Aktivitäten von SIPAZ (Mitte Mai bis Mitte August 2011)
31/08/20112011
03/01/201229. September 2011: Elf der indigenen Gefangenen, die im Gefängnis von San Cristóbal de Las Casas inhaftiert sind, sahen keinen anderen Ausweg als den Hungerstreik angesichts der Gefangenschaft, die sie für ungerecht halten, sowie der Misshandlungen durch die Gefängniswärter. Sie riskierten ihre Gesundheit und ihr Leben für die Hoffnung gehört zu werden. Am 6. November beendeten sie diese Aktion, obwohl nicht alle Fälle überprüft wurden. Zwei Gefangene wurden am 14.Oktober freigelassen, zwei weitere am 15. November.
Diese Situation bezieht sich in Mexiko nicht auf vereinzelte Fälle, sondern es existiert ein gezieltes Muster von Einschüchterung, Folter und Repression im gesamten Prozess, angefangen beim Moment der Festname „vermutlich Schuldiger“ bis hin zur Einsperrung ins Gefängnis. Die Folterungen der Gefangenen als ein ständiger Mechanismus wurde bereits von verschiedenen nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen dokumentiert. Im Juli 2011 wies die „Christliche Aktion zur Abschaffung der Folter“ (ACAT Frankreich), im Rahmen eines Mexiko-Besuchs darauf hin, dass im Land ein „systematisches Andauern der Folter“ existiert und beklagte, „die Fälle, die angezeigt werden, können nicht einfach als isolierte Taten“ abgespeist werden. Außerdem verletzen häufig die Gerichtsprozesse die fundamentalen Rechte der inhaftierten Personen aufgrund des fehlenden Zugangs zu einer unparteiischen und unabhängigen Justiz. Die 11 Gefangenen, die sich an besagtem Hungerstreik beteiligten, klagten über die Verletzung ihrer Rechte auf Verteidigung, auf Übersetzung in ihre Muttersprachen sowie auf einen fairen Prozess mit der Möglichkeit einer gerechten Verteidigung.
Wie wir bereits sagten, betrifft diese Realität Männer und Frauen gleichermaßen von dem Moment ihrer Festnahme an. Ein Beispiel ist der Fall von Rosa López Díaz, einer Frau, die den Streik durch 12 Stunden tägliches Fasten unterstützte. Laut ihrer Aussage wurde sie am 10. Mai 2007 in San Cristóbal de Las Casas von zivil gekleideten Personen festgenommen. Rosa klagte an, dass diese sie mehrfach in den Leib traten: „[…] das Traurige für mich als Frau war, dass ich im vierten Monat schwanger war. Ich flehte die Personen an, mich nicht zu schlagen, wegen meiner Schwangerschaft […] Nach zwei Monaten in der Justizvollzugsanstalt Nr. 5 brachte ich einen Jungen namens Nataniel zur Welt. Durch die von mir erlittenen Schläge wurde mein Sohn mit einer Gehirnlähmung geboren, er war am ganzen Körper gelähmt und hatte noch andere Krankheiten […]“. Dieses Kind starb Ende Oktober diesen Jahres.
Die körperliche und psychische Folter geht im Gefängnis weiter. Laut dem Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas erfüllt die Regierung weder ihre Pflicht, die Grundrechte zu garantieren, noch das Leben und die Integrität der Personen in den verschiedenen Gefängnissen des Bundesstaates zu schützen. Es gibt Aussagen von angeklagten Personen in den sogenannten staatlichen Zentren zur sozialen Wiedereingliederung der Verurteilten (staatliche Justizvollzugsanstalten), die sich gegen ungerechte und unmenschliche Bedingungen wehren: sexualisierte Gewalt, Überfüllung der Gefängnisse, ungenügende Hygienebedingungen, fehlende medizinische Versorgung sowie zu geringe und/oder zu schlechte Qualität der Verpflegung. Diese Zentren brandmarken die Personen und erleichtern keineswegs ihre spätere Wiedereingliederung in die Gemeinschaft. Sie bedeuten auch eine Strafe für die Familien und deren wirtschaftliche Situation, denn sie verändern das familiäre Zusammenleben und bedeuten enorme Kosten.
Einer der Streikenden ist der Lehrer Alberto Patishtán Gómez, Angehöriger der indigenen Gruppe der Tsotsil aus der Gemeinde El Bosque. Er befindet sich seit dem Jahr 2000 im Gefängnis und wird – gemeinsam mit anderen – des Mordes an sechs Polizisten beschuldigt. Sein Gerichtsverfahren wimmelte nur so von Verletzungen seines Rechts auf einen angemessenen fairen Prozess und widersprüchlichen Beweisen gegen ihn. Und das obwohl Patishtán „glaubwürdige klare Beweise brachte, an dem Hinterhalt und Angriff nicht beteiligt gewesen zu sein“ (Tageszeitung La Jornada, 27. Oktober 2011).
Im Jahr 2008 begann Patishtán gemeinsam mit anderen Gefangenen, welche in der „Stimme von El Amate“ organisiert waren, einen Hungerstreik. Durch diesen konnte nach 41 Tagen die Freilassung von 40 Gefangenen erreicht werden. Während des vergangenen Hungerstreiks, der am 29. September begann, fungierte Alberto Patishtán als Sprecher, bis er auf gewaltsame Weise in das Bundesgefängnis in Guasave, Sinaloa, 2000 km von seiner Familie, Freunden und seiner rechtlichen Verteidigung entfernt, verlegt wurde. Mehrere nationale und internationale Bewegungen und Organisationen, darunter Amnesty International, drückten ihre Besorgnis über diese Verlegung aus.
Aufgrund seiner unmenschlichen und ungerechten Inhaftierung und weil er sich trotz seines schlechten Gesundheitszustandes nie hat unterkriegen lassen und aus dem Gefängnis heraus die Menschenrechtsverletzungen anklagte, die inner- und außerhalb der Haftanstalten begangen werden, bekam er 2010 von Samuel Ruíz García die Anerkennung Jcanam Lum verliehen.
Alberto Patishtán stellt in seinem Kampf für viele Gefangene im ganzen Land ein Beispiel für Hoffnung dar, wie es eine Mitarbeiterin der Solidaritätsbewegung mit den Gefangenen ausdrückt: „Sein Leben besteht darin, sich dem Kampf in den Gefängnissen hinzugeben, um diesen Räumen Würde zu geben… damit auch sie Orte des Kampfes, Zentren des Lernens und der Reflexion werden. […] Er hat den Leuten lesen und schreiben beigebracht, damit sie sich selbst verteidigen können. Dies ist die Würde, die Spiritualität, die politische Überzeugung, die Alberto hat“.