2020
03/02/2021FOKUS: Menschenrechte in den Händen der Unternehmen
30/03/2021A m 10. Dezember stellte das mexikanische Innenministerium anlässlich des Internationalen Tags der Menschenrechte den Bericht „Zweites Jahr, eine neue Politik der Menschenrechte und Vorstellung des Nationalen Programms der Menschenrechte“ vor.
In Bezug auf die Situation von Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen wird darin berichtet, dass im Berichtszeitraum 1.313 Personen (426 Journalist*innen und 887 Menschenrechtsverteidiger*innen) in den Schutzmechanismus für Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen (Regierungsprogramm; Anm. der Übers.) aufgenommen wurden. Zudem wird erklärt, dass dieses Programm derzeit Ziel „tiefgreifender Veränderungen“ ist, um von einem reaktiven zu einem vorbeugenden Schema wechseln. Alejandro Encinas, Staatssekretär für Menschenrechte, Bevölkerung und Migration, hob als Fortschritt hervor, dass die mexikanische Regierung es dem UN-Ausschuss gegen das Verschwindenlassen ermöglicht hat individuelle Petitionen zu erhalten, „eine Forderung der Familien, die jahrelang negiert wurde“. Er kündigte die Veröffentlichung des Nationalen Programms der Menschenrechte an, das darauf abzielt, „das Verhalten aller staatlichen Behörden im Bereich Menschenrechte neu aufzustellen und diese als Querschnittsthema aller staatlicher Politik zu etablieren“. „Die schwere Krise im Bereich Menschenrechte, mit der wir es zu tun haben, ist noch lange nicht vorbei“, so seine Schlussfolgerung.
Eine Diagnose, die die Zivilgesellschaft im Großen und Ganzen teilt
Der Zusammenschluss OSC für Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen erklärte im Dezember seine Zustimmung zu einigen der von staatlicher Seite gemachten Ankündigungen und Maßnahmen. So hob er im Verantwortungsbereich der Regierung das Nationale System zum Integralen Schutz hervor, das „einen besseren Austausch mit den Bundesstaaten fördern“ würde. Zudem wird „die Änderung der Rechtsform des Mechanismus, die eine Stärkung seiner Struktur ermöglicht“ positiv beurteilt, wie auch die Berücksichtigung einer differenzierten und interkulturellen Perspektive. In Bezug auf die Legislative wird als Fortschritt der Gesetzesentwurf zur Regionalen Vereinbarung über den Zugang zur Information, staatliche Beteiligung und Zugang zur Justiz in Umweltthemen in Lateinamerika und der Karibik, besser bekannt als Vereinbarung von Escazú, anerkannt.
Allerdings sieht der Zusammenschluss mit Sorge die „fehlende Klarheit in Bezug auf die Zeiträume zur Umsetzung der Vorgaben, fehlende Garantien im Haushalt und den entsprechenden Geldern, die eine effektive Umsetzung der Maßnahmen sichern“. Er empfahl mehr Dialog mit Menschenrechtsverteidiger*innen, Menschenrechtsorganisationen und Journalist*innen: „das ist ein entscheidender Faktor, um die gesteckten Ziele zu erreichen“.
Im Februar stellte das Zentrum für Gerechtigkeit und Internationales Recht (CEJIL, in seiner engl. Abk.) zusammen mit anderen Organisationen den Bericht „Situation der Verteidigung der Menschenrechte und des Rechts auf freie Meinungsäußerung seit Beginn der Pandemie“ vor. In diesem wird dokumentiert, dass 2020 insgesamt 6 Journalist*innen und 24 Menschenrechtsverteidiger*innen, v.a. Umweltschützer*innen, ermordet wurden.
Gefährdete Gruppen sind noch stärker gefährdet im Kontext der Pandemie
Bis Mitte Februar gab es in Mexiko um die 2 Mio. Personen, die sich mit COVID 19 angesteckt hatten, und c.a. 175.000 Personen, die daran gestorben waren. Neben den direkten Auswirkungen der Gesundheitskrise kamen Zuspitzungen bereits bestehender Tendenzen zum Vorschein, insbesondere bei bereits gefährdeten Teilen der Gesellschaft.
Im November übergaben die Mütter von Opfern von Feminiziden im Rahmen des Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen einen offenen Brief mit über 18.000 Unterschriften an Präsident Andrés Manuel López Obrador, um Gerechtigkeit und ein Ende der Feminizide zu fordern. 2020 wurden 2.874 Frauen und Mädchen ermordet. Nur 724 davon werden in den Ermittlungen als Feminizide behandelt.
Im Januar stellte das Netzwerk für Kinderrechte in Mexiko (REDIM in seiner span. Abk.) den Bericht „Das Jahr der sozialen Pandemie und die Vernachlässigung der Kindheit in Mexiko“, in dem es hervorhob, dass sich die Gewalt gegen diesen Teil der Gesellschaft in der Pandemie vervielfacht hat. 63 Prozent aller Minderjährigen haben Gewalterfahrungen machen müssen und während des Lockdowns nahmen die Spannungen daheim im Vergleich zu 2019 um 34,2 Prozent zu.
Was die Situation von Migrant*innen angeht, identifizierte der „Zustandsbericht der Beobachtungsmission für Menschenrechte an der Südgrenze Mexikos“ im November, dass „die aktuelle Situation im Bereich Migrationspolitik an Komplexität und Intensität zugenommen hat, was an der Zunahme der Militarisierung und Grenzkontrollen sowie der Ausweitung der Vereinbarungen zwischen Mexiko und den USA deutlich wurde, zu dem dann noch der sanitäre Notstand kam“. Im Dezember erklärten die Nationale Menschenrechtskommission sowie Migrant*innenorganisaitonen und -herbergen ihre Sorge angesichts der Entscheidungen das Nationale Institut für Migration zu militarisieren: „in 18 Bundesstaaten wurden Personen mit militärischer Laufbahn zu Leiter*innen des Instituts ernannt“. Sie betonten die Notwendigkeit, die Anstrengungen hin zu leiten zu „einer Perspektive der Menschenrechte und des Internationalen Humanitären Rechts anstelle einer der Sicherheit, denn diese Perspektive verstärkt den Ansatz der Kriminialisierung der Gruppen von Migrant*innen, was ihre Gefährdung noch mal verschärft“.
Mehr Sorge um die Militarisierung
Im November ging eine US-Richterin auf den Antrag des US-Justizministeriums ein, die Anklage wegen Geldwäsche und Drogenhandel gegen den ehemaligen mexikanischen Verteidigungsminister General Salvador Cienfuegos einzustellen, der im Oktober in Kalifornien verhaftet worden war. Die US-Behörden stellten den Prozess ein und übergaben der Generalstaatsanwaltschaft Mexikos (FGR in ihrer span. Abkürzung) über 700 Dokumente, auf denen die Strafanzeige beruhte. Cienfuegos wurde nach Mexiko zurückgebracht und im Januar entschied die FGR keine Strafanzeige gegen ihn zu stellen, da es keine Beweise gäbe. AMLO versicherte, wenngleich seine Regierung die Straflosigkeit und Korruption beenden will, sie aber auch nicht „Repressalien, Rache und Erfindung von Straftaten“ zulassen werde.
Mehr als 300 Organisationen und Opfergruppen baten den Präsidenten daraufhin den Generalstaatsanwalt Alejandro Gertz Manero wegen Nichterfüllung seiner Aufgaben in diesem Fall zu entlassen. Sie erklärten, sein Verhalten „macht klar, dass das Militär in Mexiko unantastbar ist“ und dass die Einstellung der Untersuchungen „auch das absolute Ende aller Möglichkeiten ist, dass […] die oberste Ebene der Macht effektiv und effizient untersucht werden könnte“.
Eine weitere Facette der Militarisierung: AMLO verkündete im Dezember die Absicht ein Unternehmen der Streitkräfte zu gründen, dem die Bewirtschaftung von drei Streckenabschnitten des „Maya-Zugs“ und der Flughäfen von Chetumal, Palenque und Tulum übertragen werde. Somit solle eine gute Bewirtschaftung der Projekte erreicht, der Armee und Marine Mittel für Pensionen zur Verfügung gestellt und die Sicherheit in der Region garantiert werden.
Megaprojekte und Extraktivismus, „systemrelevante“ Aktivitäten … aus Sicht der Regierung
Im November wurde ein von sechs UN-Sonderberichterstatter*innen unterzeichneter Brief an die mexikanische Regierung veröffentlicht, in dem diese ihre Sorge über mögliche Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Maya-Zug ausdrückten, wo der Konsultationsprozess, der das Recht auf die freie, vorherige und informierte Zustimmung seitens der indigenen Bevölkerung schützen sollte, „durchgesetzt wurde, um ein Projekt zu legitimieren, bei dem die Entscheidung bereits gefallen war“. Sie erklärten, dass der Informationsprozess beschränkt und unangemessen in Bezug auf die indigenen Kulturen gewesen sei. Schließlich gaben sie ihrer Sorge Ausdruck über die Situation der Menschenrechtsverteidiger*innen, speziell „über Einschüchterungen gegen diejenigen, die mehr Information, mehr Zeit für ihre Entscheidung brauchen oder ihr Nichteinverständnis erklärten (…) sowie über die Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger*innen, die rechtliche Schritte eingeleitet haben, durch Kriminalisierung, Anprangern und Diffamierung, Nichtanerkennung ihrer indigenen Identität und Disqualifizierung ihrer Arbeit“.
Derweil geht das Projekt weiter. Das Ministerium für Umwelt und Natürliche Ressourcen (Semarnat in seiner span. Abk.) gab im Dezember grünes Licht für den Bericht zu Umweltauswirkungen der Phase 1, womit die staatliche Tourismusbehörde Fonatur mit den Arbeiten beginnen kann, wenngleich unter Berücksichtigung von 16 Auflagen. Eine von ihnen ist die Einbeziehung von Vereinbarungen, die sich aus der Konsultation der indigenen Bevölkerung im Jahr 2019 ergeben haben.
Es sind verschiedene Rechtsmittel eingelegt worden. Im Dezember erklärte ein Gericht einen Baustopp für neue Bauarbeiten im Abschnitt 2 in Campeche. Dies war die Antwort auf einen Einspruch gegen den Bau, den mehr als 100 indigene und kleinbäuerliche Gemeinden sowie Küsten- und städtische Gebiete eingelegt hatten. Mit dieser Entscheidung soll die Umsetzung neuer Bauarbeiten auf diesem Abschnitt für die Dauer des Gerichtsprozesses verhindert werden.
Im Bereich der Extraktiven Unternehmen wies der Oberste Gerichtshof Mexikos (SCJN in seiner span. Abkürzung) im Januar einen Einspruch zurück, den die Gemeinde Macehual des Nördlichen Gebirges von Puebla 2015 gegen das Bergbaugesetz eingelegt hatte, trotz entsprechender Aufrufe der Semarnat und des Nationalen Instituts für die Indigene Bevölkerung (INPI, in seiner span. Abk.). Die indigene Bevölkerung verschiedener Gemeinden im Land und Organisationen der Zivilgesellschaft betrachten das Urteil als Rückschritt für die Schaffung eines plurikulturellen Staates und den Schutz der Gebiete und des biokulturellen Erbes der Gemeinden. Das Mexikanische Zentrum für Umweltrecht (Cemda, in seiner span. Abk.) kritisierte, dass entschieden wurde „ein System zu stützen, das historisch betrachtet die indigene Bevölkerung von ihrem Land vertrieben hat und wiederholt Menschenrechtsverletzungen begangen hat“.
EZLN und CNI: In erklärter Opposition
Der Nationale Indigene Kongress (CNI, in seiner span. Abk.) und der Indigene Regierungsrat (CIG, in seiner span. Abk.) prangerten im Januar an, dass die Pandemie der mexikanischen Regierung genutzt hat, um „Megaprojekte durchzusetzen und das Land zu militarisieren“, was zudem „zum Vernichtungskrieg gegen unsere Pueblos beiträgt, wo die Gesundheitsversorgung und die ökonomischen Möglichkeiten sehr spärlich sind“. Sie erklärten, „die Lügen-Worte von López Obrador und seine so genannte Vierte Transformation beabsichtigen eine Mauer zu schaffen, die den an Heftigkeit zunehmenden Krieg gegen die Pueblos und das Leben der Madre Tierra verdeckt. Sie wollen uns damit isolieren und als Gegner des Fortschritts präsentieren“. Sie kündigten an, trotzdem „weiter zu kämpfen — mit unseren mächtigsten Waffen: Würde, Widerstand und Rebellion — bis das Leben über den Tod triumphiert“.
Die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN, in ihrer span. Abk.) informierte, dass Hunderte Organisationen, Künstler*innen, Intellektuelle und Personen aus über 30 Ländern, der CNI, der CIG und die EZLN vereinbart haben auf den fünf Kontinenten für die Menschheit zu kämpfen. Sie kündigte an, „Treffen, Gespräche, Austausch von Ideen, Erfahrungen, Analysen und Einschätzungen durchzuführen — zwischen uns, die wir — von verschiedenen Konzeptionen und unterschiedlichen Terrains aus — für das Leben kämpfen“. Sie bestätigte ihre „Gewissheit: Der Kampf für die Menschheit ist weltweit. So wie die laufende Zerstörung keinerlei Grenzen, Nationalitäten, Fahnen, Sprachen, Kulturen, Ethnien anerkennt“. Und teilte mit, dass die Aktivitäten in Europa zwischen Juli und Oktober 2021 stattfinden werden, unter direkter Beteiligung einer mexikanischen Delegation, die aus dem CNI-CIG, der Frente der Pueblos in Verteidigung von Land und Wasser in Morelos, Puebla, Tlaxcala und der EZLN besteht. Zu einem späteren Zeitpunkt, der noch nicht feststeht, werden Treffen in Asien, Afrika, Ozeanien und Amerika stattfinden.
Chiapas: „Empörende Situation struktureller Gewalt“
Im Dezember kam eine Zivile Beobachtungsmission (MCO in ihrer span. Abk.) nach Chiapas, die aus 14 Mitgliedsorganisationen des Netzwerks Alle Rechte für Alle (Red TDT, in seiner span. Abk.) und drei internationalen Organisationen bestand. Ziel war es, die „Krise der Menschenrechte, die in den Gemeinden herrscht“, zu dokumentieren. Die MCO nahm „Aussagen von Personen auf, die von Vertreibung, Landraub, willkürlicher Verhaftungen, Folter, Einschüchterungen, Drohungen, Kriminalisierung betroffen sind, neben anderen Übergriffen“. Sie bezeichnete als „empörend die Situation der strukturellen Gewalt, die zugelassen wird, und sogar verstärkt wird durch die verschiedenen Regierungsebenen und ihre geringe oder fehlende Bereitschaft, sich des Konflikts anzunehmen. Die Gemeinden werden trivialisiert, diskriminiert und kriminalisiert“. Sie riefen den mexikanischen Staat auf, „die Simulierung und Nichtbeachtung der Gemeinden und Menschenrechtler*innen zu beenden“.
Dieser Ansatz gleicht den Erklärungen des Pueblo Creyente des Bistums von San Cristóbal de Las Casas in seinem Kommuniqué vom Januar anlässlich des 10. Jahrestages des Todes von jTatik Samuel Ruiz (siehe Artikel). Es beklagte die systematische Gewalt und die Ungleichheiten, v.a. in der Pandemie. Es sprach die fehlende Erziehung und fehlende Arbeitsplätze an, die Auswirkungen der geschlossenen Schulen und fehlenden Interaktion auf die Kinder. Angesichts dieser und anderer anhaltender Bedrohungen wie der Megaprojekte oder der Militarisierung erklärte das Pueblo Creyente, die Gemeinden versuchten weiterzumachen mit der Autonomie, dem Widerstand und der Selbstbestimmung. Jedoch besteht eine immer weiter zunehmende Gefahr bei der Verteidigung des Territoriums aufgrund der Zunahme von Drohungen, Überwachung und Einschüchterungen. Auch die zunehmende Gewalt durch bewaffnete Gruppen und die Organisierte Kriminalität sowie die im Juli anstehenden Wahlen wurde angesprochen. „Als Pueblo Creyente müssen wir einen Weg finden zu handeln, der uns die Hoffnung bewahrt. Unsere Option ist das Leben“, betonten sie.
Im Konflikt zwischen Aldama und Chenalhó, „endgültige“ Einigung?
Im November wurde eine Humanitäre Hilfsbrigade, die Lebensmittel an vertriebene Familien in Aldama überbrachte, von einer zivilen bewaffneten Gruppe vermutlich aus Santa Martha (Chenalhó) mit Schusswaffen angegriffen. Die Geistliche María Isabel Hernández Rea wurde dabei verletzt. Der Landrat von Aldama betonte, während des Angriffs befand sich ein gemeinsamer Stützpunkt von Bundes- und Landespolizei sowie der Armee 200 Meter entfernt.
Die Regierungen „sind untätig geblieben angesichts der Aufrufe, die bewaffneten Angriffe zu stoppen“, verurteilte das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas (Frayba) die Tat. Das Bistum von San Cristóbal rief die staatlichen Stellen dazu auf, „die zivilen bewaffneten Gruppen paramilitärischer Prägung in dieser Region zu entwaffnen und zu zerschlagen und ihnen wie auch ihren Waffenlieferanten gegenüber die Härte des Rechtsstaates anzuwenden“.
Frayba informierte im November über neue Angriffe mit Schusswaffen in Aldama, wenige Tage nachdem ein „Endgültiges Abkommen“ zwischen dieser Gemeinde und Chenalhó unterzeichnet worden war, um die jahrelangen Landstreitigkeiten zwischen beiden Landkreisen zu beenden. Abgesehen vom Landkonflikt werde den Opfern Entschädigung gezahlt und die Zusammenarbeit zwischen der Nationalgarde und den Sicherheitskräften des Bundesstaates gesucht, um Sicherheit zu garantieren, erklärte Alejandro Encinas. Dennoch gibt bis heute Berichte über Angriffe.
Diverse weitere Brennpunkte
Das Menschenrechtszentrum Digna Ochoa in Tonalá machte im November öffentlich, dass einer seiner Mitarbeiter, Nataniel Hernández, und seine Familie Todesdrohungen erhalten hatten und ihr Auto beschädig wurde. Der Menschenrechtsverteidiger war zur Dokumentation einer Gewaltsituation im Viertel Colonia Arenero gewesen, die mit der Problematik einer besetzten Grünanlage zusammenhing. Des Weiteren erklärte das Zentrum, dass verschiedene staatliche Stellen in dem Fall um Sicherheitsmaßnahmen gebeten wurden. Allerdings „sind diese nicht umgesetzt worden und dies hat einer Reihe von Zusammenstößen, Drohungen, Herabwürdigungen, Diffamierungen, Verleumdungen und körperlichen Angriffen ausgelöst“, informierte es.
Im November wurde der Bericht „Gewalt gegen Frauen im Kontext der Pandemie“ veröffentlicht, in dem über die „Zunahme familiärer Gewalt, sexueller Gewalt, Cybergewalt und auf jeden Fall auch der Feminizide“ berichtet wird. Diese Zunahme lässt sich beziffern in „18 Feminiziden sowie 2 versuchten Feminiziden, 34 Morde, 12-mal versuchter Totschlag, von denen 54% in den eigenen Wohnungen der Frauen stattfanden“. Besorgniserregend hierbei sind die Schwierigkeiten, im Lockdown einen Rechtsprozess anzustrengen, da „Straf- und zivilrechtliche Prozesse ausgesetzt sind“.
Repräsentant*innen der Tzeltal-Bevölkerung von Chilón informierten im Januar zusammen mit Frayba und dem Menschenrechtszentrum Miguel Augustín Pro Juárez (Centro Prodh, in seiner span. Abk.), dass sie Einspruch gegen die Einrichtung einer Kaserne der Nationalgarde auf ihrem Territorium eingereicht haben, da sie nicht konsultiert wurden. Sie forderten zudem die Staatsanwaltschaft von Chiapas auf, den Strafprozess gegen zwei Bewohner*innen einzustellen, die „unterdrückt und kriminalisiert wurden, weil sie sich gegen das Projekt ausgesprochen hatten“.
Im Januar informierte Frayba darüber, dass sie vom Rat der Guten Regierung von Patria Nueva Informationen erhalten hätten, wonach „Mitglieder der Regionalorganisation der Kaffeebauern von Ocosingo (ORCAO, in ihrer span. Abk.) die Gemeinde Moisés Gandhi mit Schusswaffen angegriffen haben“. Es erinnerte daran, dass es zuvor schon ähnliche Vorfälle gegeben hatte. Zudem ist es nicht der einzige Fall zunehmender Spannungen um von der EZLN während des Aufstands besetzte Ländereien. Davon gibt es mehrere, einer von ihnen in Nuevo San Gregorio im Landkreis Huixtán.
OAXACA: Gefährdung von Umweltschützer*innen, die sich gegen Megaprojekte wehren
Im Januar wurde der Gemeindevorstand und kommunale Menschenrechtsverteidiger Fidel Heras Cruz im Landkreis Santiago Jamiltepec ermordet. Er war aktives Mitglied des Rates der Vereinten Dörfer zur Verteidigung des Río Verde (Copudever, in seiner span. Abk.), einer Organisation, die sich aktiv gegen die Staudämme Paso de la Reina und Río Verde wehrt. Die Vereinigung von Indigenen Gemeinden der Nördlichen Zone des Isthmus (Ucizoni, in ihrer span. Abk.) berichtete zudem über „Drohungen seitens mächtiger wirtschaftlicher Interessensgruppen, die mit Erdölförderung befasst sind“. Gemeinde- und Landkreisbehörden sowie zivilgesellschaftliche Organisationen forderten eine umfassende Untersuchung, damit das Verbrechen nicht straffrei bleibe.
Ucizoni und Cemda berichteten im November bei der Vertretung des Hochkommissariats für Menschenrechte der Vereinten Nationen in Mexiko (ONU-DH, in seiner span. Abk.) über die Menschenrechtsverletzungen im Rahmen der Bewilligung und Arbeiten am Isthmus-Korridor. Sie baten die Vertretung darum, die mexikanischen Behörden aufzufordern das Projekt auszusetzen, bis die Gemeinden „vollständige Informationen über die Risiken und Auswirkungen auf Umwelt und Soziales“ hätten. So berichteten sie über die Unregelmäßigkeiten bei der Konsultation vom März 2019, die nach ihrer Aussage weder rechtzeitig, informiert, kulturell angemessen noch guten Willens abgelaufen sei, wie es die von Mexiko ratifizierten internationalen Verträge vorsehen. „Es gab keinen Dialog, sondern einen Monolog der Regierung“, erklärten die Organisationen.
In Bezug auf extraktive Projekte informierte die Frente Nein zum Bergbau Für eine Zukunft für Alle im Dezember, dass sie erfolglos war bei der Suche nach einem Dialog mit Semarnat. Sie erklärte, die vom Unternehmen Minera Cuzcatlán im Bericht zu Umweltauswirkungen angegebenen Daten „falsche Informationen“ enthalten. Und erinnerte daran, dass „wir Gemeinden, die wir in den Valles Centrales angesiedelt sind, Zeugen der Wasserverschmutzung, der Luftverschmutzung, des Lärms, der Vertreibung der heimischen Tiere aus der Region, der Auswirkungen auf die Landschaft sowie schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen und durch das Projekt hervorgerufener sozialer Spannungen sind“. Die Frente forderte den Bericht zu Umweltauswirkungen nicht zu genehmigen, einen effektiven Umweltschutz gegenüber privatwirtschaftlichen Interessen zu garantieren und die beantragte Anhörung „zur Findung gemeinsamer Lösungen zusammen mit den betroffenen Dörfern und Gemeinden“ zuzulassen.
Das Konsortium für den Parlamentarischen Dialog und die Gleichstellung informierte seinerseits, dass seit Amtsantritt der Regierung von Alejandro Murat 2.344 Fälle von Gewalt gegen Frauen dokumentiert wurden. Zudem wurden in den letzten vier Jahren „1.005 Frauen als vermisst gemeldet, im Vergleich zu 121 Fällen im gleichen Zeitraum der Regierung von Gabino Cué“. Sie erklärten allerdings auch, dass diese Zahlen keinesfalls die Realität abbilden, weil nicht alle Fälle zur Anzeige gebracht würden. Andererseits sind die Ziffern ein Spiegel „einer Regierung der Simulation, der Unterlassung und Negierung, die auf Straflosigkeit setzt angesichts des Schmerzes und der Forderung nach Gerechtigkeit“.
GUERRERO: „Wie eine Nacht ohne Sterne“
Das Menschenrechtszentrum Tlachinollan stellte im Dezember einen Bericht mit dem Titel „Wie eine Nacht ohne Sterne“ vor, der die wesentlichen Problematiken aufzeigt, vor denen der Bundesstaat steht. Sein Direktor Abel Barrera Hernández erklärte: „Wir haben in diesem Jahr mit dem Lockdown gesehen, dass die Gewalt in Guerrero zugenommen hat. Wir haben vor allem gesehen, dass die bewaffneten Akteure straffrei agieren. (…) Wir sehen eine gestärkte Kriminalität, die in die Gemeinden eindringt, um sich die Bevölkerung gefügig zu machen. Und gefügige Behörden, weil diese mit anderen Gruppen der Organisierten Kriminalität verbunden ist“.
Er erklärte, die Situation der Journalist*innen habe sich verschlimmert: „Es sind drei Fälle von ermordeten Journalist*innen dokumentiert worden, in Acapulco, Iguala, Apaxtla (…) Die Macht der Organisierten Kriminalität steht den Menschenrechtsverteidiger*innen gegenüber, den Journalist*innen, den Vertreter*innen sozialer Anliegen, den Aktivist*innen. Und das ist schlimm in einem Bundesstaat wie Guerrero, wo die Straflosigkeit (…) herrscht“.
Zu den Policías Comunitarias berichtete er, dass „auf dem Gebiet der UPOEG 15 Mitglieder der UPOEG ermordet wurden, darunter einige ihrer wichtigsten Anführer*innen. (…) Ein Koordinator der CRAC wurde umgebracht. (…) Wir haben acht Fälle von Mitgliedern der Coordinadora Regional de Autoridades Comunitarias dokumentiert, die umgebracht wurden“.
In Bezug auf die Pandemie erklärte Barrera: „Die Gemeinden sind im Stich gelassen, es gibt niemanden, an dem man sich festhalten kann (…) Die Frauen bezahlen den Lockdown. Wir haben sieben Fälle von Feminiziden dokumentiert, die wir begleiten, und 19 Fälle gewaltsamen Todes von Frauen, sechs Fälle von Frauen, die verschwunden sind, fünf ermordete Mädchen“.
Über die Begleitung des Falles Ayotzinapa durch das Menschenrechtszentrum informierte Tlachinollan, dass „2020 das Ziel war, den Kurswechsel in den Untersuchungen zu schaffen, als das Thema des Coronavirus aufkam, das sich signifikant auf die Untersuchungen und die Suche ausgewirkt hat. Allerdings gingen diese weiter und im April gab es einige Antworten. Am 26. September dieses Jahres (2020, Anm. der Übers.) konnten wir feststellen, dass es 80 erlassene Haftbefehle gibt. Unter diesen stechen der gegen Tomás Zerón de Lucio hervor, Chef der Bundeskriminalbehörde, gegen Carlos Gómez de Arrieta, Chef der Kriminalpolizei, gegen den Hauptmann Martínez Crespo und gegen José Ángel Casarrubias Salgado, auch ´Mochomo´ genannt“.