Eilaktion – Fall Ayotzinapa, Iguala, Guerrero, Mexiko
17/10/2014FOKUS: Kinder und Jugendliche in Mexiko – Eine ungewisse Zukunft
24/11/2014Drei Gewaltakte ließen das Ansehen Mexikos in den letzten Monaten stark sinken. Im Juli erlag José Luis Alberto Tlehuatle Tamayo seinen Verletzungen durch ein Gummigeschoss der Polizei, das ihn während der Auflösung einer Demonstration traf. Zwei Monate zuvor hatte der lokale Kongress ein „Gesetz zum Schutz der Menschenrechte und zur Regelung des legitimen Gebrauchs der Polizeigewalt“ verabschiedet, das besser bekannt ist als „Schießgesetz„. Am 22. Juli wurden 22 Zivilpersonen in Tlatlaya, Estado de México, von Soldaten ermordet: Sieben starben bei einem Schussgefecht, die anderen 15 wurden exekutiert, nachdem sie sich ergeben hatten. Schließlich wurden am 26. und 27. September Studenten der Escuela Normal Rural Raúl Isidro Burgos de Ayotzinapa und andere Zivilpersonen in Iguala, Guerrero, von Polizisten des Munizips sowie Mitgliedern einer unbekannten bewaffneten Gruppe angegriffen. Die Attacke hinterließ sechs Tote (3 Studenten aus Ayotzinapa), 25 Verletzte und 43 verschleppte Studenten. Bis heute fehlt von ihnen jede Spur, obwohl bereits 19 Massengräber mit unzähligen Leichen gefunden wurden, von denen jedoch keine als einer der vermissten Studenten identifiziert werden konnte. Im November brachte die Generalstaatsanwaltschaft Geständnisse von inhaftierten Verdächtigen vor, nach denen die Studenten exekutiert und verbrannt wurden. Die Familienangehörigen der Vermissten wollten diese Version jedoch nicht akzeptieren, bis forensische Beweise dafür vorliegen.
Am 12. Oktober verurteilten einige EU-Abgeordnete die Vorfälle von Tlatlaya und Ayotzinapa. Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte in Mexiko bestätigte am 5. November, dass Tlatlaya kein Einzelfall ist, sondern in einer Reihe von Verbrechen durch Militär und Polizei zu sehen ist, auf die die Regierung kaum reagiert hat. Am 30. Oktober erklärte der ausführende Sekretär der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (CIDH), Emilio Álvarez Icaza, „dass nicht nur die Fälle von Ayotzinapa, Tlatlaya oder Puebla bedauernswert sind, sondern auch die Tatsache, dass sie altbekannten Mustern folgen“. Auch das Weiße Haus zeigte sich Ende Oktober „besorgt über die Berichte“ von den Vorfällen in Guerrero.
Ebenso berichtete die internationale Presse, die zuvor meistens lobende Worte für die Regierung unter Enrique Peña Nieto fand, zunehmend kritisch über die Situation im Land. „Ayotzinapa“ hat außerdem zu Massendemonstrationen inner- sowie außerhalb Mexikos bewegt, die abgesehen von Ausschreitungen in Guerrero, Michoacán, Chiapas und Mexiko-Stadt in der Mehrheit friedlich verliefen. Am 8. Oktober versammelten sich Millionen von Demonstranten in mindestens 25 Bundesstaaten Mexikos sowie mehreren amerikanischen und europäischen Städten und forderten die lebendige Herausgabe der Studenten. Allein in Chiapas gingen mehr als 60.000 Personen auf die Straße, darunter auch etwa 20.000 Unterstützer der Zapatistischen Armee, genannt Bases de Apoyo del Ejército Zapatista de Liberación Nacional (EZLN). Am 22. Oktober fand eine Protestaktion namens „Ein Licht für Ayotzinapa“ in etlichen Städten Mexikos und im Ausland statt. Im November schlossen sich Kommilitonen und Familienagehörige der Vermissten zu einer „Nationalen Brigade“ zusammen, die über drei Routen, in den Norden und Süden des Landes sowie durch den Bundesstaat Guerrero fuhr. Das Ziel dieser Initiative war es, Informationen aus erster Hand weiterzugeben und „Vorschläge für ein Programm einzuholen, mit dem man die Ursachen für die Vorfälle vom 26. und 27. September bekämpfen kann“.
Ayotzinapa bringt die Menschenrechtskrise im Land zum Vorschein
Auf die Menschenrechtskrise, die durch Ayotzinapa offenbart wurde, haben Bürgerrechtsorganisationen schon lange hingewiesen. Im September veröffentlichte Amnesty International einen Bericht namens „Außer Kontrolle: Folter und Misshandlungen in Mexiko“, in dem man angab, „dass 2013 die Zahl der Anzeigen (1.505) im Vergleich zu der von 2003 um 600% gestiegen sei“. Im August veröffentlichte die Organisation für Menschenrechtsverteidiger „Acción Urgente para Defensores de Derechos Humanos“ den Bericht „Die Verteidigung der Menschenrechte in Mexiko: Ein Kampf gegen die Straflosigkeit“. Darin steht, dass während der Amtszeit von Enrique Peña Nieto 669 willkürliche Verhaftungen aus politischen Motiven, 25 außergerichtliche Exekutionen und 29 Verschleppungen verzeichnet wurden. Ohne die willkürlichen Verhaftungen in Mexiko-Stadt miteinzubeziehen, werden Oaxaca, Chiapas und Guerrero als die gefährlichsten Bundesstaaten für Menschenrechtsverteidiger identifiziert.
Nach den Vorfällen in Ayotzinapa nahmen im Oktober etliche mexikanische Bürgerrechts-organisationen an der CIDH in Washington, USA, teil, um auf aktuelle Fälle von Straflosigkeit und Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen. Die erste Anhörung war von der mexikanischen Regierung beantragt worden, um das „Nationale Programm für Menschenrechte“ zu präsentieren. Vor den Türen der Räumlichkeiten, in denen die Anhörungen stattfanden, versammelten sich Dutzende Demonstranten mit Fotografien der verschwundenen Studenten. Die Staatssekretärin für Juristische Angelegenheiten und Menschenrechte des Innenministeriums, Lía Limón García, räumte ein, dass sich Mexiko in einer schwierigen Situation befinde, die die normativen Fortschritte im Bereich der Menschenrechte auf die Probe stellt, und beteuerte, dass „der mexikanische Staat nicht ruhen wird, bis die Studenten gefunden sind“.
Von der Seite der Bürgerrechtsorganisationen wurde vorgebracht, dass „die humanitäre Krise, der das Land, ausgehend von den Zeugenberichten und Anzeigen über verschleppte, ermordete, vertriebene, gefolterte oder verletzte Personen, gegenübersteht, von der Regierung ignoriert, beschönigt, versteckt, simuliert und in manipulierten Statistiken heruntergespielt worden ist“. Es hieß weiterhin, dass „die Bemühungen der Regierung sich darauf konzentrieren, den „mexikanischen Moment“ des vermeintlichen Fortschritts und Wohlstandes zu vermitteln.“ Außerdem sei der Staat „verantwortlich für begangene und andauernde, schwere, generalisierte sowie systematische Menschenrechtsverletzungen“. In diesem Sinne wurde auch „die Verbindung zwischen der Straflosigkeit im sogenannten ˈSchmutzigen Kriegˈ und den aktuellen Geschehnissen“ hervorgehoben.
Der Bericht des Präsidenten: Euphorie von den aktuellen Vorfällen gestoppt
Durch die erwähnten Vorfälle bröckelt das Image, das Peña Nieto im Ausland von Mexiko aufzubauen versucht hat und auch in seinem zweiten präsidentschaftlichen Bericht im September hervorheben wollte. Unter den Erfolgen erwähnte er darin die Verabschiedung von elf Strukturreformen sowie die Verhaftung des Drogenbosses „Chapo“ Guzmán oder die Wiedererlangung eines gewissen Maßes an Kontrolle über Michoacán, um dem Vorrücken der organisierten Krimminalität einhalt zu gewähren. Außerdem wurde genau am Publikationstag des Berichtes die National-Gendarmerie ins Leben gerufen und erfüllte somit endlich eines seiner Wahlversprechen. Bürgerrechtsorganisationen zeigten sich angesichts der Schaffung einer Polizeieinheit mit Militärausbildung und ohne Interesse am Schutz der Bürgerrechte besorgt, was nach den Vorfällen von Tlatlaya durchaus berechtigt scheint.
Am 1. September erwies sich die Wahrnehmung der Regierung Peña Nietos durch multilaterale Wirtschaftsorganismen und internationale Medien als höchst positiv. Umfragen zeigten jedoch, dass 6 von 10 Mexikanern nicht mit seiner Wirtschaftspolitik einverstanden waren und seine Energiereform sogar bei 60% auf Ablehnung stieß. Laut der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik war Mexiko das einzige der evaluierten Länder, dessen in Armut lebende Bevölkerung angestiegen ist. In Frage gestellt wurde zudem, dass die Reformationsrunde nicht zu einer Sozialpolitik jenseits der Wohlfahrt geführt habe.
Anders als der Bericht des Präsidenten zeichnen Bürgerrechtsorganisationen ein äußerst besorgniserregendes Bild der Lage. Servicios y Asesorías para la Paz (Serapaz) gab an, dass in zwei Jahren Regierungszeit mindestens 23.640 Morde und 22.322 Verschleppungen registriert wurden. Artículo 19 teilte mit, dass während Peña Nietos Amtszeit sieben Journalisten ermordet und dass 330 Aggressionen gegen die Presse im Jahre 2013 sowie 150 Agriffe auf Journalisten im ersten Halbjahr 2014 verzeichnet wurden. Laut dem Institut Mexikos für Menschenrechte und Demokratie wurden im Bericht „bloß Gesetze und Programme als Erfolge präsentiert, die keine konkreten Handlungen oder Ergebnisse folgen lassen“ sowie „ernsthafte Probleme, die im Land andauern, außer Acht gelassen“, wie zum Beispiel Straflosigkeit oder Folter.
GUERRERO: Im Auge des Wirbelsturms
Der Fall von Ayotzinapa löste heftige Kritik an der Regierung des Bundesstaates aus. Einige Familienangehörige der verschwundenen Studenten bezichtigten sogar Regierungsmitglieder Guerreros, ihnen 100.000 Pesos pro Vermissten angeboten zu haben, damit sie schwiegen und die Suche aufgaben. Am 23. Oktober trat der Gouverneur, Ángel Aguirre Rivero, auf reichlich Druck hin von seinem Amt zurück. Seine Amtszeit hatte bereits 2011 mit der Ermordung von zwei Studenten aus Ayotzinapa begonnen, die der Auflösung einer Blockade durch Bundes- und Ministerialpolizisten zum Opfer fielen.
Ayotzinapa hat die grundlegende Schwäche der Institutionen, insbesondere auf bundesstaatlicher und munizipaler Ebene, freigelegt, wo die Korruption und Verwicklung von Polizei, Lokalpolitik und dem organisierten Verbrechen deutlich werden. Am 4. November wurden der ehemalige Bürgermeister von Iguala, José Luis Abarca, und seine Ehefrau, María de los Ángeles Pineda, in Mexiko-Stadt als mutmaßliche Anstifter der Tat festgenommen. Damit lag die Zahl der Verhaftungen in diesem Fall bei 74 Personen. Dennoch wurden noch immer keine signifikanten Fortschritte bei der Suche nach den Vermissten erzielt.
Im Allgemeinen befinden sich Menschenrechtsverteidiger in Guerrero in einer sehr gefährlichen Situation. Am 9. Oktober erhielt Saira Rodríguez Salgado, die Tochter von Nestora Salgado García, der Kommandantin der Kommunalpolizei von Olinalá und aktueller Insassin im Hochsicherheits-gefängnis von Tepic, Nayarit, Morddrohungen. Am 27. Oktober teilte sie mit, dass sie aus diesem Grund in die USA flüchten will. Ihrer Anzeige sei nicht nachgegangen worden. Im August hatte ihre Mutter bereits ein Jahr in Haft verbracht. Das Nationale Netzwerk von Menschenrechtsverteidigern in Mexiko (Red Nacional de Defensoras de Derechos Humanos en México) beklagte „den politischen Charakter der strafrechtlichen Verfolgung und den illegalen Gebrauch von staatlichen Gefängnissen unter Mittäterschaft der staatlichen Regierung, vor denen kein Menschenrechtsverteidiger in Guerrero sicher ist“.
Im Oktober wurde auch María de la Cruz Dorantes Zamora, Mitglied des „Consejo de Ejidos y Comunidades Opositoras a La Parota“ (Cecop, dt.: „Rat der Ejidos und Gemeinden gegen das Wasserkraftwerk ˈLa Parotaˈ“) festgenommen. Ihr wird schwerer Raub vorgeworfen, ebenso wie dem Sprecher von Cecop, Marco Antonio Suástegui Muñoz, der seit Juni im Staatsgefängnis von Tepic inhaftiert ist.
Im November versicherte der Interimsgouverneur Guerreros, Rogelio Ortega Martínez, die Annäherung an die Familienangehörigen der vermissten Studenten aus Ayotzinapa gesucht zu haben, beklagte jedoch gleichzeitig, dass „radikale“ Gruppierungen wie das Centro de Derechos Humanos de la Montaña Tlachinollan und die Coordinadora Estatal de Trabajadores de la Educación en Guerrero (CETEG, dt.: Bundestaatliche Koordination der Lehrer Guerreros) diesen Dialog verhindert hätten. Der Leiter Tlachinollans kritisierte die „mediale Lynchjustiz“ gegen das Zentrum, da sie die Arbeit der dort tätigen Menschenrechtsverteidiger in Gefahr bringe. Er stellte klar, dass die Eltern der Verschwundenen respektiert würden und sie es sind, „die entscheiden“. Zudem trat ein Geheimdienstbericht der mexikanischen Regierung ans Tageslicht, in welchem José Manuel Olivares Hernández, dem technischen Sekretär des Menschenrechtsnetzwerkes „Red Guerrerense de Derechos Humanos“ unterstellt wird, mit einer Guerrillagruppe in Verbindung zu stehen, was von den Menschenrechtsorganisationen wiederum bestritten wird und ein weiteres Beispiel dafür darstellt, wie Aktivisten in Guerrero Steine in den Weg gelegt werden.
OAXACA: Ermordungen, Verhaftungen und Drohungen gegen Menschenrechtsverteidiger folgen selbem Muster
Auch in Oaxaca sind Personen, die sich für Menschenrechte stark machen, vielen Gefahren ausgesetzt. Im August erhielt Silvia Pérez Yescas, Mitglied der Umweltschutzorganisation „Conservación, Investigación y Aprovechamiento de los Recursos Naturales“ (CIARENA), Kenntnis davon, dass in San José Río Manzo ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt wurde. Sie hatte in den vergangenen Jahren mehr als zehn Drohungen erhalten, weshalb sie bereits Vorsichtsmaßnahmen getroffen hatte. Im September hinderten Bürgerrechtsorganisationen und Abgeordnete die Generalstaatsanwaltschaft daran, Bettina Cruz Velázquez, Mitglied der „Asamblea de Pueblos Indígenas del Istmo en Defensa de la Tierra y el Territorio“ (APIIDTT, dt.: „Versammlung der indigenen Völker des Istmo zur Verteidigung von Land und Territorium“), zu verhaften. Nun ist sie zwar noch in Freiheit, aber wird der Freiheitsberaubung und Vergehen gegen den Konsum und nationalen Wohlstand beschuldigt, weil sie 2012 friedlich an einer Demonstration gegen die hohen Strompreise teilgenommen hat. Ebenso im September wurde Jaime López Hernández, Mitglied des Organisationsnetzwerkes „Organizaciones Indias por los Derechos Humanos en Oaxaca“ (OIDHO) in San Juan Ozolotepec ermordet. Servicios para una Educación Alternativa (EDUCA) zeigte sich besorgt, „über den Anstieg der politischen Gewalt in Oaxaca und die Straflosigkeit der Aggressionen gegen Anführer und Aktivisten, die für Menschenrechte kämpfen“. Im Oktober wurden Silvia Hernández Salinas, Mitglied von „Voces Oaxaqueñas Construyendo Autonomía y Libertad“ (VOCAL, dt: „Stimmen Oaxacas für Autonomie und Freiheit“) bei einem Einbruch in ihrem Haus ein Computer und zwei Festplatten entwendet.
Am 2. Oktober fand in Oaxaca-Stadt ein Protestmarsch in Gedenken an das Massaker von Tlatelolco statt (1968, Mexiko-Stadt). 75 Personen, mehrheitlich Minderjährige, Mitglieder von OIDHO oder der Sektion XXII der Nationalen Lehrergewerkschaft, wurden verhaftet. Sie wurden verdächtigt, als Teil einer Gruppe von „Anarchisten“ in Geschäften und Amtsgebäuden randaliert zu haben, später jedoch wieder freigelassen.
Im September und Oktober wurden ebenfalls körperliche wie verbale Aggressionen gegen die Migrantenherberge „Hermanos en el Camino“ in Ixtepec bekannt. Seit dem Inkrafttreten des „Plan Frontera Sur“ sind bereits 57 Migranten schweren Verbrechen wie Raub, Erpressung, Vergewaltigung und Körperverletzung zum Opfer gefallen. Dokumentationen durch die Herberge bestätigen, dass die Aggressionen gegen diesen Teil der Bevölkerung um 90% zugenommen haben.
Im November erhielten Mitglieder der „Asamblea Popular del Pueblo Juchiteco“ (APPJ) und der APIIDTT während der Vorbreitung einer Beratung über den Bau eines Windenergieparks in Juchitán und darüber hinaus Drohungen und Einschüchterungen. Die geplante Anlage mit 132 Windrädern ist ein Projekt des Energieunternehmens Energía Eólica del Sur (zuvor: Mareña Renovables). Código DH beklagte, dass diese Aggressionen „die erste Phase des Beratungsprozesses behindern, da sie eigentlich allen Interessierten die Partizipation ermöglichen sollte“. Viele soziale Organisationen stellen diese Beratung in Frage und bezeichnen sie als „Scherz“ oder „Zirkus„, da der Prozess erst nach 13 Windparks und mehr als 800 Hochspannungsmasten in der Umgebung Juchitáns begonnen wurde.
CHIAPAS: Straflosigkeit, Land und Territorium – Im Herzen der sozialen Kämpfe
Im Oktober führten etwa 10.000 Katholiken einen Pilgermarsch in Simojovel durch, um die Schließung von Zentren der Prostitution, des Alkohol-, Drogen und Waffenverkaufs in ihrem Munizip zu fordern sowie um Drohungen gegen sie anzuprangern. Das Centro de Derechos Humanos Fray Bartolomé de Las Casas (CDHFBC) kritisierte „das Fehlen bzw. die Ineffizienz der behördlichen Ermittlungen im Falle der Morddrohungen gegen Mitglieder des Consejo Parroquial [(dt.: Rat der Pfarrei)] und gegen Padre Marcelo Pérez Pérez“. Anschließend klagten Mitglieder des Pueblo Creyente (dt.: Gläubiges Volk) von Simojovel über erneute und wiederholte Entführungs- und Morddrohungen von Seiten der Behörden und lokalen Schmugglergruppen.
Die Verteidigung von Land und Territorium bleibt ein Katalysator für Auseinandersetzungen inner- und außerhalb des Bundesstaates. Im September veröffentlichten der Congreso Nacional Indígena (CNI, dt.: Nationalkongress der Indigenen) und die EZLN einen Aufruf zur Freilassung Mario Lunas, Sprecher des Yaqui-Stammes im Bundesstaat Sonora, der verhaftet wurde „für ihm fälschlicherweise unterstellte Verbrechen; Auf diese Weise versucht man, den Kampf selbst wegzusperren, den der Yaqui-Stamm führt, um die Gewässer zu verteidigen, die ihm 1940 (…) von Lázaro Cárdenas zugesprochen wurden“. Man beklagte, dass die Wasserversorgungsanlage Independencia „nicht einmal annähernd dafür sorgt, dass die Armen Wasser und Fortschritt erhalten“. Sie betonten, dass Entwicklungsmegaprojekte eine Gefahr für die ursprünglichen Völker darstellen, da man sie „mit Windkrafträdern, Autobahnen, Bergbauminen, Staudämmen, Flughäfen und Drogenhandel“ töten wolle. Im Oktober beklagte das Centro de Derechos Humanos Miguel Agustín Pro Juárez Einschüchterungsversuche wärend und nach dem Marsch von 500 Ejidatarios, den sie in der Hauptstadt des Munizips von Tila zur 80. Jahrfeier der Entstehung ihres Ejidos veranstaltet hatten. Im November fanden diverse Aktionen im Munizip von Chicomuselo statt, um gegen die Ausbeutung durch den Bergbau zu demonstrieren und sich für die Verteidigung des Lebens zu organisieren. Am Ende eines Protestmarsches wurde Chicomuselo zum „Munizip frei von Bergbau“ erklärt. In diesem Rahmen fand auch das dritte Forum zur Verteidigung und dem Schutz der Mutter Erde statt, an dem etwa 3.500 Personen teilnahmen.
Ein weiterer Grund zur Besorgnis: Chiapas befindet sich aktuell unter den ersten zehn Bundesstaaten mit der höchsten Feminizidrate. 2010 wurden 22 registriert, 2012 bereits 97, 2013 gab es 83 und seit Januar bis heute 41 dokumentierte Fälle, so die Frauenrechtsgruppe Grupo de Mujeres de San Cristóbal. Die „öffentliche Kampagne gegen Gewalt gegen Frauen und Feminizid in Chiapas“ verurteilte die chiapanekische Regierung dafür, „dass die Urteile in Fällen von Feminizid überaus mild und somit nicht im Einklang mit dem Gesetz ausfallen“.
Einen weiteren Fall von Straflosigkeit stellt die Abweisung der Berufung von zehn Personen, die den ehemaligen Präsidenten Mexikos, Ernesto Zedillo Ponce de León (1994-2000), für das Massaker von Acteal (1997) vor dem Obersten Gerichtshof der Verinigten Staaten angeklagt hatten. Im November wurden drei Personen, die für dieses Massaker inhaftiert waren, freigelassen. Somit verbüßen momentan nur noch zwei Personen eine Haftstrafe für dieses Verbrechen. Im Oktober fand eine Gedenkveranstaltung in Masojá Shucjá, Tila, für die dort exekutierten, verschleppten und vertriebenen Opfer in den Jahren zwischen 1995 und 1999 statt. Das CDHFBC gab an, dass die paramilitärische Gruppe „ˈPaz y Justiciaˈ in der unteren Region von Tila für mindestens 37 Verschleppungen, 85 Exekutionen und mehr als 4.500 vertriebene Personen verantwortlich sind, welche, um ihr Leben zu retten, fliehen mussten und außerdem Einschüchterungen, Sachbeschädigungen, Folter (auch sexueller Art), willkürliche Verhaftugen und weitere Menschenrechtsverletzungen erleiden mussten. (…) Leider sind diese schweren Menschenrechtsverletzungen bisher ungeahndet geblieben“. Im November fand ein Pilgermarsch zum Gedenken an die Opfer des Massakers von Viejo Velasco (vier Tote, 4 Vermisste), Munizip von Ocosingo, statt, bei dem angesichts der fortwährenden Straflosigkeit Gerechtigkeit gefordert wurde. Gleichzeitig wurde von sieben Meschenrechtsorganisationen aus Chiapas die Kampagne „Rostros del Despojo“ (dt.: „Gesichter der Ausbeutung“) ins Leben gerufen, bei der „Formen der gewaltsamen Enteignung und Vertreibung der ursprünglichen Völker sichtbar gemacht werden sollen“.