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08/06/2024Willkürliche Verhaftungen sind in Mexiko weiterhin eine verbreitete Praxis und nur allzu oft der Auslöser für Misshandlungen, Folter, Verschwindenlassen, und willkürliche Hinrichtungen, um Geständnisse und belastende Aussagen zu erlangen
V erschiedenen Berichten mexikanischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen zufolge sind willkürliche Verhaftungen in Mexiko eine immer wiederkehrende Praxis.
Bei diesem Phänomen handelt es sich um die Festnahme von Personen ohne triftigen Grund oder rechtswidrig unter Verstoß gegen die Grundsätze eines ordnungsgemäßen Verfahrens. Dieses Vorgehen ist sehr besorgniserregend, da es nicht nur um die Grundrechte wie die Freiheit und das Recht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren verstößt, sondern auch die Begehung anderer Rechtsverletzungen wie Erpressung, Bedrohung, Folter, Verschwindenlassen oder außergerichtliche Hinrichtungen erleichtert. Vor allem betrifft diese Praxis Menschen, die in extremer Armut leben, indigenen Völkern angehören oder sich in einer Situation menschlicher Mobilität befinden.
Nach Angaben der Nationalen Beobachtungsstelle für willkürliche Verhaftungen wurden zwischen Mai 2018 und Juni 2020 landesweit 1.359 willkürliche Festnahmen registriert, wobei die Bundesstaaten Chiapas, Veracruz, Baja California und Chihuahua am stärksten betroffen waren.
Derzeit ist Mexiko Teil zahlreicher regionaler und internationaler Instrumente zum Schutz der Menschenrechte, wie dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und der amerikanischen Menschenrechtskonvention. Auch in der politischen Verfassung der Vereinigten mexikanischen Staaten sind allgemein anerkannte Grundrechte und Freiheiten verankert. Trotz des bestehenden Rechtsschutzes und einiger Maßnahmen, die die mexikanische Regierung zur Einhaltung dieser gesetzlichen Bestimmungen ergriffen hat, ist die willkürliche Inhaftierung nach wie vor eine gängige Praxis im Land, beklagen Menschenrechtsorganisationen.
Die Nationale Menschenrechtskommission (CNDH) erklärt ihrerseits, dass “die Beschwerden einen Rückgang verzeichnen, der im Jahr 2022 seinen Tiefpunkt erreicht hat. In den letzten sechs Jahren hat die Regierung von Felipe Calderón 5.880 Fälle von willkürlichen Verhaftungen angehäuft, die von Enrique Peña Nieto 1.217 und in der jetzigen Regierung von Andrés Manuel López Obrador sind, 385 Fälle angehäuft worden, was einen Rückfall von 93,45% der Fälle von willkürlichen Verhaftungen bedeutet. Das Gleiche gilt für andere Menschenrechtsverletzungen.
Herstellung von Schuldigen: Der Fall Chiapas
Das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas (Frayba) hat den Begriff “Herstellung von Schuldigen” geprägt, um eine Praxis zu beschreiben, die darin besteht, dass eine Person unrechtmäßig inhaftiert wird, die Staatsanwalt eine Version der Ereignisse und Verantwortlichen vorwegnimmt und dann – auch mit illegalen Mitteln wie Folter – Beweise konstruiert, die zu dieser Version der Ereignisse passen. Dies sei keine neue Praxis in Mexiko, da sie aus dem früheren Strafvollzug übernommen worden sei, sagt Frayba. “Zu den strukturellen Ursachen dieses Musters gehört eine vom Staat geförderte Strafpolitik, d.h. ein politischer Diskurs, der die übermäßige Inanspruchnahme des Strafvollzugs und seine schlechten Praktiken legitimiert, für die es notwendig ist, die Zahl der inhaftierten und strafrechtlichen verfolgten Personen zu erhöhen. Der zweite Faktor ist der Mangel an wissenschaftlichen Kapazitäten, der dazu führt, dass die Forschung durch diese Praxis der Simulation ersetzt wird. Drittens ist festzustellen, dass willkürliche Verhaftungen, die Herstellung von Schuldigen und die Folter, Praktiken sind, die von Akteuren des Ermittlungssystem institutionalisiert wurden, welche vom vorherigen auf das heutige Stafsystem gewechselt sind, was zur Übertragung einer Kultur und Praktiken führt, die dieses Vorgehen legitimieren”, erklärt Frayba.
Bei der Praxis, der Herstellung von Schuldigen, werden Personen bei illegalen Durchsuchungen oder auf der Straße verhaftet, die eines Verbrechens in flagranti beschuldigt werden (bisher ist der Drogenbesitz am häufigsten). In der Untersuchungshaft werden sie gefoltert, in Isolation gehalten und in einigen Fällen zum Verschwinden gebracht. Während dieser Zeit werden Beweise gegen sie für eine zweite Straftat gefälscht. Anschließend wird ein Haftbefehl beantragt, und sobald dieser vorliegt, werden die Personen freigelassen, um dann wegen der zweiten Straftat erneut verhaftet und in eine Haftanstalt überführt zu werden. Durch diese Strategie wird den Inhaftierten die Möglichkeit genommen, sich zu verteidigen. Laut den von Frayba dokumentierten Fällen haben die Betroffenen “erklärt, dass sie zu diesem Zeitpunkt sehr verwirrt und verängstigt waren, was sie daran hinderte, sich zu verteidigen. Die Gründe dieser Verwirrung und Verängstigung ist die Folter (die in der Regel Drohungen beinhaltet, das Geschehene vor Gericht nicht zu erwähnen), die Änderung der Straftat, derer sie beschuldigt werden, sowie ein Muster, bei dem die Pflichtverteidiger nicht mit den Opfern kommunizieren oder ihnen raten, zu schweigen und das Geschehene nicht zu erwähnen”.
Mexiko hat im Jahr 2008 mit der Umgestaltung seines Strafrechtssystems begonnen, die 2016 abgeschlossen wurde. Das neue System soll sicherstellen, dass die Rechte von Opfern und Angeklagten gewährleistet sind. Nach Angaben des Nationalen Instituts für Statistik und Geografie (Inegi) waren im Jahr 2021 auf nationaler Ebene 53,7% der Leiter*innen der Staatsanwaltschaften Männer und 55% Frauen, die mehr als zehn Jahre im Dienst waren, was bedeutet, dass mehr als die Hälfte der mexikanischen Staatsanwält*innen aus dem früheren Strafrechtssystem stammt.
Daher ist es nicht verwunderlich, dass willkürliche Verhaftungen bis heute andauern. Diese systematische Praxis hinterlässt drei Arten von Opfern. Erstens gibt es die willkürlich Inhaftierten, deren Lebensplan außer Kraft gesetzt ist, neben den offensichtlichen physischen, psychischen und wirtschaftlichen Folgen von Haft und Folter. Die zweite Gruppe sind ihre Familien, vor allem Frauen, deren familiäre und persönliche Lebensplanung ebenfalls verändert wird. Drittens wurde festgestellt, dass diese Praxis die Opfer des Verbrechens, für das ein Schuldiger erfunden wird, angreift, da ihnen die Wahrheit vorenthalten wird.
Diskriminierung, Spuren des Schmerzes und Straflosigkeit
Die “Herstellung von Schuldigen” wird als eine staatliche Politik angesehen, die vor allem Bevölkerungsgruppen betrifft, die aufgrund ihres sozioökonomischen Status über weniger rechtliche und politische Möglichkeiten verfügen, sich zu wehren. In Chiapas und anderen südmexikanischen Bundesstaaten wie Oaxaca und Guerrero ist absehbar, dass dies vor allem die indigene Bevölkerung betrifft, die einer strukturellen Diskriminierung ausgesetzt ist. Nach offiziellen Angaben leben in Chiapas und Oaxaca 45 Prozent der gesamten indigenen Bevölkerung des Landes.
In einem Bericht, den mehrere Organisationen aus Chiapas der Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen (UN) für willkürliche Inhaftierungen während ihres letzten Besuchs in Mexiko vorlegten, erklärten sie, dass die indigene Bevölkerung in Chiapas und Mexiko einer Reihe von Hindernissen und differenzierten Beeinträchtigungen ausgesetzt ist, die das Risiko einer willkürlichen Inhaftierung, von Folter oder Unregelmäßigkeiten in Gerichtsverfahren, einschließlich einer ständigen diskriminierenden Behandlung durch die Akteure des Systems, noch verschärfen. Einige Beispiele sind die mangelnde sprachliche und kulturelle Anpassung der Prozesse und Haftanstalten; größere Schwierigkeiten für Familienmitglieder, Besuche zu machen, aufgrund der Abgeschiedenheit ihrer Gemeinden oder der Herausforderungen, denen sie ausgesetzt sind, insbesondere indigene Frauen, wenn sie reisen; das Fehlen oder Unzulänglichkeit von Dolmetschern während des Prozesses; Stigmatisierung innerhalb ihrer Gemeinden aufgrund der gegen sie verübten Straftaten, was in vielen Fällen sogar zur Zwangsumsiedlung der Familie führt; Verlust von landwirtschaftlichen Flächen, die den Kern ihrer Identität ausmachen; die Unmöglichkeit, in ihre Gemeinden zurückzukehren, sobald sie ihre Freiheit wiedererlangt haben, aufgrund ihrer Stigmatisierung oder des Verlustes ihres Landes sowie die Notwendigkeit, als Migrant*innen zu arbeiten; der Mangel an Verteidiger*innen, die ihre Sprache sprechen. Im zuletzt genannten Fall hatten offiziellen Angaben zufolge im Jahr 2021 85,2% der inhaftierten indigenen Personen (fast 6000) keinen Zugang zu einem oder einer Dolmetscher*in. Im selben Jahr gab es nur 662 zertifizierte Dolmetscher*innen für indigene Sprachen: Ein*e Dolmetscher*in für jeden zehnten Häftling. Darüber hinaus sind die Dolmetscher*innen selbst häufig Opfer von Diskriminierung, z.B. wenn Richer*innen ihre Übersetzungen nicht respektieren oder diskreditieren.
Die Verteidigung der Menschenrechte ist ein Grund für Verhaftungen geworden
Die Organisation für freie Meinungsäußerung Artikel 19 stellt fest, dass “der repressive Zweck von unbegründeten Festnahmen, um abweichende Stimmen zum Schweigen zu bringen und die Arbeit der Menschenrechtsverteidiger*innen zunichtezumachen, offensichtlich ist”.
Die Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidiger*innen hat die feste Absicht, ihren Handlungsspielraum einzuschränken, zu begrenzen oder zu beseitigen, insbesondere wenn sie sich für Land und Territorium einsetzen, wie mehrere Menschenrechtsorganisationen erklärten. Laut der Organisation Global Witness, die am 12. September 2023 ihren Bericht “Immer dabei: Land- und Umweltschützer*innen im Angesicht der Klimakrise”, veröffentlichte, ist Mexiko nach Brasilien und Kolumbien das Land mit der dritthöchsten Gewaltrate für Land- und Umweltschützer*innen. In Mexiko wurden im Jahr 2022 31 Umweltschützer*innen getötet (davon 16 Indigene). Damit ist Mexiko das drittgefährlichste Land für Aktivist*innen, die sich für natürliche Ressourcen einsetzen, hinter Kolumbien und Brasilien, wo 60 bzw. 34 Aktivist*innen getötet wurden. Auf diese drei Länder fallen 70% der weltweiten Fälle. Ein weiteres besorgniserregendes Problem im Falle Mexikos ist die Straflosigkeit: 90% der Fälle bleiben ungestraft. Darüber hinaus sind Einschüchterung, Bedrohung, Vertreibung, Belästigung und Kriminalisierung weitere Risikofaktoren, denen die Verteidiger*innen ausgesetzt sind.
In Oaxaca hat Versammlung der Völker des Isthmus zur Verteidigung von Land und Territorium (Asamblea de los Pueblos del Istmo en Defensa de la Tierra y el Territorio, APIIDTT), eine gemeinschaftliche Basisorganisation, die sich aus indigenen, traditionellen und landwirtschaftlichen Versammlungen und Autoritäten, Versammlungen des zivilen Widerstands, Kollektiven und Kooperativen der Völker der Zapoteken, Ikoots, Zoques und Mixes in der Region des Isthmus von Tehuantepec zusammensetzt, wiederholt Aggressionen gegen mehrere ihrer Mitglieder angezeigt. Kürzlich prangerten sie die Existenz von 17 Haftbefehlen gegen ihre Mitglieder an. Im Januar 2023 wurde David Hernández, der sich durch seine führende Rolle im Widerstand gegen den Bau eines Industrieparks, der Teil des Interozeanischen Korridors in Puente Madera sein wird, hervorgetan hat, bedroht und in diesem Jahr auch festgenommen. “Wir machen die Regierung für rechtswidrige Inhaftierung von David Hernández Salazar, das Klima der Gewalt, die Verletzung unserer Rechte und jedes Maß an Druck, Verleumdung, Drohungen und Aggression gegen unsere Vertreter*innen von Puente Madera, die Behörden und die Bevölkerung von San Blas Atempa und unsere regionale Organisation APIIDTT, verantwortlich“, erklärten sie. David befindet sich derzeit auf freiem Fuß, während ihm ein Gerichtsverfahren wegen eines Verbrechens droht, was er nicht begangen hat.
In Chiapas hat das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas kürzlich zwei Fälle dokumentiert, in denen willkürliche Verhaftungen als Strategie eingesetzt wurden, um die Aktionen von Verteidiger*innen von Land und Territorium zu unterbinden. Der erste Fall ist der von Manuel Gómez Vázquez, einem jungen Maya Tseltal, einem Mitglied der zivilen Basen der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN). Laut Frayba wurde Manuel Gómez von den Gemeindebehörden fälschlicherweise eines Verbrechens beschuldigt, das er nicht begangen hatte, von ihnen gefoltert und dann von der Staatsanwaltschaft der Indigenen Justiz von Chiapas strafrechtlich verfolgt, die “an der Verlängerung seiner Haft, seinem gewaltsamen Verschwinden und der Erfindung von Beweisen gegen ihn beteiligt war”. Am 16. November wurde Manuel Gómez freigesprochen und freigelassen, da keine Verantwortung für die Begehung eines Verbrechens nachgewiesen werden konnte.
Der zweite Fall ist der von Manuel Santiz Cruz, Augustín Pérez Domínguez, Juan Velasco Aguilar, Martín Pérez Domínguez und Augustín Pérez Velasco, Tseltales aus der Gemeinde San Juan Cancún, die sich mit Hilfe verschiedener Organisationen gegen die Militarisierung ihres Territoriums und die Errichtung von Megaprojekten gewehrt haben. Derzeit sind sie inhaftiert und aufgrund eines fiktiven Verbrechens von der Staatsanwaltschaft der indigenen Justiz verurteilt.
Internationale Organisationen wie Front Line Defenders und Indigenous Peoples Rights International (IPRI) haben dieses Muster ebenfalls beobachtet. Nach einem gemeinsamen Besuch in Chiapas im März 2023 erklärten sie öffentlich: “Wir haben uns mit 30 indigenen Verteidiger*innen und Behörden von 12 Fällen von Verteidiger*innen oder Gemeinschaftsprozessen getroffen, die wegen ihrer Verteidigungsbereit Risiken ausgesetzt sind. (…) Wir haben ein klares Muster der Kriminalisierung von indigenen Verteidiger*innen festgestellt, die die Umweltrechte, das Territorium, die Autonomie und die Selbstbestimmung verteidigen. Dieses Muster zeigt sich in der zunehmenden Zahl von Fällen erfundener Straftaten und von Verstößen gegen ein ordnungsgemäßes Verfahren, was starke Auswirkungen auf die Organisation der Gemeinden und den Kampf für kollektive Rechte hat. Wir haben dies in Fällen wie dem von Cristóbal Santiz aus Aldama und Pfarrer Marcelo Pérez Pérez aus San Cristóbal beobachtet. Wir weisen darauf hin, dass im aktuellen Kontext des Einsatzes der Strafjustiz gegen Verteidiger*innen und Gemeinden ein Muster der Kriminalisierung derjenigen besteht, die sich der Militarisierung ihrer Gemeinden und ihrem Kampf für die Verteidigung ihrer kollektiven Rechte widersetzt haben.”
Willkürliche Verhaftungen inmitten der Route von Migrant*innen
Dr. Alethia Fernández de la Reguera, Wissenschaftlerin am Institut für Rechtsforschung an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko (UNAM), sagte, dass Mexiko das lateinamerikanische Land mit dem umfangreichsten und stärksten System zur Inhaftierung von Einwanderer*innen in der Region ist. “Im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern verfügt Mexiko über die meisten Haftanstalten für Menschen auf der Flucht, insgesamt 50, von denen die meisten zwischen 2000 und 2010 gebaut wurden. Was die Inhaftierung von Migrant*innen anbelangt, so inhaftierte das Nationale Institut für Migration im Jahr 2021 307.679 Personen, von denen 80,7% aus Mittelamerika stammen, hauptsächlich aus Honduras, Guatemala und El Salvador.”
Karawanen von Migrant*innen in den Vereinigten Nationen gibt es zwar schon seit vielen Jahren, aber erst 2018 wurden sie massiv und öffentlich und die Regierung reagierte mit der Schaffung der Nationalgarde und der Militarisierung der Grenzen. Die Karawanen ermöglichen es den Migrant*innen, auf geschütztere Weise zu reisen. Außerdem handelt es sich in der Regel um Menschen, die sich die Kosten für die Bezahlung eines Schmugglers nicht leisten können. Aus diesem Grund migrieren die “Verwundbarsten” in Karawanen: Frauen, Frauen mit Kindern, schwangere Frauen, unbegleitete Jugendliche und ältere Menschen. Die Mitglieder der Karawanen verlassen ihre Herkunftsländer nicht nur wegen der Armut, sondern auch wegen krimineller Gewalt, staatlicher Gewalt und sogar wegen Nahrungsmittelknappheit.
Die im August und September 2021 von der Nationalen Menschenrechtskommission (CNDH) durchgeführte Nationale Migrationserhebung zu den Reisebedingungen in Mexiko 2021 zeigt, dass 37% der Verhaftungen in öffentlichen Verkehrsmitteln stattfinden.
Der mexikanische Staat nimmt systematisch Migrant*innen und Personen, die internationalen Schutz benötigen, fest und schiebt sie ab. Nach Angaben der Einheit für Migrationspolitik, Registrierung und Identifizierung von Personen (UPMRIP) nahm das INM im Jahr 2021 309.692 Personen in Gewahrsam, 2022 waren es 441.409. Von Januar bis Juli 2023 wurden 317.334 Inhaftierungen registriert.
Die Haftanstalten für Migrant*innen werden vom Nationalen Migrationsinstitut (INM) verwaltet. Es sind jedoch auch andere Sicherheitskräfte wie die Nationalgarde (GN) sowie private Sicherheitsunternehmen präsent, deren Tätigkeit nicht durch das Migrationsgesetz geregelt ist. In diesen Haftanstalten, die euphemistisch als Migrantionsstationen (EM) und Provisionsstationen (EP) bezeichnet werden, werden Menschen ihrer Freiheit beraubt und sind Opfer grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung, wie mehrere Organisationen der Zivilgesellschaft dokumentiert haben. Die Gruppe zur Bekämpfung des Freiheitsentzugs und der Folter (Grupo Impulsor Contra la Detención Migratoria y la Tortura) hat beschrieben, wie die Gefängnisstruktur dieser Orte des Freiheitsentzugs zusammen mit der fehlenden Kommunikation mit der Außenwelt und anderen manipulativen Maßnahmen eine “folternde Umgebung” darstellen. Diese manipulativen Maßnahmen zielen darauf ab, die totale Kontrolle über die Inhaftierten auszuüben, welche grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlungen erleben und somit sowohl physische als auch psychische Leiden ausgesetzt sind.
Kinder von Migrant*innen Inhaftierung inmitten eines schmerzhaften Transits
Im Jahr 2020 wurden das Gesetz über Migration und Zuflucht und das Gesetz über die Rechte von Kindern und Jugendlichen (NNA) angeglichen, das die Inhaftierung von Kindern und ihren Familien bei der Einwanderung verbietet und dem Wohl des Kindes Vorrang vor dem administrativen Migrationsverfahren einräumt.
Das Kollektiv Südliche Grenze hat dokumentiert, wie die Unterkünfte des Schutzsystems zu neuen Einwanderungsgefängnissen geworden sind, in denen auch Erwachsene, vor allem Frauen, ihrer Freiheit beraubt werden.
UN- Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftungen teilt ihre Besorgnis
Die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftungen besuchte Mexiko vom 18. bis zum 29. September 2023, um mit Behörden und Organisationen der Zivilgesellschaft zu sprechen. “Von den rund 90.000 Personen, die sich im Jahr 2022 in Untersuchungshaft befinden, sind etwa 50 Prozent in informeller Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren einer längeren informellen Untersuchungshaft ausgesetzt, einige sogar mehr als fünf Jahre nach ihrer Verhaftung”, sagte die ecuadorianische Expertin Miriam Estrada-Castillo.
Matthew Gillett, Ganna Yudkivska und Miriam Estrada-Casrillo erklärten außerdem, dass sie während dieser zwei Wochen Schwachstellen feststellten, “darunter Registrierungssysteme für Inhaftierungen, eine zu weite Auslegung des Begriffs flagrante delicto, unzureichender Zugang zu einem wirksamen Rechtsbeistand, übermäßig lange Untersuchungshaftzeiten, Angriffe auf die richterliche Unabhängigkeit und ein ordnungsgemäßes Verfahren, ein übermäßig strafender Ansatz in der Drogenpolitik und Mängel bei den Haftbedingungen”.
Sie stellten fest, dass “eine große Zahl von Migrant*innen und Asylbewerber*innen in Mexiko inhaftiert ist, nämlich mehr als 240.000 in der ersten Hälfte des Jahres 2023”. Sie wiesen auch auf die extreme Gewaltanwendung bei Festnahmen durch mexikanische Streitkräfte hin.
Darüber hinaus wird “eine große Anzahl von Kindern im Zusammenhang mit der Migration inhaftiert. Allein im Jahr 2022 wurden mehr als 126.000 Minderjährige in Zentren untergebracht, die vom Nationalen System für die integrale Entwicklung der Familie (“DIF”) verwaltet werden”. Obwohl Minderjährige gemäß Artikel 99 des Migrationsgesetzes nicht in Einwanderungshaft gehalten werden dürfen, werden Kinder mit Migrationshintergrund in der Praxis häufig ihrer Freiheit beraubt, entweder in Unterkünften, die ausschließlich für unbegleitete Minderjährige bestimmt sind und vom DIF verwaltet werden, oder in Einrichtungen, die gemeinsam mit Migrationsstationen genutzt werden und dem Nationalen Institut für Migration unterstehen.
Abschließend teilten die Expert*innen mit, dass sie ihren Bericht über den Besuch in Mexiko dem Menschenrechtsrat im September 2024 vorlegen werden.