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02/01/20012001
31/12/2001ANALYSE: Es scheint immer schwieriger, eine Lösung für den Konflikt in Chiapas zu finden
Die internationalen Konsequenzen aus den Anschlägen vom 11. September in Amerika ließen regionale Konflikte plötzlich nebensächlich werden. So erging es auch dem zum Stillstand gekommenen Friedensprozeß in Chiapas und mit ihm einem der Themen, die dieser Prozeß zum Vorschein gebracht hatte: Armut und Ausgrenzung der 10 Millionen Indígenas in Mexiko.
Auf seiner Reise nach Europa spielte der mexikanische Präsident den Konflikt in Chiapas herunter und versuchte ihn als bereits gelöst darzustellen. Derartige Meldungen stießen in allen europäischen Ländern auf offene Ohren, sieht man doch in Mexiko einen vielversprechenden wirtschaftlichen Partner, der sich in einer Phase der Demokratisierung befindet und dessen Institutionen immer vertrauenerweckender wirken.
Trotzdem gibt es verschiedene besorgniserregende Aspekte der mexikanischen und chiapanekischen Realität, die den optimistischen Aussagen von Präsident Fox widersprechen.
Optimistische Worte für eine nicht allzu ermutigende
Realität In den Reden, die Präsident Fox in Europa hielt, sprach er von Ruhe und Frieden in Chiapas. Dennoch ist es falsch, das Schweigen der EZLN seit ihrem Kommuniqué vom 29. April, in dem sie das indigene Gesetz ablehnte, als Zustimmung zu werten. Wie sich in den letzten acht Jahren dieses Konflikts zeigte, ist ein langes Schweigen vielmehr als kategorische Ablehnung der Regierungsposition zu sehen; im jetzigen Fall sind die zapatistischen Gemeinden erneut in eine Phase des Widerstands eingetreten, in der sie jegliche Unterstützung durch die Regierung ablehnen und über praktisches Handeln versuchen, eine de facto Autonomie herzustellen.
Zudem ist es schwer, von Frieden zu sprechen, wenn zahllose Gemeinden weiterhin militärische und paramilitärische Übergriffe melden und Konflikte innerhalb der Gemeinden sich zunehmend auch zwischen ehemals befreundeten Organisationen zuspitzen. Nachdem das Jahr hoffnungsvoll begann, hat der lange Stillstand des Friedensprozesses, hervorgerufen durch die Verabschiedung eines indigenen Gesetzes, das den Abkommen von San Andrés nicht gerecht wird, erneut zu einer Radikalisierung der Meinungen und damit zu neuen Polarisierungen und Spaltungen geführt.
Wie im (nicht auf deutsch vorliegenden) Enfoque ausführlicher beschrieben und ganz im Gegensatz zu dem, was Präsident Fox behauptet, kann die Rückkehr einiger Gruppen interner Flüchtlinge kaum als Lösung des Flüchtlingsproblems in Chiapas dargestellt werden.
Ein weiteres Mal schrillten die Alarmglocken, als Digna Ochoa ermordet wurde und eine Welle von Drohungen gegen VerteidigerInnen von Menschenrechten folgte. Diese Ereignisse weisen auf schwere institutionelle Probleme hin, insbesondere weil bisherige Ermittlungen auch auf das Militär als möglichen Urheber deuten.
Unübersehbar sind aber auch Schritte, die auf die Ausbildung einer demokratischen Kultur in Mexiko zeigen. Die unterschiedlichen Positionen der drei Staatsgewalten in der Debatte um das indigene Gesetz belegen diesen Fortschritt. Aus der PRI-Zeit überdauernde Machtstrukturen innerhalb des neuen Systems, auf lokalem, bundesstaatlichem wie nationalem Niveau, bleiben die zentrale Herausforderung für jede Veränderung in Mexiko.
Stillstand durch das indigene Gesetz
Auf der anderen Seite bleibt die Frage, was für ein Umgang mit dem indigenen Gesetz gefunden werden soll. Auch wenn viele es als einen Fortschritt zur bisherigen Regelung verteidigen, ist unbestreitbar, daß es nicht zu einer Wiederaufnahme der Friedensgespräche führen wird, sondern ein neues Hindernis und Quelle von Streit darstellt, da es von denjenigen, denen es zugute kommen soll, abgelehnt wird.
Unter den unterschiedlichen Positionen lassen sich zur Zeit zwei Gruppen ausmachen: die, die dafür plädieren, die Reform zu reformieren, und diejenigen, die das Gesetz anerkennen, es aber über die Zusatzgesetze modifizieren möchten. Auch wenn dieser Weg zunächst pragmatischer erscheint, weisen Kritiker darauf hin, daß er letztlich darauf verzichtet, Mexiko in die Verantwortung zu nehmen, auch die Rechte der Indígenas in die Verfassung aufzunehmen.
Darüber hinaus, bedingt durch die Erfahrungen aus der Vergangenheit, haben die Indígenas nur wenig Vertrauen in die Staatsmacht, die politischen Interessen und wandelnden Machtbeziehungen unterliegt.
Zum anderen sind die beim Obersten Gerichtshof von Mexiko bzw. der Internationalen Arbeitsorganisation vorgelegten Rechtsmittel kein zwingender Grund, das Thema neu zu verhandeln, da die Urteilssprüche, bedingt durch die Art dieser Organisationen, meist wirkungslos bleiben. Bleibt das Gesetz bestehen, müssen diejenigen, die es bisher ohne wenn und aber abgelehnt haben, ihre Strategie im Angesicht der sich aus der Reform ergebenden Politik und Gesetzgebung überdenken.
Die jetzige Unterbrechung in den Friedensgesprächen ist schwerer denn je zu lösen; während die Regierung glaubt, alles in ihrer Macht stehende getan zu haben, sieht die EZLN in der Indígena-Reform einen Betrug, und in den indigenen Gemeinden hört man Bemerkungen wie: „Fox ist ja auch nicht anders als Zedillo“. Diese zunehmende Distanz zwischen Regierung und Zapatisten entfernt sich auch immer weiter von den Hoffnungen zu Beginn der Regierung Fox, zunehmend entwickelt sie sich zu der Polarisierung, die noch unter der alten Regierung bestand.
In einer solchen Situation macht das Fehlen einer Vermittlungsinstanz die Suche nach Wegen zu Verhandlungen um so schwerer. Die COCOPA war nicht in der Lage, ihre internen Differenzen zu lösen, statt dessen bleibt sie ein Katalysator für parteipolitische Differenzen.
Veränderungen nach den Wahlen in Chiapas
Das Machtgefüge befindet sich seit den letzten Wahlen im Umbruch. Die Wahlen zeichneten sich vor allem durch die geringe Glaubwürdigkeit des Staatlichen Wahlinstituts (IEE) und die niedrige Wahlbeteiligung aus. Analysen gehen von einem ausgewogeneren Verhältnis zwischen den Parteien aus, vor allem bedingt durch die Krise der PRI in den vergangenen Monaten.
Der Sieg der PRI erklärt sich durch die Schwierigkeit (der anderen Parteien), Koalitionen zu bilden, und verstärkt sich noch durch die besonders hohe Anzahl von Parteien. Während sich alte Praktiken wie Kazikentum und Kauf von Stimmen fortsetzen, geht der Zerfall der Parteienstruktur in Chiapas weiter.
Dies wird Pablo Salazar das Regieren nicht gerade erleichtern, denn auch wenn die PRI so zerstritten wie noch nie dasteht, muß er von nun an mit einem von der PRI dominierten Kongreß weiterregieren. In einer solchen Situation könnte es zunehmend schwieriger werden, Lösungen für die vielen noch offen stehenden Probleme in Chiapas zu finden, im besten Falle könnten beide Seiten (Gouverneur und Kongreß) sich zu einem minimalen politischen Konsens zusammenfinden.
Weitere konsequenzen aus dem 11. September
Der 11. September hat Tendenzen verstärkt, die die Lösung der mit dem Friedensprozeß in Chiapas in Zusammenhang stehenden Probleme nicht gerade erleichtern. Eine der unmittelbarsten Konsequenzen war eine weitere Erhöhung der Militärpräsenz, was in einem Bundesstaat mit ohnehin hoher militärischer Präsenz neue Spannungen auslöste.
Auch wenn die Diskussion, welche bewaffneten Gruppen in Mexiko als terroristisch angesehen werden müssen, die EZLN zunächst einmal ausklammert, besteht dennoch Sorge, mit zunehmender Angst wachse auch die Intoleranz und damit das Risiko, daß insbesondere Minderheiten und Aufständische in ihren Rechten beschnitten werden.
Und auch der wirtschaftliche Faktor wird in den kommenden Monaten eine verstärkte Rolle spielen, denn die Spannungen zwischen Gemeinden, die weiter im Widerstand bleiben, und solchen, die nicht auf die Hilfe der Regierung verzichten wollen, werden sich verstärken. Hinzu kommt, daß der wirtschaftliche Faktor, aufgrund der schwieriger gewordenen Migration in die USA, nicht nur für Chiapas Konsequenzen hat.