SIPAZ Aktivitäten (Von April bis Juni 2006)
31/07/20062006
01/01/2007Am Sonntag den 29. Oktober besetzten 4000 Agenten der Bundespolizei (PFP) das historische Zentrum und viele Straßen der Stadt Oaxaca. Sie zerstörten die Barrikaden mit 14 gepanzerten Wasserwerfern. Es wird von 4 Toten gesprochen (darunter ein Minderjähriger), zig Verletzten, ungefähr 50 Festgenommenen und mindestens dieselbe Anzahl an Hausdurchsuchungen. Wie kam es zu dieser Situation?
Die Stadt und der Bundesstaat Oaxaca waren seit Juni in den Schlagzeilen der mexikanischen Politik. Dies war relativ überraschend, denn Oaxaca ist einer der Staaten, die auf wirtschaftlicher und politischer Ebene immer ganz hinten anstehen.
Am 14. Juni wurde eine Mahnwache der Seccion 22 der Nationalen Lehrergewerkschaft (SNTE) mit Gewalt geräumt, die das historische Zentrum der Stadt Oaxaca besetzt hatten. Dabei kam es zu 4 Toten und 92 Verletzten (Zahlen die von der Gewerkschaft veröffentlicht wurden, ohne von der Regierung bestätigt zu werden). Die Konsequenz dieser Aktion war, das aus einem Gewerkschaftskampf schnell ein viel größerer Konflikt wurde, der viele Bereiche und Bewegungen der Gesellschaft Oaxacas einbezog.
Um diese Verwandlung zu verstehen muss man, die wachsende Unzufriedenheit, die die PRI Regierung seit der Amtsübernahme von Ulises Ruiz provoziert hat, in Betracht ziehen. Er gewann die Wahlen in Oaxaca mit knapper Mehrheit und unter Betrugsverdacht. Von Anfang an wurde er angeklagt autoritär zu handeln und wenig Respekt für Menschenrechte zu zeigen. Bauern und indigene Bewegungen wurden mit Gewalt unterdrückt und die lokale Zeitung „Noticias„, die kritisch mit Ulises Ruiz umgeht, musste die Entführungen von 31 ihrer Angestellten aus ihren Büros heraus innerhalb eines Monats hinnehmen, zusätzlich zu ständigen Drohungen. Andere Anschuldigungen beinhalten die Erpressung von nicht zur PRI gehörenden Bürgermeistern, damit sie sich der Kampagne des Präsidentschaftskandidaten der PRI, Roberto Madrazo anschließen, unter der Drohung durch den von seiner Partei dominierten lokalen Kongress ausgeschlossen zu werden. Aber auch die strukturelle Situation von Armut und Marginalisierung, unter der der Staat Oaxaca seit Jahrhunderten leidet, hat zu dieser massiven Reaktion beigetragen. Oaxaca gehört neben Chiapas und Guerrero zu den ärmsten Staaten der Republik und großem indigenen Bevölkerungsanteil
Die Ablehnung des Versuches, am 14. Juni die Lehrer zu räumen, vereinte viele unzufriedene Bewegungen mit einer gemeinsamen Forderung: dem Rücktritt des Gouverneurs Ulises Ruiz. Mit diesem Ziel wurde eine große Mahnwache in der Stadt begonnen, (Besetzung von Straßen, öffentlichen Gebäuden, Radio- und Fernsehstationen) und die APPO, Volksversammlung von Oaxaca, wurde gegründet. Diese funktionierte wie eine Regierung im Widerstand. Sie verhinderte den Zugang der Sicherheitskräfte (welche in Oaxaca von vielen Menschen seit Jahrzehnten als ausführende Kräfte der Repression empfunden werden, mit wenig Respekt vor Menschenrechten) in den besetzten Zonen. Sie bestimmten verschiedene Aspekte des Lebens der Stadt und boten alternative Informationen zu den offiziellen, in Radios und über Internet, an. Diese Einheit von über 300 Organisationen scheint überraschend, denn trotz der starken sozialen Mobilisierungen in Oaxaca, sind Spaltungen durch interne Diskrepanzen üblich. Parallel zu diesem Prozess besetzten Volksbewegungen (politische Parteien, soziale Organisationen, Gewerkschaften, etc.) in über 20 Bezirken Oaxacas die Rathäuser, vertrieben die Ulises Ruiz nahe stehenden Bürgermeister und beanspruchten für sich, die einzig rechtmäßige Regierung zu sein.
Gegen Ende Oktober hatten die APPO und die Lehrerbewegung, die die Stadt Oaxaca fast 5 Monate kontrollierten verschiedene Repressalien erlitten: ungefähr 10 Mordfälle, Gefängnis für 5 ihrer Führer, Einschüchterungen, Drohungen etc. Kritische Stimmen klagten aber auch über gewalttätige Exzesse in den Regierungsaktionen der APPO und der Lehrerschaft, speziell in ihren Sicherheitsbemühungen. Einige Analytiker sahen in der Bewegung in Oaxaca wahrhaftige Hoffnung und Zeichen eines neuen Erwachens des Bewusstseins des oaxakenischen Volkes, das die Tyrannei der PRI satt hat. Die Bewegung wurde „Kommune von Oaxaca“ genannt um Parallelen zur Pariser Kommune zu zeigen, eine Volksregierung, die 1871 verschiedene revolutionäre Bewegungen in Frankreich zwei Monate lang vereinigte.
Es fehlte aber auch nicht an Kritik, die sich besonders auf den gewalttätigen Charakter (von der APPO zurückgewiesen) der Blockaden der Transportwege, die viele Leute störten, und auf Mobilisierungen der Lehrer die sich mehr auf eigene Interessen konzentrierten, bezogen. Es wurde auch versucht, die Volksbewegungen in Verbindung zu Guerrillagruppen zu setzen. Doch andere klagten, dies sei Propaganda, verbreitet durch die Regierung von Oaxaca um den Einmarsch öffentlicher Kräfte (Bundespolizei PFP und Militär) zu rechtfertigen.
Um die Menschenrechtsverletzungen besser einschätzen zu können, die besonders gegen die Volksbewegungen angewendet wurden, riefen das Menschenrechtsnetzwerk von Oaxaca und das Netzwerk Alle Rechte für Alle, zu einer zivilen Beobachtungsmission auf. Im September beteiligte sich SIPAZ an dieser Mission, und musste schlimme Menschenrechtsverletzungen feststellen (Mord, illegale Festnahmen von Führern die dann mit erfundenen Verbrechen angeklagt wurden, Angriffe auf die freie Meinungsäußerung, Drohungen die ein Klima von Angst und Schrecken schaffen, etc.) die anscheinend der Regierung dienen um die Bewegung zu zerstören. Weiteres findet ihr unter der Rubrik Oaxaca auf der SIPAZ Webseite.
Während der Krisenmonate schien die Staatsregierung darauf zu setzen, mit Gewalt die öffentliche Ordnung wieder herzustellen. Sie bat um Unterstützung durch Bundeskräfte um die Mahnwachen zu räumen. Zu Anfang jedoch setzte die Bundesregierung, die mit den delikaten Vorgängen in Atenco im May zu tun hatte, und ihr Ansehen in Bezug auf die Wahlen schützen musste, auf Dialog mit der Volksbewegung. Dafür initiierte sie einen runden Tisch zwischen APPO, Lehrergewerkschaft und Bundesinnenministerium. Doch die Verhandlungen verliefen zäh: APPO und Lehrer verlangten den Rücktritt Ulises Ruiz als erste Bedingung und Carlos Abascal (Innenminister) berief sich auf die rechtlich nicht vorhandene Befugnis der Regierung, Gouverneure abzusetzen.
Diese Blockade war zum Teil durch die Wahlergebnisse des 2.Juli motiviert. Die Stimme der Strafe gegen die PRI in Oaxaca lässt vermuten, dass Neuwahlen in Oaxaca die PRD an die Macht bringen würdet. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Ulises Ruiz Amtsabwesenheit beantragt und der Kongress Oaxacas (mehrheitlich PRI) einen Ersatz- Gouverneur wählt. Es sind noch andere Interessen im Spiel: die Verhandlungen zwischen PRI und PAN sind gezeichnet von der knappen Mehrheit der PAN im Bundeskongress, was dazu führt das sie die PRI braucht, um zu regieren.
Im September organisierte die APPO eine große Karawane nach Mexiko Stadt, mit dem Ziel das Verschwinden der Macht durch den Senat zu erzwingen – laut Verfassung zuständig für die Ernennung einer neuen Staatsregierung.
Ulises Ruiz hat seinen Rücktritt verweigert, was den Konflikt festgefahren lässt und die Aktivitäten der öffentlichen politischen Kräfte paralysiert in einem Klima von „institutioneller Unregierbarkeit“. Seit Mitte Oktober mobilisierte das Militär seine Einheiten in Oaxaca in spektakulärer Weise. Land-, Marine- und Lufteinheiten, schürten die Angst vor gewalttätiger Räumung. Das Innenministerium bestand auf einem Ultimatum und drohte mit Einsatz von Gewalt, wenn die Lehrer nicht sofort den Unterreicht wieder aufnehmen würden und die APPO nicht die Stadt Oaxaca aufgibt.
Am Freitag den 27. Oktober kam es zu einer Serie von Gewalttaten, in denen 4 Personen (darunter ein nordamerikanischer Journalist) ermordet und viele weitere an unterschiedlichen Stellen in der Stadt Oaxaca verletzt wurden. Nach Aussagen lokaler Menschenrechtsorganisationen gibt es klare Anzeichen der Beteiligung von lokalen Polizisten, sowie von der staatlichen Regierung organisierter, trainierter und bewaffneter Gruppen um Gewaltaktionen gegen die Oppositionsbewegung durchzuführen.
Als Antwort auf diese Situation kündigte die Bundesregierung den Einmarsch von Bundeskräften an. Am Sonntag den 29. Oktober begann die Bundespolizei (PFP) seit dem frühen Morgen in die Stadt Oaxaca einzumarschieren und nahm in der Nacht den zentralen Platz ein. Die APPO versuchte durch gewaltfreien Widerstand den Vormarsch der PFP zu verhindern. Am Tag zuvor hatte sie ihre Basis aufgefordert nicht auf Provokationen rein zu fallen. Trotzdem wurde von Gewaltakten berichtet, die sich je nach Quelle unterschiedlich darstellten: während die APPO von mindestens 4 Toten spricht, sagt die Bundesregierung die Operation sei sauber gewesen.
Am selben Sonntag stießen in Mexiko Stadt vermummte Jugendliche- von denen sich die APPO und die Lehrergewerkschaft Oaxacas distanzieren- mit Spezialeinheiten der Polizei (granaderos) zusammen, nachdem sie eine Hauptstraße blockierten und 2 Busse entführt hatten um daraus die „ersten Barrikaden“ in der Hauptstadt zu errichten. Eine Stunde später eroberte die Polizei die Fahrzeuge zurück und stellte den Verkehr wieder her. Dabei wurden 20 Personen festgenommen, die am nächsten Morgen wieder frei gelassen wurden.
Am Montag den 30. Oktober bestätigte Ulises Ruiz seine Position und erklärte ein eventuelle Abwesenheit vom Amt „steht weder zur Diskussion, noch wäre sie eine Lösung für die politische Krise im Staat“. Anschließend beschloss das Abgeordnetenhaus –mit Ausnahme der PRI und der PVEM- den Gouverneur Ulises Ruiz aufzufordern um Abwesenheit vom Amt zu bitten oder zurück zu treten. Sofort reichte die Regierung Oaxacas verfassungsmäßigen Widerspruch gegen diesen Beschluss ein. Es gilt zu unterstreichen, dass der Führer der PRI im Abgeordnetenhaus, Emilio Gamboa Patrón, die Möglichkeit offen ließ, ob der Gouverneur Oaxacas, Ulises Ruiz Ortiz, sich von seinem Amt entferne.
Am Montagnachmittag bat der Senat der Republik, der zuvor den Rückzug der Staatsmacht aus Oaxaca abgelehnt hatte, einheitlich (inklusive PRI) den Gouverneur Ulises Ruiz „die Entfernung vom Amt in Betracht zu ziehen um zur Wiedererlangung der Regierbarkeit, Normalität und Frieden, beizutragen“. Er lud alle ein, ohne Ausnahme, zum Frieden im Staat beizutragen. Am Montag den 30. waren Demonstrationen in Oaxaca und anderen Teilen der Republik vorgesehen. Der Einmarsch der PFP verändert die Situation des Konfliktes in Oaxaca, ohne eine grundsätzliche Lösung zu garantieren. Im Gegenteil, viele Analytiker weisen darauf hin, dass dies der Beginn einer Spirale von Gewalt bedeuten könnte. Die Angst vor erneuten gewalttätigen Ausbrüchen bleibt bestehen.