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26/09/2024
A m 2. Juni wurde Claudia Sheinbaum mit einem Vorsprung von 30 Prozentpunkten vor der Kandidatin Xóchitl Gálvez (von Mexikos historischen Parteien PRI, PAN und PRD) zur ersten weiblichen Präsidentin Mexikos gewählt.
Sheinbaums Partei, Movimiento Regeneración Nacional, MORENA (dt. die Nationale Regenerationsbewegung), gewann zusammen mit ihren Verbündeten die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses der Union. Dies wird es ihr ermöglichen, die Verfassungsreform des so genannten „Plan C“, ein Vermächtnis von Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO), durchzuführen und die wichtigsten Megaprojekte der derzeitigen Regierung zu verwirklichen. Bei einer Wählerschaft von 98,3 Millionen Menschen erhielt Sheinbaum 35.923.984 Stimmen, ein deutlicher Zuwachs gegenüber den 30 Millionen Stimmen, die AMLO im Jahr 2018 erhielt. MORENA gewann auch in Mexiko-Stadt und behielt die Macht in fünf der neun Gouverneursposten, die zur Wahl standen.
Diese starken Ergebnisse können nicht verbergen, dass die Wahlkämpfe in einem großen Teil des Landes von einem hohen Maß an politisch-elektoraler Gewalt geprägt waren. Die internationale Organisation ACLES (Armed Conflict Location and Data) verzeichnete zwischen September 2023 und Juni 2024 540 Vorfälle von Gewalt gegen politische Akteur*innen. Entgegen den Behauptungen der Bundesregierung zeigen diese Daten, dass dieser Wahlprozess der gewalttätigste in der Geschichte war. Von 330 gewalttätigen Vorfällen, die während des Wahlkampfes registriert wurden, betrafen 216 Kandidat*innen, Anhänger*innen oder deren Angehörige. Mindestens 95 führten zu einem oder mehreren Todesfällen. Die meisten der gewalttätigen Übergriffe, mehr als 80% der Fälle, fanden auf lokaler Ebene statt. „Auch wenn ein Großteil der politischen Gewalt auf den Machtkampf zwischen Gruppen des organisierten Verbrechens zurückzuführen ist, waren mindestens 30% der Vorfälle mit Ausschreitungen und der Zerstörung von Eigentum verbunden, was darauf hindeutet, dass lokale Machtkämpfe und Beschwerden der Bevölkerung über Unregelmäßigkeiten während des Wahlprozesses oder die Ablehnung der Wahlergebnisse ebenfalls zu Gewalt gegen politische Akteure führen können“, so erklärte ACLED.
Justizreform: Eine Verbesserung oder ein Risiko für mehr politische Kontrolle und Straflosigkeit?
Im Juni fand eine Reihe von Foren statt, um die von AMLO vorgeschlagene Reform der Justiz zu diskutieren. Dieser Vorschlag sieht vor, die Zahl der Minister*innen im Obersten Gerichtshof (SCJN) von 11 auf neun zu reduzieren. Die Amtszeit der Minister*innen würde 12 Jahre betragen, drei Jahre weniger als die derzeitige Regelung bestimmt. Die beiden Kammern, in die der Gerichtshof derzeit unterteilt ist, würden abgeschafft, so dass er nur noch in öffentlichen Plenarsitzungen tagen würde. Bei den Gehältern würde festgelegt werden, dass die Bezahlung von Minister*innen und Richter*innen nicht höher sein darf als die des/der Präsident*in der Republik. Außerdem würde der Mechanismus für die Wahl der Vertreter*innen der Justiz geändert, die alle drei Jahre von den Bürger*innen gewählt werden, nachdem sie zu gleichen Teilen von dem/der Präsident*in des Landes, dem Kongress der Union und der Justiz selbst vorgeschlagen wurden.
Margaret Satterhwait, UN-Sonderberichterstatterin für die Unabhängigkeit von Richter*innen und Anwält*innen äußerte sich besorgt über die Initiative, insbesondere im Hinblick auf die Wahl durch Volksabstimmung und die Kürzung der Richtergehälter. „Angesichts der angeblichen Einschüchterungen von Richter*innen und Berichten über Eingriffe in die richterliche Unabhängigkeit durch die Exekutive und Legislative bin ich besonders besorgt über den Kontext, in dem diese Reformvorschläge stattfinden“, sagte sie.
Unterdessen wertete der mexikanische Peso nach der Ankündigung von MORENA, die Reformen von Präsident López Obrador im Juli und August umzusetzen, ab. Die Anleger*innen befürchten, dass die Regierung „radikale Änderungen“ an der Verfassung beschließen wird, was als Abbau der demokratischen Kontrollen angesehen werden könnte.
Mehrere offene Fragen zum Thema Menschenrechte für die gewählte Präsidentin
Im Mai legte das Red Nacional Todos los Derechos para Todas y Todos, Red TDT (dt. Nationales Netzwerk – Alle Rechte für Alle) einen Bericht über die Menschenrechtsituation in Mexiko während der sechsjährigen Amtszeit vor. In Bezug auf die Menschenrechtsverteidiger*innen wurden 92 Fälle von außergerichtlichen Hinrichtungen dokumentiert, was einen Rückgang um 50% im Vergleich zur Vorherigen Regierung bedeutet, aber weiterhin eine „Taktik darstellt, die dazu dient, den sozialen Kampf und die Verteidigung grundlegender Rechte zu verhindern“. Bei den meisten Opfern handelte es sich um Verteidiger*innen von Land und Territorium, der Umwelt und der Selbstbestimmung indigener Völker; diese Fälle wurden hauptsächlich in Oaxaca und Chiapas registriert. In dem Bericht wird auch hervorgehoben, dass den gesammelten Daten zufolge in der derzeitigen Regierung 44 Journalist*innen getötet wurden, während es in der vorherigen Regierung 47 waren. Darüber hinaus wurden Fälle dokumentiert, in denen das Recht auf freie Meinungsäußerung und Protest eingeschränkt wurde.
Im Juli legte die Organisation Artículo 19 den Bericht „Derechos Pendientes“ (dt. ausstehende Rechte) vor, in dem die Verstöße gegen die Meinungsfreiheit während der sechsjährigen Amtszeit von López Obrador detailliert aufgeführt sind. Insgesamt wurden 3.408 Angriffe auf die Presse registriert, 561 davon im Jahr 2023, was einem Angriff alle 14 Stunden entspricht. Darüber hinaus wurden 46 Journalist*innen ermordet, wobei der Staat mit einem Anteil von 45,75% weiterhin der Hauptangreifer ist. In dem Bericht wird hervorgehoben, dass „während der Amtszeit 179 Angriffe in den ‚Morgenstunden‘ verzeichnet wurden und festgestellt wurde, dass kommunale und staatliche Behörden in 20 Regionen der Republik 62-mal denselben stigmatisierten Diskurs wiederholten“. Der Bericht weist auch auf die Konzentration der Ausgaben für offizielle Werbung hin, bei der 10 Medienunternehmen 47,08% der Mittel während der sechsjährigen Amtszeit auf sich vereinten. Trotz der Behauptung, es gebe keine Spionage mehr, kritisiert der Bericht die fortgesetzte Anschaffung von Überwachungsgeräten durch die Verwaltung.
Ein weiterer beunruhigender Aspekt der Menschenrechtsagenda ist die Militarisierung. Im Juni kündigte Claudia Sheinbaum an, dass sie die von AMLO vorgeschlagene Reform unterstützen werde, die die endgültige Integration der Nationalgarde in das Nationale Verteidigungssekretariat (SEDENA) vorsieht. Sie wies darauf hin, dass sich ihre Sicherheitspolitik auf die Beseitigung der Ursachen, eine effiziente Nationalgarde, die Verbesserung der Aufklärung und der Ermittlungen sowie die Koordinierung zwischen den Institutionen stützen werde. Zivilorganisationen haben jedoch ihre Besorgnis geäußert und darauf hingewiesen, dass „die Beteiligung des Militärs in zivilen Bereichen die Sicherheit der Bevölkerung gefährden und zu mehr Menschenrechtsverletzungen führen sowie den Grundsatz der Gewalteneinteilung und die Unabhängigkeit der Justiz in Frage stellen könnte“.
Im Juli erhielt der mexikanische Staat im Rahmen der Universellen Periodischen Überprüfung (UPR), einem Mechanismus des UN-Menschenrechtsrats, 318 Empfehlungen im Zusammenhang mit den Menschenrechten. Er lehnte 14 von ihnen zu den Themen Militarisierung, übermäßige Gewaltanwendung, Spionage, inoffizielle Untersuchungshaft, Zwangsvertreibung und Inhaftierung von Migrant*innen ab. Nationale und internationale Organisationen der Zivilgesellschaft bedauerten „die Haltung des Staates, der zum ersten Mal so viele Empfehlungen ablehnte, was im Widerspruch zu den Botschaften steht, in denen er sich zur Achtung der Menschenrechte verpflichtet“. Sie forderten die nächste Regierung auf, alle Empfehlungen „als Leitfaden für die Annahme konkreter Regierungsstrategien und -maßnahmen mit einer Rechtsperspektive“ zu nutzen.
Die Rolle der USA in Mexikos Sicherheits- und Menschenrechtsthemen
Im Juni kündigte US-Präsident Joe Biden eine neue Verordnung an, die Asylanträge an der Grenze zu Mexiko einschränken wird. Diese Maßnahme ermöglicht eine rasche Abschiebung, wenn eine bestimmte Anzahl von irregulären Migrant*innen aufgegriffen wird, es sei denn, sie können nachweisen, dass sie verfolgt werden oder bei einer Abschiebung Folter droht. AMLO betrachtete diese neuen Maßnahmen als Reaktion auf die Präsidentschaftswahlen im November, bei denen das Thema Migration für die US-Wählerschaft eine Priorität darstellt. Er bekräftigte, dass „sie eine Politik betreiben, die nicht der neuen Realität entspricht“ und „die das Thema der Migration für wahlpolitische Zwecke nutzen. Die Gesetzgeber*innen profitieren und manchmal verdienen sie sogar Geld, indem sie Positionen vertreten, die nicht zur Lösung der Probleme beitragen, sondern sie verkomplizieren“. Bis August hatten die USA mehr als 92.000 Menschen in mehr als 130 Länder abgeschoben.
Nach Angaben des US-Amtes für Alkohol, Tabak, Schusswaffen uns Sprengstoffe (ATF) gelangen jedes Jahr mehr als 20.000 Waffen illegal nach Mexiko, wie das Projekt „Stop US Arms to Mexico“, eine Initiative von Global Exchange, im Juli berichtete. Allerdings wird nur ein kleiner Anteil der illegal geschmuggelten Waffen beschlagnahmt. In dem Bericht heißt es: „Der eiserne Fluss von Waffen, der von den Vereinigten Staaten nach Mexiko fließt, stärkt das organisierte Verbrechen und beschleunigt die erzwungene Migration; er hat seinen Ursprung bei Hunderten von und passiert Tausende von lokalen Waffengeschäften in den Vereinigten Staaten“. Als Reaktion auf die illegalen Waffenströme ist „ein Wettrüsten entstanden, bei dem Rüstungsunternehmen immer mehr und immer stärkere Waffen an Polizei und Militär in Mexiko exportieren“. Im Jahr 2023 „exportierten die USA 12.515 militärische Gewehre nach Mexiko – mehr als in die in die Ukraine und mehr als nach Israel“.
Im Juli verhafteten die US-Behörden Ismael El Mayo Zambada, einen historischen Anführer des Sinaloa-Kartells, in El Paso. Texas. Die mexikanische Generalstaatsanwaltschaft kündigte an, dass sie die Verhaftung als einen Fall von „Verrat“ untersuchen werde, da Zambada offenbar von Joaquín Guzmán López, dem Sohn von Joaquín „El Chapo“ Guzmán, der ebenfalls ehemalige Anführer des Sinaloa -Kartells ist und derzeit in Haft sitzt, an die USA ausgeliefert wurde. Die Staatanwaltschaft argumentierte, dass „jeder, der eine Person auf nationalem Territorium illegal ihrer Freiheit beraubt, um sie an die Behörden eines anderen Landes auszuliefern, für dieses Verbrechen verantwortlich ist“. Die Aussagen Zambadas haben bereits dazu geführt, dass mehrere Politiker*innen MORENAs als Verbündete belastet werden.
CHIAPAS: Zwischen politisch-elektoraler Gewalt und krimineller Gewalt
Am 2. Juni wurden in Chiapas neben den Bundesämtern auch der neue Gouverneur, 40 Abgeordnete, 123 Gemeindepräsident*innen, 875 Stadträte und 123 Vorstände gewählt. Mit einem hohen Maß an politisch-elektoraler Gewalt während des Wahlkampfs gehörte Chiapas zu den am stärksten betroffenen Bundesstaaten: Mindestens 15 Politiker*innen wurden ermordet, darunter fünf Kandidat*innen. Außerdem traten 515 Kandidat*innen für verschiedene Wahlämter, die 11 Parteien und zwei Koalitionen angehören, zurück. Darüber hinaus konnten 108 der 6.977 geplanten Wahllokale aufgrund der gewaltvollen Situation nicht eingerichtet werden. Dennoch verlief der Wahltag relativ reibungslos. Es überrascht nicht, dass Eduardo Ramírez Aguilar (ERA), der Kandidat der Koalition „Sigamos haciendo historia“ (dt. Wir machen weiter Geschichte), das Gouverneursrennen mit fast 80% der Stimmen gewann.
Gewalt aufgrund von Konflikten zwischen Gruppen, die mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung stehen, ist in weiten Teilen des Bundesstaates nach wie vor weit verbreitet, insbesondere in der Grenz- und im Hochlandsgebiet. Im Juli forderte das Kollektiv zur Beobachtung der südlichen Grenze die Bundesregierung auf, eine umfassende Antwort auf die Situation tausender Familien zu geben, die vertrieben wurden (einige von ihnen, die die Grenze zu Guatemala überschreiten mussten) oder von Zwangsrekrutierung bedroht sind und in Gemeinden leben, die durch von kriminellen Gruppen errichteten Straßensperren abgeschnitten sind. „Die Bevölkerung dieser Gemeinden ist völlig schutzlos und von den staatlichen und föderalen Behörden im Stich gelassen. Sie wird von kriminellen Gruppen gezwungen, sich an den Blockaden zu beteiligen, indem sie sie als menschliche Barrikaden für den Fall benutzen, dass die rivalisierende Gruppe kommt oder um die Durchfahrt der föderalen Kräfte zu verhindern. Die Erklärungen der föderalen Behörden, die die humanitäre Situation herunterspielen und die Verantwortung für die Ereignisse auf die Bevölkerung abwälzen und sie beschuldigen, die soziale Basis der kriminellen Gruppen zu sein, sind äußerst besorgniserregend“, erklärte das Kollektiv.
Die Diözese Tapachula wies darauf hin, dass die derzeitige Situation im Hochland und an der Grenze „wegen der ständigen Präsenz der Drogenkartelle, die das Gebiet kontrollieren, und wegen der Gleichgültigkeit und offensichtlichen Komplizenschaft mit der Nationalgarde und der mexikanischen Armee verzweifelt ist“. Sie erklärte, dass „es sehr kompliziert ist, so zu leben: auf der einen Seite die Entführte, die gezwungen werden, etwas zu tun, was sie nicht tun sollten; die Leute der Kartelle, die über die Bevölkerung verfügen, wie es ihnen gefällt und auf der anderen Seite die Präsenz der Nationalgarde und der mexikanischen Armee, die nichts für die Bevölkerung tun“.
Ein weiterer Brennpunkt befand sich in der nördlichen Zone. Im Juni wurde eine polizei-militärische Operation mit mehr als 500 Einsatzkräften in der Stadt Tila durchgeführt. Mehr als 4.000 Menschen, die aufgrund der von bewaffneten zivilen Gruppen provozierten Gewalt in ihre Häuser geflüchtet waren, verließen die Stadt. Diese Gruppen hinterließen mindestens zwei Tote, 17 verbrannte Gebäude, geplünderte Geschäfte und 21 zerstörte Fahrzeuge. Die Vertriebenen wurden in verschiedenen Unterkünften im Bundesstaat untergebracht oder suchten Zuflucht bei Verwandten in andren Gemeinden. Zeugenaussagen zufolge sind die Zusammenstöße aus dem Konflikt zwischen der Gruppe „Los Autónomos“ (dt. Die Autonomen) und der Gruppe „Karma“ um die Kontrolle über das Ejido (Besitzform von Land, die gekennzeichnet ist durch gemeinsamen Grundbesitz und individuelle Nutzung). Das Red TDT wies darauf hin, dass „dieses Gewaltszenario Vorläufer hat, die öffentlich angeprangert wurden, ohne dass die Behörden der drei Regierungsebenen die notwendigen Maßnahmen ergriffen hätten, um eine Eskalation zu verhindern. In den letzten Jahren sind mehrere bewaffnete Gruppen aufgetaucht, die Morde, Drohungen, Erpressungen und verschiedene Formen von Gewalt provozieren und die Bevölkerung im Allgemeinen terrorisieren“. Das Netzwerk erinnerte sich auch daran, dass „es einen Konflikt zwischen Gruppen des organisierten Verbrechens gibt, an dem auch lokale bewaffnete Organisationen beteiligt sind. Verschiedene Anzeichen deuten darauf hin, dass diese Situation in den Kontext, in dem legale und illegale Wirtschaftszweige sowie die Kontrolle über die Bevölkerung, das Territorium und die Verkehrswege umstritten sind, eingeordnet werden könnte.
Ende Juli waren um Hochland rund 800 Menschen aus der Gemeinde La Esperanza in Chenalhó gezwungen worden, ihre Häuser aufgrund eines bewaffneten Angriffs der als „Los Herrera“ bekannten Gruppe zu verlassen. La Esperanza, an der Grenze zwischen Chenalhó und Pantelhó gelegen, ist seit Juli 2021 Schauplatz von Zusammenstößen zwischen „Los Herrera“ und der Selbstverteidigungsgruppe „El Machte“ aus Pantelhó. Auch andere Gemeinden in dieser Region sind davon betroffen. Sie haben die Zunahme der Gewalt angeprangert: Blockaden, ständige Schießereien und Konfrontationen haben zur Zwangsvertreibung ganzer Gemeinden und zum Tod unschuldiger Menschen geführt. „Angesicht des Schmerzes der leidenden Menschen und der Empörung über das Versagen der Regierung, die wir im Staat erleben sowie der Verharmlosung der Gewalt, die durch den Präsidenten Andrés Manuel López Obrador bekräftigt wird, verstehen wir nicht, in wessen Händen der Kampf gegen das organisierte Verbrechen liegt, denn wir sehen, dass die Kriminellen jeden Tag in der Anwesenheit des Militärs und der Nationalgarde stärker werden.“
OAXACA: Vulnerabilität von Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen
Im Mai prangerte das “Comité de Defensa Integral de Derechos Humanos Gobixha AC, CODIGODH” (dt. Das Komitee für die Verteidigung der Menschenrechte Gobixha) den Einbruch in ihre Büros in Oaxaca-Stadt an, bei dem Laptops, Fotokameras, Videokameras, Bargeld und andere Gegenstände gestohlen wurden. Die Organisation warnte, dass diese Tat „eine schwere Verletzung unserer Arbeit zur Verteidigung der Menschenrechte in einem Kontext von Unsicherheit und Gewalt darstellt“. Nach einem zweiten Überfall im selben Monat beschloss CODIGODH, ihre Büros vorrübergehend zu schließen.
Im Juli wurde Lorenzo Santos Torres, ein Bürgerrechtler aus Santiago Amoltepec, zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter auf einer Straße zwischen San Martín Lachila und San Andrés Zabache in Ejutla de Crespo überfallen, hingerichtet und verbrannt. Santos Torres hatte 2013 einen Anschlag überlebt, für den ihm die Interamerikanische Menschenrechtskommission (IACHR) Vorsichtsmaßnahmen gewährt hatte. Mit dieser Ermordung steigt die Zahl der in Oaxaca während der sechsjährigen Amtszeit von AMLO ermordeten Menschenrechtsverteidiger*innen auf 42. Vier dieser Modre fielen in die Amtszeit der derzeitigen Regierung von Salomón Jara Cruz, so die Organisation EDUCA.
Während der Amtszeit von Jara Cruz meldete die Organisation „Defensoría de los Derechos Humanos del Pueblo de Oaxaca, DDHPO“ (dt. Die Verteidigung der Menschenrechte in Oaxaca 17 Angriffe auf Journalist*innen. Im Juli wurde der Fotojournalist Edwin Hernández von „El Universal“ während der Feier „Oaxaca Guelaguetza“ angegriffen, während die Filmemacherin Ángeles Cruz gegen die Gewalt in ihrer Gemeinde San Miguel El Grande protestierte. Die Organisation Consorcio Oaxaca berichtete, dass Hernández „von den ‚Wächtern‘ des Gouverneurs eingeschüchtert wurde, um ihn daran zu hindern, den Protest der Filmemacherin zu dokumentieren. Als er weg ging, hielten sie ihn an und brachen seinen Ausweis“.
Eines der Gebiete mit den meisten Angriffen auf Menschenrechtsverteidiger*innen ist der Isthmus von Tehuantepec. Im Juli dokumentierte eine zivile Beobachtungskommission (MCO), die sich aus 22 mexikanischen und internationalen zivilen Organisationen zusammensetzte, dass von Mai 2021 bis Mai 2024 72 Angriffe mit mindestens 226 Übergriffen auf Menschenrechtsverteidiger*innen registriert wurden. Die häufigsten Angriffe waren Einschüchterung (30%), Belästigung (28%), Drohungen (10%) und körperliche Angriffe (7%). Darüber hinaus wurden drei Morde an Menschenrechtsverteidiger*innen dokumentiert: Jesús Manuel Martinez (2022), Félix Vicente Cruz (2023) und Noel López Gallegos (2023). Das MCO wies darauf hin, dass die Präsenz der Armee, Marine und Nationalgarde „ein feindseliges Klima der Einschüchterung begünstigt, das zu einer systematischen Verletzung der Grundrechte der Gemeinden und Völker (…) am Isthmus von Tehuantepec geführt hat“. Es empfiehlt den Behörden, „den Militarisierungsprozess dringend und wirksam zu stoppen, um einen wirksam zu stoppen, um einen Schutz der Rechte auf Selbstbestimmung und Territorium zu gewährleisten“ sowie die begangenen Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und zu bestrafen.
GUERRERO: Gewalt und Straflosigkeit
Im Mai stellte das Menschenrechtszentrum Tlachinollan fest, dass „das politische Szenario im Rahmen der Wahlen verheerend ist“. „Die Parteispitzen kümmern sich nicht um den Kontext der Gewalt, der die Bevölkerung täglich im Kampf ums Überleben in Schach hält. Die zerstörerische Kraft der kriminellen Gruppen hat stetig Vorrang. Guerrero war einer der Bundesstaaten mit den meisten Opfern politischer Gewalt und verzeichnete mindestens 80 Fälle. Trotzdem verlief der Wahltag relativ ruhig.“ Guerrero gehörte zu den vier Bundesstaaten des Landes, die der zukünftigen Präsidentin Claudia Sheinbaum die meisten Stimmen gaben. MORENA und ihre Verbündeten gewannen auch die Wahlen in den meisten Gemeinden Guerreros und die meisten Abgeordneten.
Die Gewalt und Straflosigkeit prägten weiterhin die Situation. Im Juni wurde der Bürgermeister der indigenen Gemeinde Malinaltepec ermordet, nachdem er von einer bewaffneten Gruppe festgehalten worden war. In der Gemeinde San Luis Acatlán an der Küste von Guerrero wurde Leonel Félix Flores, Ratsmitglied der Regionalen Koordination der Gemeindebehörden (CRAC-PC) und ehemaliger Kommissar von Cuanacaxtitlán, seiner Freiheit beraubt und ermordet. „Es ist klar, dass die bewaffneten Gruppen, die in der Region und im Staat aktiv sind, völlige Straffreiheit genießen“, prangerte Tlachinollan an. Im Juli prangerte der Rat „Indígena y Popular de Guerrero Emiliano Zapata, Cipog-Ez” (dt. Indigenen- und Volksrat Emiliano Zapata von Guerrero) an, dass zwei seiner Mitglieder in der Gemeinde Chilapa ermordet worden seien. Er erklärte, dass in sechs Jahren 56 seiner Aktivist*innen ermordet wurden und 23 verschwunden sind. „Wir wollen klarstellen, dass wir allein sind, dass der Staat uns unserem Schicksal überlassen hat, dass er uns der Kriminalität überlassen hat, wie es (…) praktisch im ganzen Land geschieht“, erklärte er.
Nach der Veröffentlichung eines Berichts über den Fall Ayotzinapa im Juli, bestritt AMLO die Beteiligung der Armee am Verschwinden der 43 Studierenden in Iguala im Jahr 2014. Die Angehörigen behaupteten jedoch, dass die Beteiligung der Armee „eine unwiderlegbare Wahrheit“ sei, gestützt durch „zahlreiche Zeugenaussagen und ministerielle Erklärungen, die belegen, dass die Armee an diesem Tag auf der Straße war und auf beschämende Weise am Verschwinden unserer Kinder beteiligt war“. „Von seinem Präsidentensessel aus versucht er, uns eine Zusammenfassung von Spekulationen und Vermutungen zu geben, um ein Wahlversprechen zu rechtfertigen, das er am Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erfüllt hat“. Sie versicherten, dass sie weiterhin das Erscheinen ihrer Kinder und der Hunderttausenden von Verschwundengelassenen im Lande fordern werden. AMLO seinerseits behauptete, dass die Anschuldigungen „ohne Beweise“ gegen die Armee das Ergebnis von „Rache“ gegen die Institutionen sein könnten, „wie sie es im Fall von General Salvador Cienfuegos tun wollten oder wie sie es jetzt gegen mich mit einer Verleumdungskampagne ohne Beweise tun“.
Im August, drei Jahre nach dem Verschwinden des Menschenrechtsverteidigers Vicente Suástegui Muñoz, forderten die Angehörigen des „Consejo de Ejidos y Comunidades opositoras al proyecto hidroeléctrico La Parota, CECOP“ (dt. Mitglieds des Rates der der Ejidos und Gemeinden gegen das Wasserkraftwerksprojekt) erneut, ihn lebendig auszuliefern. Sie kritisierten die Entscheidung eines Richters, das Urteil gegen zwei mutmaßliche Täter*innen des Verschwindenlassens wegen angeblicher Verstöße gegen ein ordnungsgemäßes Verfahren aufzuheben. Tlachinollan prangerte an, dass „es unglaublich ist, dass in Acapulco, wo sich alle staatlichen Sicherheitskräfte befinden und wo sie jeden Morgen Versammlungen abhalten, um die Situation der Gewalt im Hafen zu analysieren, sie nicht in der Lage sind, die Vorgehensweisen der Täter zu identifizieren und die Orte zu finden, an denen sie sich verstecken und ihre Verbrechen begehen. (…) Es wird ein größeres Budget für den Bau von Kasernen der Nationalgarde bereitgestellt, um die Sicherheit im Hafen zu gewährleisten, aber die Menschen sehen keine greifbaren Ergebnisse durch die Ankunft von mehr Elementen der Nationalgarde“.