AKTUALITÄT: Mexiko – Der amerikanische Druck und die Menschenrechtsverletzungen
29/07/2017ARTIKEL: Über die chiapanekischen Gutshöfe und dem neoliberalen-kapitalistischen System – Ein Seminar der kritischen Reflexion „DIE MAUERN DES KAPITAL, DIE RISSE DER LINKEN“
29/07/2017Im Dezember 2016 jährte sich zum zehnten Mal der sogenannte “Krieg gegen den Drogenhandel” in Mexiko. Seitdem wurden tausende Soldaten vom Militär, der Luftkräfte und der Marine auf den Straßen eingesetzt, um nicht nur den Drogenhandel, sondern auch das gesamte organisierte Verbrechen in all seinen Facetten zu bekämpfen: Waffenhandel, Geldwäsche, Erpressungen, Menschenhandel (einschließlich MigrantInnen), Entführungen, Raubfälle etc. Der Aufruf sorgte für einen explosionsartigen Anstieg von Morde und Menschenrechtsverletzungen, sowie für eine allgemeine Steigerung von Gewalt und Unsicherheit. Von 2006 bis zum heutigen Datum verzeichnete der Exekutivsekretär des nationalen Systems zur öffentlichen Sicherheit (SESNSP) mehr als 213.000 vorsätzliche Morde, während das Nationale Register verschwundener Personen (RNAPED) die Zahl verschwundener Personen auf mehr als 30.973 schätzt (in dieser Rate zählten sie noch keine MigrantInnen mit).
In diesem Rahmen hat der Verteidigungsminister General Salvador Cienfuegos Navara rechtliche Grundlagen beantragt, die ein Eingreifen der bewaffneten Kräfte in die Aktivitäten der öffentlichen Sicherheit erlaubt. Dies eröffnete die Debatte eines Gesetzes zur internen Sicherheit, dessen Verhandlungen unmittelbar wegen ihrer Verfasungswidrigkeit heftig kritisiert wurden. Zudem wird das Gesetz als Bedrohung der Menschenrechte empfunden.
Drogenhandel in Mexiko
Aufgrund seiner geographischen Lage wurde Mexiko von den Drogenproduzenten in Lateinamerika, speziell Kolumbien, als Land des Zwischenhandel (hauptsächlich Marihuana und Kokain) benutzt, um am Ende am wichtigsten Markt der Welt in den Vereinigten Staaten zu landen. Jedoch ist Mexiko nicht nur ein Land des Zwischenhandel, sondern auch ein Land der Produktion. Laut Luis Astorga, Forscher in der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko (UNAM), fing die Produktion von Marihuana und Mohn sowie deren Verarbeitung zu Opiaten in den 60er Jahren an. Um zu erklären, wie die Produktion und der Handel im Land wuchsen, erläuterte er in der Zeitschrift La Jornada: “Der Drogenhandel war schon immer ein Geschäft, das von der Elite geführt und von der PRI-Regierung für mehr als 70 Jahre im Schatten ihres Monopols gehalten wurde. Das heißt, anstatt das es eine Bedrohung für die Regierungsinstitutionen darstellt, gab es Absprachen mit den Politikern, die den Handel völlig ungestraft ließen.“
Laut Nachforschungen des Büros gegen Drogen und Kriminalität der Vereinten Nationen (UNODC) ist der Drogenhandel die lukrativste Tätigkeit für das organisierte Verbrechen. Ihre Gewinne belaufen sich auf Hunderttausende von Millionen Dollar pro Jahr. Der lukrative und illegale Zustand macht den Drogenhandel zu einer wandelnden Branche, welche sich an die Marktnachfrage anpasst und sich in ein komplexes Phänomen verwandelt, das schwierig zu analysieren und zu bekämpfen ist.
Der Wachstum der Drogenkartelle durch Rekrutierung der marginalisierten Bevölkerung
Die Armut, Marginalisierung, fehlende Bildung und die Arbeitslosigkeit sind Hauptgründe sich kriminellen Machenschaften anzuschließen, denn es bietet eine Existenzgrundlage und den sozialen Aufstieg. Gemäß der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und der Karibik (CEPAL) steigt die Armut in Mexiko weiterhin an. Im Jahr 2014 registrierte die CEPAL, dass 53,25% der Bevölkerung in Armutskonditionen leben und 21% in extremen Armutskonditionen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) signalisierte, dass sich die mexikanische Regierung nicht genügend anstrenge, um diese Armutskonditionen zu brechen, denn die veranschlagten Ausgaben für ihre Verbesserung, sowie zum Beitrag der sozialen Entwicklung, belaufen sich gerade einmal auf ein Drittel des Durchschnitts der OECD-Länder. In einem Leben zwischen Armut, familiärer Gewalt, aggressiver Umgebungen und der aufdringlichen “Narcokultur”, welche sich in der Musik, den Fernsehsendungen und Filmen zeigt, entsteht der Anschein vom “Erfolg” der Drogenhändler, aufgrund des Geldes, des Besitzes von Luxusgütern und der Begleitung von Frauen. All das verlockt dazu ein Teil des organisierten Verbrechens zu werden. Das Mexikanische Jugendinstitut (IMJUVE) weist darauf hin, dass die Jugendlichen immer angreifbarer sind und sich vom organisierten Verbrechen beeindrucken lassen. Sie werden für die Drogenhändler zu Kanonenfutter.
Michoacán: Wiege des Calderrón-Krieges gegen den Drogenhandel
Wegen des Hafens in Lázaro Cárdenas ist Michoacán ein Schlüsselstaat für den Drogenhandel. Seit September 2006, drei Monate bevor Felipe Calderón Hinojosa (von der Partei der Nationalen Aktion – PAN) Präsident werden sollte, gab die Familie Michoacana ihr blutiges Debüt. Laut der Online-Zeitschrift Animal Político, bat der ehemalige Gouverneur Lázaro Cárdenas Batel dringend um Unterstützung, um die steigende Unsicherheit zu bekämpfen. Calderón, der gebürtig aus Michoacán kommt, reagierte mit der sog. “gemeinsamen Operation Michoacán”, in der 4200 Militärelemente, 1000 Marine-, 1400 Bundespolizisten, sowie 50 Staatsanwälte eingesetzt wurden. Dieser Millitäeroperation folgten ähnliche in Guerrero, Nuevo León, Tamaulipas, San Luis Potosí und Coahuila mit denen Felipe Calderón öffentlich einen Krieg an vorderster Front gegen die Drogenkartelle anordnete. Während seiner Amtszeit erhöhte er die Sicherheitsausgaben für die Bundesregierung um 50%, anstatt sie in die Arbeitsplatzbeschaffung zu investieren, wie er es ursprünglich in seiner Wahlkampagne versprochen hatte.
Während den ersten vier Jahren seiner Amtszeit, hatte Enrique Peña Nieto von der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) zwar eine weniger kriegerische Ausdrucksweise: Er ersetzte ausschließlich „Krieg gegen den Drogenhandel“ durch die Forderung nach einem „Mexiko in Frieden“, was jedoch nicht verhinderte, dass er die Einsätze und die Millitärausgaben weiter erhöhte. „Wenn Calderón der Vater dieser Politik wäre, wäre Enrique Peña Nieto so etwas wie sein jugendlicher Sohn, der die Beziehung zu seinem Vater abbrechen möchte, aber lediglich väterliche Gesten wiederholt, die er in seiner Kindheit sah“, beschrieb die New York Times den Zustand.
Öffentliche Sicherheit und nationale Sicherheit: zwei unterschiedliche Konzepte
In dem 2009 veröffentlichten Bericht der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) über die Bürgersicherherheit und die Menschenrechte, erklärte sie, dass es trotz der Verwirrung zwischen den beiden Konzepten von der öffentlichen und der nationalen Sicherheit “ohne Zweifel sei, dass die gewöhnlichen Verbrechen -seien sie noch so schlimm- keine militärische Bedrohung für die Souveranität des Staates darstellen.” In ihrem Bericht “Gewaltanwendung” von 2015 hebt die CIDH hervor, dass die Polizeikräfte und die Wehrmacht zwei grundsätzlich verschiedene Einrichtungen sind. Dies beziehe sich sowohl auf die Zwecke, für die sie einst geschaffen wurden, als auch auf ihre Ausbildung und Vorbereitung. Die Polizeikräfte werden für die öffentliche Sicherheit ausgebildet, also für den Schutz und die zivilen Kontrolle; die Wehrmacht konzentriert sich während ihrer Ausbildung und der Vorbereitung nur auf das Ziel der nationalen Sicherheit. Im Fall der Fälle bedeutet dies, eine schnelle Niederlage des Feindes mit so wenig menschlichen Opfern wie möglich, ebenso wie möglichst wenig wirtschaftliche Verluste. Wegen ihrer nationalen Präsenz und der Vielfalt ihrer Funktionen ist im theoretischen Sinne die Zivil-Polizei die staatliche Institution, die sich am häufigsten mit den Bürgern auseinandersetzt. Damit das demokratische System reibungslos funktioniert und die Sicherheit der Bevölkerung gewährleistet ist, beschreibt die CIDH die Zivil-Polizei als „unersetzlich“.
Das Millitär in der Rolle der Polizei: Die Korruption geht weiter, die Gewalt steigt an
Die “Unfähigkeit und Korruption der staatlichen und kommunalen Polizeibeamten wurde von der organisierten Kriminalität durchwachsen“ und dies erklärt, weshalb das Millitär Funktionen der öffentlichen Sicherheit übernimmt, erklärte der pensionierte General Sergio Aponte Polito in einem Interview mit der Zeitung Proceso. Untersuchungen aus dem Zentrum für Studien des organisierten Verbrechens ergaben, dass mehr als 70% der kommunalen Polizisten in Mexiko korrupt sind. Einige wurden sogar auf der Gehaltsliste von kriminellen Gruppen gefunden.
Dies ist einer der Gründe, der den Trend zur Millitarisierung der Polizeikräfte in den letzten zehn Jahren erklärt. Heute sind immer noch mehr als ein Drittel der Einrichtungen in Händen des Millitärs, dazu zählen unter anderem die Staatssekretäre der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der in Guerrero und Oaxaca. Laut dem Friedensindex für Mexiko 2017 des Instituts für Wirtschaft und Frieden, sind es genau diese Staaten, in denen sich die Sicherheit in den letzten sechs Jahren verschlechtert hat.
Außerdem gelang es dem Organisierten Verbrechen, Militärkräfte einzuschleusen oder Soldaten zu bestechen. Ende Oktober 2008 zum Beispiel, enthüllte die sog. “Operation Reinigung”, dass 24 Bedienstete des Millitärs, Polizeibeamte, Staatsanwälte und Mitglieder der Verwaltung zur Drogenkontrolle (DEA für seine Abkürzung in Englisch) offizielle Informationen der Staatsanwaltschaft und der DEA über Untersuchungen und Operationen an Drogenkartelle übergaben und als Gegenzug dafür monatlich mehrere tausend Dollar bekamen. Bis zum heutigen Datum wurde noch keiner von ihnen festgenommen. Ein anderes Beispiel ist das von Anfang Mai diesen Jahres, wo acht Soldaten wegen dem Verbrechen gegen die Gesundheit im Betrieb wegen ihrer Zusammenarbeit mit der kriminellen Organisation Los Zetas festgenommen und zu 26 Jahre Haft verurteilt wurden. Nicht zu vergessen, dass die Zetas von 14 ehemaligen Millitärbediensteten gegründet wurden.
Das Scheitern des Calderón-Krieges gegen die kriminellen Gruppen
Ab März 2009, bat die Generalstaatsanwaltschaft (PGR) große Belohnungen an diejenigen, die bereit waren Informationen zu teilen, die zur Festnahme von den 37 größten Drogenbaronen und ihren Vertretern führten. Die Verhaftung und Vernichtung der Drogenbosse in Großeinsätzen, führten nicht zu einer Auflösung der Drogenkartelle, im Gegenteil: Es kam zu einer Krise geprägt durch noch nie dagewesener Gewalt.
Carlos Montemayor warnte im selben Jahr davor, dass das Land unter einem Bürgerkrieg leiden wird. Der Konflikt hat sich in Wirklichkeit zu einem facettenreichen Krieg entwickelt: Der mexikanische Staat gegen die kriminellen Organisationen; die kriminellen Organisationen wegen der Kontrolle des Territoriums untereinander gegen sich, denn Territoriumskontrolle bedeutet den Zugriff auf den internen Markt und das Monopol auf den Transitrouten; ebenfalls kam es zu internen Konflikten innerhalb der kriminellen Organisationen, als es um frei gewordene Anführerposten ging. Das wiederum führte zu Aufteilungen in den Gruppen und die Erschaffung neuer (Unter-)Gruppen. Studien des Programms der Drogenpolitik (PPD), sowie der Abteilung des Zentrums für Forschung und Entwicklung (CIDE) offenbarten, dass die Anzahl der Gruppen des Drogenhandels während der Amtszeit von Felipe Calderón um 900% anstiegen.
Ein blutiges Jahrzehnt
Abgesehen davon, dass der Krieg zur Vernichtung der Drogenkartelle versagte, erzeugte er zudem noch einen explosionsartigen Anstieg der Menschenrechtsverletzungen. Die Opfer waren nicht immer Kriminelle und für die Wehrmacht hat sich die Nummer der Kollateralschäden für zivile Unschuldige auch erhöht. Kein Bundesstaat konnte aus der makaberen Statistik ausgenommen werden. Laut Vice News weiß man nur von einem Zehntel der Geschehnisse des Terrors und des Krieges gegen den Drogenhandel, da aus Angst vor Repression von vielen Morden und Menschenrechtsverletzungen nie berichtet wurde. Die Ziffern der CIDE lassen eine alltägliche Präsenz der Folter und einen Anstieg von außergerichtlichen Hinrichtungen erkennen. Außerdem haben die kriminellen Gruppen ihre Einkommensmöglichkeiten durch die herrschende Straflosigkeit erweitern können: Erpressungen nehmen zu, die Geldwäsche verbreitet sich und es kommt zu mehr Entführungen. Dabei werden immer häufiger Fachleute entführt, bei denen anstelle von Lösegeld, ihre Fähigkeiten „versklavt“ werden. Laut dem SESNSP, wurden 2006 733 Entführungen dokumentiert. Mit 1683 im Jahr 2013 wurde ein trauriger Höhepunkt erreicht. Im letzten Jahrzehnt wurden insgesamt 12 585 Entführungen dokumentiert. Der Menschenhandel wurde ebenfalls intensiver. Die Opfer werden zur sexuellen Ausbeutung, Zwangsarbeit oder anderen erzwungenen Dienstleistungen benutzt. Organhandel und der illegale Handel von MigrantInnen und Kindern wurde ebenfalls häufiger.
Zehn Jahre nach dem Beginn des Krieges gegen die Drogenkartelle hat sich die Unsicherheit im ganzen Land verbreitet und die Produktion, sowie der Konsum von Drogen, gehen weiter. In den Vereinigten Staaten haben sich die Todesfälle durch Heroin in Epidemie verwandelt. Die Begründung für den Beginn dieses Krieges -Kriminelle bändigen und den Staat stärken- ist zerbröckelt. Das Rechtssystem ist überholt. Es existiert keine effektive staatliche Politik, weder um die Opfer zu entschädigen, noch um die Jugendlichen von den bewaffneten Gruppen fernzuhalten.
Besorgniserregende Möglichkeit, die Präsenz und die Intervention des Millitärs zu verharmlosen
Am 8. Dezember 2016 forderte der Generalsekretär der nationalen Verteidigung Salvador Cienfuegos öffentlich die Regulierung der Bundeswehraktionen im Kampf gegen die organisierte Kriminalität oder eine Frist für den Rückzug der Armeen in die Kasernen. Er erklärte, dass die Soldaten aufgrund eines fehlenden Rechtsrahmen „überlegten, ob sie sich weiterhin mit diesen Gruppen Gefechte liefern“. Er argumentierte, dass die Soldaten „nicht ausgebildet sind, um Verbrechen zu verfolgen…“ und als Armee „eine Funktion ausüben, die uns nicht angehört; nur weil es niemanden gibt der das übernimmt oder die Leute nicht ausreichend ausgebildet sind“.
Als Antwort forderte der Wirtschaftsführer, dass die mexikanische Bundeswehr nicht in die Kasernen zurückkehrt, bis die Regierungen der einzelnen Bundesstaaten es schaffen, das Organisierte Verbrechen zu bekämpfen. Dafür drängte er die Legislative Gesetze zu verabschieden, die den Streitkräften mehr Rechtssicherheit gäben. Ebenso sandten mehrere Abgeordnete der PRI, der PAN und der PRD Gesetzentwürfe über das interne Sicherheitsgesetz an den Senat. Es ist erwähnenswert, dass weder direkte Anregungen für den Rückzug der Streitkräfte, noch Initiativen zur Stärkung der Zivilpolizei Teil der Vorschläge waren.
Aufgrund der Möglichkeit, dass ein internes Sicherheitsgesetz in einer eiligen und unklaren Form verabschiedet wird, welches eine Regulierung des Handelns der Streitkräfte mit sich brächte, forderten mehrere Organisationen der Zivilgesellschaft eine erweiterte Debatte mit allen Perspektiven. Das Netzwerk “Alle Rechte für jeden” forderte eine öffentliche Diskussion über dieses Projekt. «Es beabsichtigt etwas zu normalisieren, was in jeder Demokratie eine Ausnahme wäre […]. Der genannte Rechtsrahmen kann nicht einfach dafür sorgen, dass das was heute noch verfassungswidrig ist zu einer Normalität und Permanentheit wird. Ebenso wenig sollte es die individuellen Rechte einschränken, wenn die Armee ohne Kontrollen und ohne Transparenz die Aufgaben von den zivilen Behörden durchführen kann». Die Nationale Menschenrechtskommission hat ebenfalls vorgeschlagen, dass dieses Gesetz einer ausführlichen Betrachtung unterworfen werden sollte, an der «alle Akteure» teilnehmen und Expertenmeinungen berücksichtigt werden. Die ONU empfiehlt von ihrer Seite aus, dass die Gestaltung eines Programms zum schrittweisen Rückzug der Streitkräfte in ihrer sonst ausgeführten Aufgaben, priorisiert werden sollte. Außerdem sollte ein realisitscher Plan zur schrittweisen Stärkung der zivilen Sicherheitsbehörden implementiert werden.
Prinzipielle Argumente gegen das interne Sicherheitsgesetz
Zunächst einmal würde die Genehmigung eines internen Sicherheitsgesetz die Konstitution angreifen. So verhindert zum Beispiel der Artikel 129, dass die Streitkräfte in Zeiten des Friedens Funktionen ausüben, die sich auf millitärische Disziplinen beziehen. Zusätzlich zur Verfassungswidrigkeit würde es gegen die ratifizierten internationalen Verträge von Mexiko verstoßen und Empfehlungen, welche von den Behörden formuliert wurden, die diese internationalen Verträge abschließen, würden ignoriert werden. Der UN-Botschafter für außergerichtliche Hinrichtungen, sagte während seines Besuches in Mexiko im Jahr 2014, dass eines der besonders akuten Probleme in Mexiko die Anwendung von millitärischen Einsätzen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit wäre. „Die prinzipielle Aufgabe eines Millitärs sei es, den Gegner mit überlegter Stärke zu unterwerfen, während der menschenrechtliche Ansatz, welcher das Kriterium für die Beurteilung jeglicher Polizeioperation sein sollte, die Prävention, Festnahme, Untersuchungen und Verfolgung in den Fokus rückt und die Anwendung von Gewalt als letztes Mittel betrachtet. Die Anwendung von tödlicher Gewalt ist nur dann erlaubt, wenn es darum geht, den Verlust von Menschenleben zu verhindern“, kommentierte der Berichterstatter.
Auf der anderen Seite gibt es keine Garantie, dass ein solches Gesetz wirksame Instrumente zur Verfügung stellen würde, um die Unsicherheit zu veringern, genau wie die zehnjährige Erfahrung mit dem Militäreinsatz keine Verringerung der Unsicherheit mit sich brachte. Im Gegenteil, es könnte zu einer Bedrohung der Menschenrechte führen. In zehn Jahren Krieg wurden mehr als 10751 Beschwerden gegen die Armee und die Marine, vor dem CNDH präsentiert, die von schweren Menschenrechtsverletzungen berichten. Eine Studie zu dem Thema zeigt, dass auf einen verletzten Zivilisten in Auseinandersetzungen mit der Armee immer mehr getötete Zivilisten kommen. In jeglichen Auseinandersetzungen zwischen Zivilisten und Sicherheitskräften soll die Zahl der Todesopfer nicht die der Verwundeten überschreiten. Daher sollte der Indexwert nicht viel höher als eins sein. Allerdings zeigen Studien von der CIDE eine extrem hohe Sterblichkeitsrate. Im Jahr 2007 lag die Letalität der Armee bei 1,6 und stieg im Jahr 2012 auf bis zu 16,7 an. In den ersten zwei Jahren der Regierung von Peña Nieto, verringerte sich der Index auf 7,7 im Jahr 2013, erhöhte sich aber dann im Jahr 2014 wieder und erreichte einen Wert von 11,6. Im Durchschnitt von 2006 bis zum heutigen Datum hat die mexikanische Armee für jeden Verwundeten, acht Menschen getötet. Außerdem berichtet die CIDE, dass vier von zehn Kämpfen „eine perfekte tödliche Wirkung“ hatten, was bedeutet, dass sie nur Tote registrierten und keine Verletzten.
Ein internes Sicherheitsgesetz könnte die Streitkräfte legitimieren, ohne das die öffentlichen Interessen bevorzugt werden. Einige Analytiker fügen hinzu, dass diese Initiative, die unmittelbar aus einer Forderung der Streitkräfte kommt, ein weiteres Beispiel dafür zu sein scheint, dass die aktuelle Zivilkontrolle für die Armee und die Marine an Stärke verliert. Der stellvertretende Direktor des Menschenrechtszentrums Miguel Agustín Pro Juárez (Centro Prodh), Santiago Aguirre, betonte, dass die Ermächtigung dieser Institutionen „eine Gefährdung der Stabilität von zivil-militärischen Beziehungen darstellt, die eine der Säulen eines jeden Rechtsstaates ist“.
Das Centro Prodh verwies ebenfalls auf eine Gefahr der Genehmigung eines solchen Gesetzes “angesichts der chronischen Straflosigkeit die in Mexiko herrscht, wo von der Armee Verletzungen der Menschenrechte vollzogen werden und unbestraft bleiben, was selbst der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte als „militärische institutionelle Straflosigkeit“ benennt”. Das Centro Prodh betonte jedoch auch, dass eine Sicherheitsrichtlinie mit der Gestaltung von Menschenrechten und der Rechtsstaatlichkeit möglich sei. Dies könne jedoch nur mit einer Verabschiedung von Gesetzen und damit einhergehend grundlegenden Veränderungen in dem Sicherheitsparadigma geschehen, welches in den letzten zehn Jahren durchgesetzt wurde.