AKTUELLES: Gewalt in Mexiko rückt das Land wieder ins Licht der internationalen Aufmerksamkeit
24/11/2014ARTIKEL: Chiapas – Mobilisationen wegen geplanter Mega-Autobahn zwischen San Cristóbal und Palenque
24/11/2014„Was erntet ein Land, das Studenten unter die Erde bringt?“,
„Eine Regierung, die unsere Kinder umbringt, verdient
keine Vergebung und schon gar nicht unser Schweigen“
(Plakate bei den Protesten für Ayotzinapa)
Der Fall der Studenten von Ayotzinapa löst wohl ein schreckliches Grauen in jeder Mutter und jedem Vater aus und wirft gleichzeitig die Frage in ihnen auf: Welche Zukunft haben meine Kinder? Wie auch in vielen anderen Bereichen der Menschenrechtssituation im Land, werden hier legislative Schritte eingeleitet, die jedoch keine Veränderung der Realität für die Jüngsten der Bevölkerung garantieren. So standen die Rechte der Kinder in den vergangenen Monaten oftmals im Fokus der Öffentlichkeit, seit Präsident Enrique Peña Nieto im September dem Senat einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorgelegt hatte. Er versicherte, dass durch dieses legislative Vorhaben „Mexiko eine ethische Verpflichtung gegenüber allen Kindern und Jugendlichen eingeht“. Zu erwähnen ist hierbei, dass Mexiko diese Verpflichtung bereits 1990 mit der Unterzeichnung und Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention eingegangen ist. Dieses juristisch bindende Dokument stellt das erste internationale Instrument zur Anerkennung der kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen sowie zivilen und politischen Menschenrechte aller Personen unter 18 Jahren dar. Die Konvention legt weiterhin die Rechte der Kinder und Jugendlichen auf Bildung bzw. eine obligatorische sowie kostenlose, grundlegende Schulbildung fest und spezifiziert das Recht „vor wirtschaftlicher Ausbeutung geschützt und nicht zu einer Arbeit herangezogen zu werden, die Gefahren mit sich bringen, die Erziehung des Kindes behin-dern oder die Gesundheit des Kindes oder seine körperliche, geistige, seelische, sittliche oder soziale Entwicklung schädigen könnte“.
Der Gesetzesvorschlag des Präsidenten wurde stark kritisiert, weil er die Kinder als schutzbedürftige Objekte statt als Subjekte mit eigenen Rechten behandelte. Dementsprechend änderten die Abgeordneten 106 der 141 ursprünglichen Artikel, bevor sie dem Gesetzesvorschlag am 29. September zustimmten. Die neue Gesetzgebung stellt eine gute Gelegenheit dar, einen näheren Blick auf die Situation und die Rechte der Kinder und Jugendlichen im Land zu werfen.
Kinderarbeit
Ein oft diskutierter und in der neuen Gesetzgebung berücksichtigter Aspekt der Realität vieler Kinder ist die Arbeit. Beim Einreichen des Gesetzesentwurfs beteuerte der Präsident, es sei notwendig, „dass sich unsere Kinder jenen Aktivitäten widmen können, die ihrem Alter angemessen sind, wie zum Beispiel: Lernen, Sport, Spiel und Freizeit, eben alles, was ihrer Bildung und ihrer vollständigen Entwicklung zuträglich ist. Daher ist es wichtig, dass Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren keine Tätigkeit zum Geldverdienst ausüben.“ Er erklärte weiterhin, dass sich die Zukunftschancen derjenigen reduzieren, die sich unterhalb dieser Altergrenze dazu gezwungen sehen zu arbeiten, und dadurch sogar ihre Sicherheit sowie letztendlich ihre Gesundheit bedroht sind. Aus diesen Gründen präsentierte Peña Nieto dem Kongress am 12. Juni 2013 einen Vorschlag zur Reformation des Artikels 123, dem zufolge das Mindestalter für eine arbeitsrechtliche Beschäftigung von 14 auf 15 angehoben werden sollte. Diese Reform wurde im Juni dieses Jahres in Kraft gesetzt.
Um die Auswirkungen dieser Gesetzesänderung besser beurteilen zu können, bedarf es einer Analyse der aktuellen Situation der Kinderarbeit in Mexiko. Der Internationalen Arbeitorganisation (IAO) zufolge „arbeiten in Mexiko, laut den aktuellsten Zahlen des Nationalen Instituts für Statistik, Geografie und Informatik (INEGI) und des Ministeriums für Arbeit und Sozialfürsorge (Secretaría del Trabajo y Previsión Social; STPS), 3.035.466 Kinder und Jugendliche zwischen 5 und 17 Jahren, was 10,5% der Bevölkerung in dieser Altersgruppe entspricht […]. Davon gehen 39% nicht zur Schule und 31,46% arbeiten 35 Stunden oder mehr pro Woche. Weitere 1.162.643 Kinder und Jugendliche sind lediglich mit häuslichen Arbeiten beschäftigt und gehen ebenfalls nicht zur Schule“. Zahlen des Berichtes von INEGI und STPS aus dem Jahr 2011 zeigen weiterhin, dass von den insgesamt etwa 3 Millionen Kindern und Jugendlichen fast 883.000 weniger als 14 Jahre alt sind, womit der Anteil der arbeitenden Kinder unter der Mindestaltergrenze bereits beträchtlich ist.
Im Rahmen der Diskussion um die Kinderarbeit werden die Kinder selbst oftmals nicht gehört, was ihnen das Recht auf Meinungsäußerung und eigene Entscheidungen aberkennt. Deshalb hat die Organisation für die Rechte der indigenen Kinder und Jugendlichen in Chiapas, Melel Xojobal, zwischen 2000 und 2010 in San Cristóbal de Las Casas eine Studie zu diesem Thema durchgeführt und dabei vor allem auch die Kinder selbst zu Wort kommen lassen. Befragt wurden die arbeitenden Kinder, ihre Familien sowie eine Gruppe von anderen sozialen Akteuren, wie Verkäufer, Mitglieder von Nichtregierungs- oder religiösen Organisationen, Lehrer und andere Personen, die in Kontakt mit den Kindern stehen. Die Studie zeigt, dass 66% der Kinder und 60% der Familienangehörigen, aber lediglich 19% der anderen sozialen Akteure sich für die Kinderarbeit aussprechen. Dementsprechend erklären 71% der Kinder, dass sie auf ihren eigenen Wunsch hin angefangen haben zu arbeiten, nur bei 29% war es nach eigener Angabe die Entscheidung der Eltern. Diese Entscheidung, so frei sie auch erscheinen mag, sollte dennoch im Zusammenhang mit der oft schwierigen finanziellen Situation der Familien gesehen werden. Schließlich zeigt auch die Studie, dass 53% der Kinder mit einem Großteil ihres Einkommens grundlegende Bedürfnisse ihrer Familien, wie Essen, Kleidung und ähnliche Ausgaben, decken.
Kritisch sind weiterhin die Bedingungen, unter denen viele der Kinder arbeiten (oftmals auf der Straße ohne Aufsicht von Erwachsenen). 65% der befragten Kinder geben an, gewissen Risiken ausgesetzt zu sein, und 33% von diesen haben sich schon einmal in einer gefährlichen Situation befunden. „In diesem Sinne […] stellen die Arbeitsmöglichkeiten, die für die Kinder bestehen, prekäre Bedingungen dar, wie zum Beispiel ein ungeeignetes Umfeld (Nachtclubs, Bars, Orte, an denen verbotene Substanzen konsumiert werden), für ihr Alter unangemessen lange Arbeitszeiten, Mangel an Freizeit, finanzielle Ausbeutung sowie körpeliche oder seelische Misshandlungen durch die Erwachsenen […]. Den Kindern fehlt bei ihrer Arbeit eine vernünftige soziale und legale Absicherung“, schlussfolgert Melel Xojobal aus der Studie.
Angesichts dieser Tatsachen, die bereits die Realität vieler Kinderarbeiter unter 14 Jahren bilden, lassen sich die Auswirkungen einer Gesetzesänderung, die lediglich das Mindesteintrittsalter anhebt, anzweifeln. Wahrscheinlich ist, dass diese sich darauf beschränken werden, mehr Kinder mit ihrer Arbeit in die Illegalität zu drängen und den informellen Sektor zu vergrößern. Deshalb schlägt Melel Xojobal einen Weg vor, der den Kindern und Jugendlichen Rechte zugesteht, anstatt ihnen etwas zu verbieten, auf das sie in vielen Fällen angewiesen sind: „Wenn man den Kindern die Arbeit und entsprechende Gesetze zum Schutz abspricht, verschleiert man bloß die Situation und eröffnet Möglichkeiten zur Ausbeutung. Denn wenn man ihre Rechte nicht anerkennt, können auch keine Instrumente zu deren Schutz geschaffen werden. […] Es gilt, die Arbeit als eine würdevolle, sozialisierende sowie Selbstbewusstsein und Verantwortung schaffende Tätigkeit zu gestalten, um sie von den Fromen der Ausbeutung abzugrenzen (welche durchaus beseitigt werden sollten)“.
Das Recht auf Bildung
Ein Thema, das in manchen Aspekten die Kinderarbeit tangiert, ist das Recht auf Bildung, das in der UN-Kinderrechtskonvention verankert ist. Der Studie von Melel Xojobal zufolge gehen 71% der arbeitenden Kinder in San Cristóbal de Las Casas zur Schule, 20% sind abgegangen oder haben abgebrochen und 9% haben nie eine Schule besucht. Auf nationaler Ebene besuchten, laut Daten von Unicef aus dem Jahre 2005, 1,2 Millionen Kinder zwischen 5 und 14 Jahren nicht die Schule; jedes zehnte Kind brach die Grundschulausbildung ab und jedes fünfte beendete nicht die weiterführende Schule, obwohl in der mexikanischen Verfassung das Recht eines jeden Kindes auf eine Bildung in der Vor-, Grund- und weiterführenden Schule enthalten ist. Diese Zahlen sind jedoch nicht nur der Kinderarbeit geschuldet. „Unicef hat drei grundlegende Probleme im Bereich der Bildung festgestellt: der Mangel an Zugang, vor allem in ländlichen Gebieten; die schlechte Qualität der Bildung an vielen öffentlichen Schulen, an denen 92% der Schüler des Landes unterrichtet werden; die Diskriminierung, unter der viele Schüler indigener Herkunft sowie Kinder mit Behinderung oder Mädchen im Allgemeinen leiden.“
Auch in den Dokumenten von Melel Xojobal und der IAO wird das interkulturelle Problem erkannt. Melel Xojobal bestätigt, dass „die Form der Bildungsvermittlung es nicht schafft, das Interesse und die Begeisterung der arbeitenden, indigenen Kinder zu wecken. Diese geben an, dass in den Inhalten und Methoden der staatlichen Einrichtungen weder die Kultur noch der Kontext, das Wissen oder die Sprachen der indigenen Völker berücksichtigt werden“. Die IAO schlägt die Integration eines interkulturellen Fokus im nationalen Bildungssystem vor, was bedeuten würde, „dass die Lehrer speziell ausgebildet werden, um einen Vorteil aus der kuturellen Vielfalt zu ziehen, um den Respekt vor dem Adersartigen zu erarbeiten, um die Voraussetzungen zu schaffen, damit Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Kulturen und Glaubensrichtungen sich gegenseitig bereichern, indem sie den schulischen Raum teilen“.
Erwähnenswert ist hierbei, dass in Chiapas mit dem Schulsystem der Zapatistischen Armee zur Nationalen Befreiung (EZLN) eine Alternative zum staatlichen existiert. Es wurde unter anderem gerade zu dem Zweck gegründet, den Bedürfnissen der indigenen Kinder und Jugendlichen besser gerecht zu werden. In hunderten von Grundschulen und jeweils einer weiterführenden in jedem der 5 „Caracoles“ (autonome Verwaltungszentren) werden die Schüler mit Rücksicht auf die Realität in ihren Gemeinden und ihre indigene Kultur unterrichtet. Da es sich dabei nicht um staatlich anerkannte Schulen handelt, tauchen ihre Schüler auch in den offiziellen Statistiken nicht als solche auf.
Das Recht auf Gesundheit
Ein weiteres Problem, das vielen Jugendlichen die Wahrnemung ihres Rechtes auf Bildung erschwert, ist die Mutterschaft Minderjähriger. Laut Angaben des INEGI ist die Zahl der Geburten minderjähriger Mütter heute höher als noch 1990, als sie bereits bei einem Anteil von 18% aller Geburten im Land lagen. Die aktuellste Statistik aus dem Jahre 2012 zeigt diesen Anteil bei 19,4%. Einige Stimmen aus Politik und Wissenschaft bringen diese Entwicklung mit den politischen Entscheidungen in Verbindung, die in diesem Zeitraum getroffen wurden. Während der Regierungszeit der Partei PAN (Partido Acción Nacional) von 2000 bis 2012 wurden die Programme zur Sexualerziehung und der Zugang zu Verhütungsmitteln für Minderjährige eingeschränkt bzw. durch Kampagnen für Enthaltsamkeit ersetzt. Heute nennt Lorena Cruz Sánchez, Präsidentin der Nationalen Institution für Frauen, die frühen Schwangerschaften in Mexiko „ein Problem der allgemeinen Gesundheit“. Die neue Gesetzgebung nimmt den Staat in die Pfllicht, minderjährigen Schwangeren den Abschluss ihrer Schulbildung zu ermöglichen. Das Recht auf Sexualerziehung wird den Kindern und Jugendlichen jedoch nur bedingt zugesprochen, da hierbei die Eltern und Lehrer das letzte Wort haben und entsprechende Formen der Aufklärung ablehnen können.
Ein großer Brandherd für gesundheitliche Probleme der Bevölkerung bleibt weiterhin die weitverbreitete Armut. Obwohl Mexiko als ein Land im Aufschwung angesehen wird, weist die Verteilung des Reichtums in der Gesellschaft ein immenses Ungleichgewicht auf. Im Unicef-Bericht „Alcanzar los Objetivos de Desarrollo del Milenio con equidad“ („Die Entwicklungsziele des Jahrtausends mit Fairness erreichen“) ist zu lesen, dass „zwischen 2010 und 2012 die Zahl der in Armut lebenden Menschen in Mexiko von insgesamt 52,8 auf 53,3 Millionen gestiegen ist. […] Während sich 2012 53,8% der minderjährigen Bevölkerung in Armut befunden haben, lag der Anteil an der Gesamtbevölkerung bei 45,5% und jener an der erwachsenen Bevölkerung bei 41,3%. Diese Zahlen zeigen, dass die Armut in Haushalten mit Kindern stärker vertreten ist.“ In den ländlichen Regionen verstärken sich diese Umstände sogar noch mehr. 2012 lebten dort 66,9% der Minderjährigen in Armut. Solche Bedingungen können die gesunde Entwicklung der Kinder und Jugendlichen stark beeiträchtigen. Laut Unicef hat sich „die chronische Mangelernährung oder Unterentwicklung mit einem Anteil von 13,6% (insgesamt 1,5 Millionen) der betroffenen Kinder unter 5 Jahren 2012 im Vergleich zu 1988 halbiert. Im nationalen Durchschnitt verstecken sich jedoch beträchtliche regionale Disparitäten, die sich zwischen 19,2% im Süden und 8,9% im Norden des Landes bewegen. Die höchste Rate an Mangelernährung lässt sich in den ländlichen Regionen des Südens ausmachen, wo fast 3 von 10 Kindern betroffen sind.“ Fortschritte können zumindest in Bezug auf die Kindersterblichkeit verzeichnet werden: „Zwischen 1990 und 2012 hat sich die Sterblichkeitsrate der Kinder unter 5 Jahren […] um 61% verringert, von 41 auf 16,1 von 1.000 lebend Geborenen“.
Das Recht auf ein Leben frei von Gewalt
Als letzter Aspekt ist noch die Gewalt zu erwähnen, in der viele Kinder und Jugendliche aufwachsen. Laut dem Bericht von Unicef ist die Mordrate an Kindern und Jugendlichen zwischen 2000 und 2011 gestiegen, von 2,3 auf 3,9 Minderjährige pro 100.000 Einwohner. Diese Zahlen werden „mit dem Kontext der wachsenden Gewalt vebunden, die aus dem langjährigen Kampf gegen und innerhalb der organisierten Kriminalität resultiert. […] Eine der Ursachen für die Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist die gesellschaftlich verbreitete Ansicht, dass sie Eigentum der Erwachsenen sind, was nicht nur zur Folge hat, dass diese Form der Gewalt auf eine relative Akzeptanz in der Gesellschaft stößt, sondern auch, dass sie ein „natürliches“ und somit „unsichtbares“ Phänomen darstellt.“
Eine der Formen von Gewalt, die besonders Kinder und Jugendliche betrifft, ist das Mobbing in der Schule. Laut einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) belegt Mexiko, mit den meisten Fällen von schulischem Mobbing, im internationalen Vergleich den ersten Platz. Mobbing kann sich in Form von verbaler, psychologischer oder physischer Gewalt äußern und heutzutage auch über die sozialen Netzwerke im Internet geschehen. Psychologen beschreiben, dass die Betroffenen unter geringem Selbstwertgefühl und Schlafproblemen leiden, schlechte Schulleistungen erbringen oder sie gar ganz abbrechen. Sie hören dann oft auf zu essen, verlieren Gewicht, sind nervlich angespannt, fügen sich selbst Verletzungen zu, die lebensgefährlich sein können, durchleiden schwere emotionale Konflikte und Depressionen, die zum Suizid führen können. Dementsprechend lässt sich bereits feststellen, dass die Zahl der von Kindern und Jugendlichen begangenen Selbstmordfälle in den letzten Jahren besorgniserregend angestiegen ist. Die neue Gesetzgebung versucht diesem Problem entgegenzuwirken, indem sie für Leiter oder Mitarbeiter von Bildungs-, Sport- oder Kultureinrichtunen, in denen Fälle von Mobbing nicht geahndet, tolleriert oder begünstigt werden, Bußgelder in Höhe von 100.000 Pesos (etwa 5.800€), bei Wiederholung sogar in doppelter Höhe, festlegt.
Durch die neue Gesetzgebung erkennt der mexikanische Staat also an, dass es sich bei den Kindern und Jugendlichen im Land um einen besonders verletzbaren Teil der Bevölkerung handelt. Bei der Verbesserung ihrer Situation stellen sich einem zwei grundsätzliche Probleme in den Weg. Zum einen ist ein Großteil der Gewalt gegen Kinder und Jugendliche struktureller Natur (wirtschaftlicher, politischer und sozialer Kontext), omnipräsent und von der Gesellschaft akzeptiert. Zum anderen bleibt diese Gewalt aus Angst vor den Aggressoren, die nahestehende Personen wie Familienangehörige oder Lehrer sein können, oft im Verborgenen. Maßnahmen, die Kindern und Jugendlichen eine gesunde Entwicklung ermöglichen sowie ihre Menschenrechte achten, sollten weiter gehen als die Änderung von Gesetzen. Ein tiefgreifender kultureller Wandel auf vielen Ebenen ist von Nöten.
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Cintia (14 Jahre):
Cintia hat zwei Geschwister und geht in die 9. Klasse. Von klein auf hat sie mit ihrer Mutter zusammen auf dem Markt CDs verkauft. Sie arbeitet an den Wochenenden und an einigen Nachmittagen unter der Woche. So verdienen sie am Tag 200 bis 300 Pesos (11-17€), von denen sie einen Teil für Essen ausgeben und den Rest sparen. „Wie meine Mama immer sagt: Das Geld fällt nicht vom Himmel, sondern du musst es dir im Schweiße deines Angesichts verdienen.“ Sie nimmt an Workshops von Melel Xojobal teil, wo sie z.B. lernt, wie man Kerzen herstellt, und ist bei den NATs (Vereinigung von Kinderarbeitern) aktiv. Wenn sie groß ist, möchte sie im Krankenhaus arbeiten. Sie kritisiert die bestehenden medizinischen Einrichtungen, weil sie Menschen mit wenig Geld schlechter behandeln. Das möchte sie ändern. „In diesem Beruf kann man viel geben“, sagt sie.
Daira (9 Jahre):
Daira passt zu Hause auf ihre beiden Geschwister auf. Abends geht sie zur Schule und morgens arbeitet sie an einem Texilstand auf dem Markt. Ihrer Meinung nach lernt sie bei der Arbeit mehr als in der Schule, weil „sie dort nicht gut unterrichten“. Sie wünscht sich bessere Bildungschancen, doch ihr fehlt das Geld um auf eine bessere Schule zu gehen. Wenn sie groß ist, möchte sie Krankenschwester werden: „Krankenschwester sein, heißt für mich, den Armen zu helfen.“