FOKUS: Der Maya-Zug
13/01/2020Aktivitäten von SIPAZ (Von Mitte August 2019 bis Mitte November 2019)
13/01/2020Was wir hier verteidigen, geht über die Verwaltung wirtschaftlicher Ressourcen hinaus.
Wegen Megaprojekten wie dem Transisthmischen Korridor, der die Häfen Santa Cruz (Oaxaca) und Coatzacoalcos (Veracruz) verbinden wird, 47 tausend Hektar für den Bergbau bestimmten Landes, 28 Windkraftanlagen und einer riesigen Biodiversität, ist der Isthmus von Tehuantepec ein Gebiet von höchster Priorität für die Regierung von Andrés Manuel López Obrador (AMLO).
Er befindet sich allerdings vor allem im Fokus der Aufmerksamkeit, da er sowohl ein Gebiet starker gemeinschaftlicher Organisation für die Verteidigung von Land und Territorium darstellt, aber zur selben Zeit hohe Zahlen von Drohungen und Agressionen gegen Menschenrechtsverteidiger und Journalisten verzeichnet.
Vor diesem Hintergrund besuchte vom 15. bis zum 19. Oktober diesen Jahres eine Zivile Observationsmission, bestehend aus Mitgliedern nationaler wie internationaler Organisationen, Journalisten und diplomatischen Vertretern, verschiedene organisierte Dörfer im Isthmus und dokumentierte dabei die Situation verteidigender Personen in dieser Zone. Außerdem sollten “Werkzeuge der Verteidigung und des Schutzes von Menschenrechtsverteidigern geteilt werden”, erklärte die Arbeitsgemeinschaft für Parlamentarischen Dialog und Geschlechtergerechtigkeit (Consorcio Oaxaca), Co-Organisator der Mission. Sie fügten des Weiteren hinzu, dass eine weitere Intention “das Kennenlernen und der Erfahrungsaustausch für die Zusammenarbeit und Gründung eines Hilfsnetzwerks” mit “einem besonderen Fokus auf weibliche Menschenrechtsverteidiger” gewesen sei.
AMLOs Regierung bestimmte den Süden des Landes als Schwerpunktgebiet, weil er als eine der ärmsten Gegenden Mexikos gilt. Als “Entwicklungsmaßnahme” bot er Megaprojekte an, die sich an sich schon als eine der Hauptkonfliktursachen herausstellten. Sowohl die Auswirkungen auf das alltägliche Leben, als auch die sozialen und ökologischen Effekten in den besuchten Gemeinden, darunter Unión Hidalgo, Santa María Mixtequilla, Playa Brasil, San Francisco Ixhuatán en Cerro Grande, San Mateo del Mar und La Venta, sind sehr verschieden und von dem spezifischen Projekt abhängig, das in dem Gebiet realisiert wurde bzw. realisiert werden soll.
Die Windparks beispielsweise machen sehr viel Lärm, manchmal “Tag und Nacht”, laut einem Bewohner von Unión Hidalgo. Teilweise kann die Lautstärke bis auf 90 Dezibel steigen. Die Parks befinden sich sehr nah an den bewohnten Gebieten, manchmal nur wenige Kilometer entfernt. Die Dorfbewohner sehen sie als Ursache von Gesundheitsschäden wie Schlafstörungen und Herzproblemen. Am offensichtlichsten sind die sozialen bzw. ökologischen Schäden. Auf der einen Seite hat sich in Unión Hidalgo eine Art “Elite” aus Personen geformt, die sich dafür entschieden haben, ihr Land an die Windkraft-Unternehmen zu verpachten und so hohe Gewinne zu erzielen. Auf der anderen Seite entsteht durch die Windkraftanlagen aber auch viel Müll. In Juchitán gibt es keine Mülldeponie, weshalb die Unternehmen ihren Abfall einfach ein paar Kilometer von der Stadt entfernt am Straßenrand liegen lassen, wo er im Freien verbrannt wird. Durch den Wind wird der Müll verstreut und der Rauch sowie der Gestank verbreiten sich in der Umgebung.
Im Fall von San Blas Atempa und Santa María Mixtequilla leitet die Ölraffinerie von Pemex, die sich in Salina Cruz befindet, Wasser mithilfe eines Rohrsystems aus eben diesen Gemeinden. Neben der Umweltverschmutzung, die die Raffinerie an sich verursacht, entsteht durch die Aktivitäten der Firma Wassermangel. Die Bewohner erzählten von Vorfällen, bei denen sie einige Gebäude schließen mussten, damit genügend Wasser für die Ernte übrig blieb. Während ein paar Monaten des Jahres ist die Wassernachfrage von Pemex so groß, dass sie in dieser Zeit den Zugang der Gemeinde zu der überlebenswichtigen Flüssigkeit nahezu komplett ausschöpft.
In La Ventosa wurde dokumentiert, dass sich das Wasser und die Erde durch den Bergbau gerötet haben. Genauso wie in San Mateo del Mar und San Francisco Ixhuatán, wo das Wasser dadruch kontaminiert wurde. Weil die Region am Meer liegt, ist die Fischerei eine wichtige Lebensmittelquelle für viele Personen. Außerdem ist Trinkwasser aus ihren Leben nicht wegzudenken. Die Gemeindekreise haben sich gegen den Bergbau ausgesprochen, doch die Regierung hat ihre Entscheidung nicht respektiert.
Ursprünglich hatten die Unternehmen versprochen, Straßen zu erneuern, Schulen, Krankenhäuser und Universitäten zu bauen und den Bewohnern Arbeitsplätze oder schlicht und einfach Geld bereitzustellen. In den Fällen der von der Mission besuchten Gemeinden war nicht eines dieser Versprechen erfüllt worden. Des Weiteren weisen sie darauf hin, dass noch keine vorherigen, freien und informierten Befragungen gemäß der Vereinbarung 169 der Internationalen Organisation für Arbeit (OIT) durchgeführt wurden.
All diese Situationen existieren schon seit vielen Jahren. Mit dem Transisthmischen Korridor, einem vorrangig von der Regierung AMLO entworfenem Projekt, wird befürchtet, dass sich die Auswirkungen sogar noch weiter ausbreiten könnten. Bis zuletzt waren die Gemeinden noch nicht über die konkreten Pläne informiert worden. Außerdem existiert bisher noch keine Studie über die sozialen und ökologischen Auswirkungen, weshalb es reichlich Spekulationen und Zweifel gibt.
Dennoch teilen die Gemeinden eine gemeinsame Erfahrung in der Verteidigung ihrer Rechte: die Suche nach der Legitimität einer Stimme, die sich vor die Interessen des Staates und der großen Unternehmen stellt. Und bei dieser Suche laufen sie häufig Gefahr, ihr Leben zu verlieren oder eine andere Art von Gewalt zu erfahren. “Wir können nachts nicht mehr auf die Straße rausgehen und manchmal fühlt es sich so an, als würden sie uns böse anschauen, uns bedrohen, uns einschüchten, wegen unserer Stimmen und wegen des Widerstandes, den wir leisten, um zu verteidigen, was uns gehört. Es ist wirklich eine komplizierte Situation”.
“Sie stehen systematischen Attacken gegenüber wie beispielsweise Kriminalisierung, Diffamation, Schikanierung, Bedrohungen, gewaltsamem Verschwinden, willkürlichen Verhaftungen und Mord”, bestätigte Consorcio Oaxaca.
Im Jahr 2018 wurden in Mexiko 13 Journalisten und Aktivisten ermordet, eine Zahl, die bereits im Mai diesen Jahres überschritten wurde. Mindestens 14 Menschenrechtsverteidiger wurden bis zum heutigen Tag ermordet, 10 von ihnen allein in Oaxaca. Nichtsdestotrotz, bekräftigen die Bewohner des Isthmus, dass sie “diesen Kampf weiterführen” werden, indem sie sich “organisieren und weitergehen”.
Die Situation ist für Frauen noch einmal mehr komplizierter, da ihre Arbeit auch regelmäßig andere Arten von Schikanierung und Belästigung bedeutet, aufgrund der einfachen Gegebenheit, dass sie Frauen sind. In einer machistischen Gesellschaft müssen sie für ihre Beteiligung an einem Prozess kämpfen, der sie genauso viel angeht wie Männer. Wenn sie diesen Punkt erreicht haben, müssen sie sich noch einmal anstrengen, um gehört zu werden, sowohl innerhalb dieses Prozesses, als auch von anderen Akteuren. Durch ihre einfache Beteiligung sie erleiden die gleiche Gewalt wie ihre männlichen Kollegen und zusätzlich noch anderen Formen von Gewalt, die durch den gleichen Machismus motiviert sind, der sie in erster Linie daran gehindert hatte, sich zu verteidigen.
Aufgrund der Gewalt, der Polarisation und der Ungewissheit, ist es wichtiger denn je, den Isthmus in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken, nicht nur wegen der wirtschaftlichen Chance, die er bietet, sondern auch wegen der Stärke der Gemeinschaft und den realen Konsequenzen, die die Entwicklungsprojekte haben. Man muss daran erinnern, dass es Stimmen gibt, die fast nie gehört werden, die von einer anderen Art mit der Erde umzugehen, und einer anderen Definition von Fortschritt und Entwicklung reden. Eine Zivile Observationsmission ist ein Weg, diese Stimmen zu verstärken und zu verflechten.