THEMA : Mexiko – Ein Jahr nach den Wahlen 2006
31/08/20072007
01/01/2008
Am 14. Juni 2006 wurde eine Mahnwache der 22. Sektion der Nationalen Gewerkschaft der Bildungsarbeiter (SNTE), der das Zentrum der Stadt Oaxaca besetzt hielt, durch Polizeikräfte gewaltsam geräumt. Als Folge dieser Ereignisse und eines wachsenden Unmuts in der Bevölkerung brachen im Bundesstaat Oaxaca allgemeine Proteste aus, die, angeführt von der Versammlung der Völker Oaxacas (APPO), den Rücktritt des Gouverneurs Ulises Ruiz Ortiz forderten. Am 27. Oktober 2006 schickte nach einem gewaltsamen Zusammenstoß die mexikanische Zentralregierung 4500 Kräfte der Bundespolizei PFP, die zahlreiche Verhaftungen vornahmen, in deren Verlauf den Sicherheitskräften viele Misshandlungen vorgeworfen wurden. Bei einem weiteren Zusammenstoß am 25. November 2006 gab es schwere Schäden an öffentlichen Gebäuden und Verhaftungen von mehr als 149 Personen. Vom 3. bis 12. August 2007 besuchten wir den Bundesstaat und verfaßten aufgrund unserer Erfahrungen einen Bericht („Oaxaca: ein ungelöster Konflikt: Aktualisierung“ www.sipaz.org), der versucht, einen Blick auf die Situation in Oaxaca zu werfen. Der folgende Artikel ist eine Zusammenfassung dieses Berichts. |
Am 5. August 2007, dem Tag der Wahlen für den Bundesstaatskongreß, erklärte der Gouverneur von Oaxaca, Ulises Ruiz Ortiz, gegenüber der Presse: „Hier entscheiden die Bürger, was sie wollen, was sie unterstützen, und sicher werden sie für den Frieden stimmen. […] Viele haben gesagt, der Konflikt würde wiederaufleben, viele haben gesagt, die Guelaguetza [ein oaxaquenisches Volksfest] würde es nicht geben, viele haben gesagt, es würde bei den Wahlen Gewalt geben. Das sind reine Spekulationen, hier in Oaxaca haben wir Frieden.“ Jedoch lassen mehrere Faktoren starke Zweifel an diesen Versicherungen aufkommen.
Über die Zusammenstöße vom 16. Juli
Am 19. Juli erklärte das Menschenrechtsnetzwerk Oaxaca (RODH): „Der im vergangenen Jahr begonnene Konflikt besteht weiter, Oaxaca IST NICHT IM FRIEDEN, wie es die Bundesstaatsregierung bekräftigt und in allen bundesstaatlichen Medien verbreitet“ [Fußnote].
Vorgeschichte
Bereits seit mehreren Tagen vor dem Zusammenstoß ließen diverse Ereignisse die Gefahr einer derartigen gewaltsamen Konfrontation erahnen. Am 14. Juni 2007 gab es eine Demonstration in Erinnerung an den Polizeieinsatz ein Jahr zuvor. Tausende beteiligten sich und machten deutlich, daß die soziale Situation, die große Teile der oaxaquenischen Bevölkerung mobilisiert hatte, fortbestand. Seit dem 18. Juni bestand eine Mahnwache auf dem Zócalo (Hauptplatz) der Stadt Oaxaca.
Am 21. Juni erklärte sich die APPO in höchster Alarmbereitschaft und denunzierte „die Zuspitzung des Krieges niederer Intensität, den Ulises Ruiz gegen das Volk von Oaxaca führt“. Am 27. Juni wurde ein Verhandlungstisch zwischen der Lehrerschaft, der APPO und dem Generalsekretär der Regierung Oaxacas, Manuel García Corpus, eingerichtet. Unter den Themen, die in den folgenden Wochen diskutiert wurden, waren die Revision der Akten der Verhafteten und die Aufhebung der Haftbefehle.
Am 12. Juli konstituierte sich die bundesstaatliche Versammlung der Lehrerschaft, die sich für den Boykott der „Offiziellen Guelaguetza“ und die Organisierung einer „Volks-Guelaguetza“ entschied. Die Zeugenaussage eines Repräsentanten der COFADAPPO (Komitee der Angehörigen und Freunde der Verschwundenen, Ermordeten und politischen Gefangenen Oaxacas) zeigt, was für die soziale Bewegung auf dem Spiel stand: „Traditionell waren die Montage auf dem Hügel [gemeint ist der Cerro del Fortín, auf dem die Guelaguetza stattfindet] Momente des Zusammenlebens. Jedes Dorf brachte seine Produkte und seine Tänze mit. Aber die Regierung begann mit Eintrittskarten für 500 Pesos [ca. 30 Euro] das Ereignis zu kommerzialisieren. Die Folge war, daß statt den Dörfern Tanzgruppen kamen. (…) Es war ein dreister Raub durch die Regierung. Niemand weiß, wo das Geld hingeht, vermutlich in die Taschen der jeweiligen Regierung.“
Eine Kollegin der Sektion 22 erklärte: „Auf seiten der Lehrerschaft war die Idee, die Guelaguetza zu boykottieren und eine Veranstaltung durchzuführen, die die Stärke zeigen sollte, die die Bewegung immer noch hat. Die erste Intention war, das Fest auf dem Cerro del Fortín (Festungshügel) durchzuführen, und wenn das nicht möglich wäre, an einem anderen Ort, der Sicherheit für die Compañeros böte. Wir wollten keine weiteren Toten oder Gefangenen.“
Am 13. Juli traf sich die nationale Präsidentin der Regierungspartei PRI (Revolutionäre Institutionelle Partei) Beatriz Paredes mit den Kandidaten für das Abgeordnetenhaus und Mitgliedern ihrer Partei im „Guelaguetza-Auditorium“ auf dem Cerro del Fortín. Seitdem war der Hügel durch diverse Polizeieinheiten umstellt.
Die Ereignisse
Am Morgen des 16. Juli bewegte sich eine Demonstration vom Zócalo in Oaxaca in Richtung Cerro del Fortín. Als sie in die Nähe des Guelaguetza-Auditoriums kamen, sahen sie sich Polizeiabsperrungen gegenüber, die den Ort schützten.
Sergio Segreste, Sekretär für Zivilschutz , erklärte uns seine Anwesenheit folgendermaßen: „Es wurde eine Sicherheitsmaßnahme durchgeführt, um das Guelaguetza-Forum zu schützen. Oaxaca lebt ausschließlich vom Tourismus und den Geldsendungen aus dem Ausland. Es gibt keine Industrie. Die Guelaguetza ist eine wichtige Gelegenheit. Letztes Jahr fiel sie aus. (…) Auf der anderen Seite waren der Boykott und die Durchführung der Volks-Guelaguetza angekündigt. ~Es ging mehr darum, es ihnen auszureden, als sie davon abzuhalten.~“
Laut Zeugenaussagen war die Stimmung in diesem Moment immer noch festlich. Es wurde versucht, zu verhandeln, um den Zugang der Demonstranten zum Hügel zu erlauben, aber die Polizeikräften sperrten weiterhin den Weg ab. Die Spannung stieg durch die Parolen: „Zum Fortín, zum Fortín, alle zum Fortín“ und „Ulises, verstehe, die Guelaguetza ist nicht käuflich“. Von diesem Zeitpunkt an unterscheiden sich die verschiedenen Versionen der Ereignisse.
Von offizieller Seite wird betont, daß die Gewalt von den Demonstranten ausging. Sergio Segreste, der an diesem Tag im Fortín del Cerro anwesend war, erklärt: „Sie bewarfen uns mit Feuerwerkskörpern, um den Sicherheitsgürtel zu durchbrechen. (…) Wir wehrten die Aggression ab. Sie wurde gewalttätiger. (…) Die Umzingelung bewegte sich vorwärts. An der Ecke, an der sich die Ampeln befinden, prallte ein Bus in ein Geschäft. Sie kaperten sechs Busse und einen Lieferwagen des Hotels. Es gab Anweisungen an die Kommandanten der Polizei: festnehmen, überwältigen, einliefern. Vielleicht gab es Exzesse. Ich sah viel Wut auch Mut, viel Gewalt, die menschliche Reaktionen von seiten der Polizei hervorrief.“
Seitens der Demonstranten gibt es verschiedene Versionen; die Mehrheit erkennt an, daß in der vorherrschenden Spannung, Verärgerung und Konfusion jede Tat durch Provokateure oder die Polizei ausreichte, um die Gewalt explodieren zu lassen.
Die Bilanz
Der gewalttätige Zusammenstoß kostete mindestens 60 Verletzte auf beiden Seiten (15 davon Polizisten). Zwei Schwerverletzte wurden ins Krankenhaus eingeliefert. 42 Personen wurden festgenommen, einige davon einige Zeit später oder weit vom Ort der Ereignisse entfernt. Unter den 42 Festgenommenen waren sechs Minderjährige, die am nächsten Tag freikamen.
Im Gespräch mit SIPAZ während dieses Besuchs bekräftigte der Staatsanwalt des Bundesstaats Oaxaca, Evencio Nicolás Martínez, in bezug auf die Festnahmen: „Wir fanden eine ganze Batterie von Flaschen/Molotowcocktails. Die Festnahmen geschahen in flagranti. Die Jungs zündeten die Palapa (offene Holzhütte) des Hotels an, es gab Schäden an einem Geschäft. Deshalb wurden sie festgenommen. (…) Die Polizei wehrte die Aggression ab. Natürlich sind wir gegen Exzesse. Aber wir sind Menschen. Polizist zu sein enthebt uns nicht der Menschenrechte.“
Unabhängig davon, ob Straftaten begangen wurden (die zudem noch in Verbindung mit den Festgenommenen gebracht werden müßten), ist die Bilanz der Repression unter Menschenrechtsaspekten besorgniserregend. Viele Fotos dieses Zusammenstoßes lassen diverse Fragen offen. Beispielsweise gibt es Fotos von Festgenommenen, die zunächst zum Parkplatz des Auditoriums gebracht wurden, die auf den Knien liegen, mit verbundenen Augen, ohne Schuhe und offensichtlich gedemütigt. Was passierte beispielsweise mit Hemeterio Marino Cruz (der schwerverletzt ins Krankenhaus eingeliefert wurde), daß er, der sich widerstandslos festnehmen ließ, Stunden später so schweren Verletzungen aufwies?
Eine Woche nach dem Zusammenstoß wurde die „Offizielle Guelaguetza“ inmitten eines starken Polizeiaufgebots durchgeführt. „Die offizielle Guelaguetza war ein Fiasko. Nur in Autos und geschützt von der Polizei konnten sie Leute zum Guelaguetza-Auditorium bringen, das nicht Ulises, sondern dem Volk gehört“, versicherte Erangelio Mendoza, Delegierter der APPO.
„Institutionelle Krise in Oaxaca“?
Im oben zitierten Bulletin des RODH über die Ereignisse vom 16. Juli wird betont: „Es ist wichtig zu erwähnen, daß die Gewalt erneut ausbrach, weil der Konflikt nicht gelöst ist, weil es keine Antworten auf die sozialen Forderungen gibt, die ihn verursachten, ganz im Gegenteil.“
Marcos Leyva von EDUCA betont: „ In den letzten drei Jahren (2004-2007) hat Oaxaca eine schwere institutionelle Krise durchlebt, die den Bundesstaat in eine soziale und politische Notsituation gebracht hat.“. Die Lage verschärfte sich 2006 aufgrund der politischen Krise nach dem 14. Juni, indem sie die Polarisierung der politischen Positionen sowohl gegenüber dem Konflikt als auch gegenüber den damit verbundenen hohen Kosten der Gewalt noch vergrößerte.
Alma Soto vom Komitee 25. November fügt hinzu: „In Oaxaca gibt es keinen Rechtsstaat. Seit dem vergangenen 14. Juni gab es mehrere Zusammenstöße (…) Dabei wurden 600 Personen willkürlich und illegal durch polizeiliche, parapolizeiliche und militärische Kräfte vier bis sechs Stunden nach den Zusammenstößen festgenommen. Einige wurden in Militäreinrichtungen gebracht. Die Festgenommenen wurden völlig von der Außenwelt abgeschnitten, und später wurde den Angehörigen und Anwälten der Zugang zu den ~Unterlagen~ erschwert. Es mangelt an Sicherheit für die Anwälte und Verteidiger.“
Zahlreiche nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen haben schwere Menschenrechtsverletzungen gegenüber mexikanischen Bürgern und solchen anderer Nationalität angeprangert. Gemäß diesen Quellen waren die Hauptverantwortlichen für diese Übergriffe bezirkliche, bundesstaatliche und zentralstaatliche Polizeikräfte, sowie in etlichen Fällen Zivilpolizisten oder Gruppen bewaffneter Personen, die sich dem Anschein nach mit Sicherheitskräften koordinierten (siehe Abschnitt Menschenrechte im SIPAZ-Bericht).
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Über die Wahlen
August: Bundesstaatswahlen
Die Wahlen vom 5. August fanden in relativer Ruhe statt, zumindest wenn man bedenkt, was die Zeit vor den Wahlen erwarten ließ. In einer Öffentlichen Erklärung hatten die Lehrer angeprangert: „Ulises Ruiz hat Bundesstaatswahlen organisiert, was erklärt, warum er mit solchem Groll die Mobilisierungen der Bürger unterdrückt hat, (…) um ein Votum der Angst zu erreichen, um alle seiner Partei verbundenen Wähler zur Wahl zu bewegen um die abstrafenden Stimmen gegen ihn zu verringern.“ Die Oppositionsparteien prangerten ebenfalls das Fortdauern der alten Praktiken der PRI wie Nötigung zur Stimmabgabe, Stimmenkauf und das Herbeikarren von Wählern an.
98,87% der insgesamt 4574 Wahlurnen wurden tatsächlich aufgestellt. Der große Gewinner der Wahlen war die Stimmenthaltung. Über anderthalb Millionen Menschen (70% der Wahlberechtigten) zogen es vor, nicht zur Wahl zu gehen. Die PRI behielt die Mehrheit im Kongreß, was der Regierung Ulises Ruiz mehr Stabilität für die nächsten drei Jahre gibt. Auf seiten der sozialen Protestbewegung wird befürchtet, daß die Regierung die Situation dafür nutzen wird, um Rache zu nehmen und die Gemeinden, die gegen die exekutive Macht aufbegehrt haben, von öffentlichen Geldern abzuschneiden (?).
Wie ist es zu verstehen, daß die PRI trotz der sozialen Unzufriedenheit wieder gesiegt hat, wenn auch mit sehr niedrigen Prozentzahlen? Marcos Leyva von EDUCA meint: „Die politischen Parteien haben nicht verstanden, was die soziale Bewegung war. Die PRD (Partei der Demokratischen Revolution) hat eine zwiespältige Rolle gespielt und spielt sie weiterhin. Das hatte Auswirkungen auf die Leute. Wenn du darauf setzen willst, daß es kein PRI-dominierter Kongreß ist, schau dir die Koalition für das Wohl Aller [das PRD-Bündnis] an, dort findest du viele von der PRI.“
Oktober: Bezirkswahlen
Die Wahl von 152 Bezirkspräsidenten mittels des Systems politischer Parteien (von insgesamt 570 im Bundesstaat; in den anderen Bezirken werden die Autoritäten gemäß der Bräuche gewählt) fand statt in einem Klima starker politischer Spannungen. Es gab mehrere Zusammenstöße, einige davon mit Schießereien, woraus 13 Verletzte resultierten. Im Bezirk Santiago Laollaga konnte die Wahl nicht durchgeführt werden. Es gab viele Vorwürfe von Stimmenkauf und Nötigung zur Stimmabgabe, sowie Herbeikarren von Wählern, hauptsächlich gegenüber der PRI. Wie bei den Bundesstaatswahlen war auch hier die Stimmenthaltung hoch (über 45%). Insgesamt gewann die PRI 90 der 151 zur Wahl stehenden Bürgermeisterämter.
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Die soziale Bewegung
Die APPO
In den letzten Monaten erlitt die APPO eine gewisse Zersplitterung, teils als Folge der Repression und teils wegen der ideologischen Differenzen, die von Anfang an in der Versammlung bestanden hatten und die zwischenzeitlich überlagert wurden von der gemeinsamen Forderung: dem Rücktritt des Gouverneurs Ulises Ruiz.
Auf der anderen Seite nahmen die Anzeichen für Korruption und Fehler der in der Führung zu. Laut einem Mitglied von VOCAL (Oaxaquenische Stimmen für Autonomie und Freiheit) sind „die Leute der „Repräsentanten“ überdrüssig. Sie hatten ihre Hoffnungen wieder einmal in die Anführer gesetzt. Aber heute bleiben die Leute am Ende der Demonstrationen nicht, um die Redebeiträge zu hören“.
Obwohl es angesichts der Komplexität des Konflikts schwierig ist, sich Szenarien vorzustellen, sagte uns Marcos Leyva von EDUCA: „Wir haben die APPO mit ihren 252 Delegierten als organisierende Kraft gesehen. Aber die APPO ist keine formale Struktur. Dennoch gibt es einiges, was bleibt: der Geist, der Virus der APPO (…) es gibt ein Erwachen. Die Leute wollen nicht mehr schweigen und leiden. (…) Hierin liegt der Beitrag der APPO. Als organisierter Ausdruck wird Kreativität nötig sein, um sie aufrechtzuerhalten.“
Die Lehrer
Die Lehrerschaft durchläuft ebenfalls einen komplexen Moment. Ihr Hauptanführer, Pacheco Rueda, der für seine Rolle in den Verhandlungen des letzten Jahres stark kritisiert wurde , ist von der politischen Bühne verschwunden. Bisher sind noch keine internen Wahlen ausgerufen worden. Bekanntlich war die Sektion 22 das Rückgrat der APPO, die der Volksbewegung Struktur gegeben hat. Die Frage ist, ob sie diese Führerschaft behalten will, besonders jetzt, wo die Gewerkschaft für die Lehrer so viele Vorteile wie nie zuvor erhalten hat.
Marcos Leyva sagte uns: „Es gab im Inneren einen starken Verschleiß. Die Sektion 22 pflegte ihre Gremienforderungen durchzusetzen nach dem Motto ‚Mobilisierung – Verhandlungen – Mobilisierung‘. Sie wollen die Möglichkeit zu verhandeln nicht aufgeben. Es war schwierig für sie, die Vorreiterrolle zu übernehmen.“
EPR und bewaffnete Option
Im Juli 2007 übernahm die EPR (Revolutionäre Volksarmee, eine bewaffnete Gruppe, die 1996 in Mexiko auftauchte) die Verantwortung für Explosionen an den Leitungen der mexikanischen Erdölgesellschaft PEMEX in Guanajuato und Querétaro. Sie erklärten dies als Teil einer Kampagne mit der Forderung, daß ihre beiden im Mai 2007 in Oaxaca verschwundenen Mitglieder Edmundo Reyes Amaya und Gabriel Alberto Cruz Sánchez lebendig vorgeführt würden. Später bekannte sich die EPR zur Explosion eines Feuerwerkskörpers am 1. August in einem Einkaufszentrum in Oaxaca und erklärte, sie sei entschlossen, ihre Kampagne weiterzuführen.
Viele der befragten Akteure betonen, daß die EPR eher von der Regierung zur Vernebelung benutzt wurde, besonders in Zeiten der Wahlen. Sergio Beltran kommentierte uns gegenüber: „Sicher gibt es Reste der PROCUP (Demokratische Revolutionäre Volkspartei). Es kann sein, daß die EPR nach dem Tod von Lucio Cabañas einige mehr oder weniger verstreute Zellen sammeln konnte. (…) Unmittelbar nutzt es Ulises Ruiz als Druckmittel, die Zentralregierung zum Eingreifen zu bewegen.“
Marcos Leyva seinerseits sagte: „Die EPR existiert und hat eine starke Präsenz. (…) Hier geraten wir auf das Gebiet des linken Untergrunds, wo taktische Bündnisse geschlossen werden, um einen lang andauernden Volkskrieg zu führen. Auf den Barrikaden sah man Aktionen, die schlußfolgern ließen, daß sie nicht in drei Nächten (über Nacht) erlernt wurden. Es gibt ausgebildete Leute. Das muß man im Kopf haben.“
Es wurde immer wieder betont, daß das Abschneiden aller Verhandlungswege die sozialen Bewegungen in die Enge treiben und dazu bringen könnte, ihre Kampfmethoden zu radikalisieren. Der Artikel von Gustavo Esteva „Desnudar la verdad“ (Die Wahrheit entkleiden/die nackte Wahrheit) vom Juli 2007 macht das sehr deutlich: „In einem Klima wie diesem, in dem die Leute sich ausgezehrt fühlen von demokratischen Prozessen, an deren Ende sie doch nur gedemütigt werden, was will man erwarten? Natürlich gibt es nicht nur die beiden Optionen Gewalt oder keine Gewalt … Aber wenn sich Menschen für die Gewalt entscheiden, weil alle anderen Wege in der Hoffnungslosigkeit geendet sind, müssen wir sie verurteilen?“
Inmitten dieser Anspannung ist eine spontane Aktion vom 16. Juli erwähnenswert: Trotz der herrschenden Repression nahmen ca. 40 Personen in einer gewaltfreien Aktion zivilen Widerstands an einer Sitzblockade teil. Nach einer Stunde zog die Polizei ab. Einer der Teilnehmer teilt uns seine Erfahrungen mit: „Ich schaue die Straße hinunter, auf dem Boden sitzend, mit tränenden Augen und Brennen im Hals [vom Tränengas], hinter mir hört man Schlagstöcke und Stiefel. Aber ich konzentriere mich auf die vier Straßen, die verstopft sind von einer Menge, die erstaunt und verängstigt beobachtet, wie wir sitzend den Polizisten den Weg versperren. Plötzlich sagt jemand „Sie ziehen ab“, und im Gegensatz zu früheren Gefechten hört man überhaupt nichts. Dann beginnt es wie im Film zu regnen, es ist immer noch still, ich erhebe mich und denke, diesmal haben wir die Schlacht gewonnen.“