2008
02/01/2009ANALYSE : Mexiko, Von der Schweinegrippe und anderen Leiden
31/08/2009Es gibt Begegnungen, die uns Kraft geben und uns anspornen weiterzumachen. Dies ist das Gefühl, das uns im letzten Februar mit dem Besuch von Rames Sharma erreichte, einem Vertreter der Bewegung Ekta Parishad aus Indien, der im Rahmen einer Amerikarundreise hier war, die das Ziel hatte, einen weltweiten Marsch der Gewaltfreiheit für 2012 vorzubereiten.
In Hindi bedeutet Ekta „vereint“, Parishad „Forum“ oder „Raum„: Ekta Parishad ist eine Bewegung, die 11.000 soziale Organisationen und Tausende Individuen vereint. Ihre Vision ist ein Indien, wo alle Menschen freien Zugang zu Ressourcen wie Land, Wald und Wasser haben. Ein Indien, wo kein Stamm oder Kaste das Recht auf Würde beeinflusst, und wo das gemeinschaftliche wirtschaftliche System die Selbstversorgung auf lokaler Ebene möglich macht. Ein Indien, wo lokale Führung und Autonomie gestärkt werden, und die Regierung auf allen Ebenen verantwortlich handelt. Um diese Veränderungen zu erreichen geben sie den Stimmen der Massen eine Plattform und sie arbeiten im Geiste des Gandhianischen satyagraha (Wahrheit-Kraft) und ahimsa (Gewaltfreiheit) als Gegensatz zur Gewalt, die die am stärksten marginalisierten Gemeinden erfahren.
Im Jahre 2007 organisierte Ekta Parishad einen großen Marsch, um Druck auf die Regierung Indiens auszuüben zugunsten einer Agrarreform („Janadesh, das Verdikt des Volkes“). Einen Monat lang waren 25.000 Personen zu Fuß 350 Kilometer nach Neu Delhi unterwegs, was die größte gewaltfreie Bewegung in der jüngsten Geschichte des Kampfes um Land in Indien bedeutet. Als Konsequenz daraus schuf die Regierung eine Nationale Kommission für die Agrarreform, in welcher die Hälfte Mitglieder von Organisationen sind, die an der Verteidigung des Rechts auf Land beteiligt sind (siehe www.ektaparishad.com).
In Mexiko erweckte die Vorstellung dieser Bewegung das Interesse der lokalen Beteiligten, und schuf einen Austausch, der die Betonung ähnlicher Problematiken ermöglichte, wie den Zugang zu Land, die Gemeindeorganisation, die lokalen Autonomien, den Respekt der traditionellen Führung, etc. Der Vertreter von Ekta Parishad berichtete von Erfahrungen der Bewegung in einfachen Aktionen, wie z.B. ziviler Ungehorsam durch Landbesetzung, Volksbefragungen zu Agrarfragen oder die friedliche Besetzung lokaler Regierungsbüros. Auf diese Weise konnten Parallelen festgestellt werden zwischen diesen Erfahrungen und einigen Aktionen in Chiapas, wie die Hungerstreiks politischer Gefangener für ihre Freilassung, die zivilen Beobachterbrigaden, die zivilen Friedenscamps, und Aktionen des Zapatismus.
Genauso wurden Unterschiede im Kontext festgestellt, die eine Förderung der gewaltfreien Aktionen in Chiapas erschweren: Die Repression der Regierung in Chiapas (und generell in Lateinamerika) war immer härter und direkter als in Indien. Andererseits sind die Vorstellungen der sozialen Bewegungen in Indien sehr mit Gandhi verbunden, in Mexiko hingegen mit der Revolution und den Waffen.
Aus diesem Austausch ergaben sich sehr interessante Reflexionen über die Strategie der Gewaltfreiheit:
Die Kraft der Zahlen: Je mehr Leute an einer gewaltfreien Aktion beteiligt sind, um so effektiver wird sie. Deshalb fördert Ekta Parishad die gewaltfreie Mobilisierung der Massen mit dem Schwerpunkt darauf, dass die Basis die Aktionen übernimmt. Für Janadesh beispielsweise wurde eine Struktur praktiziert, in welcher alle (die 25.000!) an den Entscheidungen beteiligt sind. Auf die selbe Weise finanzierte sich die Kampagne mit den Körnern und dem bisschen Geld, was jeder Teilnehmer der Bewegung geben konnte.
Wenn die Kraft beispielgebender Aktionen erkannt wird, erfordert die Gewaltfreiheit eine vollkommene Verpflichtung, was auch ein gewaltfreies Funktionieren innerhalb der Organisation selbst verlangt. Ihre Mitglieder sind sich bewusst, dass diese Verpflichtung die Bereitschaft beinhaltet, persönliches Leiden bis hin zum Verlust des eigenen Lebens in Kauf zu nehmen: Als der Marsch von Janadesh Delhi erreichte, mussten die Teilnehmer starke Sonnenstrahlen und mehrere Stunden ohne Wasser aushalten. Drei Demonstranten wurden von einem Lastwagen überfahren, ohne dass irgendjemand dem Fahrer irgendeine Gewalt angetan hätte. Dies war nur möglich, weil jede/r einzelne der 25.000 Personen von Janadesh vorher an einem Ausbildungsprozess teilgenommen hatte.
Eine langfristige Vision, um einen anhaltenden Frieden aufzubauen: Die Gewaltfreiheit verlangt Geduld, Kreativität, bis hin zu Hartnäckigkeit. Um Geduld nicht mit Passivität zu verwechseln, sprechen wir von aktiver – oder sogar pro-aktiver – Gewaltfreiheit. Um Gewaltfreiheit zu säen, die einen positiven Wandel auf sozialer, wirtschaftlicher und politischer Ebene hervorrufen können, bemüht sich Ekta Parishad, der Basis ihrer Aktivisten und den Jugendlichen Bildung über Gewaltfreiheit anzubieten. Diese Aktionen zu entwickeln kostet viel, aber es ist ein Weg, der die Möglichkeit eröffnet, langfristige Erfolge zu erreichen und die Leute zu vereinen statt zu spalten.