2014
04/02/2015FOKUS : “Keine Nachricht ist so viel wert wie ein Leben” – Über den Mut derer, die ihre Meinung äußern
21/02/2015Das Verschwindenlassen der 43 Studenten der Escuela Normal Rural de Ayotzinapa, Guerrero, im September und der Skandal um den Verkauf von Grundstücken – unter verdächtig vorteilhaften Bedingungen – durch den Konzern Grupo Higa an die Ehefrau und den Finanzminister von Präsident Enrique Peña Nieto haben sich negativ auf das Ansehen seiner Regierung ausgewirkt. Seine Imagewerte befinden sich auf dem tiefsten Stand seit Beginn seiner Amtszeit. Hinzu kommt die schwierige Wirtschaftssituation aufgrund des niedrigen Erdölpreises und der Abwertung des Pesos gegenüber dem Dollar, die der Erfüllung von Wahlkampfversprechen im Wege steht. Die Zentralbank Mexikos sieht die Energiereform, das Herzstück der Strukturreformen, die Peña Nieto zu Beginn seiner Amtszeit angestoßen hat, angesichts dieser Umstände in Gefahr.
Ayotzinapa: Ein Ermittlungsprozess, der nicht überzeugt
Das Vorgehen der Regierung im Fall der 43 verschwundenen Studenten hat nicht wie beabsichtigt zu einer glaubwürdigen Erklärung und einem „Abschluss der Angelegenheit“ geführt. Im Gegenteil wurden bei den Ermittlungen sogar Massengräber mit unidentifizierten Leichen entdeckt, nach denen nicht gesucht worden war, was eine Misere von weit größerem Ausmaß offen legte. Die Regierung hatte zunächst versucht, den Fall Ayotzinapa als Problem der Drogenkriminalität in der Region Igualas bzw. Guerreros darzustellen.
Aufgrund des nationalen wie internationalen Drucks war die Staatsregierung gezwungen, sich des Falls anzunehmen. Der Rücktritt des Gouverneurs, Ángel Aguirre von der Partei der demokratischen Revolution (PRD), im Oktober reichte nicht aus, um die vielen Demonstranten im In- und Ausland zu beschwichtigen. Somit scheint diese Maßnahme lediglich zum Schutz vor juristischen Schritten gedient zu haben. Im Laufe des Novembers verschärften sich die Demonstrationen sowohl in ihrer Quantität als auch in ihrer Qualität mit immer mehr eingenommenen Ratshäusern sowie Vandalismus gegen Gebäude und Fahrzeuge (wobei einige dieser Vorfälle offensichtlich auf das Konto von in die Proteste eingeschleusten Personen gehen).
In einem Versuch, den Fall „ad acta zu legen“, äußerte die Bundesstaatsanwaltschaft am 7. November die Vermutung, die 43 Studenten seien verbrannt worden. Die Angehörigen der Opfer akzeptieren diese Version nicht und auch eine Reihe von unabhängigen Ermittlern sieht darin Ungereimtheiten.
Angesichts der nicht abnehmenden Proteste verkündete Peña Nieto Ende November einen Zehn-Punkte-Plan zur Verbesserung der öffentlichen Sicherheit und des Justizapparates. Darunter befindet sich unter anderem das Gesetz gegen die Infiltration der Munizipsbehörden durch das organisierte Verbrechen, das der Staatsregierung erlauben soll, die Kontrolle über Munizipien mit Anzeichen für eine solche Infiltration zu übernehmen. Außerdem sieht der Plan die Schaffung einer staatlichen Polizeieinheit vor, welche „mehr als 1.800 schwache Munizipspolizisten“ ersetzen soll.
Die parlamentarische Opposition kritisierte allerdings, der Präsident würde die Verantwortung für das Sicherheitsproblem auf die Munizipsebene abwälzen. Menschenrechtsorganisationen und Opfer merkten an, dass die aktuelle Regierung nicht zum ersten Mal Pläne ankündigt, ohne hinterher Ergebnisse zu liefern. Sie beklagten auch, dass man sie bei der Ausarbeitung des Plans nicht zu Rate gezogen hätte. Außerdem machten sie darauf aufmerksam, dass keine unmittelbaren Maßnahmen vorgesehen sind, um die Ermittlungen in den Fällen der 22.000, in den letzten Jahren als verschwunden gemeldeten, Personen voranzutreiben.
Als Anfang Dezember die Überreste von Alexander Mora Venancio als einzigem der 43 Studenten identifiziert wurden, äußerten die Eltern der Verschwundenen den Verdacht, man habe absichtlich Beweise herbeigeschafft, um die „offizielle“ Version aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig wurde bekannt, dass ihre Anwälte vom Zentrum für Nachforschungen und nationale Sicherheit (Cisen) als „Gefahr für die Regierung“ eingestuft wurden. Zivile Organisationen kritisierten, dass die Regierung versuche, die Verteidiger zu diskreditieren, und Steuergelder zur Schwächung der Protestbewegung einsetze, anstatt zur Bekämpfung der „Narco-Regierungen“ und der Straflosigkeit.
Im Januar setzte sich dieses Spiel fort: Die Staatsanwaltschaft blieb bei ihrer Version, die sowohl von den Angehörigen als auch von Amnesty International angezweifelt wurde. Das forensische Institut der Universität Innsbruck gab an, dass „die hohen Temperaturen die DNA der vermeintlichen Überreste der Studenten zerstört“ hätten.
Die Angehörigen der Studenten und das Menschenrechtszentrum Tlachinollan forderten Nachforschungen über eine Mittäterschaft des Militärs sowie Zutritt zu den Kasernen, um nach Beweisen zu suchen. Nachdem sich die Regierung anfänglich offen gezeigt hatte, wurde ihnen dieser Zutritt jedoch nicht gewährt. Am 12. Januar gerieten die Angehörigen bei dem Versuch, in die Kaserne in Iguala einzudringen, mit bundesstaatlichen und Militärpolizisten aneinander.
Im Februar erklärte das UN-Komitee gegen gewaltsames Verschwindenlassen, der Fall Ayotzinapa „offenbare die gravierenden Defizite des Staates bei der Prävention, Investigation und Sanktion des gewaltsamen Verschwindenlassens und bei der Suche nach den Opfern“. Man erinnerte den Staat an seine Pflicht, „gründlich gegen alle staatlichen Akteure und Organe zu ermitteln, die beteiligt gewesen sein könnten, sowie jede Spur zu verfolgen“. Gleichzeitig unterstützten die Unstimmigkeiten beim Vorgehen der Staatsanwaltschaft, die von einem anthropologischen Forensik-Team aus Argentinien aufgezeigt wurden, die Forderung nach neuen Ermittlungsansätzen. Daraufhin versuchte die Staatsanwaltschaft, die Stellungnahme des Forensik-Teams zu diskreditieren. Ab dem 1. März soll eine interdisziplinäre Gruppe von unabhängigen Experten die Ermittlungen in dem Fall überprüfen.
Die Versuchung der Repression
Einige der Massenproteste im Land arteten in Gewalt aus. Am 20. November zum Beispiel zündeten Jugendliche in Mexiko-Stadt Feuerwerkskörper und rannten beinahe die Eingangstür des Nationalpalastes ein. Die Polizei ging brutal gegen diese Gruppe und andere Demonstranten vor, die nicht an den Ausschreitungen beteiligt waren. In San Cristóbal de Las Casas, Chiapas, plünderte am selben Tag eine Gruppe von Eindringlingen bei einer Demonstration mehrere Geschäfte und zündete diese an. Stunden später wurden bei einem Großeinsatz der Polizei mehrere Personen verhaftet. Im Dezember wurden bei Auseinandersetzungen in Chilpancingo, Guerrero, 22 Personen verletzt, nachdem Studenten bei den Vorbereitungen für das Festival „Ein Licht in der Dunkelheit“ von Polizisten angegriffen wurden.
Inmitten dieses sozialen Aufruhrs verabschiedete die Abgeordnetenkammer im Dezember einen Beschluss zur „sozialen Mobilität“, der laut ONGs und Experten die Meinungsfreiheit sowie das Recht auf Versammlungsfreiheit und Demonstrationen einschränken könnte. Einige Oppositionspolitiker sprachen vom „Anti-Demo-Gesetz“. Die „Front für Meinungsfreiheit und sozialen Protest“ zeigte sich besorgt darüber, dass diese Reform „zu einem Zeitpunkt massiver sozialer Unzufriedenheit und öffentlicher Proteste durchgeführt wird, denen die Staatsgewalt mit unangebrachter Härte begegnet“.
Die Diskussion geht über Ayotzinapa hinaus
Ayotzinapa hat eine außergewöhnliche Solidaritätsbewegung in Gang gesetzt. Beim Schicksal der Studenten handelt es sich jedoch keinesfalls um einen Einzelfall: Die Gewalt gehört zum Alltag einer Gesellschaft, die bei all den Protesten nicht nur ihr Entsetzen gegenüber dem Verschwindenlassen der Studenten ausgedrückt hat, sondern auch gegenüber einem „narco-politischen“ System, das unter beinahe vollständiger Straflosigkeit funktioniert.
Die Korruptionsskandale, vor allem das „weiße Haus“ der Ehefrau des Präsidenten (auf 86 Millionen Pesos geschätzt), haben den „Kapitalismus der Vettern, Kumpanen und Komplizen“ im Land ans Licht gebracht. Wiederum konnten die Erklärungen des Staatsoberhauptes nicht überzeugen und trugen zum Verlust der Glaubwürdigkeit und Legitimität der Regierung bei. Dies könnte sich auf die Wahlen im Juni und Juli auswirken, bei denen neun Gouverneure, 500 Bundesabgeordnete sowie viele lokale Kongresse und Rathäuser in Mexiko neu besetzt werden.
Einige Stimmen rufen dazu auf, nicht wählen zu gehen oder einen leeren Wahlzettel abzugeben. Inmitten dieser Diskussion gründeten Angehörige der Verschwundenen zusammen mit Persönlichkeiten wie dem Bischof von Saltillo, Raúl Vera, dem Priester, Alejandro Solalinde, und dem Dichter, Javier Sicilia, sowie Mitgliedern von zivilen und sozialen Organisationen, Kirchen und Gewerkschaften die Initiative für eine bürgerliche Volksverfassung, „welche die demokratischen Grundsteine für die Wahl eines neuen Kongresses legt, das den Willen des Volkes befolgt. Und außerdem den wirtschaftlichen und juristischen Strukturen, die die öffentliche Verwaltung zu Diebesgut machen, sowie der Straflosigkeit, dem Rassismus und dem Patriarchalismus ein für alle Mal ein Ende bereitet“.
Guerrero: Ausgelieferte MenschenrechtsverteidigerInnen
Ayotzinapa nahe stehende Organisationen wie das „Menschenrechtszentrum des Gebirges Tlachinollan“ oder das „Netz Guerreros für Menschenrechtsorganismen“ sind Verleumdungsversuchen zum Opfer gefallen. Sie gehören leider auch nicht zu den einzigen Verteidigern im Bundesstaat, die unter Beschuss stehen. Im November wurde das Team von TADECO (dt.: Werkstatt der kommunitären Entwicklung) in einem Schreiben bedroht. Im Dezember wurde der Priester, Gregorio López Gorostieta, im Munizip Tlapehuala tot aufgefunden. In den vergangenen 12 Monaten wurden insgesamt vier Priester und ein nicht-kirchlicher Verteidiger ermordet. Vier von den erfassten Fällen geschahen in der Region Tierra Caliente.
Vicente Suástegui Muñoz, Bruder des seit Juni 2014 inhaftierten Sprechers des Rates der Ejidos und Gemeinden gegen das Wasserkraftwerk La Parota (Cecop), Antonio Suástegui Muñoz, beklagte öffentlich, Marinesoldaten hätten versucht, ihn vor seinem Haus zu verhaften. Im Januar befand ein Gericht, dass die Verlegung Antonios in eine Hochsicherheitsanstalt in Nayarit durch Justizvollzugsbeamte unbegründet gewesen sei. Daher wurde seine Rückkehr in ein Gefängnis in Guerrero angeordnet. Tlachinollan beantragte die juristische Anerkennung der Tatsache, „dass Hochsicherheitsanstalten systematisch dazu genutzt werden, um soziale Kämpfer und kommunitäre Verteidiger zu bestrafen und zum Schweigen zu bringen“.
Im Januar ersuchte der Interimsgouverneur Guerreros, Rogelio Ortega Martínez, beim Generalstaatsanwalt des Bundesstaates die Aufhebung der Gefängisstrafe Nestora Salgados. Die Leiterin der Gemeindepolizei war im August 2013 verhaftet worden, nachdem von ihr festgenommene Personen angegeben hatten, entführt worden zu sein. Ein Bundesrichter sprach sie 2014 von allen Anklagen frei, jedoch besteht weiterhin ein bundesstaatlicher Schuldspruch. Schließlich wurde die Petition auf Druck von Anti-Entführungsaktivisten hin vom Staatsanwalt abgewiesen.
Chiapas wird grün
Zu Beginn des neuen Schuljahres verteilte Gouverneur Manuel Velasco Millionen von Schulranzen und -uniformen in Grün, der Farbe seiner Partei. Obwohl sich der gesamte Bundesstaat grün färbt, kritisieren Umweltorganisationen wie „Hölzer des Volkes im Südosten“ oder der Kulturverein Na Bolom das Fehlen eines umfassenden und nachhaltigen ökologischen Projektes der jetzigen Regierung. Hinzu kommt die drohende Reaktivierung des Bergbaus in einigen Regionen von Chiapas.
Es ist kein Geheimnis, dass Manuel Velasco Coello sich 2018 als Präsidentschaftskandidat aufstellen lassen möchte, und dazu scheint er mit seiner medialen Präsenz dem Vorbild Enrique Peña Nietos zu folgen. Berichten zufolge hat er in nur zwei Regierungsjahren bereits 500 Millionen Pesos – aus Bundesstaatskassen – für Imagekampagnen ausgegeben. Weiterhin hat er seine Heirat mit einer Televisa-Schauspielerin angekündigt, ein ähnliches Vorgehen wie das Peña Nietos und seiner jetzigen Ehefrau. Schon vor seinem zweiten Regierungsbericht breitete sich sein Bild extensiv auf öffentlichen Plätzen und in den Medien aus. Solch eine Strategie wurde schon von vielen politischen Figuren eingesetzt.
Trotz der offensichtlichen Ausgaben Velascos und seiner Grünen Ökologischen Partei Mexikos hat das staatliche Wahl-Schiedsgericht das Sanktionsverfahren wegen unrechtmäßigem Einsatz von Velascos Vormachtsstellung bei der landesweiten Verbreitung seines Bildes und Namen für unbegründet erklärt. Mitte Februar jedoch entschied selbiges Schiedsgericht, dass der Kauf von fünf Werbebannern auf der Webseite einer landesweiten Onlinezeitung durch die chiapanekische Regierung unrechtmäßiger Wahlkampf sei.
In einem ganz anderen Kontext begann am 21. Dezember in Mexiko-Stadt das „erste weltweite Festival der Widerstände und Rebellionen gegen den Kapitalismus“. Auf Einladung der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) hin wurde die Veranstaltungsreihe von den Angehörigen der verschwundenen Studenten aus Ayotzinapa angeführt. Als Teilnehmer wurden mehr als 80 Organisationen, Mitglieder des Nationalen Indigenen Kongresses (CNI), die insgesamt 35 ursprüngliche Völker repräsentierten, sowie Anhänger der Sexta Declaración de la Selva Lacandona aus ganz Mexiko und 26 anderen Ländern gezählt. Die anwesenden Mitglieder der EZLN hatten „das Gesicht verhüllt, damit man uns nicht erkennt. Oder, noch besser, damit man uns als eine oder einen mehr erkennt“. Nach einer Tour durch vier Bundesstaaten endete das Festival am 4. Januar in Chiapas. Im Caracol Oventic erklärte Subcomandante Insurgente Moisés, dass „momentan Wahrheit und Gerechtigkeit für Ayotzinapa an erster Stelle stehen“, da es „am meisten Schmerz und Empörung verursacht, dass die 43 nicht bei uns sind“.
Neben massiven Protesten für Ayotzinapa, gingen anlässlich des internationalen Tages gegen die Gewalt und Ausbeutung von Frauen in 12 Munizipien von Chiapas tausende von katholischen Mitgliedern des Pueblo Creyente (dt.: Gläubiges Volk) des Bistums von San Cristóbal auf die Straße und demonstrierten gegen die Autobahn San Cristóbal-Palenque; für Gerechtigkeit im Fall Ayotzinapa; gegen Gewalt an Frauen, Alkoholismus, die Energiereform und Korruption sowie andere Themen.
Am selben Tag protestierten in San Cristóbal weitere 250 Frauen und Männer, um ihre Besorgnis darüber auszudrücken, „dass sich das große Kapital im Krieg gegen die Völker der Welt befindet. Denn es will uns unseres Landes und Territoriums berauben, um in Bergbaubetriebe, Flughäfen, Hotels, Autobahnen, Häfen, genmanipuliertes Saatgut, Monokulturen, Staudämme etc. zu investieren“.
Die meisten Spannungen bestanden im Ejido San Sebastián Bachajón, Munizip Chilón, wo im Dezember mehr als 300 Personen auf gewaltlose Art und Weise das Land zurückeroberten, auf dem sich der Zugang zu den Wasserfällen Agua Azul befindet. Am 9. Januar lösten mehr als 900 bundesstaatliche sowie staatliche Polizisten ihr Lager auf. Danach richteten die Ejidatarios von San Sebastián Bachajón einen regionalen Sitz ein. Sie beklagten weiterhin die anhaltende Polizeipräsenz sowie, dass man Truppen aufstelle, um „in der Nacht Schüsse abzufeuern“. Außerdem hätten sie „Informationen darüber, dass Haftbefehle vorbereitet werden, um die Organisation verschwinden zu lassen und uns vom regionalen Sitz in Sebastián Bachajón zu vertreiben“.
Die allgegewärtige Straflosigkeit spielte auch beim 17. Jahrestag des Massakers von Acteal, Munizip Chenalhó, eine Rolle. Die Organisation „Sociedad Civil Las Abejas“ (dt.: „Zivilgesellschaft Die Bienen“) beklagte, es seien „17 Jahre vergangen, vier mexikanische Präsidenten und zwei verschiedene Parteien an der Macht, (…) und keiner von ihnen hatte die Würde, die Menschlichkeit oder den Anstand, Gerechtigkeit walten zu lassen“. Bischof Felipe Arizmendi betonte, es sei „eine Schande, dass bereits fast alle für dieses Verbrechen verurteilten Gefängnisinsassen freigelassen worden sind, bloß weil juristische Fehler begangen wurden und nicht etwa, weil sie unschuldig seien“. Bis dato sind nur noch zwei Personen für dieses Massaker inhaftiert.
Oaxaca: Fortschritte und trotzdem noch ein weiter Weg für die Menschenrechte
Am 21. Januar wurde Elías Cruz Merino, offizieller Vertreter von San Juan Copala, als einer der Verdächtigen für die Morde an Bety Cariño und Jyri Jaakkola (finnischer Staatsbürger) verhaftet. Die beiden wurden 2010 ermordet, als sie an einer humanitären Karawane zu besagtem Munizip teilnahmen. Im Februar klagten Mitglieder der „Nationalen Vereinigung der Demokratischen Anwälte“ (ANAD) darüber, dass zwei Zeuginnen nach dieser Verhaftung Drohungen erhalten hätten. Angesichts des Mangels an Schutz und einer wirksamen Reaktion seitens der Behörden, beschloss die ANAD, die beiden Zeuginnen aus eigenen Mitteln heraus in einem sicheren Versteck unterzubringen, während gleichzeitig in Finnland um Asyl aus humanitären Gründen für sie ersucht wird. Die ANAD klagte zudem über Einschüchterungsversuche und Verfolgung des Richters und des Staatsanwaltes, die an dem Fall beteiligt sind.
Im Februar gaben zivile Organisationen bekannt, dass Bettina Cruz Velázquez, Unterstützerin der organisativen Prozesse gegen Windkraftprojekte im Istmo de Tehuantepec, von den Anschuldigungen durch die „Staatliche Kommission für Elektrizität“ (CFE) freigesprochen wurde. 2012 war sie bei einer Demonstration vor dem Gebäude der CFE festgenommen worden. Bei all den Feierlichkeiten über die Fortschritte in diesem Fall betont Santiago Aguirre, stellvertretender Leiter des Menschenrechtszentrums Miguel Agustín Pro Juárez, dass er exemplarisch für viele andere Verteidiger in Mexiko ist, die Ähnliches erleiden. Tatsächlich registrierte das Umweltrechtszentrum Mexikos im Zeitraum von Anfang 2013 bis April 2014 insgesamt 82 Angriffe auf Umweltschützer. 35 der Angriffe erfolgten in Oaxaca, vor allem im Zusammenhang mit den Windkraft-Megaprojekten im Istmo de Tehuantepec, Juchitán, wo ein kontroverser Konsultationsprozess über den Bau eines solchen Windkraftwerkes stattfindet.
In San Dionisio del Mar, Teil ebendieser Region, wurden am 5. Dezember zwei Personen bei einer Auseinandersetzung zwischen Anhängern der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) und der Volksversammlung jener Gemeinde (ADPSM) verletzt. Die Gruppe der ADPSM hatte dem Personal des nationalen Wahlinstituts (INE), das außerplanmäßige Wahlen durchführen wollte, durch eine Blockade den Zutritt verwehrt. Die Volksversammlung gab dem Leiter des Wahlinstituts von Oaxaca die Schuld an den Gewaltakten. „Seit unserem Kampf gegen das Windkraftunternehmen Mareña Renovable und den Konflikten nach den letzten Wahlen, die das soziale Geflecht zerstört haben, sind die notwendigen Bedingungen für Neuwahlen im Munizip nicht mehr gegeben. Die Regierung Mexikos sowie die Oaxacas versuchen die Ämter mit Personen zu besetzen, die den Konzernen nach und nach die Türen öffnen“.
Im Februar versammelten sich außerdem Vertreter von 25 Ortschaften in Munizipien der nördlichen Zone des Istmo, um über Drohungen und Einschüchterungsversuche durch Mitarbeiter von Pemex zu sprechen, welche den Bau einer Gasleitung von Jalipan (Veracruz) nach Salina Cruz (Oaxaca) vorbereiten. Die Versammelten gaben an, dass man ihnen den Zugang zu ihrem Land verwehre. Außerdem fordern sie die Wiedergutmachung von angerichteten Schäden in den letzten 20 Jahren, Umweltschutz- und Entwicklungsmaßnahmen in der Region sowie Informationen und Beratung zum Projekt „Corredor Transístmico“.
Die Straflosigkeit verliert in Oaxaca nicht an Brisanz. Am 25. November wurde der Auseinandersetzung zwischen der Zivilgesellschaft und der Polizei im Jahre 2006 gedacht, sowie auch den 25 Toten, ca. 500 Verhafteten, 380 Folteropfern und 5 Verschwundenen, die der Konflikt in dem Bundesstaat zwischen 2006 und 2007 hinterließ. Die „Kommission der Angehörigen von Verschwundenen, Ermordeten und politischen Häftlinge von Oaxaca“ (COFADAPPO) forderte die kürzlich gegründete „Kommission der Wahrheit“ dazu auf, den Bürgern aufrichtige Ergebnisse zu präsentieren. Gleichzeitig zeigte sich am 25. November, dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, dieselbe Problematik in Oaxaca. Bis dahin hatte Consorcio Oaxaca 344 Feminizide und 122 Fälle von Verschwindenlassen während der Amtszeit der aktuellen Regierung verzeichnet, die ungestraft geblieben sind.