2007
02/01/2008ANALYSE: Mexiko, erneute Polarisierung
30/05/2008Das NAFTA Abkommen und sozialer Unmut
Die überwiegende Mehrheit der sozialen und zivilen Organisationen des Landes schätzt die Aussichten für das kommende Jahr als düster ein. Hervorzuheben sind der allgemeine Preisanstieg bei Rohstoffen, Treibstoff und Strom, sowie die möglichen Folgen eines Artikels des von Mexiko, den USA und Kanada 1994 unterzeichneten Freihandelsvertrags (NAFTA), der die völlige Öffnung des Agrarsektors vorsieht.
Dieser Artikel ist am ersten Januar 2008 in Kraft getreten und erlaubt den steuerfreien Import von Grundnahrungsmitteln wie Bohnen und Mais, sowie von Milchprodukten und zur Herstellung von Öl geeigneten Pflanzen. Trotz Protesten von Bauern Ende 2007 weigerte sich die Regierung diesen Punkt neu zu verhandeln. Der landwirtschaftliche Sektor in Mexiko, die Opposition und verschiedene Akademiker haben darauf hingewiesen, dass die Landwirtschaft Mexikos nicht darauf vorbereitet ist, in einen Preis –und Mengenwettbewerb mit den großen US Produzenten zu treten, besonders wenn man den Unterschied in der Höhe der Subventionen diesseits und jenseits der Grenze mit in Betracht zieht. Laut dem Vorsitzenden der Nationalen Bauernkonföderation CNC (Confederación Nacional Campesina), Cruz López Aguilar, sind mindestens 1,4 Millionen Produzenten von Mais, Bohnen und Milch aufgrund der völligen Öffnung für Importe in ihrer Existenz gefährdet.
Im Unterschied zu den Organisationen der Bauern, zieht das Landwirtschaftsministerium Sagarpa (Secretaría de Agricultura, Ganadería, Desarrollo Rural, Pesca y Alimentación) ein positives Fazit des NAFTA: „Auch wenn das NAFTA für die mexikanischen Produzenten mehr Wettbewerb bedeutet, hat es ihnen auch zahlreiche neue Möglichkeiten beschert, indem es ihnen den Zugang zu einem regionalen Markt von 430 Millionen Personen eröffnet hat“.
Es wird versichert, dass die Bedingungen für eine Öffnung des Handels gegeben sind, da es „einen schrittweisen Prozess der Verbesserung gegeben hat“ und 2007 die Zölle bereits zu 90% beseitigt waren, sodass für 2008 „keine größere Veränderung ihrer Situation auf dem Markt zu erwarten ist, vor allem da man in den nächsten Monaten hohe Preise erwartet“. Und fügte dann noch hinzu, dass mit der völligen Öffnung des NAFTA „Bauern, die Subsistenzwirtschaft betreiben, keine negativen Auswirkungen befürchten müssen, da sie mit ihren Produkten keine Marktteilnehmer sind und daher ganz im Gegenteil vom günstigeren Zugang zu Gütern und Dienstleistungen profitieren werden.“
In einer 2007 angelaufenen Kampagne unter dem Motto „Ohne Mais stirbt das Land, ohne Bohnen ebenfalls“ (Sin maíz no hay país, sin frijol tampoco) haben sich Bauern und andere Hersteller organisiert. Im Januar gaben rund 20 mexikanische Organisationen bekannt, dass sie sich zur Nationalen Front zur Verteidigung der Mexikanischen Landwirtschaft (Frente Nacional en Defensa del Campo Mexicano) zusammenschließen, um die Regierung, in der durch die Öffnung des Handels entstandenen Krisensituation, zum Handeln aufzufordern. Sie rufen zu einer großen Demonstration am kommenden 31 Januar auf, an der sich auch soziale Bewegungen und Gewerkschaften beteiligen werden.
Die Reaktion der Bundesregierung: hartes Durchgreifen und zunehmende Militarisierung
Während der gesellschaftliche Druck wächst, wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Regierung von Felipe Calderón dazu neigt hart durchzugreifen und dass das Land zunehmend einem Prozess der Militarisierung unterworfen ist. Diese Tendenz hat sich, durch die jüngste Ankündigung neuer Formen der Zusammenarbeit zwischen den USA und Mexiko, unter dem Vorwand des Kampfes gegen den „Drogenhandel und den Terrorismus“, weiter verstärkt.
In ihrem Projekt Allianz für Sicherheit und Wohlstand in Nordamerika (Alianza para la Seguridad y Prosperidad de América del Norte, ASPAN. Beginn: 2005) sind Mexiko, die USA und Kanada 2007 weiter fortgeschritten. Das ASPAN präsentiert sich als eine Erweiterung des Freihandelsvertrags, weil es neben den bereits enthaltenen Aspekten Entwicklung und Handel auch noch den Aspekt Sicherheit mit aufnimmt.
Gleichzeitig sind die Regierungen der USA und Mexikos kurz davor ein weiteres Abkommen zu schließen, das darauf zielt, den Drogenhandel und das organisierte Verbrechen in Mexiko zu bekämpfen. Diese Idee hatte sich mit dem Besuch Präsident George W. Bushs in der mexikanischen Stadt Merida verfestigt. Wegen der Ähnlichkeit mit dem so genannten Plan Kolumbien (Plan Colombia) (eine seit fast einem Jahrzehnt laufende politische Strategie, die auch die Zahlung von 4,3 Milliarden Dollar an die kolumbianische Regierung beinhaltet hat, wovon 76% an das Militär geflossen sind) ist diese neue Initiative als Plan Mexiko (Plan México) bekannt geworden (der offizielle Name Initiative von Mérida (Initiaiva Mérida) ist weniger gebräuchlich).
Die Regierung Bush hat sich vorgenommen, vom Kongress die Zustimmung für ein 1,4 Milliarden Dollar schweres Paket zu erhalten, welches in den folgenden 3 Jahren ausgezahlt werden soll (somit würde es die neue Regierung nach den US Wahlen 2008 belasten). Dieses Paket wurde dem Kongress als „Notfinanzierung für den kritischen Bedarf der nationalen Sicherheit“ vorgelegt. Hervorgehoben wird, die „entscheidende Unterstützung unserer Partner in Mexiko und Zentralamerika, die daran arbeiten, die Drogenkartelle zu besiegen, das organisierte Verbrechen zu bekämpfen und den Menschenhandel zu unterbinden. All das sind dringende Prioritäten der Vereinigten Staaten und der Kongress muss sie schnellstmöglich finanzieren„. Man sollte daran denken, dass in Verbindung mit der organisierten Kriminalität 2007 mehr als 2000 Tote in Mexiko registriert wurden und dass die Vereinigten Staaten eine sich über 3000 Kilometer erstreckende Grenze mit diesem Land haben.
Mit den ersten Zahlungen sollen militärische Ausrüstung, Kommunikations- und Überwachungstechnologie, sowie verschiedene Schulungen für mexikanische Soldaten und Funktionäre bezahlt werden. Fürs erste ist keine Anwesenheit nordamerikanischer Truppen in Mexiko vorgesehen.
Verschiedene Menschenrechtsorganisationen auf beiden Seiten der Grenzen haben unter anderem darauf hingewiesen, dass mehr als 40% der 500 Millionen Dollar, die im ersten Jahr ausgezahlt werden, an das Militär gehen, trotz gravierender Anschuldigungen von Menschenrechtsvergehen gegen das mexikanische Militär, das für die nationale Sicherheit eingesetzt wird. Im Oktober hat Human Rights Watch (HRW) erklärt, der Kongress der USA müsste sich gegen die Unterstützung des Antidrogenkampfes in Mexiko stellen, zumindest wenn dieser nicht an die klare Bedingung geknüpft ist, Vergehen durch die mexikanischen Sicherheitskräfte zu stoppen. Der Direktor der Sektion der Amerikas, José Miguel Vivanco, bestätigte: „Mexiko bei der Bekämpfung der brutalen Drogenkartelle zu unterstützen, ist eine gute Idee. Aber den für Vergehen bekannten Sicherheitskräften dieses Landes ein Blankoscheck auszustellen, ist es nicht“.
Andere Experten betonen die Tatsache, dass es keine Garantie gibt, bessere Ergebnisse im Kampf gegen den Drogenhandel zu erzielen, wo doch die großen militärischen Operationen, die Felipe Calderón zu Beginn seiner sechsjährigen Amtszeit angestoßen hat, bis heute nicht die erwarteten Ergebnisse gebracht haben. Von mexikanischer Seite wird auch darauf hingewiesen, dass die Tatsache, das Washington den Antidrogenkampf und den Kampf gegen das Verbrechen auf mexikanischem Territorium als „kritische Notwendigkeit“ für ihre nationale Sicherheit betrachten, eine Einmischung darstellt. Zudem ist der Verweis auf das Thema „Menschenhandel“ nicht eindeutig, man könnte Migranten aus zentral und Südamerika und sogar aus Mexiko verfolgen, die versuchen die Süd –und die Nordgrenze Mexikos zu überschreiten.
Im Rahmen des ersten Treffens zur Zusammenarbeit der Gouverneure der süd-südwestlichen Region im Oktober, das in Villahermosa, Tabasco stattfand, schien dem Faktor „Sicherheit“ eine größere Bedeutung zuzukommen als dem Thema Entwicklung. Während eines Treffens der neun Gouverneure aus dem süd-südwestlichen Mexiko sagte Felipe Calderón, er würde dem Plan Puebla Panama einen „neuen Impuls“ geben und bat diesen, in einen „integralen Plan zur Entwicklung Mesoamerikas“ zu verwandeln. Nichtsdestotrotz betonte er vor allem die Verstärkung der südlichen Grenze, da sich die Fähigkeit des Staates sie zu kontrollieren „aufgelöst“ habe.
Fortschritt in Menschenrechtsfragen kann nicht erwartet werden
Trotz der von der Inter-Amerikanischen Kommission für Menschenrechte CIDH (Comisión Interamericana de Derechos Humanos) der Organisation Amerikanischer Staaten OEA (Organización de los Estados Americanos) wie auch einiger weiterer nationaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen, scheint die Zustimmung für eine von der Exekutive vorgeschlagenen Änderung des Strafrechts unmittelbar bevorzustehen.
Fragwürdig ist, dass sie sich gegen die Unschuldsvermutung und das Recht auf einen fairen Prozess (debido proceso) stellt. Sie würde der Generalstaatsanwaltschaft sowie jeder Polizeieinheit das Abhören von Telefongesprächen und Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss erlauben. Darüber hinaus wären Festnahmen ohne Haftbefehl möglich, wenn der Verdacht besteht, das es eine Verbindung zum organisierten Verbrechen gibt oder wenn man auf frischer Tat ertappt wird.
Der Präsident der Nationalen Menschenrechtskommission CNDH (Comisión Nacional de Derechos Humanos), José Luis Soberanes, bestätigte im Dezember, dass die Reformen des Rechts „einen Rückschritt beim Thema Menschenrechte darstellen, weil sich rechtswidrige Handlungen nicht bekämpfen lassen, indem man die elementarsten Rechte mit den Füßen tritt“.
Auch wenn die Reform noch nicht umgesetzt ist, warnen verschiedene Menschenrechtsorganisationen vor dem Risiko, der Kriminalisierung sozialer Proteste einen legalen Rahmen zu geben. Angeprangert und beklagt wurden in den vergangenen Monaten im Besonderen das Thema der Gefangenen und allgemeiner das Thema der Repression. So hat sich z.B. am 1. November die „Nationale Front gegen Repression“ (Frente Nacional Contra la Represión), die aus verschiedenen Organisationen und Bewegungen besteht, vor dem Innenministerium SEGOB (Secretaría de Gobernación) versammelt und verlangt, dass sämtliche „politischen Gefangenen“ im Lande auf freien Fuß gesetzt werden, dass die Verschwundenen präsentiert werden, dass die Folter abgeschafft wird, dass es ein Ende der sexuellen Gewalt und der Vergewaltigung von Frauen gibt und dass die Haftbefehle gegen Träger des sozialen Protests annulliert werden und die Verfolgung eingestellt wird.
Im November hat das „Solidarische Netzwerk Dekade gegen die Straffreiheit“ (Red Solidaria Década Contra la Impunidad) einen Bericht mit dem Titel „Die Situation der politischen Gefangenen in Mexiko“ vorgelegt, indem sie die Zahl von 500 politischen Gefangenen nennt, wobei sie zugeben, dass es schwierig ist, die genau Anzahl zu benennen, da es kaum Dokumente gibt und auch die Bedingungen, unter denen ihre Prozesse geführt werden, wenig hilfreich sind.
Die Freilassung des indigenen Diego Méndez Arcos (er wurde 2006 verhaftet, da man annahm, er hätte etwas mit den Morden von Viejo Velazco zu tun) ist ein Beispiel von Willkür, genau wie es seine Verhaftung auch war.
Durch die Drohungen gegen und die Ermordung von Berichterstattern setzt sich Mexiko an die „Spitze bei der Einschränkung der Meinungsfreiheit“(so Amerigo Incalcaterra, Repräsentant der Kommission für Menschenrechte der Vereinten Nationen).
Laut der „Rangliste zur weltweiten Situation der Pressefreiheit“, die von Reporter ohne Grenzen (ROG) im Oktober herausgegeben wurde, ist Mexiko weiter das gefährlichste Land für Journalisten auf dem amerikanischen Kontinent. Von 169 untersuchten Nationen kam es auf Platz 136. Wie Benoit Hervieu, der Verantwortliche für den Bereich Amerika bei ROG, unterstreicht: „Seit einem Jahr fällt die mexikanische Regierung im Bereich Pressefreiheit zurück, das hat sie während der Krise in Oaxaca deutlich gemacht“. Er betonte, dass sich in diesem Rückschritt für die Presse, der fehlende Wille des Staates in diesem Bereich Fortschritte zu erzielen zeigt.
Im Januar verkündete die Nationale Kommission für Menschenrechte CNDH (Comisión Nacional de Derechos Humanos), sie habe 2007 84 Beschwerden wegen der Verletzung von Journalisten bei ihrer Arbeit individuell garantierten Rechten eingereicht. Sie prangerten an, dass solche Fälle sich mehren und gewalttätiger werden. Die jüngste Entlassung der Journalistin Carmen Aritegui, die das Nachrichtenprogramm „Hoy por hoy“ bei W Radio leitete, führte ebenfalls dazu, den Stand der Meinungsfreiheit im Land zu hinterfragen.
Ein Fall, über den viel geschrieben wurde, ist der Fall der Journalistin Lidia Cacho. Ende November hat der Oberste Gerichtshof SCJN (Suprema Corte de Justicia de la Nación) alles aus dem Urteil gestrichen, was mit sexuellem Missbrauch und den Netzwerken von Päderasten und Kinderpornografie zu tun hat, da sie der Meinung sind, dass dies nichts mit der Klage zu tun hat, die der Gouverneur von Puebla, Mario Marín, gegen sie erhoben hat. Die Nationale Front gegen die Repression FNCR (Frente Nacional contra la Represión), betrachtet den Unwillen der Richter des SCJN bei diesem Thema mit Sorge, besonders im Hinblick auf die Sitzungen, wo die Konflikte von Oaxaca und San Salvador Atenco behandelt werden sollen. Die hohe Kommissarin der Kommission für Menschenrechte der Vereinten Nationen hat über ihren Repräsentanten in Mexiko verlautbaren lassen: „Es wäre möglich gewesen, diese Prinzipien, die das Land bereits ratifiziert hat, zu stärken“.
CHIAPAS: Neupositionierung der Zapatisten angesichts der Agressionen
Einberufen durch die Nationale Zapatistische Befreiungsarmee (EZLN), die Organisation CIDECI-Unitierra und das Centro Immanuel Wallerstein fand vom 13. bis zum 17. Dezember ein Kolloquium in Gedenken an Andrés Aubry statt, jenen französischen Historiker, der mehr als 40 Jahre in Chiapas gearbeitet hat und im September vergangenen Jahres starb. Neben einigen hundert Interessierten nahmen auch Naomi Klein, Francois Houtart, Pablo González Casanova, Sylvia Marcos, Enrique Dussel, Jorge Alonso, Carlos Rojas Aguirre und Jean Robert als internationale Vertreter daran teil.
Im Rahmen seiner letzten Verlautbarung „Das Rot fühlen; der Kalender und die Geographie des Krieges“ verdeutlichte Subcomandante Marcos seine Rolle als militärischer Anführer der EZLN, welche seiner Aussage nach „eine Armee ist, eine andersartige zwar, aber dennoch eine Armee“ und erklärte, dass „dieses das letzte Mal sei, zumindest für eine geraume Zeit, dass wir zu derartigen Aktivitäten ausziehen und beziehe mich dabei auf das Kolloquium, auf Zusammenkünfte, Runde Tische, Konferenzen als auch, selbstverständlich, Interviews.“
Diese Entscheidung drängt sich, so Marcos weiter, in Anbetracht der neuen Welle von Aggressionen auf, welche „erstmalig unverhohlen von Regierungen der vermeintlichen Linken ausgeht, oder jenen, die sich ungeniert an der Hilfe der institutionellen Linken vergehen und es ist das erste Mal seit jenem Morgengrauen im Januar des Jahres 1994, dass die Antwort auf sozialer, nationaler und internationaler Ebene quasi ohne Bedeutung oder schlicht nicht vorhanden war.“ Darüber hinaus warnte er: „Wir werden versuchen, den zivilen und friedlichen Ansatz, den die Andere Kampagne noch immer darstellt, weiter auszubauen und gleichzeitig darauf vorbereitet zu sein, der Wiederbelebung der gegen uns gerichteten Aggressionen zu widerstehen, ob sie nun von Militär, Polizei oder Paramilitärs ausgehen. Wir, die wir den Krieg erschaffen haben, erkennen den Weg wieder, auf dem er sich nähert und ankündigt. Die Anzeichen des Krieges am Horizont sind klar. Der Krieg, ebenso wie die Angst, stinkt. Und es fängt bereits an, dass man seinen stinkenden Geruch über unserem Lande riechen kann.“ Ein auf diesem Kolloquium unterzeichnetes Dokument verleiht diesem Aufruf Nachhall: „es darf auf mexikanischem Boden nicht zu einem neuen Acteal kommen. Man kann dem Volk nicht untersagen, sich der Gewalt mit Gewalt zu erwehren.
Aus dem selben Grund hatte die EZLN bereits im September 2007 den Abbruch ihres mit der Otra Campaña (Andere Kampagne) begonnenen friedlichen Marsches durch Mexiko verkündet, um sich verstärkt auf Aktionen zur Verteidigung der Gemeinden konzentrieren zu können. Schon im Vorfeld hatte sie vermehrt Angriffe auf ihre Unterstützungsbasen durch die priistische OPDDIC (Organisation zur Verteidigung der Rechte der Indigenen und Bauern) beklagt. In einem zunehmend offener zu Tage tretenden Streit über die Territorien haben sich die Vorfälle dabei immer weiter vom Norden des Bundesstaates, wie der Fall von Bolon Ajaw im November in der autonomen Gemeinde Región de la Montaña (amtlich als Tumbalá bezeichnet) in der Nähe der bei Touristen beliebten Wasserfälle von Agua Azul, über die von den Tzeltal bewohnte Region Chilón im Gebiet von las Cañadas, in Richtung von los Altos (Hochland) de Chiapas ausgebreitet, wo es schließlich im Oktober zu Todesdrohungen gegen den Autonomen Rat der Gemeinde von San Andrés Sakam’chen de los Pobres kam.
Aus den Reihen der Anhänger der Anderen Kampgane, welche im November als Karawane Teile des Bundesstaates durchzogen, wurde die Anklage laut, dass „die Regierung Mexikos als auch die der einzelnen Bundesstaaten mittels der Agrarinstitutionen und ausgeführt durch die mexikanische Bundesarmee und die Organe der öffentlichen Sicherheit auf ihren drei Verwaltungsebenen, eine Strategie der Aufstandsbekämpfung gegen die zapatistischen Unterstützungsbasen und ihre autonomen Behörden fahre und dabei insbesondere jenen indigenen Organisationen die Landrechte übertrage, welche gegen die Ideen der Zapatisten gerichtet sind. In verschiedenen Fällen handelte es sich dabei auch um bewaffnete Organisationen, vor allem die Organisation für die Verteidigung der Rechte der Indigenen und Bauern (OPDDIC) oder die Regionale Indigene Bauernunion (URCI). Diese Organisationen besetzen die durch die EZLN im Jahr 1994 zurückgewonnenen Ländereien und, mittels der landwirtschaftlichen Instanzen, besiegeln sie den gesetzlichen Landraub.
Bewaffnete Gruppen: Berichte
Im Oktober drohte die Revolutionäre Volksarmee (EPR – Ejército Popular Revolucionario) mit der Verschärfung ihrer „Kampagne der nationalen Beunruhigung“, sollte die Regierung sich nicht bereit erklären, die zwischen Mai und Oktober 2007 „verschwundenen“ Kämpfer der EPR lebendig zu präsentieren. Sie erklärten weiterhin, dass sie niemals darum gebeten haben, mit der Bundesregierung in Dialog zu treten, sondern dass dies im September von Seiten verschiedener Senatoren vorgeschlagen wurde. Im Dezember verkündete die EPR den Neubeginn der Feindseligkeiten gegen die Regierung von Felipe Calderón. Im Januar deutete sie an, sie werde über die von ihr verübten militärischen Attacken berichten. Ebenfalls warnte sie die in den Gesetzgebungsprozess der Justizreform Eingebundenen: „Jene Mitglieder der Kammer der Abgeordneten als auch der Senatoren, von welcher Partei auch immer sie seien mögen, die der von Calderón vorgeschlagenen, den Protest, den sozialen Kampf und Akte der sozialen Selbstverteidigung kriminalisierenden Justizreform zustimmen, werden die Verantwortung übernehmen müssen für die durch ihre Handlung ausgelösten Konsequenzen.„
Von ihrer Seite aus warnte die Revolutionäre Bewegung Lucio Cabañas, eine der Guerrilla-Gruppen, welche im Jahr 2006 Sprengsätze in den Niederlassungen des Wahltribunals, der PRI als auch einigen Banken in Mexiko Stadt deponierte, dass die durch die mexikanische Regierung ratifizierte Initiative Mérida mit USA von den Massenbewegungen und den revolutionären Gruppen zurückgewiesen werde.
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ÜBERSCHWEMMUNGEN IN TABASCO UND DEM NORDEN DES STAATES CHIAPAS
Ende Oktober wurde in nationalen und internationalen Medien eine Katastrophe von ungeheurem Ausmaß bekannt: starke Regenfälle verwüsteten den Staat Tabasco und den Norden des Nachbarstaates Chiapas; bei den dadurch ausgelösten Überschwemmungen kamen circa 1 Million Menschen in 16 der 17 Munizipien Tabascos zu Schaden ebenso wie ihre Unterkünfte, die Ernten als auch ihre Viehbestände. Den tabaskischen Autoritäten zu folge beläuft sich die Zahl der am schwersten Geschädigten auf circa 400.000 Menschen. Mindestens 90% der Landeshauptstadt Villahermosa lagen unter Wasser.
Weit weniger mediale Aufmerksamkeit fanden die Regenfälle im Norden Chiapas‘, wo sie dazu führten, dass der Staudamm der Presa Peñitas nicht länger standhielt und durch die derart erhöhte Durchflussmenge der Río Grijalva große Teile des tabaskischen Tieflandes überschwemmte. 22 Bezirken im Norden von Chiapas wurden zum Katastrophengebiet erklärt und man rechnet mit mehr als 75 Tausend Geschädigten.
Noch weniger Beachtung in den Massenmedien fanden Aussagen, welche dem Staat die Verantwortung für das Desaster zuschoben, insbesondere in Anbetracht seiner Vermeidbarkeit. So sagte unter anderem Jorge Escandón, Verantwortlicher für Energie und Klimawandel bei Greenpeace: „Wenn man, wie im Falle Tabascos, bereits 1999 eine Überschwemmungen von großem Ausmaß hat und keine geeigneten Maßahmen ergreift, nicht um das Ereignis unter Kontrolle zu bringen, aber sehr wohl für eine effizientere Antwort von Seiten der Regierung, dann ist das der Punkt, wo wir das als eine politische Fahrlässigkeit ausmachen.“