FOKUS: Migration als Rechtfertigung für Militarisierung und neue Strategien der territorialen Kontrolle
01/10/2022Aktivitäten von SIPAZ (Mitte Mai bis Mitte August 2022)
01/10/2022Konflikte mit Frieden zu lösen „(…) bedeutet nicht, passive Opfer zu werden, und es bedeutet auch nicht, schwach zu sein, gefügig und gewaltbereit. Im Gegenteil: Es bedeutet, das Böse zu entwaffnen, die Gewalt zu entschärfen und der Unterdrückung zu widerstehen.“
Die jüngsten Ereignisse in Chiapas und Mexiko zeigen einen Krieg mit anderen Gesichtern und anderen Formen. Die Medien berichten über organisierte Verbrecherbanden, die Menschen entführen und verschwinden lassen; die Strategien der Kriminalisierung und Ermordung von Menschenrechtsverteidigern im Lande lassen religiöse Räume nicht mehr aus; es kommt zu Auseinandersetzungen, bei denen Zivilisten ums Leben kommen, und zu einem ständigen Angriff auf die Würde der indigenen Völker. Aber das Streben nach Gerechtigkeit und Frieden manifestiert sich auch auf andere Weise als der Gewalt. In einem religiösen Akt will die Stimme gehört werden, und die Forderung nach Frieden und die Verteidigung des Lebens lassen die weißen Fahnen wehen, die, in diesem weniger traditionellen Krieg, kein Symbol der Kapitulation, sondern der Hoffnung, des Glaubens, des Widerstandes und der Würde sind.
„Pilgern, um die Kraft für den gemeinsamen Weg zu finden„.
Die zahlreichen Gewalttaten, die eine Illusion zu durchbrechen scheinen, haben die Zivilgesellschaft, und insbesondere Mitglieder der katholischen Kirche, dazu gebracht, zu Aktionen für den Frieden aufzurufen. Allerdings begann die lange Reise der Diözese San Cristóbal de las Casas durch die verschlungenen Realitäten von Chiapas mit der Ankunft von Jtatic Samuel Ruiz in diesem Bundesstaat, wie Pater José Luis Vargas von
Cancuc erklärt: „Die Diözese San Cristóbal war eine Diözese, die mit den Armen geht und einlädt, die Leidenschaft für den Dienst in einer Diözese zu suchen, die sich in einem Konflikt befand und in der Gewalt herrschte„.
In diesem Sinne dient eine Pilgerreise, die eine Reise durch ein schwieriges Land bezeichnet, „dazu, die Kraft wiederzuerlangen, gemeinsam zu gehen, damit unser Kampf und unsere Worte Kraft haben„; und, im aktuellen Kontext, „ist es eine sehr starke Stimme der Ablehnung von Gewalt, die uns zeigt, dass dies der Weg zum Frieden ist„, so Vargas.
Den Initiativen der katholischen Kirche haben sich auch Kirchen anderer Glaubensrichtungen angeschlossen, wie im Fall der Pilgerfahrt für Frieden, für das Leben, gegen Gewalt und Diskriminierung in Las Margaritas im März 2022. Aus dieser Ecke der Grenze, die durch die Konfrontationen krimineller Gruppen von so viel Gewalt betroffen ist, rief die „Allianz der Kirchen für den Frieden“ zu einer friedlichen Pilgerfahrt auf, nachdem bei einer Konfrontation im Stadtzentrum zwei Menschen ihr Leben verloren und es zu mehreren Verletzten kam. Dort bekundeten sie, dass „wir, inmitten der gravierenden Verschlechterung, die unser gesamter Bundesstaat Chiapas derzeit erlebt, die sich in großer Unsicherheit äußert und zu vielen Todesfällen geführt hat, (…) unsere Besorgnis über die Realitäten, unter denen die Menschen leiden und leben und in denen das Leben anscheinend keinen Sinn mehr, hat zum Ausdruck bringen„. Dieselben Straßen, die zuvor rot gefärbt waren, waren nun weiß gekleidet, mit Blumen und Luftballons geschmückt und riefen mit Liedern und Slogans zu Frieden und Einheit der Völker auf.
Die Pilgerfahrt, die von der Kommission für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, der Franziskanischen Familie, der Organisation der Vereinten Ureinwohner, der Kommission zur Verteidigung der Menschenrechte und dem Komitee zur Verteidigung des Lebens, des Territoriums und der Mutter Erde einberufen wurde, hat die Völker der Zoque und Tsotsiles zusammengebracht, die „Frieden, Sicherheit und gerechtigkeit“ in der Nordzone des Bundesstaates forderten. “Nein, nein, das Gebet allein reicht nicht aus, es braucht viele Dinge, um Frieden zu erreichen.”, sangen die Teilnehmenden in einem Lied.
Im Juni rief Pater Marcelo Pérez Pérez, Pfarrer der Kirche von Guadalupe, zu einer Pilgerfahrt für den Frieden auf, nachdem bewaffnete Gruppen in San Cristóbal de Las Casas Schüsse abgefeuert, Fahrzeuge angezündet und Straßen blockiert hatten. Bei der Pilgerfahrt Jesus Christus, Friede, Leben und Hoffnung in San Cristóbal zogen Dutzende weiß gekleideten Menschen mit Fahnen und Bannern durch einige Straßen der Stadt mit einem gleichen Slogan: Frieden, Leben und Hoffnung in der Stadt. „Wenn es Gewalt gibt, verlieren wir das Bewusstsein dafür, dass wir Menschen sind, bitten wir darum, die Würde, die wir als Menschen haben, wiederzuerlangen und auf das fünfte Gebot zu hören: Du sollst nicht töten„, sagte Pater Marcelo.
Die gläubige Bevölkerung sucht den Wandel in Chiapas
Der erste Jahrestag der Ermordung von Simón Pedro Pérez López, Katechet und Verfechter der Rechte indigener Völker, markierte die ersten Absichten einer Pilgerreise im Bundesstaat. Daher „hielt es das Gläubige Volk für notwendig, sich mit den Gemeinden und Zonen zu artikulieren, um nicht allein zu gehen, sondern sich zu vereinen„, sagte der Pfarrer von Cancuc. Auf diese Weise begann die Koordinierung des Pilgerwegs für das Leben, den Frieden und gegen die Gewalt, eine gleichzeitige Aktion in acht Gemeinden in Chiapas.
In den Tagen vor dieser Aktion erließ die Generalstaatsanwaltschaft des Bundesstaates Chiapas einen Haftbefehl gegen Pater Marcelo Pérez Pérez sowie die Verhaftung von fünf Menschenrechtsverteidigern aus San Juan Cancuc, die gegen die Militarisierung gekämpft hatten. Auf diese Weise schloss sich die Forderung nach Gerechtigkeit angesichts der ständigen Kriminalisierung und Verfolgung von Land – und Menschenrechtsverteidigern den weiteren Forderungen der fast 10.000 Menschen an, die durch den ganzen Staat pilgerten.
Während der Wallfahrt wurde ein Kommuniqué des Gläubigen Volkes verlesen: „Wir bringen alle Missstände und Ungerechtigkeiten zum Ausdruck, denen unsere Völker und Gemeinschaften ausgesetzt sind, insbesondere Gewalt, Unsicherheit und territoriale Streitigkeiten, die durch die organisierte Kriminalität verursacht werden. Die Behörden sind überfordert, nachgiebig und werden von dem Kontrollsystem, das die organisierte Kriminalität auf dem Staatsgebiet ausübt, überrumpelt. Es gibt auch Drohungen gegen und Attentate auf soziale Anführer und auf kommunale Behörden sowie gegen pastorale Mitarbeiter unserer Diozöse. Wir können angesichts dieses Leids weder still noch gefühlslos bleiben.“
Das Ergebnis dieser Pilgerfahrten ging über die Zahl der Teilnehmer hinaus; es war eine Aktion der Rebellion gegen die Behörden, des Widerstands gegen die Gewalt und der Hoffnung für den Rest der Bevölkerung. Die Gemeinden gingen trotz Angst und Unsicherheit auf die Straße, aber mit Unterstützung anderer Prozesse und Organisationen. Diese Reise hat gezeigt, dass die Menschen, inmitten eines hoffnungslosen Umfelds und dorniger Wege, weiterhin ihre Stimme erheben und die Lücken öffnen, um diesen Krieg zu beenden und Frieden zu schaffen, in einer Aktion, die entsprechend ihrer Forderung auf friedliche Art und Weise durchgeführt wurde.