
FOKUS: Mexiko, ein Land der Verschwundenen
01/07/2024
Aktivitäten von SIPAZ (Mitte Februar bis Mitte Mai 2024)
01/07/2024
Ich glaube, dass wir heute mehr denn je die Kraft der Verständigung brauchen. Wir leben in einer Zeit des Spaltens und Herrschens, aber je mehr wir isoliert sind, desto verletzlicher sind wir, wir müssen uns verständigen, um bei der Bildung des Friedens weiter voranzukommen.
I m April 2024 fand 2024 fand in den Räumlichkeiten des Instituto de Estudios e Investigación Intercultural A.C. (Institut für interkulturelle Studien und Forschung) der Wechsel an der Spitze der Organisation statt. Ernesto Martín Guerrero Zavala trat zurück und Gerardo Torres Estrada übernahm die Leitung
In einem Interview erzählte uns der Pastor Martín Guerrero von seinen persönlichen und beruflichen Erfahrungen und Erkenntnissen aus der Zeit, in der er zwischen 2004 und 2024 in den Diensten der Gemeinden und an der Spitze der von dieser Einrichtung organisierten Prozesse stand.
Die ersten Jahre
Martín Guerrero wurde in Mexiko-Stadt als Sohn eines Vaters aus Veracruz und einer Mutter aus Chiapas geboren. Als er 10 Jahre alt war, zog seine Familie in den Bundesstaat Oaxaca, wo er die Herausforderungen, Schmerzen und Kämpfe der Ureinwohner*innen und Bauern bzw. Bäuerinnen auf ihrer Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit kennen lernte. Im Alter von Jahren heiratete er und begann seine Karriere als Pastor in christlichen Gemeinden, eine Rolle, die er bis heute trägt.
Im Jahr 1985 kam er auf Einladung eines Pfarrers nach Chiapas, der ihn um Hilfe bei der Betreuung einer Kirchengemeinde bat. In dieser Zeit wurde er Zeuge zahlreicher Vorfälle religiöser Intoleranz, von denen evangelische bzw. protestantische Menschen betroffen waren. Diese Menschen waren von Wasser- und Stromabschaltungen, Beleidigungen. Drohungen, der Verhinderung des Schulbesuchs von Kindern und in vielen Fällen von Vertreibungen ihrer Familien aus ihren Heimatgebieten aufgrund ihres Glaubens betroffen.
Zu dieser Zeit war Chiapas aufgrund der historischen Vernachlässigung, der es ausgesetzt war, ein sehr komplexer Staat. Indigene und bäuerliche Gemeinden wurden von der Regierung nicht beachtet und erfuhren keine Gerechtigkeit. Die Ankunft in Chiapas bedeutete eine Konfrontation mit der Realität, die immer noch andauert: “Die gleichen Forderungen, die die Bevölkerung damals hatte, bestehen heute noch”, erklärt Martín.
Der zapatistische Aufstand
Martín erinnert sich, dass er 1994 in Tuxtla Gutiérrez lebte, wo Angst und Unsicherheit herrschten, da, aufgrund der zu diesem Zeitpunkt noch nicht so weit entwickelten Technologie, die Kommunikation und der Zugang zu Informationen schwierig waren.
Die religiöse Intoleranz änderte sich mit dem bewaffneten Aufstand, als die Regierung aufhörte, ausschließlich katholische Gemeinden zu unterstützen, und begann, sich mit anderen christlichen Gruppen auseinanderzusetzen. Um diese Konflikte zu lösen, fanden Dialoge zwischen Katholik*innen und Personen evangelischen Glaubens statt, die zur Gründung des interreligiösen Rates von Chiapas führte, an dem Martín mitarbeitete.
Beginn bei IESII (Instituto de Estudios e Investigación Intercultural A.C.)
Martín und seine Frau lernten das Institut durch einen Workshop kennen, den ein Freiwilliger in der Kirche gab, in der er als Pfarrer tätig war. In einem weiteren Workshop war Martíns Frau Miriam tief beeindruckt vom Austausch mit Menschen aus der katholischen Kirche in einem Bereich mit spielerischen Aktivitäten, die sowohl von Protestant*innen als auch von Katholik*innen koordiniert wurden. Unter Tränen sagte sie zu ihm: “Es ist sehr schwierig, das in Worte zu fassen, aber ich kann Dir sagen, dass ich erkannt habe, dass katholische Menschen, von denen ich dachte, sie seien keine Christ*innen, eine tiefe Gotteserfahrung haben, die ich nicht habe, und dass ich nicht leugnen kann, dass es Gott war, der sie ihnen gegeben hat. Ich fühle mich nicht mehr berechtigt, sie zu verurteilen”. Bald darauf schloss Martín sich dem Institut als Ehrenamtlicher an und widmete diesem zwischen 2004 und 2006 drei Tage pro Woche. Im Jahr 2006 übernahm er die Rolle des Koordinators, die er bis 2014 innehatte, als der Titel des Koordinators in Direktor geändert wurde.
Aktuelle Projekte des IESII
Seit seiner Gründung hat das IESII in ökumenischer Weise und für ein ökumenisches Publikum an mehreren Themen gearbeitet (Die ökumenische Bewegung ist eine Bewegung im Christentum, die eine weltweite Einigung und Zusammenarbeit der verschiedenen Konfessionen anstrebt). Darunter transformative, ökologische Spiritualität, Ernährungssouveränität und Resilienz. Bei allen Gestaltungsprozessen wurde darauf geachtet, dass die Ökumene im Vordergrund steht, gemäß dem Zitat des ehemaligen Bischofs Don Samuel Ruiz zu Beginn von IESII: ”Eine Organisation zu schaffen, in der sich Menschen verschiedener Konfessionen treffen und austauschen können, aber nicht, um über religiöse Fragen zu sprechen, denn das trennt sie bereits, sondern um sie zusammenzubringen, damit sie über gemeinsame Bedürfnisse sprechen können. Dabei können sie lernen, einander zu respektieren und zu lieben.” Martín glaubt, dass dies eine sehr weise Vision war. Derzeit finden die Aktivitäten in den Gemeinden Bellavista, San Juan Chamula, San Cristóbal, Huixtán, Ocosingo, Altamirano, Teopisca San Fernando und Tuxtla Gutiérrez statt.
Spuren im Herzen 20 Jahre später
Die Begegnung mit Menschen anderer Konfessionen und die Erkenntnis, dass Gott keiner bestimmten Konfession angehört, haben Wege der Hoffnung eröffnet und Alternativen gefestigt. Martín ist dankbar, dass er viele engagierte Menschen getroffen und begleitet hat. Die tiefsten spirituellen Momente für ihn die Begegnungen mit der Kosmovision der Maya und den ursprünglichen Völkern, die von ihren Anführern geleitet wurden: “Ich bin zutiefst dankbar, dass sie ihre Herzen geöffnet haben, um mich daran teilhaben zu lassen, dass sie mich willkommen geheißen haben und mich wissen ließen, dass der Weg der Respekt ist, dass, wenn man um Erlaubnis bittet zu sprechen, die Menschen einen nicht nur sprechen lassen, sondern ihre Herzen für einen öffnen”.
Es ist wichtig, sich an den menschgewordenen Jesus zu erinnern, der die Menschen begleitet und mit ihnen weint und sich in Lage der Leidenden hineinversetzt, und das sollte der Leitfaden für alle sein. Wir müssen verstehen, dass die Version jedes Menschen von Gott unvollständig ist und dass das Einzige, wonach wir streben können, darin besteht, die Lücken durch den Dialog mit unserem Nächsten zu füllen. “Gott ist im Wort meines Nächsten und wird es immer sein. Erlaube ich mir, Gott im Wort meines Bruders zu hören, wenn er sich beschwert, wenn er soziale Gerechtigkeit fordert, wenn er um seinen vermissten Angehörigen weint? Jede Theologie ist ein Idol für sich, sofern sie in der Lage ist, mit anderen Theologien in einen Dialog zu treten, und das ist es, was uns wirklich helfen kann, den Weg zum Aufbau des Friedens zu finden”, sagt Martín.
Hoffnung im aktuellen Kontext
Trotz diverser Herausforderungen bewahrt Martín eine konstant positive Einstellung: “Es gibt Hoffnung für Menschen, Kirchen und Organisationen, die angesichts von Bedrohungen aufstehen und bereit sind weiter über den aktuellen Kontext nachzudenken und nach Wegen der Transformation zu suchen, entschlossen, auf dem Weg der Friedensbildung nicht stehen zu bleiben”, erklärte er.
Er sieht in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance: “Wir tragen eine große Verantwortung für die neuen Generationen, und je mehr wir mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, desto mehr nähern wir uns der Hoffnung. Die Daten über die Rekrutierung für kriminelle Gruppen sind alarmierend, weil so viele Jugendliche und Kinder davon betroffen sind. Es ist wichtig, dass wir uns in den verschiedenen Umfeldern, in denen wir uns befinden, um diese Generation kümmern und darauf achten, was wir in den Köpfen und Herzen der Menschen um uns herum säen.”
Aufgrund seiner Erfahrung und seines Engagements für die Hoffnung erwägt Martín die Schaffung einer Friedenspastoral, die die evangelischen Pfarrer einbezieht, “bei Themen, die für sie nicht so vorrangig sind, die aber für unseren Kontext von grundlegender Bedeutung sind, um zu sehen, wie wir zu den bereits bestehenden Artikulationen beitragen können und nicht, wie wir von ihnen ablenken können. Wir müssen sie stärken”.