SIPAZ Aktivitäten (Von April bis Juni 2006)
31/07/20062006
01/01/2007Die längsten Wahlen in der mexikanischen Geschichte
(weniger als 1% Unterschied zwischen den ersten beiden Kandidaten) wurden stark in Frage gestellt. Das Bündnis zum Wohl Aller (aus linksparteien bestehend: Partei der Demokratischen Revolution (PRD), Partei der Arbeit (PT) und Convergencia) hat diese Wahlen legal angefochten und legte 225 Widersprüche, die 52 000 Wahlurnen betrafen, vor dem Nationalen Wahlgericht (TEPJF) ein.
Andrés Manuel López Obrador (AMLO, Präsidentschaftskandidat des Bündnis zum Wohl Aller) und seine Anhänger verlangten alle Wahlpakete zu öffnen und „Stimme für Stimme“ neu auszuzählen. Dies war die prinzipielle Forderung massiver Mobilisierungen, welche vor allem im Juli in Mexiko Stadt durchgeführt wurden. Daraus entstand die „Permanente Versammlung“ die eine Mahnwache und Blockaden der wichtigsten Strassen in der Hauptstadt bis Mitte September iniziierten.
36 Tage wurde mit Spannung die Entscheidung des TEPJF erwartet. Diese verweigerte die totale Neuauszählung der Stimmen und ordnete die Öffnung von 9% der Wahlpakete an (ungefähr 12 000 Wahlurnen, welche 146 Distrikte repräsentieren) Die Neuauszählung fand zwischen dem 9. und dem 27. August statt. Als das TEPJF immer mehr darauf zeigte den Sieg Felipe Calderons (Kandidat der PAN, Partei der Nationalen Aktion, rechte Partei, zur Zeit an der Regierung) zu bestätigen, setzte AMLO verstärkt auf den politischen, statt den gesetzlichen Weg.
Am 13. August, in Berufung auf Artikel 39 der Verfassung (Volkssouveranität), rief AMLO zu einer Nationalen Demokratischen Konvention (CND) am 16. September, dem mexikanischer Unabhängigkeitstag, auf. Die CND schlug vor einen legitimen Präsidenten zu wählen und 5 Aktionen anzustoßen um das Land zu verändern: Kampf gegen Armut und Ungleichheit; Verhinderung der Privatisierung des Energiesektors und der natürlichen Ressourcen; Durchsetzung des Rechts auf Information, Kampf gegen Korruption und die Erneuerung öffentlicher Institutionen.
Am 20. August beendet das TEPJF seine Beschäftigung mit den Wahleinsprüchen, die meisten wurden mit der Begründung der „juristischen Unzulässigkeit“ abgelehnt. Die Nachzählung von lediglich 9% der Wahlurnen reduzierte den Vorsprungs Calderons auf nur 4 183 Stimmen.
Im August agierten die PAN und Felipe Calderon relativ zurückhaltend. Sie knüpften in dieser Zeit Kontakte zu Gouverneuren, Kongressabgeorneten der Partei der Institutionalisierten Revolution PRI und Unternehmersektoren. Die PAN rief zur „nationalen Einheit“ und „der Gründung einer Regierung der Koalition“ auf. Diese Aufrufe fanden wenig Echo, sollten aber einer politischen und sozialen Polarisierung vorbeugen die sich während des Wahlprozesses abzeichneten. Ein Datum von großer politischer Sprengkraft war der 1. September, der Tag an dem Präsident Fox seinen letzten Regierungsbericht abzulegen hatte. In den 2 Wochen vor diesem Ereignis konnte ein Militarisierungsprozess der gesamten Zone um den Regierungspalast beobachtet werden. Am 15. August versuchten Mitglieder und Abgeordnete des „Bündnis zum Wohl aller“, eine Mahnwache am Kongresseingang abzuhalten und wurden daran gehindert. Einige Medien berichteten über die Existenz von „Abschreckungsgruppen„, welche in Militärbasen trainiert würden um in selektiven Repressionsaktionen gegen Führer des zivilen Widerstands eingesetzt zu werden.
Am 1. September war der Regierungspalast mit einem Militärgürtel umringt mit einer Präsenz von 8 000 Polizisten (PFP) und dem Generalstab des Präsidenten (EMP), unterstützt von Panzern und Scharfschützen. Aus Protest gegen die Militärpräsenz besetzten Kongressabgeordnete der PRD und PT die Tribüne. Fox musste sich damit abfinden, seinen Bericht schriftlich im Umkleideraum des Parlamentsgebäudes abzugeben. Kurz darauf gab es in nationalen Fernsehsendern eine auf Video gefilmte Botschaft des Präsidenten, die sich auf Angriffe gegen AMLO und die sozialen Bewegungen, die ihn unterstützen, konzentrierte.
Am 15. September erklärte das TEPJF einstimmig Felipe Calderon zum gewählten Präsidenten. Es wies damit alle vom „Bündnis zum Wohl aller“ eingereichten Klagen zurück. Darunter auch die Klage gegen die Einmischung von Fox zugunsten Calderons und die Klage gegen illegale Verbreitung von Propaganda des Unternehmenssektors, welche negativ auf die Kampagne von AMLO gewirkt hatte. Das Gericht bestätigte diese Klagen zwar, meinte aber: „Man könne die genaue Wirkung dieser Manipulationen auf die Wahlen nicht feststellen.“
Die politische Spannung nahm nicht ab. In der ersten Septemberhälfte sahen sich Fox und Calderon wiederholt von AMLOs Sympatisanten bedrängt. Calderon nahm seine Bestätigung zum Präsidenten auf fast heimliche Weise entgegen.
Am 15. September entschied Fox die Zeremonie der mexikanischen Unabhängigkeitsfeiern nach Dolores Hidalgo, Guanajuato, zu verlegen, umringt von Sicherheitsbeamten. In Mexiko Stadt wurde die Veranstaltung von Alejandro Encinas, in seiner Funktion als Regierungschef der Hauptstadt in der Anwesenheit des Innenministers Carlos Abascal, durchgeführt. Was die Militärparade betraf, entschied AMLO, die Wiederstandscamps, die die wichtigsten Straßen blockierten, aufzuheben und die Zeit des für diesen Tag vorbereiteten CNDs zu verlegen, um die Militärs passieren zu lassen. In beiden Fällen wurde so eine direkte Konfrontation vermieden.
Die CND wurde mit über einer Millionen Delegierten des ganzen Landes durchgeführt. Sie proklamierten AMLO als legitimen Präsidenten und verabschiedeten einen 6 Punkte Plan: Calderon aberkennen; am 20. November AMLO zum Präsidenten auszurufen; ihn zu autorisieren sein Kabinett zu bilden; kurzfristig Wiederstandsaktionen zu entwickeln um die Amtseinsetzung Felipe Calderons am 1. Dezember zu verhindern; die CND mit regelmäßigen Treffen zu erhalten und 3 Koordinationskommissionen („Nationale Politik“, „Ziviler Wiederstand“, und „Organisation für Volksentscheid und Verfassung„) zu bilden.
Die CND wurde von verschiedenen Seiten kritisiert, , auch von links, da der Prozess vor allem von Mitgliedern politischen Parteien angeführt wird (anstelle von Mitgliedern ziviler Unterstützungskomitees) und durch polemische populistische Personen, einige davon in Verbindung stehend mit dem Ex- Präsidenten Carlos Salinas (PRI, 1988-1994). Das Bündnis zum Wohl aller organisierte sich als „breite progressive Front“ (FAP), die so beim Nationalen Wahlinstitut IFE registriert wurde. Am 17. September zog AMLO nach Tabasco um dort die Kampagne des Gouverneurskandidaten des Bündnisses zu unterstützen. In den Vorwahlprognosen (Oktober) lag die PRI vorne.
Gouverneurswahlen in Chiapas, umgekehrte Parallelen
Die Anfechtungen der föderalen Wahlen waren noch nicht gelöst, als am 20.August Gouverneurswahlen in Chiapas stattfanden. Massenhafte Ungereimtheiten wurden während des Wahlprozesses beklagt: unter anderem Stimmenkauf; Wahlmanipulation; direkte Einmischung des Gouverneurs Pablo Salazar Mendiguchia, einschliesslich in die Auswahl der Kandidaten; Nutzung von Sozialprogrammen im Wahlkampf der staatlichen Regierung für den Kandidaten Juan Sabines (des Bündnisses zum Wohl aller).
Die Unterstützung der staatlichen Regierung für Sabines provozierte, dass sich die 4 anderen Kandidaten gemeinsam beklagten mit einer Staatswahl konfrontiert zu werden. Kurz vor den Wahlen luden die PAN, die Partei Neuer Allianz (PANAL) und die Partei Alternativer Sozialdemokratie ihre Sympatisanten ein die PRI zu wählen, um den Sieg Sabines zu verhindern. Doch sie hatten keine Zeit mehr, sich als politische Allianz registrieren zu lassen. Dies verhinderte die Zusammenfassung ihrer Stimmen bei der Auszählung.
Am Wahltag kam es zu keinen größeren Zwischenfällen, aber die Wahlenthaltung war sehr hoch, sie lag bei knapp 56%. Dies lässt sich mit mehreren Faktoren erklären: historisch gesehen ist die Wahlenthaltung in Chiapas eine der höchsten des Landes; seit 1995 haben sich die zivilen Unterstützerbasen geweigert an den Wahlen teilzunehmen; und letztendlich hat die Ernennung der Kandidaten zu diesen Wahlen Unzufriedenheit und Unklarheit bei der Basis der Bauern und indigenen Organisationen geführt. Zum Beispiel war Sabines bis April 2006 Bürgermeister der Landeshauptstadt Tuxtla Gutiérrez, für die PRI.
Die Ergebnisse und Reaktionen nach den Wahlen erlauben es, umgekehrte Parallelen im Vergleich zur Präsidentschaftswahl zu erkennen. Auch hier gibt es nur einen geringfügigen Unterschied zwischen den beiden ersten Kandidaten. Sabine erklärte sich sofort zum gewählten Gouverneur; die PRD von Chiapas sprach sich gegen die Öffnung und Neuauszahlung von Wahlpaketen aus.
Das Staatliche Wahlinstitut (IEE) erklährte ihn zum Sieger als es die folgenden endgültigen Ergebnisse präsentierte:
POLITISCHE PARTEI ODER KOALITION | STIMMEN | PROZENT |
BÜNDNIS ZUM WOHL ALLER (PRD/PT/CONVERGENCIA) | 553,27 | 46.97% |
ALIANZ FÜR CHIAPAS (PRI/PVEM) | 546,988 | 46.44% |
PAN | 29,476 | 2.50% |
PANAL | 3,492 | 0.29% |
PASDYC | 6,395 | 0.54% |
UNGÜLTIGE STIMMEN | 36,57 | 3.10% |
WAHLBETEILIGUNG | 1,177,710 | 45.37% |
Sabines gewann mit einem sehr knappen Vorsprung von 0.55%. Das bedeutet von nur einem Fünftel der Wahlberechtigten gewählt worden zu sein. Die Alianz für Chiapas (PRI und PVEM) und ihre Verbündeten PANAL und PAN reichten 391 Widersprüche beim staatlichen Wahlgericht (TEE) ein.
Dieses endete mit der Ratifizierung des Sieges von Sabines mit ähnlichen Argumenten, wie des TEPJF im Fall der Präsidentschaftswahlen. Sie klagten den Druck seitens Salazars auf die Richter an. Die PRI legte Widerspruch gegen die Entscheidung des TEE vor dem TEPJF ein. Am 27. Oktober ratifizierte das TEPJF den Sieg Sabines.
abines distanzierte sich öffentlich von den Nachwahlmobilisierungen für AMLO . Das Büro der „Im Übergang“ von Felipe Calderon erkannte öffentlich den Sieg von Sabines an und erklärte „falls die PRI die Wahlen vor den staatlichen und bundesstaatlichen Gerichten anfechten möge respektieren wir ihre Entscheidung, aber die PAN wird sie nicht unterstützen“.
Chiapas: historische und neue Wahlkonflikte
Besonders in der im vorigen Jahr von Orkan Stan betroffenen Region (Küste und Berge) wurde die Nutzung öffentlicher Ressourcen im Wahlkampf beobachtet. Vor den Wahlen schossen die Verteilung von Hilfsgütern und der Wiederaufbau in die Höhe. Sie wurden von einer offiziellen Kampagne begleitet, welche diese Hilfen in Bezug zu einem möglichen Sieg Sabines setzten. Diese Kampagne stoppte mit Beendigung des Wahlprozesses. Selbst das Bundessozialamt klagte die Nutzung dieser Ressourcen durch die Regierung von Chiapas an. Sie hinterfragten den öffentlichen Umgang mit offiziellen Zahlen und die Fortschritte der Ergebnisse.
Im September gab es erneut Mobilisierungen und Anklagen der von Stan Betroffenen, wegen offizieller Nichteinhaltung und Unterbrechungen von Arbeiten. Auch kann der Einfluss von Jose Antonio Aguilar Bodegas, dem aus dieser Region stammendem Gouverneurskandidaten der PRI , ins Gewicht fallen.
Die Wahlen ließen auch Wunden und Ängste wieder aufbrechen: in Gemeinden, die Opfer paramilitärischer Gruppen geworden waren, besonders zwischen 1995 und 2000, wurde die „Stimme der Angst“ für die PRD eingeführt mit dem Gerücht, wenn die PRI gewinne, würden die Paramilitärs wieder aktiviert.
Im Hochland spitzten sich alte Konflikte wieder zu (religiöse, aufgrund willkürlicher Anwendung traditioneller Gewohnheiten, wegen natürlichen Ressourcen) und vermischen sich jetzt mit Parteistreitigkeiten (PRI:PRD). In einigen Gebieten wurden Mobilisierungen gegen hohe Strompreise weiter geführt.
In der nördlichen Zone gab es eine gewalttätige Polizeioperation zur Räumung von 30 zapatistischen Familien der Gemeine der Ch´oles, des autonomen Bezirks der Arbeit (Tumbala), welche der Plünderung von Privateigentum beschuldigt wurden.
Im September wurde das Büro des Menschenrechtszentrums Fray Bartolomé de las Casas durchsucht. Dies ist der 18. Fall von Einschüchterung und Drohung gegen Menschenrechtsverteidiger in Chiapas dieses Jahr. Bisher blieben alle straffrei.
Neupositionierung der Otra Campaña, Andere Kampagne
Nach Monaten der politischen und medialen Zurückhaltung hat das Zapatistische Heer der Nationalen Befreiung (EZLN), im September, den Wiederbeginn der nationalen Rundreise des Delegierten Null (Subkommandant Marcos) angekündigt. Diese war nach der Repression in Atenco im vergangenen Mai ausgesetzt worden. Vom 8. Oktober bis 30. November sollen die 11 Bundesstaaten besucht werden, die vor Mai nicht dabei waren. Die Unterstützung der Volksfront zur Verteidigung des Landes (FPDT) von Atenco ging weiter. Seit dem 29. September befinden sich 3 zapatistische Kommandanten in Mexiko Stadt.
Diesen Monat wurde in 5 Teilen ein umfassendes Kommunique verbreitet mit dem Titel: „Die Zapatistas und die Otra (andere Kampagne): die Fußgänger der Geschichte“. Der erste Teil ist eine historische Aufarbeitung dessen, was zum Bruch mit der politischen Klasse geführt hat, die sechste Erklärung aus dem lakandonischen Urwald (Juni 2006) und dem Weg ein linkes, basisorientiertes neues Projekt aufzubauen.
Es folgt eine Analyse der politischen Situation des Landes, worin die Kritik an der PRD, AMLO und der „so genannten Linken“ ausgeführt wird. Es kritisiert stark die Tatsache, das diejenigen die die CND anführen und AMLO umgeben, wichtige Posten unter Präsident Salinas innehatten. Es wirft die Frage auf, ob das Projekt von AMLO nicht genauso neoliberal sei wie das von Calderon, aber „die Krise verwaltet und die soziale Unzufriedenheit“ kontrolliert. Es erkennt die Legitimität und guten Absichten derer an, die gegen den Wahlbetrug und für AMLO mobilisierten. Es bestätigt aber: „das ist nicht unser Weg“. Dagegen drückt es seine Unterstützung für Oaxaca aus (Subkommandat Marcos hat in mehreren Dokumenten erklärt, keine direkte Unterstützung zu geben, damit die APPO nicht angeklagt wird in Verbindung mit bewaffneten Gruppen zu stehen) und fordert die Rebellion der Indigenen, Jugendlichen, SexarbeiterInnen und ArbeiterInnen der Weltmarkfabriken, Frauen und linke antikapitalistische Organisationen.
Der neue Vorschlag beinhaltet die Durchführung einer neuen Umfrage über 6 wesentliche Punkte der Otra Campaña: Eigenschaften; Struktur; Politische Allianzen; Ort der Unterschiede; Eingeladene und nicht; allgemeine Aufgaben. Diese Umfrage soll von Oktober 2006 bis Februar 2007 durchgeführt werden.
Die EZLN kündigt die Durchführung des zweiten intergalaktischen Treffens gegen Neoliberalismus und für die Menschlichkeit an. Dieses soll im Caracol Oventik in Chiapas vom 30. Dezember 2006 bis 2. Januar 2007 stattfinden. Um die Vorbereitungen zu ermöglichen wurden die „Caracoles“ (Zentren der Zapatistas auf regionaler Ebene zum Aufbau der Autonomie) wieder eröffnet, obwohl der rote Alarm für die Aufständigen bislang noch nicht aufgehoben wurde.