und die Autonomie verknüpfen“ den 13. Jahrestag des Massakers. Es nahmen Organisationen und Personen aus Chiapas, Oaxaca und Atenco teil, die in der Abschlusserklärung bekräftigten, „Bündnisse zu knüpfen, wie wir es wollen und unsere Kämpfe von Unten zu globalisieren, uns mit unser eigenen Arbeit zu ernähren, ohne von Hilfen oder Regierungsprogrammen abzuhängen.“