FOKUS: Gewaltsames Verschwinden von Personen in Mexiko, der Fall Ayotzinapa
20/12/2022Aktivitäten von SIPAZ (Mitte August bis Mitte November 2022)
20/12/2022„Wir bringen eine Botschaft der Hoffnung und einer Zukunft für unser verletztes und zerstörtes Land. Unangenehme Wahrheiten die unsere Würde in Frage stellen, eine Botschaft an alle Menschen, jenseits von politischen oder ideologischen Optionen, jenseits von Kulturen und religiösen Überzeugungen, jenseits von Ethnien und Geschlecht.“
Am 25. Oktober 2022, in San Cristóbal de Las Casas, ereignete sich das Internationale Forum zur Friedenskonsolidierung in Mexiko: Herausforderungen und Lösungen für die aktuelle Situation, an welchem mehr als 400 Personen in Präsenz und um die 300 Personen online teilnahmen. Vor zweieinhalb Jahren beschlossen drei Organisationen – die Globale Plattform zur Prävention bewaffneter Konflikte (GPPAC), das Forum in Barcelona für den Frieden in Mexiko und der Zivile Friedensdienst -, die sich aus Einzelpersonen und Organisationen zusammensetzen und für den Friedensprozess in Mexiko engagieren, ihre Kräfte zu bündeln und virtuell zusammenzukommen, um angesichts der anhaltenden und alarmierenden Zunahme der von kriminellen Gruppen ausgehenden und vom mexikanischen Staat selbst provozierten Gewalt, Wege der Hoffnung zu finden.
Seitdem träumten sie von der Möglichkeit, sich persönlich zu treffen, aber dann kam die Pandemie, und erst in diesem Jahr konnten sie dies – zusammen mit Slamalil Kinal (Bündnis für den Frieden in Chiapas)-, abhalten. Zu Beginn der Veranstaltung wurde darauf hingewiesen, das die Gewaltsituation in Mexiko nicht vermindert, sondern verschärft hat und die alarmierenden Zahlen von mehr als 100.000 verschwundenen Personen und um die 200.000 Morde seit 2006 erreicht hat. Gleichzeitig wird das Land zunehmend mehr und mehr militarisiert, um gegen das organisierte Verbrechen strategisch anzukämpfen, welches seit drei Legislaturperioden der Regierung aktiv ist und einen Anstieg an Gewalt verursacht hat, ohne dass es gelungen wäre, kreative Alternativen zu entwickeln, die sowohl auf ihre sichtbarsten Auswirkungen als auch auf die strukturellen Ursachen, die sie aufrechterhalten, reagieren.
In der Veranstaltung, an der zahlreiche nationale und internationale Redner*innen teilnahmen wurde betont, dass es für die Schaffung von Frieden nicht ausreicht, nur die Situation zu beschreiben, sondern zu Prozessen beizutragen, die in der Lage sind, sie zu verändern, der von den politischen Akteuren geförderten Polarisierung entgegenzutreten und sich in Richtung einer Vision eines integralen Friedens mit würdigen Lebensbedingungen für alle zu bewegen.
Mehrere Redner*innen betonten, dass die Geschehnisse in Mexiko im Rahmen globaler Trends, welche die Herausforderungen für die Friedenskonsolidierung markieren, verstanden werden müssen. Sie verwiesen auf unterschiedliche Erfahrungen, die oft von ähnlichen Faktoren beeinflusst werden und aus denen man lernen kann.
Besonders betrachtet wurden verschiedenste Erfahrungsberichte aus Kolumbien, um den mexikanischen Kontext zu verstehen und die Möglichkeit zu bieten, gewisse Maßnahmen zu überdenken. Im Falle Kolumbiens wurde davon ausgegangen, dass der interne bewaffnete Konflikt nicht die einzige Gewaltausübung im Land war sondern vielmehr eine Methode, die einen großen Teil der bereits bestehenden und weiterhin bestehenden Gewalt artikuliert hat: politische, soziale, kulturelle (Rassismus, Patriarchat) sowie territoriale Konflikte, die seit Jahrhunderten bestehen. Der Konflikt in Kolumbien ist nicht eindimensional, er hat viele Faktoren, viele Schichten und viele Akteure. Außerdem hat Kolumbien eine lange Geschichte der Friedensbemühungen. Als Beispiel wurden die drei nationalen Friedenspakte genannt, die in diesem Land geschlossen wurden: 1958 wurde der Partisanenkrieg beendet, 1991 wurde ein Teilfrieden mit den Guerillagruppen unterzeichnet und 2016 die Friedensabkommen mit den FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens).
Ein weiteres Schlüsselelement für den Aufbau eines stabilen und dauerhaften Friedens, ist die Notwendigkeit, den verschiedenen am Konflikt beteiligten Stimmen Gehör zu schenken, denn wenn nicht alle beteiligten Akteur*innen berücksichtigt werden, ist es sehr wahrscheinlich, dass es erneut zu Gewalt kommt. Als ein weiteres grundlegendes Merkmal wurde „Zeit“ angesehen: Friedensprozesse in anderen Ländern zeigen, dass es jahrelange Arbeit braucht, um Fortschritte beim Wandel einer von Gewalt betroffenen Gesellschaft zu erzielen.
Eine weitere Lehre, ist die Bedeutung der Vertiefung der Gedenkarbeit, die die Gegenwart erhellt, um einen neuen, hoffnungsvollen Aufbruch zu schaffen und aufzubauen. Eine weiter Aufforderung war es, sich für die Solidarität und den Frieden der Völker einzusetzen und nicht länger Zuschauer*innen zu sein, sondern Akteur*innen des sozialen Wandels zu werden und nicht zuzulassen, dass militärische Antworten weiterhin als einziger Weg zur Beendigung der Gewalt aufgezwungen werden.
Es wurde auch betont, dass man, wenn man über Frieden sprechen will, berücksichtigen muss, dass es sich um einen langen Prozess handelt, der in den Gebieten und in den Gemeinden verwurzelt ist. Mehrere Redner*innen referierten darauf, dass die Stärkung des Gemeinschaftsgefüges und der kulturellen Praktiken, die den Menschen im Laufe der Geschichte geholfen haben, sich gegen Ungleichheit und staatliche Vernachlässigung zu wehren, Auswirkungen auf die Gegenwart haben kann. Es wurde eingeräumt, dass es kein einfacher Prozess ist; manchmal kann er sehr schmerzhaft sein, er erfordert Mut, Liebe und die radikale Überzeugung, keine Gewalt anzuwenden, um Gewalt zu bekämpfen.
Es wurde hervorgehoben, dass die lateinamerikanischen Regierungen keine Institutionen aufgebaut haben, die auf die Friedenskonsolidierung ausgerichtet sind, und dass die Herzen geheilt werden müssen, während gleichzeitig die Strukturen, die die Gewalt in den Gebieten ermöglichen und fördern, verändert werden. Mehrere Redner*innen wiesen darauf hin, wie wichtig es ist, das soziale Gefüge wieder aufzubauen, indem Praktiken der gegenseitigen Fürsorge und des Umgangs mit Mutter Erde gepflegt werden.
Schließlich wurde die Spiritualität als eine grundlegende Achse für den Widerstand gegen die Diversifizierung und Vertiefung der Gewalt in verschiedenen Kontexten angesehen. Die Lehre daraus ist, dass es nicht darum geht, die Gesellschaft zu homogenisieren, sondern zu lernen, miteinander zu leben, die Chancen zu nutzen, die uns das Leben bietet, sich in den Ergebnissen zu vereinen, andere nicht zu verurteilen, sondern inmitten des Chaos Hoffnung zu sehen.
„Frieden erfordert die Verpflichtung, weiterzuarbeiten, den Dialog zu nutzen, andere zu begleiten, gemeinsam zu gehen in der Gewissheit, dass Gott uns liebt, andere als Menschen und Kinder Gottes anzuerkennen, ihre Würde zu schätzen und das Gemeinwohl zu achten“, sagte Rodrigo Aguilar, Bischof der Diözese San Cristóbal de las Casas, in seiner Rede.
Nicht nur im Bezug auf Mexiko, erklärte der Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel darüber hinaus: „Wir glauben nach wie vor, dass eine andere Welt möglich ist, aber wir können es nicht alleine schaffen, es ist möglich, wenn wir uns zusammentun und die Fähigkeit zum Widerstand, zur Empörung angesichts der Ungerechtigkeit haben, um die Realität zu verändern. Bis zum ewigen Sieg“.