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02/01/20012001
31/12/2001ZUSAMMENFASSUNG DES BERICHTES
Die Ereignisse des 11. September haben in Mexiko wie überall auf der Welt sehr viel Unruhe hervorgerufen. Damit einher ging ein allgemein nachlassendes Interesse für andere ungelöste Konflikte wie z.B. für den Konflikt in Chiapas. Schon vor dem 11. September war der Friedensprozess zum Stillstand gekommen. Eine im April vom Kongress verabschiedete Verfassungsreform, durch die die Rechte der indigenen Bevölkerung gestärkt werden sollten, wurde von der EZLN und anderen wichtigen Indígena-Organisationen als Betrug gewertet. Bundesstaaten mit hohem indigenen Bevölkerungsanteil stimmten daraufhin gegen die Reform. Dennoch verkündete die Regierung Fox, daß es sich bei dieser Reform um einen wichtigen Fortschritt handele und daß sie ein Beweis für die Lösung des Konflikts in Chiapas sei.
Während der Europareise von Präsident Fox wurden solche Meldungen gerne gehört, denn hier wächst das Interesse, die wirtschaftlichen Beziehungen zu Mexiko auszubauen.
Zur gleichen Zeit hat die Regierung wiederholt ihren Willen gezeigt, die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Die EZLN hüllt sich jedoch seit April in Schweigen, und andere Indígena-Organisationen lehnen neue Verhandlungen ab, da aus ihrer Sicht die Regierung nicht bereit ist, getroffene Vereinbarungen auch umzusetzen. In Chiapas bleibt die Situation stark
polarisiert und konfliktreich, die Meldungen (denuncias) aus den Gemeinden von Übergriffen durch Militärs und Paramilitärs nehmen zu und für mindestens 10.000 chiapanekische Vertriebene gibt es keine ausreichende Sicherheit, in ihre Dörfer zurückzukehren, weil bisherige Verhandlungen für die betroffenen Gemeinden nur wenig Konkretes ergaben.
Die diversen Indígena- und Menschenrechtsorganisationen sprechen weiter von einer illegitimen Reform und teilweise sogar von deren Illegalität. Mehr als 300 Klagen lokaler wie bundesstaatlicher Autoritäten gingen beim Obersten Gerichtshof [entspricht zugleich dem Bundesverfassungsgericht] bisher ein. Zudem wurde bei der ILO (Internationale Arbeitsorganisation) eine Klage eingereicht, daß Mexiko seinen internationalen Verpflichtungen nicht nachkomme, wenn es darum gehe, die Rechte der Indígenas zu achten. Aus einer anderen Richtung kommen Versuche, das Indígena-Gesetz zu verbessern, entweder über seine Revision im Kongress, oder über die Änderung der entsprechenden Gesetze, die auf staatlicher Ebene umgesetzt werden müssten, um eine Reform einzuleiten.
Das Problem bleibt aber im strikten Sinne nicht juristischer, sondern politischer Natur, denn die konservativen Kräfte werden sich auch in Zukunft gegen jede erweiterte Auslegung des Gesetzes wehren. So hat die Reform zwar eine neue Unabhängigkeit der drei Staatsgewalten voneinander sichtbar werden lassen, de facto sich aber zu einem Hindernis für die Lösung des Konflikts in Chiapas entwickelt.
Die Ermordung der bekannten Menschenrechtsverteidigerin Digna Ochoa wurde im In- und Ausland aufs schärfste verurteilt. Trotzdem folgte dem Attentat eine Welle von Drohungen gegen weitere bekannte MenschenrechtsverteidigerInnen.
Unmittelbar nach dem Verbrechen wurden zwei Bauern und Umweltaktivisten aus Guerrero, die von Digna Ochoa gegen ziemlich frei erfundene Anschuldigungen verteidigt worden waren, von Präsident Fox wieder auf freien Fuß gesetzt. Guerrero rückte dann in den Mittelpunkt des Interesses, denn hier hatten Militärs die Arbeit der Anwältin immer wieder behindert.
Viele Menschenrechtsorganisationen äußern ihren Unmut über die sich auch einen Monat nach dem Attentat dahin schleppenden Untersuchungen.
Noch fraglicher wird das schöne Bild, das uns die mexikanische Regierung zur Menschenrechtssituation präsentiert, durch ein Ultimatum, das die interamerikanische Komision der für Menschenrechte Anfang November Mexiko gestellt hat, in dem sie die sofortige Freilassung des Generals José F. Gallardo verlangt. Seit nunmehr acht Jahren befindet er sich im Gefängnis für seine Forderung nach einem Ombudsmann (eine Person, bei der anonym Meldungen gemacht werden können) für Menschenrechtsfragen beim Militär.
Die Kommunal- und Landeswahlen vom Oktober in Chiapas besorgten der PRI im Kongress des Bundesstaates eine bequeme Mehrheit. Die EZLN hatte ein weiteres Mal die Wahlen boykottiert, die Zahl der NichtwählerInnen erreichte fast 50%. Der amtierende Gouverneur Pablo Salazar muß nun mit einem Kongress regieren, in dem die PRI die Mehrheit besitzt, obwohl diese nicht der Regierungskoalition angehört.
Zusammenstöße sind in Chiapas häufiger geworden, auch zwischen Indígena-Organisationen, die früher zusammengearbeitet haben. Es gibt Streit über Land, über die Hegemonie in der Politik und über die verschiedenen politischen Strategien im Umgang mit der Regierung in Chiapas. Hinter diesen Auseinandersetzungen steht der Konflikt mit der Bundesregierung. Der Preis für diesen Kampf ist überall der gleiche: Verletzte, Tote, Entführte, Vertriebene, abgebrannte Häuser, und zunehmend auch Morddrohungen.
Auf der anderen Seite gibt es auch Zeichen der Entspannung, wie der ökumenische Dialog in Chenalhó (in der Region Altos) und einige Abkommen, die die Wiedereröffnung katholischer Kirchen in El Limar und Sabanilla (in der Zona Norte) möglich machten. Trotz nicht erfüllter Forderungen nach Entschädigung und nach Beendigung der paramilitärischen Bedrohung kehrten zwischen August und Oktober verschiedene Gruppen Vertriebener der Organisation Las Abejas in ihre Gemeinden zurück. Insgesamt entschieden sich rund 1336 Personen aufgrund der zunehmenden Knappheit von Trinkwasser, Feuerholz und Nahrung in den Flüchtlingslagern zurückzukehren. Die sogenannte „erzwungene“ Rückkehr wurde von mexikanischen, internationalen und staatlichen BeobachterInnen begleitet. Bis heute hat es keine Zwischenfälle gegeben, dennoch besteht Sorge über die Sicherheit der Zurückgekehrten.
Dabei bleibt festzuhalten, daß diese RückkehrerInnen eine Ausnahme von der Regel sind und daß die Probleme von mehr als 10.000 Vertriebenen weiterhin ungelöst bleiben.
Nach den Attentaten vom 11. September hat sich die Militärpräsenz in Chiapas merklich erhöht, besonders an den Grenzen zu Guatemala. Die Behauptung der US-Regierung, bei der EZLN handele es sich um eine terroristische Vereinigung, wurde sowohl vom Gouverneur von Chiapas, Pablo Salazar, wie auch von dem Regierungsgesandten für den Frieden, Luis H. Alvarez, zurückgewiesen. Weltweit steigt die Besorgnis, daß Angst und Schrecken zu steigender Intoleranz gegenüber Minderheiten führen könnten. Ihre größte Wirkung übten die Anschläge auf die Wirtschaft aus, was zu einer Verschärfung der bereits latent vorhandenen weltweiten Rezession führte. In einigen Gebieten von Chiapas entschlosssen sich die
Kaffeeproduzenten, die Ernte ausfallen zu lassen. Im Vergleich zum Vorjahr, wo die Kaffeepreise schon niedrig waren, sackten sie dieses Jahr nochmals um 50% ab. Die traditionelle Reaktion für Mexikaner in Zeiten der Krise war immer die Auswanderung in die USA gewesen. Da die Wirtschaft der USA aber ebenfalls in einer tiefen Krise steckt, schrumpfte die Zahl der Migranten seit September um rund 50%.