Aktivitäten von SIPAZ (Mitte Mai bis Mitte August 2022)
01/10/2022FOKUS: Gewaltsames Verschwinden von Personen in Mexiko, der Fall Ayotzinapa
20/12/2022
I m September billigte die Abgeordnetenkammer die Initiative von Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO), dem Verteidigungsministerium die volle Kontrolle über die Nationalgarde zu übertragen. Am nächsten Tag fragte ein Journalist López Obrador, warum er seine Meinung geändert habe, wo er doch im Wahlkampf klar gegen die Militarisierung Stellung bezogen und versprochen hatte, das Militär in sechs Monaten in seine Kasernen zurückzubringen. „Ich habe meine Meinung geändert, als ich das Problem sah, das ich geerbt habe“, gab AMLO zu.
Zivile Organisationen verbreiten ihre Gegenhaltung gegen diese Entscheidung, da er „sich gegen den Willen der Menschen, die ihn gewählt haben, die ihn unter anderem in der Hoffnung gewählt haben, dass er sich für die Befriedung des Landes einsetzt, die Megaprojekte gegen die Gemeinden stoppt und der Militarisierung ein Ende setzt. Das ist ein Akt gegen die Verfassung und die Zivilregierung„. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Nada Al- Nashif, äußerte ihre Besorgnis, vor allem über die mangelnde Rechenschaftspflicht der Streitkräfte. Darüber hinaus hat jene Strategie auch nicht die Verminderung der Kriminalität im Lande herbei geführt, sondern zu einer Zunahme der Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen. Laut der Medien „wurden in den sechs Jahren der Amtszeit mehr als 130 Millionen vorsätzliche Morde, 33 Millionen verschwundene Personen und 3.615 Morde an Frauen registriert, von denen 98% ungestraft blieben“. Die nationale Menschenrechtskommission (CNDH) erklärte jedoch, dass die Entscheidung „unter einem Gesichtspunk der Menschenrechte zulässig sein kann und ist“, solange ihre Intervention zeitlich begrenzt und auf Ausnahmefälle begrenzt ist, so dass „sie keine verfassungswidrigen Handlungen fördert“.
In einem weiteren Aspekt, der ebenfalls eine Frage bezüglich der Verordnung mit sich bringt, ist die Tatsache, dass durch die Ermittlungen durch das Netzwerk für digitale Rechte (R3D) und mehrerer Medien aufgedeckt hat, dass das Spionageprogramm Pegasus auch während der sechsjährigen Amtszeit, für AMLO arbeitete. Diese Schadenssoftware, wird angeblich nur an Regierungen verkauft um Terrorismus und Kriminalität vorzubeugen; trotzdem, im Falle Mexikos, wurde festgestellt dass es seit 2017 zum Überwachen von Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen und Bürger*innen verwendet wird. Die letzten Ermittlungen zeigten, dass die Telefone von mindestens 3 Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen mit Pegasus in der Zeit von 2019 und 2021 abgehört wurden. Die Ermittlungen decken auf, dass Sedena die Struktur ist, die den Vertrag von 2019 erstellt hat. AMLO erklärte dass „wir nicht wissen, warum wir, die wir seit Jahren bespitzelt und verfolgt werden, nicht das Gleiche tun können, abgesehen davon, dass es unangemessen ist und unseren Prinzipien und Überzeugungen widerspricht„.
Es fanden mehrere Mobilisierungen statt, um die Militarisierung zu stoppen. Dazu gehörte auch die jährlich stattfindende Demonstration zum Gedenken an das Studierendenmassaker in Tlateloco am 2. Oktober 1968. Mehr als fünf Jahrzehnte später scheinen mehrere Forderungen immer noch aktuell zu sein: Nein zur Militarisierung und ein Ende der Straflosigkeit. „Die mexikanische Armee hat es wiederholt und schwere Menschenrechtsverletzung begangen, Verfolgung und außergerichtliche Inhaftierung, Entführungen, Folter und grausame unmenschliche Umgangsweisen, Gewalt und Hinrichtungen sind der gemeinsame Nenner einer langen Liste von Missständen“, erklärte das Komitee 68 der proliberalen Demokraten.
Der Nationale Indigene Kongress (CNI) seinerseits, rief am 12. Oktober, dem 26. Jahrestag seiner Gründung, zu einer „Globalen Aktion gegen die Militarisierung und den kapitalistischen und patriarchalen Krieg gegen die Völker Mexikos und der Welt“ auf. „Der Kampf um das Leben ist seit 530 Jahren unser gemeinsames Wort, und der Krieg gegen unsere Völker war immer die Antwort der schlechten Regierungen. Aus diesem Grund erheben wir unsere Stimme und mobilisieren, um einen vollständigen Stopp der militärischen Einkesselung, der paramilitärischen Angriffe und des Aufstandsbekämpfungskrieges zu fordern, der sich gegen die EZLN und die zapatistischen Gemeinden richtet; und gegen die indigene Bevölkerung Mexikos durch Militarisierung und Paramilitarisierung, organisiertes Verbrechen, Megaprojekte des Todes und die Enteignung unserer Ländereien und Territorien„, erklärte der CNI.
Andere Sorgen in Bereich der Menschenrechte
In den letzten zwölf Monaten, kam es insgesamt zu 118 Vorfälle, bei denen die Menschenrechte von Menschenrechtsverteidiger*innen verletzt wurden, so der Bericht „Verteidigung der Menschenrechte in Mexiko: zwischen Unterlassung und Simulation“, der von der Acción Urgente para Defensores de Derechos Humanos A.C. (ACUDDEH), dem Comité Cerezo México und der Campaña Nacional Contra la Desaparición Forzada (Nationale Kampagne gegen das gewaltsame Verschwindenlassen) vorgelegt wurde. Obwohl sich die Zahl der Menschenrechtsverletzungen gegen Menschenrechtsverteidiger*innen im Vergleich mit den vorherigen Regierungen verringert hat, ist die Regierung von AMLO „ihrer Verantwortung in Bezug auf das Recht der Opfer auf Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit nicht nachgekommen„. 69% der Taten wurden auf Auftrag durchgeführt, mit einer Zunahme „die Beteiligung an anderen Menschenrechtsverletzungen durch die von Morena geführten Regierungen und der Zunahme dieser anderen Verletzungen durch die föderale Regierung; der Zunahme der Beteiligung der Streitkräfte an den Taten; und der Langsamkeit bei der Entwicklung, Verbesserung und Vervollkommnung einer allgemeinen Gesetzesinitiative zur Achtung und Förderung der Rechte von Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen„.
Dem Bericht von Global Witness zufolge, belegte Mexiko mit insgesamt 54 Opfern den ersten Platz auf der Liste der Länder mit der höchsten Mordrate von Umweltaktivist*innen, im Jahr 2021. Fast die Hälfte dieser waren Einheimische. „In den letzten zehn Jahren hat sich das Land schnell zu einem der gefährlichsten Orte für Umweltaktivist*innen verwandelt, mit 154 dokumentierten Fällen in diesem Zeitraum“, heißt es in dem Bericht.
Bezüglich eines weiteren Bereiches der zunehmend Sorge bereitet, war die UN-Sonderberichterstatterin für die Menschenrechte von Binnenvertriebenen, Cecilia Jimenez-Damary, vom 29. August bis zum 9. September in Mexiko. Sie besuchte Mexiko Stadt, Chihuahua, Guerrero und Chiapas. Am Ende ihres Besuches, betonte sie, dass „die Ursachen der Vertreibungen verschiedene und multifaktoriell sind. Dazu gehören verschiedene Arten von Gewalt, die oft durch das organisierte Verbrechen verursacht werden, manchmal im Zusammenhang mit Entwicklungsprojekten, illegalem Bergbau und Holzeinschlag, oder durch Wahl-, Religions- und Agrarkonflikte“. Sie erwähnte, dass „die Bundesregierung keine Statistiken hat, aber dass einige Organisationen, Wissenschaftler*innen und lokale Behörden ihr Schätzungen von 350.000 bis 400.000 Binnenvertriebenen gaben„. Sie empfahl die Schaffung eines Gesetzes zum Schutz von Binnenvertriebenen sowie eines Bundesregisters für Opfer. Sie forderte die Regierung auf, ein angemessenes und nachhaltiges Budget bereitzustellen, um Binnenvertriebenen Betreuung, Schutz und dauerhafte Lösungen zu bieten.
CHIAPAS: Mehrere Brennpunkte vor dem Hintergrund zunehmender Gewalt aufgrund von Kämpfen zwischen kriminellen Gruppen
Im September äußerte sich das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas (Frayba) besorgt über die Genehmigung der Reform der Nationalgarde. „Die Kasernen wurden in den Gebieten indigener Bevölkerung errichtet, die sich gegen die Enteignung ihrer Lebensräume durch die Megaprojekte der Bundesregierung wehren, wie die Maya-Bahn, den interozeanischen Korridor, die Raffinerie Dos Bocas oder die Straßeninfrastruktur, die sie verbindet“, äußerten es. Des Weiteren prangerten es an, dass „inmitten der aktuellen Remilitarisierung in Chiapas, sich der Handel und Konsum von Drogen verstärkt hat, auch die Entführungen und Morde dauern noch immer an, was zeigt, dass die Strategie wie in den 1990er Jahren gescheitert ist. Zu den Auswirkungen der Gewalt gehören: Gemeinden werden angegriffen und zur Umsiedlung gezwungen; in anderen Gebieten wurden von kriminellen Gruppen Ausgangssperren verhängt und Zonen mit Schweigepflicht eingerichtet.“
Im gleichen Zusammenhang traf sich die „Vereinigung der Frauenbewegung zur Verteidigung der Mutter Erde und unserer Territorien“ in Chapultenango, um die Situation in Chiapas zu analysieren. „Wir sind uns einig, dass in allen unseren Gebieten das organisierte Verbrechen regiert, wir sehen eine Zunahme des Verkaufs und der Verbreitung von Waffen, Drogensucht, Prostitution und Alkoholismus. In Komplizenschaft mit einem Prozess der Militarisierung, der die Enteignung und Kontrolle unserer Territorien ermöglicht. Frauen sind am stärksten von der Zunahme der Femizide, der Todesfälle, des Hungers und des Verschwindens von Mädchen und jungen Frauen betroffen„, sagte sie.
Ebenso im September, berichteten Einwohner*innen der Gemeinde Chenalhó aus Santa Marta von Schüssen, Hausbränden und Entführungen von mehr als 100 Personen, davon sind 4 tot aufgefunden worden. Laut Zeugenaussagen wurde Anfang dieses Jahres ein Friedens- und Abrüstungsabkommen unterzeichnet, das zur Vertreibung der Personen führte, die weiterhin Teil der bewaffneten Gruppe sein wollten, die die Feindseligkeit gegen ihre Nachbar*innen in der Gemeinde Aldama aufrechterhielt. Die selben Personen (etwa 60) beschlossen, Häuser und Grundstücke mit Gewalt zu übernehmen.
Im selben Monat, versammelten sich mehr als tausend Männer und Frauen des Gläubigen Volkes in der Region Chab und nahmen an einer Demonstration in Bachajón in der Gemeinde Chilón teil, um die sofortige Freilassung von neun Gemeindeleiter- & Verteidiger*innen zu fordern, zwei aus dieser Region, fünf aus San Juan Cancuc und zwei aus Pantelhó, zudem verlangen sie die endgültige Aufhebung des Haftbefehls gegen Pater Marcelo Pérez Pérez. „Diese Verhaftungen sind ein Versuch, die gerechte Anklage unserer Völker zu unterdrücken und den Frieden in unseren Gebieten zu verhindern. Diese Brüder wurden kriminalisiert, weil sie die Rechte der indigenen Bevölkerung, ihr Territorium und ihre Bräuche verteidigt haben„, erklärten sie.
Eine anderes Anliegen ist, dass Roberto Flores, Journalist und Leiter der Webseite „Chiapas Denuncia ¡Ya!“, seit September verschwunden ist. Er wurde zuletzt in seiner Heimat in Comitán gesehen. Chiapas denuncia ¡ya! ist eine Nachrichtenseite, die über Beschwerden von Bürger*innen gegen angebliche Unregelmäßigkeiten der Behörden berichtet. Nach Angaben der Organisation für Meinungsfreiheit Artículo 19 hatte Flores nach der Veröffentlichung von Informationen über das Sinaloa-Kartell Einschüchterungsnachrichten erhalten.
Andererseits prangerte die Gemeinde San Pedro und San Pablo de Chicomuselo im Oktober die Verschlechterung der Situation in diesem Gebiet sowie die Drohungen, Schikanen und Einschüchterungen gegen Menschenrechtsverteidiger*innen in dieser Gemeinde an. Dies ist auf das Interesse von Unternehmen und Privatpersonen an der Wiederaufnahme des Bergbaus zurückzuführen. Sie berichten von der Einfahrt mehrerer Lastwagen zum Transport von Bergbaumaterial. Die Gemeinde berichtete, dass „die Umweltbeschwerde formell bei der Bundesanwaltschaft für Umweltschutz (PROFEPA) eingereicht wurde und die Antwort ausweichend ausfiel, mit dem Argument, dass es angesichts der Welle von Gewalt und Unsicherheit in der Region keine Sicherheitsbedingungen für die Durchführung der Untersuchung gibt„.
Im November schließlich versammelten sich in Tuxtla Gutiérrez feministische Kollektive, Angehörige von Opfern von Femizid und Bürger*innen im Allgemeinen, um die Zunahme der Gewalt gegen Frauen im Bundesstaat anzuprangern. Sie erinnerten daran, dass am 18. November 2016 in dem Bundesland der „Warnstufe aufgrund von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen“ (AVGM) eingerichtet wurde. Bislang haben die Beschwerden über diese Art von Gewalt jedoch zugenommen. Sie forderten Gerechtigkeit, Ermittlungen unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten, die die Ergreifung der Verantwortlichen ermöglichen, würdige Lebenschancen für Frauen und öffentliche Einrichtungen, die in der Lage sind, Gewalt gegen Frauen zu verhindern, zu bestrafen und zu beseitigen.
Ein weiterer Aspekt, der den Eindruck mangelnder Kontrolle nährt, sind die zunehmenden Straßenblockaden, die vor allem von Gruppen angeführt werden, die mit den Wahlprozessen unzufrieden sind. Eine dieser Gruppen waren die Bewohner*innen von Teopisca, die im August und September mehrere Wochen lang die Bundesstraßen Teopisca-Comitán und Teopisca-San Cristóbal blockierten. Damit sollte die sofortige Absetzung des Präsidenten des Gemeinderats Luis Alberto Valdez Díaz gefordert werden, der vom Staatskongress als Nachfolger seines Bruders und damaligen Bürgermeisters von Teopisca, Rubén Valdez, der im Juni ermordet wurde, ernannt worden war. Die Generalversammlung, die sich aus 52 Gemeinden zusammensetzt, erklärte, dass diese Mobilisierung auf die Verletzung des Rechts auf demokratische Wahl ihrer Gouverneure zurückzuführen ist.
Eine andere Gruppe, die Straßen blockiert hat, besteht aus Einwohner*innen von Oxchuc, die den Rücktritt von Luis Santiz Gómez, dem derzeitigen Gemeindepräsidenten, fordern, da seine Amtszeit abgelaufen ist und ein neuer Gemeindepräsident durch usos y costumbres (traditionelle Praktiken und Bräuche) bestimmt werden sollte. Einige dieser Blockaden wurden gewalttätig und führten zur Verhaftung von Dutzenden von Menschen.
OAXACA: Fortführende Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger*innen
Im September wurde eine Gruppe von Menschen, darunter Frauen und Kinder, bei Reinigungsarbeiten in einer Grundschule von bewaffneten Männern angegriffen. Die Unión Cívica Democrática de Barrios, Colonias y Comunidad (Ucidebacc) meldete, dass der Menschenrechtsverteidiger Gregorio López Schussverletzungen erlitten habe. Sie wiesen auch darauf hin, dass „es uns klar ist, dass dieser neue Angriff Teil einer Politik der systematischen Repression gegen unsere soziale Organisation und ihre Mitglieder und sogar deren Begleiter*innen ist, da wir seit der Ermordung unseres Genossen Humberto Valdovino Fuentes eine Zunahme von Vorfällen der Unsicherheit feststellen„. Am gleichen Tag prangerten verschiedene feministische Kollektive die Schikanen und die Kriminalisierung von Lucero Rivero Ortiz, Sprecherin der UCIDEBACC, an, die die Aufklärung des Mordes an ihrem Kollegen Baldovino Fuentes, einem afro-mexikanischen Bürgerrechtler der Ucidebacc, im Mai dieses Jahres gefordert hatte. Seit 2020 ist Lucero in den föderalen Schutzmechanismus für Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen integriert, aber sie ist der Meinung, dass dieser ihr keinen Schutz bietet.
Im Oktober wurde Filogonio Martínez Merino, ein ehemaliger Gemeindevertreter von Paso de la Reyna, in der Gemeinde Santiago Jamiltepec, ermordet. Fünfzehn Jahre lang führte er Proteste gegen Wasserkraftprojekte in Paso de la Reina an. Martínez war von 2008-2011 Ejidal-Kommissar von Paso de la Reyna, als fünf Verteidiger des Rates der Vereinten Völker zur Verteidigung des Río Verde (Copudever) ermordet wurden, ein Verbrechen, das Anfang 2021 begangen wurde und bis heute ungesühnt ist.
Ein weiterer Aspekt ist, dass vier Jahre, nachdem in 40 Gemeinden in Oaxaca vor geschlechtsspezifischer Gewalt gewarnt wurde, noch immer keine Fortschritte erzielt wurden. Seit Anfang des Jahres wurden 100 Frauen in Oaxaca ermordet, wie das Kollektiv „Rosario Castellanos, GES Mujer“ anzeigte. Im Jahr 2021 registrierte GES Mujer 87 Frauenmorde. In den letzten 6 Jahren wurden 676 Mädchen und Frauen Opfer von Gewaltmorden. GES Mujer betonte, dass dieselben Praktiken fortgesetzt werden, die unterlassene und/oder nachlässige Ermittlungen, Ermittlungen ohne Geschlechterperspektive oder mit der eindeutigen Absicht, weibliche Gewalt zu verbergen oder zu verharmlosen, sowie die erneute Viktimisierung der Familien, die Gerechtigkeit fordern, beinhalten.
Trotz der kritischen Situation konnten zwei Bewegungen zur Verteidigung von Land und Territorium einige Fortschritte bei ihren Forderungen erzielen. Nach rund 15 Jahren Kampf erreichte die Generalversammlung der Gemeinde San Bartolo Coyotepec die Schließung der Brunnen, die seit 2002 an das Abfüllunternehmen Gugar S. A. De C. V. konzessioniert waren. Wegen der Wasserknappheit in der Gemeinde und weil sie der Meinung sind, dass die Konzession auf gemeindeeigenem Land und ohne Volksbefragung erteilt wurde, haben sie 2007 einen Prozess angestrengt, um ihr Land zurückzuerhalten. Gleichzeitig entschied das Einheitliche Agrartribunal von Tuxtepec im September zu Gunsten der Gemeindemitglieder von Unión Hidalgo, die seit neun Jahren einen Prozess gegen Desarrollos Eólicos Mexicanos (Demex), eine Tochtergesellschaft des spanischen Unternehmens Renovalia Energy, geführt hatten. Die Pachtverträge für Ländereien, die “zu Unrecht als Privateigentum betrachtet wurden, obwohl es sich in Wirklichkeit um Gemeindeland handelt„, wurden für nichtig erklärt. Einige Organisationen wiesen darauf hin, dass dieses Urteil von größter Bedeutung ist, da es die Entscheidung über den Abschluss von Pachtverträgen in den Händen der Gemeinden belässt.
GUERRERO: Mauern der Straflosigkeit fördern die Verschärfung der Gewalt
Der berüchtigtste Fall von Menschenrechtsverletzungen in Guerrero ist der Fall Ayotzinapa, und obwohl mehrere nationale und internationale Einrichtungen geschaffen wurden, um zur Aufklärung beizutragen, konnte die Straflosigkeit nicht beseitigt werden (siehe Enfoque). Im September sprach ein Bundesrichter José Luis Abarca, den ehemaligen Bürgermeister der Gemeinde Iguala, wegen seiner mutmaßlichen Verwicklung in das Verschwinden der 43 Studierenden der Hochschule von Ayotzinapa im Jahr 2014 frei.
Im Oktober legte die Interdisziplinäre Gruppe unabhängiger Sachverständiger (GIEI) ein technisches Gutachten vor, das beweist, dass 181 der 467 Aufnahmen, die die Kommission für Wahrheit und Zugang zur Justiz im Fall Ayotzinapa (Covaj) in ihrem Bericht vom August 2022 vorgelegt hat, „keinen Wahrheitsgehalt haben, da sie ihre Originalität nicht garantieren„. Die GIEI sagte, dass „der Versuch der mexikanischen Regierung, die Ergebnisse des Falles Ayotzinapa zu beschleunigen, (…) zu größerer Unsicherheit und „enormer Unruhe“ führt.
Unter Ausnutzung dieser Befragung beschuldigten die Anwälte von vier inhaftierten Militärangehörigen im November den Leiter der Kommission für die für Wahrheit und Zugang zur Justiz im Fall Ayotzinapa (COVAJ), Alejandro Encinas, des angeblichen Verbrechens der Fälschung von Beweisen, um ihre Mandanten zu belasten. In diesem Zusammenhang erklärte das Menschenrechtszentrum Miguel Agustín Pro Juárez, das die Familien der Opfer begleitet hat, dass „die Nichtüberprüfung von Teilen des COVAJ-Berichts nicht den Wert der Beweise für die Anschuldigung der geheimen Absprachen zwischen den Drogenhändlern und dem 27. Bataillon“ schmälert.
Auch in anderen Fällen, die in den Medien weniger präsent sind, gibt es keine Fortschritte. Drei Jahre nach des Verschwindens und der Ermordung des Menschenrechtsverteidigers Arnulfo Cerón riefen Angehörige und Genossen des Frente Popular de la Montaña zur Beharrlichkeit bei der Suche nach Gerechtigkeit auf. Das Tlachinollan-Menschenrechtszentrum erklärte, dass „wir bereits gesehen haben, dass jede Partei, egal welcher Couleur, sich nicht für die Opfer einsetzt, sie haben ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen und sind nicht an der Gerechtigkeit für die Inhaftierten interessiert (…) wir müssen aus unserem Elend herauskommen und weiterkämpfen, wie die Männer und Frauen, die ihr Leben im Kampf für die Umgestaltung unseres Staates verloren haben„.
In der Zwischenzeit nimmt auch die Gewalt nicht ab. Im Oktober wurden mindestens 20 Menschen ermordet, darunter der Gemeindepräsident von San Miguel Totolapan und sein Vater, der zweimal Bürgermeister dieser Gemeinde gewesen war. Nach Angaben von Ricardo Mejía Berdeja, Unterstaatssekretär für öffentliche Sicherheit, waren die Anschläge das Ergebnis eines Territorialstreits zwischen Gruppen der organisierten Kriminalität. „In dieser Region ist eine Gruppe namens Los Tequileros aktiv, die sich dem Handel und der Kommerzialisierung von Mohn, sowie Entführungen und Erpressungen verschrieben hat, und der Streit könnte mit La Familia Michoacana zusammenhängen„, sagte er.
Im November wurden drei Mitglieder des indigenen Volksrats von Guerrero-Emiliano Zapata (Cipog-EZ) von der kriminellen Gruppe „Los Ardillos“ und „den schlechten Regierungen“ in Chilapa de Álvarez ermordet. Die Mitglieder der Organisation erklärten, sie hätten sich an den Präsidenten der Republik gewandt, um ihn auf die Situation aufmerksam zu machen, aber „als ob nichts gesagt worden wäre und wir dazu verurteilt wären, dieselbe Geschichte wiederzuerleben, unsere Toten und unsere Verschwundenen zu betrauern, wurden am 5. November drei unserer Brüder ermordet„. Sie erinnerten daran, dass seit 2015, 50 Mitglieder der Gruppe getötet wurden und 19 weitere vermisst werden.
Ein weiteres besorgniserregendes Problem ist, dass Guerrero laut Artikel 19 der zweitgefährlichste Staat ist, in dem man als Journalist*in arbeiten kann. 16 der 157 Morde an Journalist*innen wurden in den letzten zwei Jahrzehnten begangen. Mit der Ermordung von Fredid Román, Direktor der Zeitung „La Realidad“ und Kolumnist mehrerer lokaler Medien, im August, wurden in Mexiko im Jahr 2022 bisher 15 Journalist*innen ermordet.
Schließlich wurden in Dokumenten, die durch die so genannten „Guacamaya-Leaks“ an die Öffentlichkeit gelangten, Informationen enthüllt, aus denen hervorgeht, dass das Verteidigungsministerium (SEDENA) Vidulfo Rosales Sierras, Anwalt im Fall Ayotzinapa, als Mitglied einer Organisation identifiziert, die sich der Erhebung von Schutzgeld, Erpressung und Freiheitsberaubung in Guerrero widmet. Darüber hinaus werden Anschuldigungen gegen andere soziale Aktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen erhoben. Angesichts dessen erklärten verschiedene Organisationen, dass „das Abkommen zwischen den Streitkräften und dem Präsidenten der Republik ihnen Immunität zusichert und sie glauben, dass sie das Recht haben, soziale Aktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen anzuzeigen und anzugreifen, während die kriminellen Banden frei agieren können und sich in vielen Fällen mit ihnen zusammenschließen, um Verbrechen zu begehen„.