Aktivitäten von SIPAZ (Mitte Februar bis Mitte Mai 2020)
02/06/2020FOKUS: Wer profitiert vom T-MEC (USA-Mexiko-Kanada-Abkommen)?
01/09/2020In den letzten Wochen entwickelte sich Mexiko mit mehr als einer halben Million Infizierten zu einem der Länder mit den meisten Covid-19-Fällen weltweit (sechster Platz) und bis Mitte August zu einem der Länder mit der höchsten Sterblichkeitsrate mit mehr als 50.000 Todesfällen (dritter Platz). Da mehr als 60% der arbeitenden Bevölkerung im informellen Sektor tätig sind und trotz der Risiken arbeiten gehen müssen, hat sich die Regierung für ein Modell entschieden, das Social Distancing zwar empfiehlt, aber nicht zur Verpflichtung macht. Ein Gesundheitssektor, der von den vergangenen Regierungen zugrunde gerichtet wurde und der hohe Prozentsatz der Bevölkerung, der unter Fettleibigkeit, Diabetes oder Bluthochdruck leidet waren weitere Faktoren, die die Pandemie zu einer besonderen Herausforderung für das Land machten.
Bezüglich der Reaktion der Regierung und ihrer Lösungsansätze gab es viele kritische Stimmen, besonders, weil die Situation wahrscheinlich viel schlimmer ist als es scheint, da Mexiko zu den Ländern mit den niedrigsten Testraten unter den großen Volkswirtschaften gehört. Von Anfang an stützte sich Mexiko auf das so genannte Sentinel-Modell, das 2006 für saisonale grippeähnliche Erkrankungen von einem Netz aus 475 Überwachungsstationen eingeführt wurde. Das Modell, erklärte Hugo López-Gatell, der stellvertretende Gesundheitsminister und Sprecher der Gesundheitsstrategie der Regierung, erlaubte es Mexiko, Prognosen mit Teildaten in Form einer „Meinungsumfrage“ zu erstellen. Obwohl sich das Modell seit Anfang Juni auf die so genannte „neue Normalität“ zubewegt hat, befand sich zweieinhalb Monate später mehr als die Hälfte der Staaten immer noch auf einer hohen oder der maximalen Risikostufe.
Neue Freihandelsabkommen: Eine Chance, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie einzudämmen?
Am 1. Juli trat ein neues Abkommen zwischen Mexiko, den Vereinigten Staaten und Kanada, in Kraft, das so genannte T-MEC. Es handelt sich dabei um eine Aktualisierung des seit 1994 bestehenden Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) (siehe Fokus). Auf seiner ersten Auslandsreise flog Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO) nach Washington, um sich mit seinem Amtskollegen Donald Trump zu treffen. Einige Analyst*innen hoben die Bedeutung dieses Besuchs besonders hervor, da aufgrund der Pandemie die Reaktivierung der mexikanischen Wirtschaft erheblich von den USA als ihrem größten Handelspartner abhängen wird. Gleichzeitig stellen die Überweisungen der mehr als 12 Millionen Mexikaner*innen in den USA die größte Finanzierung Mexikos aus dem Ausland dar – mehr als die ausländischen Direktinvestitionen oder die vom Tourismus erwirtschafteten Einnahmen. Das Treffen wurde jedoch von Expert*innen kritisiert, weil Donald Trump in den Wahlprognosen deutlich verloren hat und er sich seit seinem ersten Wahlkampf abfällig und rassistisch gegenüber Mexikaner*innen geäußert hat. Das T-MEC ruft eine Reihe von Besorgnissen hervor, insbesondere in Bezug auf die ländlichen Gebiete Mexikos und auf die Meinungsfreiheit mit den neuen digitalen Gesetzen.
Zuvor war ein weiteres Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Mexiko unterzeichnet worden, das „Abkommen über wirtschaftliche Partnerschaft, politische Koordinierung und Zusammenarbeit“. Im Juli trafen sie sich zum 9. Mal im Rahmen des „Bilateralen Menschenrechtsdialogs auf hoher Ebene“, wo sie Herausforderungen und Erfahrungen diskutierten, insbesondere „um zu verhindern, dass die globale Gesundheitskrise die bestehenden Probleme noch weiter verschärft“. In diesem Rahmen erstellten mehr als hundert mexikanische Organisationen und internationale Netzwerke gemeinsam einen Bericht über die Menschenrechtssituation im Land. Sie warnten davor, dass die Krise selbst „durch die Auswirkungen der Gesundheits- und Wirtschaftskrise verschärft wird, die sich unverhältnismäßig stark auf die Menschenrechte der Opfer ausgewirkt haben“.
Obwohl die Organisationen die Tatsache schätzten, dass die Regierung von AMLO „zum Teil das Ausmaß der Menschenrechtskrise erkannt hat“, waren sie der Ansicht, dass „in der Praxis weiterhin hohe Raten von Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und Straflosigkeit bestehen bleiben“. Die Diagnose deckt ein breites Spektrum von Themen ab: die Krise des Verschwindenlassens von Personen; die Gefährdung von Menschenrechtsaktivist*innen und Journalist*innen; die Gewalt gegen Frauen, Kinder, Migrant*innen, die indigene Bevölkerung und die LGBTTTI+-Community; strukturelle Defizite in den Institutionen der Justizverwaltung; die anhaltende Militarisierung der öffentlichen Sicherheit und die Nichteinhaltung internationaler Richtlinien. In Hinblick auf das „Partnerschaftsabkommen“ hoben sie hervor, dass die Verhandlungen während der Pandemie abgeschlossen wurden und das „ohne die Konsultation oder Beteiligung der Zivilgesellschaft, was zeigt, dass die wirtschaftlichen Interessen gegenüber den Menschenrechten Priorität haben“.
Eine Gesundheitskrise, die bereits bestehende Probleme verschlimmert
Im Mai negierte AMLO erneut einen Anstieg der geschlechtsspezifischen Gewalt und schloss eine Verbindung dessen mit der Isolation der Familien in ihren Häusern kategorisch aus. Mehrere zivile Organisationen bedauerten die Äußerungen des Präsidenten, darunter auch das Nationale Netz für Schutzunterkünfte (RNR): „Es ist schon schlimm genug, dass solche Äußerungen in einem Land gemacht werden, in dem durchschnittlich 10 Frauenmorde pro Tag verübt werden. Aber wenn sie auch von denjenigen kommen, die die Verantwortung haben, das Leben und die Sicherheit von Frauen und Kindern zu garantieren, dann ist dies eine klare Botschaft, dass die Straflosigkeit und die Gewalt fortbestehen werden“.
Im Juni wurde offiziell die Vereinbarung veröffentlicht, die die Gründung einer Amnestiekommission ermöglichen wird. Das Amnestiegesetz wurde zwei Monate zuvor dringlich verabschiedet, hauptsächlich um die vielen überfüllten Gefängnisse zu entlasten und so die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern. Die Maßnahme soll nur Personen zugutekommen, die wegen geringfügiger Straftaten inhaftiert sind. Bürokratische Probleme infolge der von der Regierung angekündigten Sparmaßnahmen verzögerten die Einsetzung dieser Kommission. In der Zwischenzeit ist klar geworden, dass das Gesetz angesichts der Risiken der Pandemie im Strafvollzugssystem keine große Hilfe sein wird, zum einen wegen des zeitlichen Aufwands und zum anderen wegen des begrenzten Anwendungsbereichs. Es könnte jedoch von Bedeutung sein für das, was Analysten als „den exzessiven Gebrauch, der vom Strafrecht und vom Gefängnissystem gemacht wird“ betrachten.
Im Juli veröffentlichte das Ministerium für Menschenrechte, Bevölkerung und Migration einen Bericht, in dem die Menschenrechtsverletzungen während des aktuellen Ausnahmezustands dokumentiert werden. Seit dem 15. März wurden 140 Angriffe auf Journalist*innen und Aktivist*innen verzeichnet. Chiapas und Oaxaca waren die Staaten mit der höchsten Gewaltrate. Aktivist*innen, die das Recht auf Gesundheit verteidigen, erlitten insgesamt 103 Aggressionen in 29 mexikanischen Bundesstaaten.
Im August legte das Netzwerk für Kinderrechte in Mexiko (REDIM) eine Analyse der Auswirkungen der Pandemie auf die minderjährige Bevölkerung vor. Darin wurde betont, dass es bereits vor der Ausbreitung des Virus eine Menschenrechtskrise gab, angesichts der Tatsache, dass 49% der Kinder in Mexiko in Armut lebten, die durch die Wirtschaftskrise noch verschärft wird. „Vor der Pandemie waren schätzungsweise 3,2 Millionen Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 5 und 17 Jahren von Kinderarbeit betroffen“, so REDIM. Sie gehen davon aus, dass diese Zahl auf 4,5 oder 5 Millionen steigen könnte. Ein weiterer Aspekt, der Anlass zur Sorge gibt, ist das Recht auf Bildung: Das Modell des „Fernunterrichts“, das für das neue Schuljahr vorgeschlagen wurde, wird nicht für alle funktionieren, da es in vielen Haushalten weder Computer noch Internetverbindung gibt. Vor der Pandemie besuchten etwa 4,8 Millionen mexikanische Kinder und Jugendliche keine Schule. Außerdem sind Kinder durch die Isolation noch stärker häuslicher Gewalt ausgesetzt: „Es ist notwendig, neue Handlungsstrategien zu diskutieren, um den Auswirkungen der Pandemie zu begegnen“, so das System zum Schutz von Kindern und Jugendlichen (SIPPINA).
Megaprojekte: ein weiterer Streitpunkt mit zivilen und sozialen Organisationen
Im Juni begann AMLO seine Tournee, um offiziell den Startschuss für die Bauarbeiten des Maya-Zugs zu geben. 244 Organisationen erklärten die Aktion für verfassungswidrig: Einerseits war mehrmals dazu aufgerufen worden, nicht essentielle Tätigkeiten während der Pandemie zu unterbrechen, und andererseits hatten Bundesrichter*innen eine Aussetzung des Projekts in bestimmten Gebieten angeordnet. Der Besuch von López Obrador „verachtet und missachtet gerichtliche Beschlüsse und beeinträchtigt das fragile Gleichgewicht der Machtausübung im Land“, hieß es in einem Dokument. Sie erklärten auch, dass im Verlauf des Projekts „die Rechte der Bevölkerung mit Füßen getreten und die Rechtsstaatlichkeit verletzt“ worden seien und dass die gegen das Megaprojekt eingeleiteten Gerichtsverfahren „klare Rechtsverletzungen, Widersprüche und falsche Informationen“ gezeigt hätten.
Im August berichteten Mitglieder des Nationalen Indigenen Kongresses (CNI) und der Antikapitalistischen und Antipatriarchalischen Koordination von zwei juristische Maßnahmen, die sie gegen fünf Megaprojekte der mexikanischen Regierung unternommen hatten. Sie reichten eine indirekte Schutzantrag sowie eine Beschwerde beim Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (CIDH) ein. „Die bestehenden Gesetze werden von Unternehmen vorgeschrieben, die durch ihre Kontakte zum Gesetzgeber dafür sorgen, dass die Landenteignung legal wird. Die Gesetze sind keine große Hoffnung für uns, aber jetzt wenden wir uns sowohl an nationale als auch an internationale Gerichte, um ihnen klarzumachen, dass wir kämpfen wollen“, erklärte Pedro Regalado Uc, ein Aktivist aus dem Gebiet der Maya. Bei den Projekten, um die es geht, handelt es sich um den so genannten Maya-Zug, den Transisthmischen Korridor, den Internationalen Flughafen von Santa Lucía, die Raffinerie Dos Bocas (Tabasco) und das Projekt Morelos Integral. Die Aktivist*innen beklagten, dass die Bevölkerungsbefragungen nicht gemäß der internationalen Standards durchgeführt wurden, und kritisierten den Schaden am kulturellen und archäologischen Erbe, den die Megaprojekte verursachen werden.
CHIAPAS: Covid-19, “Die Zahlen, die nicht zusammenpassen“
Seit Beginn der Pandemie warnen Vertreter*innen der Nationalen Gewerkschaft der Arbeiter des Gesundheitswesens vor der prekären Lage in den Krankenhäusern des Bundesstaates Chiapas sowie vor dem Mangel an Medikamenten und medizinischer Ausrüstung. Neben der Ansteckungsgefahr, der die Pfleger*innen und Ärzt*innen ausgesetzt sind, gab es verschiedene Angriffe auf medizinisches Personal und Krankenhäuser in verschiedenen Teilen des Staates. In den meisten Fällen wurden diese ausgelöst durch die Verbreitung falscher Informationen in sozialen Netzwerken, insbesondere im Zusammenhang mit der flächendeckenden Desinfizierung von öffentlichen Räumen.
Wenn man nach den Zahlen des Gesundheitsministeriums geht, dann hätte Chiapas den kritischsten Punkt der Pandemie bereits vor einigen Wochen überschritten, weshalb es wieder eine Zunahme der Mobilität und einen steten Rückgang zur Normalität gibt. Mehrere Medien haben jedoch die Richtigkeit dieser Zahlen in Frage gestellt, denn sie stimmen nicht einmal mit denen überein, von denen auf Bundesebene die Rede ist. „Die Realität, die die Bevölkerung erlebt sieht anders aus: Hunderte von Menschen beklagen Neuinfektion und den Tod ihrer Angehörigen, in ihren Häusern, ohne medizinische Versorgung, ohne Zugang zu Tests“, berichtete Chiapas Paralelo.
Ein weiteres Ereignis, das zu Protesten innerhalb und außerhalb von Chiapas geführt hat, war die Verhaftung von Dr. Gerardo Vicente Grajales Yuca im Juli. In den Tagen zuvor hatte der Arzt mehrere mit dem Coronavirus infizierte Patient*innen behandelt, darunter den ehemaligen Lokalabgeordneten Miguel Arturo Ramírez López, der die Infektion leider nicht überlebte. Die Tochter des Verstorbenen beklagte, Grajales Yuca habe sie um Medikamente und medizinische Ausrüstung für die Behandlung ihres Vaters gebeten, wofür sie eine Beschwerde gegen ihn wegen „Amtsmissbrauchs“ einreichte. Demonstrant*innen, die sich mit dem Arzt solidarisierten, sagten, Grajales Yuca habe nur das getan, was seit Beginn der Pandemie „normalisiert“ worden sei: die Angehörigen der Patient*innen um Material zu bitten, mit dem die Krankenhäuser nicht ausgestattet sind. Obwohl Grajales Yuca seit August wegen eines Gesundheitsproblems zu Hause ist, sieht er sich weiterhin mit einem kriminellen Prozess konfrontiert, der „ungerecht ist und die Privilegien einer politischen Klasse offenbart, die in Chiapas angeblich nicht mehr existiert“, kritisierte der Verband der Ärztekammern von Chiapas.
Menschenrechte: Ungelöste Konflikte
Seit Mai warnen die Vereinigung für die Gesundheit indigener Kinder in Mexiko (FISANIM) und das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas (Frayba) vor der Gefahr einer Hungersnot für mehr als 3.000 Vertriebene im Hochgebirge von Chiapas. Dies ist jedoch nicht der einzige Fall – insgesamt spricht von 10.113 Menschen aus verschiedenen Gemeinden, die momentan von Zwangsumsiedlungen betroffen sind.
Einer der gewaltsamsten Konflikte findet zwischen Aldama und Santa Martha (Gemeinde Chenalhó) aufgrund eines langjährigen Territorialkonflikts um 59 Hektar statt. Bisher gab es mindestens 25 Tote, mehrere Verletzte und Dutzende von Vertriebenen. Laut Frayba wurden seit März 2018 insgesamt 307 bewaffnete Übergriffe beobachtet. Im gleichen Zeitraum führten die Menschenrechtsaktivist*innen „167 Interventionen mit diversen Behörden auf staatlicher und nationaler Ebene durch, ohne eine angemessene Antwort zu erhalten“. Am 30. Juli ratifizierten die Stadtverwaltungen von Aldama und Chenalhó den im Vorjahr unterzeichneten Nichtangriffspakt, um weitere Gewaltausbrüche zu vermeiden.
Im Juni, im Rahmen des Internationalen Tages der Vereinten Nationen zur Unterstützung von Folteropfern, berichtete Frayba, dass sie von Januar 2019 bis März 2020 Beschwerden über 41 Fälle von Folter erhielten. Die Generalstaatsanwaltschaft berichtete, dass es im Jahr 2018 31 Ermittlungsakten zu diesem Verbrechen gab, von denen 26 in Bearbeitung waren. Nur in einem Fall kam es tatsächlich zu einem Prozess, allerdings nicht zu einer Verurteilung. Frayba ergänzte außerdem, dass aufgrund der Pandemie Gerichtsverfahren eingestellt wurden, wodurch sich die Risiken für die Opfer erhöht haben.
OAXACA: Aggressionen gegen Menschenrechtsaktivist*innen nehmen zu
Im Mai wurde der Umweltaktivist Eugui Roy Martínez Pérez bei einem bewaffneten Angriff in San Agustín Loxicha getötet.
Im Juni wurde vor den Türen des Konsortiums für parlamentarischen Dialog und Gerechtigkeit in Oaxaca eine schwarze Tasche mit Fleischstücken und einer schriftlichen Morddrohung gefunden. Die feministische Organisation vermutete, dass die Drohung im Zusammenhang mit der Befragung der Regierung von Alejandro Murat zu Femiziden, dem Verschwinden von Frauen und Angriffen auf Menschenrechtsaktivistinnen stehen könnte.
Im Juli drückte die Koordination für die Freiheit von kriminalisierten Menschenrechtsaktivist*innen in Oaxaca ihre Besorgnis über die Inhaftierung und Folter des Aktivisten Joaquin Zarate Bernal aus, der Mitglied der Demokratischen Bürgerunion der Nachbarschaften, Stadtviertel und Gemeinden (UCIDEBACC) ist. Der Haftbefehl gegen ihn stammt aus demselben Strafverfahren, wegen dem auch zwei andere UCIDEBACC-Mitglieder fast sechs Jahre lang im Gefängnis saßen, was die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftungen zu einer Stellungnahme veranlasste.
Im selben Monat beklagte die Koordination außerdem den Tod des Menschenrechtsaktivisten Nicasio Zaragosa Quintana, Mitglied der Union der indigenen Gemeinden des Isthmus (UCIRI), im Gefängnis von Santo Domingo Tehuantepec. Sie machten die staatlichen Behörden für seinen Tod verantwortlich, für „die Bedingungen, unter denen Hunderte von Gefangenen in Oaxaca leben; ihnen wird das Recht auf Gesundheit und Nahrung nicht garantiert, die Gefängnisse sind überfüllt und sie leben in unmenschlicher Isolation“. Laut der Koordination wurde ihm seine politische Beteiligung am UCIRI zum Verhängnis: er befand sich seit 2003 im Gefängnis und sein Strafprozess war kurz davor wegen Verfahrensverstößen wieder neu aufgenommen zu werden.
Ein weiteres Thema, das Anlass zur Sorge gibt: geschlechtsspezifische Gewalt. Im Juni berichtete das Konsortium in Oaxaca, dass sich „Hunderte von Mädchen und Frauen angesichts der Isolation in ihren Häusern in Situationen wiederfinden, die schon allein aufgrund der hohen Aggressionsraten, denen sie täglich und systematisch ausgesetzt sind, bedrohlich sind“. Die Frauenrechtsorganisation erklärte, dass seit dem 21. März 16 Femizide in Oaxaca verübt worden seien. Seit dem 1. Dezember 2016 wurden insgesamt 427 Femizide in diesem Bundesstaat verzeichnet. Dies, „ohne dass der Staat die Bereitschaft zeigt, den Opfern und ihren Familien Sicherheit und Zugang zur Justiz zu garantieren“. Sie betonte, dass die Gewalt innerhalb der Familie gegenüber dem vergangenen Jahr um 25% zugenommen hat. Bislang wurden außerdem sieben Fälle von Sexualdelikten registriert.
Die Problematik von Land und Territorium steht nach wie vor im Mittelpunkt vieler gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Im Juni, wenige Tage vor der Ankunft von AMLO zum „Startschuss“ für den Transisthmischen Korridor, bekräftigten mehr als 100 zivile Organisationen, Akademiker*inne und Künstler*innen ihren Widerstand gegen das Projekt, da sie der Auffassung sind, dass es „das Recht der indigenen Völker auf Selbstbestimmung verletzt“. Sie kritisierten, dass die im März durchgeführte Befragung nicht den internationalen Standards entsprach. Sie erklärten auch, dass „es gesetzliche Schutzmaßnahmen gegen das Projekt des interozeanischen Korridors gibt und daher die rechtlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind, mit den Bauarbeiten zu beginnen“. Sie erinnerten daran, dass „die angebliche Erklärung über die Umweltauswirkungen nicht genehmigt wurde, weil voll von Unregelmäßigkeiten und erheblichen Versäumnissen war“. Sie wiesen darauf hin, dass AMLO „die Isolation der Menschen wegen der Pandemie, die unsere elementarsten Rechte wie das Versammlungs-, Protest- und Mobilisierungsrecht einschränkt, ausnutzt, um seine Pläne für die Megaprojekte durchzusetzen“. Trotz der Kritik gab AMLO den Startschuss für das Projekt mit der Erklärung, ein Ziel des Korridors sei es, „Arbeit zu schaffen, damit die Menschen ihre Gemeinden nicht auf der Suche nach Arbeit im Norden verlassen müssen“.
Im Juli gab auch die Versammlung zur Verteidigung von Land und Territorium von Oaxaca im Rahmen von AMLOs Tournee durch den Staat ein Statement, in dem sie beklagten, dass „die Bauarbeiten die Rechte der indigenen Völker, des Landes und der Natur verletzen und nur mit simulierten und manipulierten Konsultationen durchgesetzt wurden“. „Die Entwicklung, die die Regierung ankündigt, ist nicht die Zukunft, die wir wollen. Die Gemeinschaft, das Kollektiv, die gegenseitige Unterstützung, die „helfende Hand“, das „Tequio“, die echte Solidarität sind die Wege, die uns vorwärtsbringen“, erklärten sie.
Im Hinblick auf die Straflosigkeit ist inmitten einer Vielzahl von Fällen, die diese nicht brechen konnten, womöglich ein Fortschritt zu erkennen: Im Juni beschloss der Oberste Gerichtshof, die Revisionsberichte des Verteidigungsministers und der Generalstaatsanwaltschaft im Prozess um den Schutz des Verschwindenlassens der Mitglieder der Revolutionären Volksarmee, Edmundo Reyes Amaya und Gabriel Alberto Cruz Sánchez, anzuhören. Die beiden Männer verschwanden im Jahr 2007 in Oaxaca-Stadt, vermutlich durch die Armee und die damalige Ministerialpolizei von Oaxaca-Stadt (Behörde gegen Korruption und organisiertes Verbrechen). Im August wurden Haftbefehle gegen den ehemaligen Leiter der Staatlichen Ermittlungsbehörde, den ehemaligen Leiter der damaligen Generalstaatsanwaltschaft und andere Führungskräfte dieser Einrichtung wegen ihrer vermutlichen Verstrickung in diesen Fall ausgesprochen.
GUERRERO: Ayotzinapa, ein Bruch mit den Pakten der Straflosigkeit?
Es wurden mehrere Fortschritte im Fall Ayotzinapa präsentiert: Im Juni weckte die Verhaftung von José Ángel Casarrubias Erwartungen. Der Mann, der auch unter dem Namen „el Mochomo“ bekannt ist, ist der Anführer von Guerreros Unidos, einer kriminellen Gruppe, die in Verbindung mit dem Verschwinden der 43 Studenten der Landlehrerschule von Ayotzinapa in Iguala im September 2014 steht. Ein Bundesrichter ordnete zwar aufgrund eines Formfehlers in den Beweisen der damaligen Generalstaatsanwaltschaft seine Freilassung an, doch er wurde unmittelbar danach wieder festgenommen. Darüber hinaus wurde ein Haftbefehl gegen Tomás Zeron, den ehemaligen Direktor der Staatlichen Ermittlungsbehörde, erlassen, der aus dem Land geflohen war. Insgesamt wurden 46 Haftbefehle gegen möglicherweise beteiligte Beamte aus Guerrero erlassen.
Im Juli gab die Spezialeinheit des Ayotzinapa-Falls bekannt, dass sie den Studenten Christian Alfonso Rodríguez Telumbre, einen der 43 Verschwundenen, identifiziert habe. „Mehr als fünf Jahre nach den Ereignissen wurden menschliche Überreste identifiziert, die zu einem der Opfer gehören. Sein Körper wurde nicht weggeworfen oder in der Müllhalde Cocula oder im Fluss San Juan gefunden, Versionen, die offiziell vom Gericht unterstützt werden. Heute sagen wir den Familien und der Gesellschaft, dass sich das Recht auf Wahrheit durchsetzen wird, dass die Suche nach ihren Kindern weitergehen wird und dass wir das Recht auf Gerechtigkeit garantieren werden“, sagte der Leiter der Spezialeinheit. Das Agustín-Pro-Juárez-Zentrum erklärte, dass „die Pakte der Straffreiheit und des Schweigens, die den Fall Ayotzinapa umgeben, zu zerbrechen beginnen, aber wir können sie immer noch nicht als gebrochen betrachten. Die nächsten Monate werden entscheidend dafür sein, ob es mit neuen Anklagepunkten und Recherchen möglich ist, zur Wahrheit zu gelangen“.
Es treten weiterhin neue besorgniserregende Fälle auf: Im Juni wurde die Menschenrechtsaktivistin Inés Hernández Montalbán, Mitglied des Kollektivs Zapata Lebt, im Bundesstaat Mexiko verhaftet. Hernández Montalbán steht unter dem Schutz des Föderalen Mechanismus zum Schutz von Menschenrechtsaktivist*innen und Journalist*innen. Sie wurde wegen ihrer angeblichen Beteiligung einem Raubüberfall mit Gewalt verhaftet. Nach fünf Tagen Haft wurde Hernández Montalbán gegen eine Kaution wieder freigelassen. Mehrere zivile Organisationen äußerten sich besorgt über die Kriminalisierung von Menschenrechtsaktivist*innen und forderten die bedingungslose Freilassung der Aktivistin.
Außerdem erhielt die Journalistin und Aktivistin Hercilia Castro Balderas Morddrohungen von zwei Männern, die in ihr Haus in Zihuatanejo eindrangen, wo sie sich mit ihrem Partner, ebenfalls Aktivist, aufhielt. Das CCTI (Kollektiv gegen Folter und Straflosigkeit) berichtet, dass die Aktivistin „im letzten Monat wiederholt bedroht wurde wegen ihres Aktivismus und ihrer Kritik an den Aktivitäten der Stadtregierung von Zihuatanejo und der Nationalgarde. Vor zwei Wochen wurde ihr Haus durchsucht und es kam zu körperlichen Übergriffen“.
Im Juli veröffentlichte der CNI (Nationale Indigene Kongress) ein Statement des Indigenen- und Volksrates von Guerrero – Emiliano Zapata (CIPOG-EZ), in dem die Ungerechtigkeiten und bewaffneten Angriffe, ja sogar Todesfälle, stark verurteilt wurden. Trotz der Versprechen der Regierung, für Sicherheit zu sorgen, „erschütterte das Feuer erneut das Land von Chilapa, das sich in den Händen der narco-paramilitärischen Gruppe „Los Ardillos“ befindet“. Sie berichteten, dass am 11. Juli 100 Mitglieder dieser bewaffneten Gruppe das Feuer auf die Gemeinde Tula eröffneten. Sie betonten, dass „die Ereignisse nur zwei Kilometer von der Basis der Nationalgarde entfernt stattfanden, die den mehr als drei Stunden andauernden Kugelhagel hörte, ohne etwas zu unternehmen“.
Im August wurde der Journalist Pablo Morrugares Parraguirre in Iguala ermordet. Der Chefredakteur der Online-Zeitung PM Noticias de Guerrero, stand seit 2015 Unter dem Schutz des Mechanismus zum Schutz von Journalist*innen und Menschenrechtsaktivist*innen. Außerdem wurden im August die Räumlichkeiten der Zeitung Diario de Iguala von unbekannten Angreifern beschossen. Articulo 19 und das Menschenrechtszentrum Tlachinollan wiesen darauf hin, dass es einen Konflikt zwischen Gruppen des organisierten Verbrechens um die Kontrolle dieses Gebietes gibt, die Journalist*innen dazu zwingen, Dinge entsprechend ihren Interessen darzustellen oder nicht zu berichten.
In vielen anderen Fällen besteht weiterhin Straflosigkeit. Im Juni erinnerte Tlachinollan an das Massaker, das 1998 in der Gemeinde El Charco in der Gemeinde Ayutla de los Libres durch die mexikanische Armee verübt wurde. Am 7. Juni 1998 trafen Militärangehörige in der Gemeinde ein und ermordeten 11 Unschuldige; 27 weitere wurden gefoltert und willkürlich festgenommen und 5 andere verwundet. Tlachinollan beklagte, dass „nie eine Untersuchung gegen die Mitglieder des Militärs eingeleitet wurde, die die Bewohner*innen getötet haben“, dass aber 27 Indigene angeklagt und strafrechtlich verfolgt wurden und mehr als 2 Jahre im Gefängnis verbrachten. „Dies ist ein Beispiel dafür, was passiert, wenn der mexikanischen Armee Aufgaben der öffentlichen Sicherheit anvertraut werde. Es mangelt an zivilen Kontrollen und Verantwortungsmechanismen“, stellte er fest.