AKTUELLES : Mexiko – Zwischen Abschluss und Neuanfang der Amtsführung/Präsidentschaft/Regierung
28/11/2012ARTIKEL : Die 20 Jahre des Weges der Koordination der Frauen der Diözese (CODIMUJ)
28/11/2012„Für meinen Alltag ist die soziale Anklage eine Form der Selbstbestätigung gewesen. Ich habe nie die Kraft verloren um weiterzumachen. Sie haben es nicht geschafft mich kaputt zu machen. Sie haben mir das Lächeln nicht nehmen können.„
Am 31. Oktober begann der UN-Ausschuss gegen Folter (CAT, in seiner engl. Abkürzung; Anm. der Übers.) seine Evaluierung des mexikanischen Staates, bei der eine Delegation von mehr als 30 staatlichen FunktionärInnen der mexikanischen Bundesregierung sowie der Regierungen der Bundesstaaten anwesend war. Der UN-Ausschuss gegen Folter hat seinen Sitz in Genf (Schweiz) und ist der zuständige Organismus der Vereinten Nationen (UN; in seiner engl. Abkürzung) zur Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen der UN-Antifolterkonvention, die Mexiko 1986 ratifiziert hat.
In seiner Schlussfolgerung erklärte der UN-Ausschuss seine tiefe Besorgnis über die Anwendung von Folter in Mexiko, v.a. im Rahmen des Einsatzes der Streitkräfte bei der Ausübung von Aufgaben der staatlichen Sicherheitskräfte, und aufgrund des „Phänomens verstärkter Straflosigkeit“, das bei der Anwendung von Folter vorherrscht. Er wies darauf hin, dass die Strafrechtsreform nicht effizient sei, da die Sicherheitskräfte und die ErmittlerInnen weiterhin erzwungene Aussagen als Beweismittel in den Prozessen benutzen würden. Die Strafrechtsreform hat u.a. das Ziel, die Situation der Straflosigkeit durch den Übergang zu einem System mündlich verkündeter Urteile und der Beweislast auf Seiten der Anklage zu ändern.
Organisationen stimmen überein: systematische Anwendung von Folter als Teil der Ermittlungen
Seit mehreren Monaten ist die Anwendung von Folter eines der Themen, das verschiedene Organisationen besorgt. Das Nationale Netzwerk von Menschenrechtsorganisationen „Alle Rechte für Alle“ (RedTDT in seiner span. Abkürzung; Anm. der Übers.) und die Weltorganisation gegen Folter (OMCT in ihrer französischen Abkürzung; Anm. der Übers.) legten dem CAT einen Bericht über die „Situation der Folter in Mexiko“ (so der Titel des Berichts) vor. Der Ausschuss hatte bereits bei früheren Besuchen in Mexiko die Folter als systematische Praxis konstatiert. In jüngster Zeit hat diese Praxis im Rahmen der Bekämpfung des organisierten Verbrechens nun signifikant zugenommen, obwohl Organismen zum Schutz der Menschenrechte zahlreiche Empfehlungen bezüglich der Vorbeugung, Beseitigung und Bestrafung von Folter in Mexiko ausgesprochen haben.
Amnesty International veröffentlichte seinen Bericht 2012 unter dem Titel „Bekannte Schuldige, unbeachtete Opfer. Folter und unwürdige Behandlung in Mexiko“, in welchem die Organisation hervorhebt, dass in den vergangenen drei Jahren „der Einsatz von 50 000 Soldaten des Heers und der Marine in Aufgaben der öffentlichen Ordnung zu diesem beanstandeten Anstieg von Berichten über Folter und weitere erniedrigende Behandlungen durch Militärs beigetragen haben“. Besagte internationale Organisation erklärt, dass ihr keine Verurteilung wegen eines Falles von Folter bekannt ist. „Fehlende Anklagen, Prozesse und Verurteilungen aufgrund von Folter und erniedrigender Behandlung sind Zeugnis der Unfähigkeit oder fehlenden Willens seitens der Behörden, effektive und unparteiische Ermittlung und Prozesse der Fälle zu garantieren“, ergänzt die Organisation.
Im Bundesstaat Chiapas wurde am 26. Juni, dem Internationalen Tag der Unterstützung von Folteropfern, der Bericht über Folter in Chiapas mit dem Titel „Von der Grausamkeit zum Zynismus“, verfasst vom Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas (CDHFBC in seiner spanischen Abkürzung, Anm. der Übers.), vorgestellt. In diesem Bericht wird daran erinnert, dass Folter in Mexiko ein systematischer und allgemeiner Mechanismus bei polizeilichen Ermittlungen sowie ein Kontrollmechanismus der Sicherheitskräfte sei, trotz der Tatsache, dass auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene Gesetze zu ihrer Vorbeugung und Bestrafung in Kraft sind.
Andere Dokumente haben den gleichen Tenor. So z.B. der Bericht „Im Namen des ‚Kriegs gegen das Verbrechen‘. Eine Studie zum Phänomen der Folter in Mexiko“, von der Aktion der Christen für die Abschaffung der Folter (ACAT Frankreich) zusammen mit mehreren Menschenrechtsorganisationen in Mexiko, der nach einer im Juli 2011 stattgefundenen Untersuchungsmission erstellt wurde. Die Mehrzahl der Aussagen von Folteropfern beschreiben ein wiederkehrendes Muster. Kommandos mit mehreren bewaffneten, vermummten Männern steigen Hals über Kopf aus Autos ohne Nummernschilder. Sie misshandeln die Anwesenden auf der Straße, in Wohnungen, in Autos, ohne sich auszuweisen. Die verhafteten Personen werden in den Autos festgehalten, ohne dass ihnen ein Grund für die Festnahme genannt wird. Manche Familien berichten, sie dachten, es handele sich um eine Entführung um Lösegeld zu erzwingen, ein in Mexiko gängiges Phänomen. Sobald sie den Verdacht haben, dass es sich um einen Einsatz der Sicherheitskräfte handelt, suchen sie die Polizeistationen, Armeekasernen oder nahegelegene Büros der Staatsanwaltschaft auf, um den Aufenthaltsort ihres verhafteten Familienangehörigen herauszufinden.
Im Zeitraum zwischen der Verhaftung und der Übergabe der Betroffenen an die zuständige Behörde sind sie am gefährdetsten. Es ist die Zeit, wo sie in den Händen der Polizei sind, auf dem Weg zu irgendeinem üblicherweise nicht offiziellen Haftort, und in den nachfolgenden Momenten auf dem Weg zu den offiziellen Gefangenensammelstellen. Gemeinhin werden die Verhafteten, nach einem Geständnis unter Foltereinfluss, in Gewahrsamsstellen verlegt, welche auf Bundesebene weiterhin existieren, wenngleich die Ingewahrsamnahme in Chiapas im Juni 2011 und in Oaxaca im März 2012 abgeschafft wurde. Menschenrechtsorganisationen haben darauf hingewiesen, dass die Ingewahrsamnahme einen Ausnahmezustand im Strafrechtssystem darstellt und die Unschuldsvermutung sowie das Recht auf einen fairen Prozess verletzt. Zudem wird die Unklarheit darüber aufrecht erhalten, um welchen Zeitraum es sich handelt, wo die Betroffenen hingebracht werden und ob jemand kommt, um sie zu schlagen. Auch nach der Abschaffung der Ingewahrsamnahme in Chiapas hat das CDHFBC die Existenz von „Sicherheitshäusern“ im Bundesstaat dokumentiert, in denen die Verhafteten gefoltert werden.
Cecilia Santiago Vera, eine Psychologin, die Folteropfer betreut und sich seit 1995 mit den Auswirkungen von Folter beschäftigt, erklärt: „Alle Häftlinge, die ich kennengelernt habe, wurden gefoltert. Irgendeine Foltermethode wurde angewandt, sei es, um sie zu einem Geständnis zu zwingen oder um sie zu bestrafen. […] Wir schätzen, dass 80 – 90% der Inhaftierten geschlagen, gefoltert wurden“.
Eine stille Praxis
Es ist schwierig, genaue Zahlen über die Gesamtheit der Fälle von Folter in Mexiko zu herauszubekommen, da die Mehrheit der Fälle nicht angezeigt wird. Zudem gibt es keine landesweite Erfassung von Anzeigen wegen Folter. Hinzu kommt, dass die Fälle, die als „Körperverletzung“ oder „Amtsmissbrauch“ klassifiziert werden, nicht dazu gezählt werden, was den Vergleich der Daten auf nationaler Ebene erschwert. Die Weltorganisation gegen Folter (OMCT) hat im Rahmen ihres Programms Dringender Kampagnen zwischen Januar 2010 und Juli 2012 43 Aufrufe wegen Folter und erniedrigender Behandlung in Mexiko veröffentlicht. Die internationale Organisation Human Rights Watch (HRW) hat ihrerseits in einer Untersuchung mehr als 170 Fälle von Folter zwischen 2009 und 2011 dokumentiert.
Diese Übergriffe werden normalerweise mit bestimmten Maßnahmen verbunden, deren Ziel es ist Spuren zu vermeiden. Das systematische Auslösen von Schmerz ruft ein Leiden hervor, zu dem das Gefühl nahenden Todes gehört. Üblicherweise wird ein sich wiederholender Kreislauf aus Schmerz und dem Gefühl des nahenden Todes ausgelöst, bis der Wille der betroffene Person gebrochen ist und sie ein Geständnis akzeptieren, entweder in Anwesenheit eines Ermittlers oder durch Vorlage von Dokumenten zum Unterschreiben. Die Anwendung von Folter lässt sich auch damit erklären, dass das Geständnis ein zentrales Beweisstück im Prozess der Ermittlung von Verbrechen ist.
Die Mehrzahl der vom CDHFBC identifizierten TäterInnen sind PolizistInnen. Der Vorgang des Versuchs einer Tötung bei gleichzeitiger Verhinderung des Todes wird zu einem sozialen Verhalten, das gesellschaftlich akzeptiert ist, und so zur gesellschaftlichen Normalisierung von Gewalt führt. Daraus folgt ein Umstand, bei dem Folter, grausame, inhumane und erniedrigende Behandlung oder Strafen zu einer „normalen“ Praxis werden, die von den Strafverfolgungs-, Justiz- und Gefängnisbehörden akzeptiert wird. Diese Situation führt dazu, dass die Mehrheit der bei den ErmittlerInnen zur Anzeige gebrachten Fälle nicht untersucht werden und/oder ihre Aufklärung behindert wird.
Das CDHFBC hat im Zeitraum von Januar 2010 bis Dezember 2011 47 Fälle von Folterüberlebenden erfasst. Seiner Argumentation nach „wird Folter zu einer Form sozialer Kontrolle, allerdings sind sich die Überlebenden von Folter trotz begründeter Angst vor Repression durch die staatlichen Sicherheitskräfte zunehmend mehr der Wichtigkeit einer Anzeige bewusst, um dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu beseitigen“. Das Menschenrechtszentrum weist darauf hin, dass wenn ein Opfer den ErmittlerInnen oder Richtern erklärt, dass es gefoltert wurde, dies von letzteren ignoriert wird, wodurch sie juristisch verantwortungslos handeln, da das Gesetz ihnen vorschreibt, das begangene Verbrechen zu untersuchen und die TäterInnen zu bestrafen.
Folteropfer misstrauen den Strafverfolgungsbehörden und fürchten Repressionen, wenn sie Anzeige erstatten, v.a. wenn sie weiterhin inhaftiert sind und die körperlichen Strafen mit Drohungen gegen die Betroffenen einhergehen. Josué und Andrés López Hernández aus der indigenen Tsotsil-Gemeinde Pueblo Nuevo Solistahuacán entschlossen sich zu einer Anzeige wegen Folter, der sie im Januar 2011 zum Opfer fielen. Kurz darauf wurden die Brüder in eine andere Gegend des Bundesstaates Chiapas verlegt, die sehr weit weg von ihrer Heimat ist. Die Ehefrau von Andrés bescheinigt: „Wir können ihn nicht allzu häufig besuchen, weil er weit weg ist, acht oder neun Stunden entfernt. Wir [Mutter, Ehefrauen, Schwestern] besuchen sie einmal im Monat, wenn wir Geld haben“.
2003 erarbeitete und veröffentlichte der mexikanische Staat Richtlinien zur Erstellung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bei möglichen Fällen von Folter und/oder schlechter Behandlung. Diese basieren auf dem so genannten Istanbul-Protokoll, das von den Vereinten Nationen 1999 verabschiedet wurde und eine Reihe von international anerkannten Richtlinien enthält, um zu überprüfen, ob eine Person gefoltert wurde. Das erste zu überwindende Hindernis besteht darin, die ErmittlerInnen dazu zu bringen, die Aufnahme von Anzeigen zu akzeptieren und diese korrekt zu erfassen. Denn häufig sind die Staatsdiener die Angezeigten. Bei der Vorlage einer Anzeige vor einem Richter kommt es vor, dass sie die Vorfälle zu weniger schwerwiegenden Vergehen (Amtsmissbrauch, Körperverletzung, etc.) herunter stufen, deren Verjährung kürzer ist.
Die am meisten Betroffenen: Arme, Indigene Gruppen, soziale Bewegungen
Es kann passieren, dass eine Person, v.a. wenn sie nicht über viel Geld oder Einfluss verfügt, und durchaus ohne kriminelle Vorgeschichte, festgenommen, gefoltert und verurteilt wird, ohne dass sie eine rechtmäßige Verteidigung hatte oder auf die Einhaltung ihrer Rechte bestehen konnte. Es reicht aus, am falschen Ort zur falschen Zeit zu sein, wenn ein Fall die öffentliche Meinung dominiert, so dass diese Person von einer anderen, meist unter Folter, beschuldigt wird oder sie Differenzen mit einer Person hat, die über Macht verfügt. ACAT Frankreich beschreibt die Situation in Mexiko in ihrem Bericht als „Kriminalisierung der Armut“, bei der das Risiko einer willkürlichen Festnahme, Folter und schlechter Behandlung zunimmt. Die Anwesenheit von ÜbersetzerInnen ist eher zufällig, so dass eine festgenommene indigene Person eher dazu gezwungen werden kann, eine Erklärung zu unterschreiben ohne sie zu verstehen, oder andererseits nicht in der Lage ist, eine Anzeige zu erstatten.
David Potenciano Torres wurde im Mai 2011 in Palenque (Chiapas) von einer Einheit der Sonderstaatsanwaltschaft gegen das Organisierte Verbrechen festgenommen. Seine Wohnung wurde durchsucht, ihm wurde ein Stofftuch in den Mund gesteckt und Wasser in die Nase geträufelt, während sie ihn beschuldigten, einen Rinderzüchter namens Pedro Fonz Ramos umgebracht zu haben. Am 28. Dezember 2011 wurde David Potenciano Torres freigelassen, nachdem die Staatsanwaltschaft des Bundesstaates aufgrund fehlender Beweise die Anklage zurückzog. Seine Freilassung fand im Rahmen einer für die Medien inszenierten Veranstaltung statt, bei der auch der Gouverneur von Chiapas, Juan Sabines Guerrero, anwesend war. David Potenciano wurde nie erklärt, warum er festgenommen und gefoltert wurde.
Cecilia Santiago erklärt: „Aus meiner Sicht ist dies eine Strategie: die Anwendung von Folter und damit die Begründung, dass es Organisierte Kriminalität gibt, weshalb wir noch mehr Militär brauchen und mehr Geld von den USA und die Straßen kontrollieren müssen“. Die Folter wird zu einer Form der Repression gegen soziale Bewegungen, die als bedrohlich angesehen werden, um so den sozialen Protest zum Schweigen zu bringen.
In Oaxaca wurde der Gewerkschafter Marcelino Coache zum ersten Mal im Dezember 2006 im Kontext der Repression gegen die Volksversammlung der Völker Oaxacas (APPO in ihrer spanischen Abkürzung) festgenommen und gefoltert. 2009 wurde er erneut heimlich festgenommen und sehr gewaltsam gefoltert, danach irgendwo ausgesetzt und seinem Schicksal überlassen. Zwischen 2008 und 2011 hat er mehrere Anzeigen wegen Folter, telefonischen Todesdrohungen, Überfällen und Körperverletzung erstattet. Auch seine Familie wurde bedroht. Bis heute gibt es keine Aufklärung als Folge seiner Anzeigen.
Die Familie von Margarita Martínez Martínez und Adolfo Guzmán entschloss sich letztlich, den Bundesstaat Chiapas zu verlassen. Sie hatten mehrfach Drohungen erhalten, nachdem sie Anzeige wegen einer Hausdurchsuchung im November 2009 in Comitán de Domínguez (Chiapas) erstattet hatten. Infolge dieser Strafanzeige wurde Margarita Martínez Opfer einer Entführung und sexueller Folter im Februar 2010, zudem wurde sie im November 2010 bedrängt und mit dem Tode bedroht. Deshalb waren der Familie Schutzmaßnahmen von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission zugesprochen worden.
Im Fall der ökologischen Kleinbauern Rodolfo Montiel Flores und Teodoro Cabrera García, Waldschützer im Gebirge von Petatlán im Bundesstaat Guerrero, entschied der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte, dass keine Beweise verwandt werden dürften, die unter Folter erlangt wurden. Er erklärte, dass unter Zwang entstandene Aussagen im allgemeinen nicht wahr sind, da die Person versucht das nötigste zuzugeben, um ein Ende der grausamen Behandlung oder Folter zu erreichen. Zudem entschied der Gerichtshof, dass wenn ein Geständnis bei einer anderen Instanz ratifiziert wird, wie im Fall von Montiel und Cabrera, dies nicht automatisch bedeutet, dass es verwendbar ist, da dieses spätere Geständnis Folge der von der Person erlittenen schlechten Behandlung und der anhaltenden Angst nach dieser Art von Behandlung sein könnte. Hinzuzufügen ist, dass Guerrero der einzige Bundesstaat in Mexiko ist, in dem kein spezielles Gesetz im Falle von Folter existiert und wo diese nicht als Straftat im Strafgesetzbuch aufgeführt ist.
Sexuelle Folter
Es ist wichtig zu erwähnen, dass die angewandten Methoden bei Fällen von Folter an Frauen einen sexuellen Aspekt haben. Sexuelle Gewalt gehört zu den bevorzugten und häufig benutzten Waffen der Täter, um die Frauen moralisch zu erniedrigen, zu demütigen und dem Geschlecht entsprechend eine differenzierte Strafe anzuwenden. Dabei handelt es sich nicht um Einzelfälle, sondern um ein strukturelles Phänomen.
Italia Méndez Moreno, eine der 27 Frauen, die sexuelle Vergewaltigung bei dem Polizeieinsatz vom 3. und 4. Mai 2006 in San Salvador Atenco anprangerten, erklärte: „Es war keine ’normale‘ Vergewaltigung. Wenn mir das gleiche beim Verlassen des Arbeitsplatzes, beim Verlassen einer Party oder der Schule passiert wäre und ein paar Scheißkerle mich in ein Auto zerren und mir das gleiche antun wie in Atenco, dann würde ich Dir zustimmen, dass es eine Vergewaltigung ist. Aber es kann nicht gleichbehandelt werden, nicht derselbe Diskurs geführt werden, wenn es sich um Vertreter der Staatsmacht handelt, in einem abgestimmten Vorgang, bei dem alle politischen Kräfte dieses Landes beteiligt waren und wo nach den Geschehnissen Stillschweigen gewahrt wird. Das ist Gewalt von Staat wegen, das ist Folter“. Suhelen Cuevas, eine andere der Frauen, die Teil des Fotoprojekts „Anhaltender Blick“ ist, welches sich so den Überlebenden von sexueller Folter von Atenco genähert hat, fügte hinzu: „Die Demütigung der Polizisten sollte uns glauben machen, dass wir nichts wert sind, dass wir nicht an diesem Ort sein sollten“.
Das Ziel, Geständnisse zu erlangen
Bis zum heutigen Tag hat der mexikanische Staat dem CAT vier Berichte vorgelegt, von 1988 bis 2004. Es gab eine „Verfassungsreformen in Bezug auf das Strafrechtssystem“ und eine Reform des Einspruchsrechts, Protokolle wurden erstellt, um den Einsatz von Gewalt bei Polizeieinsätzen zu regeln und „das Istanbul-Protokoll wird angewandt“, wie eine Mitteilung der Regierung in Bezug auf das Thema Folter erklärt. Jedoch schlussfolgerte der UN-Antifolterausschuss, dass die Strafrechtsreform, die diese Praxis mit dem Übergang zu mündlich verkündeten Urteilen und der Beweislast auf Seiten der Anklage ändern soll, nicht effizient sei. Denn die Einsatzkräfte und ErmittlerInnen würden weiterhin erzwungene Erklärungen als Beweise in den Strafprozessen verwenden. Sowohl der UN-Ausschuss als auch die Organisationen, die Berichte zu dem Thema vorgelegt haben, sind der Ansicht, dass es am mangelhaften Ermittlungssystem liege, dass Folter weiterhin praktiziert wird. Denn es braucht Selbstbezichtigungen, um Schuldige zu haben.