FOKUS: Wer profitiert vom T-MEC (USA-Mexiko-Kanada-Abkommen)?
01/09/2020Aktivitäten von SIPAZ (Mitte Mai bis Mitte August 2020)
01/09/2020Ein Großteil der spärlichen Berichterstattung über Chiapas in den nationalen Medien, waren Schlagzeilen über Angriffe auf das Gesundheitspersonal und Aggressionen gegen andere Angestellte, weil der Verdacht bestand, sie würden durch die flächendeckende Desinfizierung das Coronavirus verbreiten.
Den vielen Initiativen von Einzelpersonen, Organisationen, Gruppen und indigenen Gemeinschaften, die sich um die Prävention und Bekämpfung des Coronavirus sowie seine Auswirkungen in verschiedenen Gebieten bemüht haben, wurde währenddessen weniger Aufmerksamkeit geschenkt.
Der erste Corona-Fall in Chiapas wurde Anfang März bekannt. Auf Anordnung des Bundes wurden, trotz der noch geringen Fallzahlen, Schulen, Geschäfte, Hotels, Restaurants, Kirchen und die meisten öffentlichen Einrichtungen geschlossen.
Bereits zuvor hatte die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) in ihren Territorien die Alarmstufe Rot ausgerufen, ihre autonomen Regierungsstrukturen geschlossen und ihre Unterstützungsbasen aufgefordert, in ihren Gebieten zu bleiben. Sie riefen jedoch dazu auf, „den Kampf gegen die frauenfeindliche Gewalt nicht fallen zu lassen, den Kampf zur Verteidigung des Territoriums und der Mutter Erde fortzusetzen, den Kampf für die Verschwundenen, Ermordeten und Gefangenen aufrechtzuerhalten und die Fahne des Kampfes für Menschlichkeit hoch zu hissen„. Zweifellos haben die Organisations- und Autonomieprozesse, die die verschiedenen Dörfer und Gemeinden über Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben, es ihnen ermöglicht, der Pandemie mit ihren eigenen Mitteln zu begegnen.
Es war keine leichte Aufgabe, denn Fehlinformationen, Unglauben und Angst sind in der gesamten Gesellschaft, aber vor allem in indigenen und ländlichen Gebieten, weit verbreitet. Dies dürfte in Bereichen, in denen der Staat abwesend und das Misstrauen gegenüber den Behörden groß ist, nicht überraschen. Aus diesem Grund haben seit Beginn der Pandemie mehrere Organisationen und Gruppen Informationen in indigenen Sprachen in Form von Broschüren und Radiosendungen aufbereitet, um zu vermitteln, was das Coronavirus ist, wie es übertragen wird und welche Präventions- und Behandlungsmaßnahmen es gibt. Die Organisation Sadec erstellte zum Beispiel einen dreiteiligen Flyer über die psychosozialen Auswirkungen der Pandemie auf die Landbevölkerung, in dem unter anderem erklärt wird, dass es normal ist, sich isoliert, traurig oder deprimiert zu fühlen.
Der Gesundheitssektor war logischerweise einer der wichtigsten Akteure seit Beginn der Pandemie. Es wurden mehrere Streiks und Proteste vom Gesundheitspersonal durchgeführt, die eine ausreichende medizinische Ausrüstung zu ihrem Schutz sowie für die qualitativ hochwertige Behandlung der Patienten forderten.
In San Cristóbal de las Casas, einem eher urbanen Kontext, gründete dagegen ein Kollektiv von Ärzt*innen und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft die Gruppe Covid-19 San Cristóbal. „Wir haben uns so organisiert, um gemeinsam mit lokalen Behörden, der organisierten Zivilgesellschaft und Unternehmensgruppen an der Erstellung und Verbreitung von Informationen über das Coronavirus mitzuwirken. Wir wollen dafür sorgen, dass die Kranken besser von zu Hause aus betreut werden können und so zur Eindämmung des Virus beitragen“, erklären sie. Sie betreiben ein telefonisches medizinisches Versorgungszentrum in den Sprachen Spanisch, Tzotzil und Tzeltal. Sie verbreiten außerdem Informationen über die allgemeine Situation der Pandemie, Mittel zur Vorbeugung und zur häuslichen Pflege von Corona-Kranken. Zudem existiert eine Gruppe von Psycholog*innen für psychosoziale Unterstützung. Sie riefen zur Solidarität mit den Kranken und ihren Familien auf, um Vorurteile gegenüber den Infizierten zu vermeiden.
Ein weiteres lokales Projekt war die Einrichtung von Handwaschstationen auf öffentlichen Plätzen in San Cristobal, eine Aktion, der Organisation Cántaro Azul, die sich für das Recht auf Zugang zu Wasser einsetzt. Angesichts des Mangels an Schutzkleidung in öffentlichen Krankenhäusern organisierte sich ein Netzwerk von Familien, um Hilfsmittel zum Schutz von Ärzt*innen und Pflegepersonal herzustellen.
In den indigenen Gemeinden hat die Verwendung von Heilpflanzen zugenommen. Pater Marcelo Pérez, Pfarrer von Simojovel, erklärt, wie sich die Menschen in seiner Pfarrei auf diese Weise organisiert haben: „Wir sind selbsternannte kommunale Gesundheitspromotor*innen und mit diesen Heilpflanzen haben sich bereits mehrere Kranke erholt“, versichert er. Ein weiteres Beispiel für die Wiederaufnahme des Einsatzes von Pflanzen zur Behandlung von Atemwegserkrankungen ist das Kollektiv Atél Antsetik (arbeitende Frauen), das seit mehreren Jahren in diesem Bereich tätig ist. Basierend auf dem Wissen ihrer Vorfahren haben sie mehr als 70 Pflanzen zur Behandlung von Atemwegsproblemen gefunden, die COVID-19 zwar nicht heilen, aber das Immunsystem gegen dieses Virus und andere Krankheiten stärken und dazu beitragen, dass sich der Zustand nicht verschlimmert.
Andere Aktionen zielen darauf ab, Informationen zu sammeln, um die Reaktionen der öffentlichen Politik auf die Pandemie zu verbessern. Seit Juni versucht eine Plattform verschiedener Medien, Daten darüber zu beschaffen, was in dem Staat vor sich geht, angesichts „der Zahlen, die nicht zusammenpassen“ und Beamt*innen, die seit mehreren Wochen von einer mehr oder weniger gut kontrollierten Situation berichten: „Die Realität der Bevölkerung ist eine andere; Hunderte von Menschen prangern die Infizierung und den Tod ihrer Angehörigen an, in ihren Häusern, ohne medizinische Versorgung, ohne sich trotz der Symptome der Krankheit testen lassen zu können“, heben sie hervor.
Zur gleichen Zeit führten die Organisationen Melel Xojobal, Sueniños und Tierra Roja Cuxtitali eine Umfrage zum Thema „Wie erleben Kinder und Jugendliche in San Cristóbal de las Casas die Pandemie“ durch, um „ihre Erfahrungen mit der Corona-Pandemie und die Auswirkungen auf ihre ökonomischen, beruflichen, schulischen und emotionalen Bedingungen besser zu verstehen“.
Durch die Schließung der öffentlichen Einrichtungen ist das Einkommen vieler Familien so weit gesunken, dass die Zeit der Quarantäne, die bereits mehr als 5 Monate andauert, für sie zu einem echten Überlebenskampf geworden ist. Eine Initiative zur Unterstützung der Nahrungsmittelversorgung von Familien in prekärer Lage war „Las Canastas Solidarias Para Nuestra Comunidad“ („Körbe der Solidarität für unsere Gemeinschaft“) in San Cristóbal de las Casas. Jeden Samstag trifft sich eine Gruppe von 7 Freiwilligen im Tianguis Agroecológico y Artesanal, um Lebensmittel-Körbe zusammenzustellen, die an diejenigen verteilt werden, die sie am dringendsten benötigen. Jeder, der in die Tianguis kommt, kann mit Sach- oder Geldspenden zur Arbeit beitragen. Außerdem wurde eine Spendenkampagne über die sozialen Netzwerke gestartet.
Die Pandemie bringt das Schlimmste und das Beste in unserer Gesellschaft zum Vorschein. Angesichts so viel Ungewissheit schien es uns wichtig, isoliert zu sein und dennoch viel für die Gemeinschaft tun zu können, seien es Einzelmaßnahmen oder größer organisierte Aktionen. Die Pandemie offenbart unsere gegenseitige Abhängigkeit als Menschheit. Wir rufen dazu auf, uns nicht von Angst lähmen zu lassen, sondern die Bedeutung der Solidarität wieder zu entdecken.