FOKUS: Mexiko – Meinungsfreiheit unter Beschuss
27/12/2018Aktivitäten von SIPAZ (Von Mitte August bis Mitte Novmeber 2018)
27/12/2018Der 19. Oktober 2018 markiert den Tag, an dem der Exodus der Migranten, auch bekannt als Migrantenkarawane, das soziale Phänomen der Migration in Zentralamerika auf unvorhersehbare Weise visibilisiert hat
Die symbolischen Bilder von vielen tausend Männern, Frauen und Kindern an der südlichen Grenze der mexikanischen Republik reisten um den Globus und wurden schnell zu weltweiten Nachrichten.
Zu den Ereignisse dieses Tages, bei denen die Brücke am Fluss Suchiate sich in die Bühne für Verzweiflung, Angst und Zermürbung verwandelt hat, kam es, nachdem Bundespolizisten am mexikanischen Zaun am Grenzpunkt Tecún Umán, Guatemala, mit der Stadt Hidalgo, Mexiko, der massiven Mobilisierung von Migranten den Weg versperrt hatten. Bei der enstandenen Konfrontation setzten die Kräfte „Tränengas ein, als eine unverhältnismäßige Kontrollmaßnahme vor allem gegen Frauen und Kinder, von denen sie gezwungen wurden, sich bis zum Eindämmungszaun zurückzuziehen und die Brücke selber zu blockieren, um sie am passieren zu hindern“, laut der Dokumentation der Organisation Voces Mesoamericanas (Mesoamerikanische Stimmen). Nachdem sie studenlang auf der Brücke gefangen waren, ohne humanitäre Hilfe, entschieden einige in den Fluss zu springen, um ihren schwierigen und gefährlichen Weg in die Vereinigten Staaten fortzusetzen. Ein Weg, der sie durch circa 4000 Kilometer mexikanisches Territorium geführt hat, bis etwa 5000 Migranten es Ende November schafften, die Grenzstadt Tijuana im Bundesstaat Baja California zu erreichen.
Die Verzweiflung und Beklemmung unter den Migranten in den Herbergen im Norden steigt von Tag zu Tag: die Langsamkeit der Bearbeitung der tausenden Asylanträge, um in die USA einreisen zu können, und die harte Linie von Trump, der erlassen hat, dass die Antragssteller auf mexikanischem Territorium warten müssen, bis die Gerichte über ihren Fall entschieden haben, könnten diesen Zustand der Unsicherheit noch um Monate verlängern. Das uferte am 26. November 2018 in einer Mobilisierung von etwa 1000 Migranten aus, die gewaltsam versuchten, den Zaun zwischen den beiden Ländern zu überqueren und dabei einen Zusammenstoß mit den Grenzpatrouillien der Vereinigten Staaten verursachten, bei dem Tränengas zum Einsatz kam. Eine schmerzhafte Wiederholung der Ereignisse an der südlichen Grenze. Angesichts dieser dramatischen Geschehnisse stellt sich die Frage nach den Faktoren, die zu dieser unkontrollierbaren und steigenden Zahl an Personen führt, die aus ihren Ländern fliehen.
Analysiert man den Ausgangspunkt des Exodus, sticht in der Stadt San Pedro Sula in Honduras vor allem der Kontext von Gewalt und Armut hervor: Laut dem honduranischen statistischen Institut leben 48% der Bevölkerung in Armut. San Pedro Sula war zudem während der letzten neun Jahre im Ranking der 50 gewalttätigsten Städte der Welt der Organisation Sicherheit, Gerechtigkeit und Frieden dauerhaft vertreten und nahm 2015 zum vierten Mal in Folge den traurigen ersten Platz ein.
Dieser Kontext besteht in einem nationalen Panorama, den der honduranische Jesuitenpriester und Oppositionsfüher Ismael Moreno Coto als einen „Druckkochtopf“ beschreibt. Das honduranische Volk sieht sich mit einer Regierung konfrontiert, die „die Sozialpolitik aufgegeben hat und durch Kompensationsprgramme ersetzt hat, in einer Zeit, in der sich ein Entwicklungsmodell, das auf Investitionen in die Bergbauindustrie und auf der Privatisierung und Konzession der gemeinschaftlichen Güter und öffentlichen Dienstleistungen basiert, sich weiter festigt“. Tomás Hirsch, chilenischer Politiker und der Sohn von deutschen Migranten, betonte beim siebten sozialen und globalen Forum der Migration 2016 in Sao Paolo, Brasilien, ebendiese Faktoren seien der Auslöser für Migration: Armut und Gewalt. Er stellt dar, dass „die These, dass die wirtschaftliche Globalisierung allein durch das Wirken des Maktes den Lebensstandard der Ärmsten heben wird, gescheitert ist“.
Hirsch meint weiter, dass die unvergleichliche Akkumulation und Konzentration des Reichtums und der Macht, das unser wirtschaftliches System erlaubt, für die Ungleichheit, und daraus hervorgehend, für die entstehende Gewalt in den Ländern des Südens verantwortlich ist. Für ihn ist es unbestreitlich, dass „die Ländern der sogenannten ‚freien‘ Marktwirtschaft, ihren Reichtum durch Expansionskriege, Kolonialisierung und Neo-Kolonialisierung geschaffen haben und dabei Nationen und Regionen gespalten haben und so die Basis für Diskriminierung und Gewalt geschaffen haben und auf Kosten der Einführung ungünstiger Handelbedingungen für schwächere Volkswirtschaften günstige Arbeitskräfte absorbiert haben“.
In diesem Kontext muss auch die große Rolle erwähnt werden, die die Vereinigten Staaten gespielt haben durch ihr massives Intervenieren in der Politik, der Wirtschaft und bei militärischen Entscheidungen in Honduras „gemeinsam mit den politischen und wirtschaftlichen Oligarchen dieses Landes“, wie Carmen Fernández Casanueva, Lindsez Carte und Lourdes Rosas in einer Analyse für Animal Político beschreiben. Sie bestätigen, dass sich der Einfluss der Vereinigten Staaten seit dem Putsch 2005 verstärkt hat, um „die eigenen Interessen zu begünstigen und die Korruption und die Macht des Drogenhandels im Land zu bestärken“.
Zahlreiche Zeugenaussagen der Migranten reflektieren die wiederkehrende Gewalt in ihren Herkunftsländern, wo Jugendkriminalität, Drogenhandel, Erpressungen und Morde durch organisierte Banden, „die Mobs“ (maras) eine alltägliche Realität sind. Mario Castellanos, ein 12-jähriger Junge, ist den Weg alleine angetreten und wurde auf seinem Weg von zahlreichen Medien interviewt. Er erzählt davon, dass „man in Honduras leidet“. Als er nach seinen Beweggründen, sich der Karawane anzuschließen, gefragt wird, erzählt er, dass sie ihn „in eine Bande stecken wollten“, er darin aber nicht verwickelt werden wollte. Die 26-jährige Dayana Ávila , die ihren dreijährigen Sohn bei ihrer Mutter zurückließ, erzählt, wie sie, nachdem sie von „einigen Matrosen“ vergewaltigt wurde, schwanger geworden ist. Um zu verhindern, dass sie die Täter verrät, wurde sie das permanente Opfer von Todesdrohungen. „Mit dem Schmerz einer Mutter musste ich gehen“, da sie Geld für eine Operation für ihren Sohn braucht, der an Epilepsie leidet.
Das Zusammenspiel all dieser Faktoren ist für Moreno Coto der Grund, warum die honduranische Bevölkerung „aufgehört hat, den Politikern, der Regierung und dem hohen Privatunternehmen zu vertrauen. (…) Sie gehen als extremer Ausdruck der Bevölkerung, die Gerechtigkeit selbst in die Hand zu nehmen.“
Genau auf diese Suche nach einem besseren Leben haben sich tausende Menschen gemacht, wobei es keine exakten Zahlen gibt, da jeden Tag von mehr und mehr Personen berichtet wird, die sich auf dem gemeinsamen Weg nach Norden zu vereinen versuchen. Bereits Ende Oktober war die Rede von mehreren „Karawanen“ und insgesamt ungefähr 10 000 Personen, die das mexikanische Territorium überqueren, eine Bewegung, die laut Moreno Coto „die Kirchen, den zivilgesellschaftlichen Sektor, die NROs und die Regierungen überlaufen hat“, aber auf die „mit einfachen, solidarischen, großzügigen und spontanen Gesten von Seiten der Menschen, die die Migranten vorbeilaufen haben sehen, reagiert wurde“.
Der Exodus der Migranten, die hauptsächlich aus Honduras kommen, aber auch aus El Salvador, Guatemala und Nicaragua, hat die „tägliche Realität“ der Migration belichtet. Moreno Conto schätzt, dass die gleiche Zahl an Migranten, die sich an einem Tag auf den Weg gemacht hat, in weniger als einem Monat gekommen wäre. „Das war die leise, (…) diskrete, private, unsichtbare und sogar schamvolle Karawane, die sich durch diese Explosion in eine sichtbare, öffentliche sogar würdevolle verwandelt hat“, fasst er zusammen.