AKTUELLES: Wahlen inmitten massiver politischer Gewalt
01/07/2024FOKUS: Mexiko, ein Land der Verschwundenen
01/07/2024Mexikos größte und gewalttätigste Wahl aller Zeiten
A m 2. Juni 2024 waren mehr als 98 Millionen mexikanische Bürger*innen aufgerufen, an der bisher größten Wahl in Mexiko teilzunehmen. Im ganzen Land standen mehr als 20.000 öffentliche Ämter zur Wahl, darunter die Präsidentschaft der Republik, die 128 Sitze im Senat und die 500 Sitze in der Abgeordnetenkammer des Unionskongresses, die Regierungen von acht Bundesstaaten (Chiapas, Guanajuato, Jalisco, Morelos, Puebla, Tabasco, Veracruz und Yucatán), der Regierungschef von Mexiko-Stadt sowie Gemeindevorstände oder Stadträte in 29 Bundesstaaten. Darüber hinaus wurden in der Hauptstadt des Landes die neuen Leiter*innen der 16 Bürgermeisterämter gewählt.
Leider erwies sich dieser Wahlprozess auch als der gewalttätigste in der jüngeren Geschichte Mexikos. Das Sekretariat für Sicherheit und Bürgerschutz (SSPC) bestätigte die Ermordung von 22 Kandidat*innen. Mehrere unabhängige Organisationen verzeichneten jedoch höhere Zahlen: Data Cívica meldete 31 ermordete Kandidat*innen, Causa en Común 32, Integralia 24 und Datalnt 28.
Noch alarmierender sind die Zahlen, wenn man auch Beamt*innen und ehemalige Beamt*innen, Politiker*innen, Familienangehörige und Nebenopfer berücksichtigt: Integralia meldete insgesamt 231 Tötungsdelikte. Dieselbe Quelle gab an, dass sie zwischen September 2023 und dem 26. Mai 2024 749 Opfer von gewalttätigen Angriffen im Zusammenhang mit dem Wahlprozess gezählt haben, was einem Anstieg von 150,5% gegenüber der Wahlen 2021 entspricht. Das Spektrum der Angriffe umfasste nicht nur Attentate, sondern auch bewaffnete Angriffe, Drohungen, Entführungen und Verschwindenlassen.
Obwohl Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO) die politische Gewalt im Wahlprozess stets herunterspielte, räumte er ein, dass 560 Kandidat*innen, die darum baten, Schutz von mehr als 3.400 Sicherheitskräften erhielten. Am Wahltag selbst, dem 2. Juni, beteiligten sich 260.788 Mitglieder der Armee, der mexikanischen Luftwaffe, der Nationalgarde und der Marine an der Nationalen Strategie für öffentliche Sicherheit, um die friedliche Atmosphäre während der Wahlen zu gewährleisten. Beide Schutzmaßnahmen sind in ihrem Ausmaß bisher einmalig.
Ein letzter Indikator: Das Nationale Wahlinstitut (INE) meldete, dass 222 Wahllokale in 11 Bundesstaaten aufgrund verschiedener Situationen, vor allem wegen Gefahr von Gewalt, nicht eingerichtet wurden. Chiapas führte die Liste mit 108 nicht eingerichteten Wahllokalen an, gefolgt von Michoacán mit 84 und Oaxaca mit neun. Diese Beeinträchtigungen machen etwa 0,1% der insgesamt geplanten Wahllokale aus.
MORENA und ihre Verbündeten siegen bei den Präsidentschafts- und Kongresswahlen
Trotz der hohen Gewaltbereitschaft während des Wahlkampfes verlief der Wahltag, abgesehen von wenigen Zwischenfällen, relativ ruhig. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp über 60 Prozent.
Die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen waren im Vergleich zu den Umfragen der Medien nicht überraschend. Claudia Sheinbaum wurde mit einem Vorsprung von 30 Prozentpunkten vor der Kandidatin Xótchil Gálvez (von PRI, PAN, und PRD, den traditionellen Parteien Mexikos) zur ersten weiblichen Präsidentin Mexikos gewählt.
Darüber hinaus erreichte Sheinbaums Partei, Movimiento de Regeneración Nacional (MORENA), zusammen mit ihren Verbündeten eine legislative Mehrheit in beiden Kammern des Unionskongresses.
Dies wird es ihr ermöglichen, die Verfassungsreformen des so genannten “Plan C” durchzuführen, den sie von Präsident Andrés Manuel López Obrador geerbt hat, sowie die wichtigsten Megaprojekte der derzeitigen Regierung zu festigen.
Nach der Schnellauszählung des Nationalen Wahlinstituts erhielt Sheinbaum zwischen 58,3% und 60,7% der Stimmen, wobei die Wahlbeteiligung zwischen 60% und 61,5% der Wählerschaft lag. Bei einem Wählerverzeichnis mit 98,3 Millionen registrierten Wähler*innen bedeutet dies, dass Sheinbaum zwischen 35 und 36 Millionen Stimmen erhalten hätte, was einen deutlichen Anstieg gegenüber den 30,1 Millionen Stimmen darstellt, die López Obrador 2018 erhielt.
Im Senat würden MORENA und ihre Verbündeten PVEM und PT nach Schätzungen des Technischen Komitees für Schnellauszählung (COTECORA) des INE mindestens 76 der 128 Sitze erhalten, was sie in die Nähe der für eine Verfassungsreform erforderlichen qualifizierten Zweidrittelmehrheit bringt. In der Abgeordnetenkammer würden dieselben Akteure zwischen 346 und 380 Sitze erringen, was die für eine Verfassungsreform Erforderlichen 334 weit übersteigen würde.
Chiapas, einer der Bundesstaaten, der am meisten unter politischer Gewalt zu leiden hatte
Am 2. Juni wurden in Chiapas neben den Ämtern auf Bundesebene auch der neue Gouverneur, 40 Abgeordnete, 123 Gemeindepräsident*innen, 875 Ratsmitglieder und 123 Verwalter gewählt. Das hohe Maß an politischer Gewalt während des Wahlkampfs machte Chiapas zu einem der am stärksten betroffenen Bundesstaaten, gleich nach Guerrero.
Mindestens 15 politische Attentate wurden registriert, davon 5 auf Kandidat*innen. Darüber hinaus traten 515 Kandidat*innen für verschiedene Wahlämter zurück, die 11 Parteien und zwei Koalitionen angehörten. Nach Angaben des staatlichen Instituts für Wahlen und Bürgerbeteiligung waren die meisten der betroffenen Kandidat*innen Frauen.
Außerdem konnten 108 der 6.977 geplanten Wahllokale nicht eingerichtet werden. Die von dieser Entscheidung betroffenen Gemeinden waren: 12 Wahllokale in der Gemeinde Tila, 28 in Pantelhó, 4 in San Cristóbal de Las Casas, 3 in Bella Vista, 45 in Chicomuselo, 2 in Ocozocoautla de Espinosa, 1 in Villaflores, 4 in Amatenango de la Frontera und 7 in Honduras de la Sierra.
Eduardo Ramírez gewinnt das Amt des Gouverneurs mit großem Vorsprung in Chiapas
Am 2. Juni gewann Eduardo Ramírez Aguilar (ERA), Kandidat der Koalition Sigamos haciendo historia (Machen wir weiter Geschichte), das Rennen um das Gouverneursamt des Bundesstaates Chiapas mit großem Vorsprung vor seiner engsten Konkurrentin, Olga Luz Espinosa Morales, Kandidatin des Bündnisses Fuerza y Corazón por Chiapas (Kraft und Herz für Chiapas). Er erhielt fast 80% der abgegebenen Stimmen. Insgesamt gingen 62,7% der Bürger*innen zu den Urnen. Nur zwei Stunden nach der Schließung der Wahllokale bedankte sich der MORENA-Kandidat bei den Menschen in Chiapas für ihre Unterstützung bei den Wahlen und für “die große Hoffnung, die sie in mich als nächsten Gouverneur gesetzt haben”.
Die Kommunalwahlen, die am härtesten umkämpft waren und zu zahlreichen Konflikten nach den Wahlen geführt haben
Im Vergleich zu den gewalttätigen Ausschreitungen während des Wahlkampfes verlief der Wahltag dort, wo die Wahllokale eingerichtet werden konnten, relativ ruhig. Diese Ruhe wurde jedoch im Fall von Rincón Chamula unterbrochen, wo am Ende des Wahltages ein bewaffneter Angriff auf ein Wahllokal den Tod von José Manuel Jiménez Gómez der Partei Morena und Manuel Hernández Moreno, der PT, zur Folge hatte. Darüber hinaus wurden fünf Mitarbeiter*innen des Wahllokals verletzt. Die bewaffnete Gruppe zündete auch die Stimmzettel an, die in diesem Wahllokal ausgezählt wurden, bevor sie floh.
Die Ergebnisse auf dieser Ebene zeigen eine gewisse Vielfalt. Die Verteilung der Gemeinderäte auf die einzelnen Parteien sieht wie folgt aus: Morena erhält 39, PVEM 27. PT 15, Redes Sociales Progresistas 15, Podemos Mover a Chiapas 5, PRI 4, Chiapas Unido 4, MC 2 und eine unabhängige. Außerdem gewannen die Koalitionen Seguiremos Haciendo Historia (Morena und Verbündete) und Fuerza zý Corazón por Chiapas (PAN, PRI und PRD) jeweils 4 Sitze. PAN, PRD, Partido Popular Chiapaneco, Encuentro Solidario und Fuerza por México haben keine Bürgermeistersitze gewonnen.
Medienberichten zufolge kam es nach den Wahlen am 2. Juni zu mindestens 12 Konflikten. Gruppen, die mit den Wahlergebnissen unzufrieden waren, haben den Sitz der Wahlbehörde in Brand gesetzt und waren in Zusammenstöße verwickelt.